Читать книгу Das Barnabas-Evangelium - Irene Dorfner - Страница 12
7.
ОглавлениеHans und Leo fuhren nacheinander auf den Parkplatz der Polizeiinspektion Mühldorf. Direkt vor dem Eingang parkte eine rote, ziemlich ramponierte Ente, die über und über mit Aufklebern versehen war.
„Welcher Idiot parkt denn so bescheuert? Frankfurter Kennzeichen!“
„Ich glaube kaum, dass es dieses Fahrzeug von Frankfurt bis hierher geschafft hat. Sieh dir die Aufkleber an, die halten diese Klapperkiste nur noch notdürftig zusammen.“ Leo warf durch die völlig verschmierten Scheiben einen Blick ins Innere. „Auf der Rückbank sitzt ein alter Teddybär, daneben liegt eine Reisetasche.“
„Sieh mal auf den Beifahrersitz! Der ist total zugemüllt!“, rief Hans.
„Der Besitzer ist bestimmt irgendein Ökofuzzi, der mit dieser Parkweise nur provozieren möchte. Ich informiere die Kollegen. Wenn das Fahrzeug in den nächsten zehn Minuten nicht weg ist, sollen sie die Karre abschleppen lassen.“ Leo war wütend. Auch wenn man die Polizei nicht mochte, konnte man sich trotzdem gesittet benehmen und anständig parken, zumal jede Menge Parkplätze frei waren.
Krohmer wartete zusammen mit Werner Grössert und einer Unbekannten im Besprechungszimmer. Er sah fortwährend auf die Uhr. Wo bleiben Schwartz und Hiebler? Es war schon sechs Minuten nach 8, er hasste Unpünktlichkeit!
„Endlich!“, rief Krohmer erleichtert, als die beiden durch die Tür traten. Er hatte noch einen wichtigen Termin und musste diese Besprechung so schnell wie möglich hinter sich bringen. Der Mühldorfer Bürgermeister hatte um ein Gespräch gebeten. Was wollte der Mann nun jetzt schon wieder von ihm? Reichte es nicht, dass er ihn mit seinen dauernden Anrufen und Fragen zur Weißglut brachte?
„Guten Morgen Chef, wir wurden aufgehalten,“ murmelte Leo nur.
„Ich darf vorstellen: Tatjana Struck. Sie ist nicht nur ab sofort Teil des Teams, sondern gleichzeitig die neue Leiterin der Mordkommission.“
Die 36-jährige Tatjana Struck lümmelte in Jeans und dickem Pullover in ihrem Stuhl und hob nur kurz die Hand zu einem Gruß. Sie verzog keine Miene und machte keine Anstalten, etwas zu sagen. Sie nahm ihren Kaffeebecher und nippte an dem heißen Getränk. Leo musterte die Frau. War sie nicht viel zu jung für diesen Job? Und wie sah sie überhaupt aus? Die Haare viel zu kurz, außerdem hatten sie schon lange keinen Kamm mehr gesehen. Die pummelige Figur störte ihn nicht. Er mochte Frauen, an denen etwas dran war. Was er aber überhaupt nicht mochte, war diese lässige Art und diese fürchterlichen Klamotten. War der Pullover selbstgestrickt? Ganz bestimmt! Die neue Chefin, die so ganz anders war als seine Viktoria, war eine Öko-Tussi! Er entschied, dass sie nicht hierher passte. Hans und Werner waren die Äußerlichkeiten und das Alter der Frau egal. Hauptsache, sie hatte etwas auf dem Kasten und war teamfähig. Hans hatte ganz andere Probleme: War er jetzt, da Verstärkung da war, raus aus dem Fall? Werner wartete still, während Leo die Neue unablässig musterte.
„Was glotzen Sie mich so an? Passt Ihnen etwas nicht?“, sagte Tatjana Struck, der Leos Musterungen viel zu weit gingen. „Es ist meine Sache, wie ich mich kleide. Ich nörgele auch nicht an Ihnen herum, obwohl dafür reichlich Anlass bestünde.“
Was fiel dieser frechen Frau eigentlich ein? Gut, er hatte sie vielleicht zu lange angestarrt. Aber was gab es an seiner Kleidung auszusetzen? Jeans trug inzwischen fast jeder, sogar der Chef hatte sie die meiste Zeit an. Seine Cowboystiefel hatten sehr viel Geld gekostet und die T-Shirts waren sehr selten. Leo entschied, dass er die Frau nicht mochte, und ging auf ihre Fragen nicht ein.
Hans und Werner konnten sich ein Lächeln nicht verkneifen. Gerade Leo, der kleidungstechnisch in den 80er-Jahren hängengeblieben war und mit seinen fürchterlichen T-Shirts immer und überall auffiel, störte sich offensichtlich an der Kleidung der Neuen. Gut, sie war vielleicht etwas alternativ angehaucht, aber das war ihre Sache.
„Ich habe Frau Struck über den neuen Fall informiert. Gibt es inzwischen irgendjemanden, der sich zu dem Bombenanschlag in Altötting bekannt hat?“
„Nein. Wir haben uns umgehört. Niemand weiß etwas oder kann uns auch nur ansatzweise einen Hinweis geben.“ Werner hatte sich alle Mühe gegeben und seine Kontakte spielen lassen. Alle zeigten sich bestürzt über die Brutalität und distanzierten sich von solchen Aktionen.
„Das Umfeld der Toten?“
„Haben wir mehrfach durchkämmt. Die Spuren führen ins Leere.“
„Der Bericht der Spurensicherung bezüglich der Bombenattrappe auf dem Mühldorfer Weihnachtsmarkt ist recht dürftig. Es wurden Fingerabdrücke sichergestellt, die aber nicht registriert sind.“ Krohmer war enttäuscht.
„Sie haben aber nicht wirklich damit gerechnet, dass die Fingerspuren auf den Täter führen werden?“, fragte Tatjana Struck vorwurfsvoll. „So wie ich das sehe, wurde der Zünder absichtlich nicht angebracht. Kein Bombenleger ist so dumm und vergisst den Zünder! Ich bin mir sicher, dass wir es in Altötting und Mühldorf mit demselben Täter zu tun haben, der irgendetwas plant. Was hat er vor?“
„Nun bleiben wir mal auf dem Teppich Frau Kollegin,“ warf Hans ein. „Ich bin mir sicher, dass der Täter so dumm war und den Zünder schlichtweg vergessen hat. Es gibt nichts, was dagegenspricht.“
„Lesen Sie doch einfach die Unterlagen der Spurensicherung etwas genauer. Soweit ich das sehe, ist man dort auch meiner Meinung. Der Zünder wurde absichtlich nicht angebracht. Vielleicht will uns der Täter glauben lassen, dass er dumm und schusselig ist. Ich bleibe dabei: Hinter diesen Anschlägen steckt ein bestimmter Plan, den wir so schnell wie möglich herausfinden und vereiteln sollen.“
Krohmer war die Diskussionsbereitschaft dieser vorlauten Frau zuwider. Was erlaubte sie sich eigentlich? Vor einer Stunde stand sie plötzlich in seinem Vorzimmer und drückte ihm ihre Personalunterlagen in die Hand. Hätte man ihn nicht wenigstens vorher informieren können? Er hatte noch keine Zeit gehabt, sich über sie zu erkundigen, was er nun schleunigst nachholen wollte. Er spürte, dass die Frau eine Querulantin war, die sich nicht davor scheute, sich unbeliebt zu machen. Bereits nach wenigen Minuten hatte sie zwei ihrer neuen Mitarbeiter gegen sich aufgebracht. Und nun auch ihn.
„Verstärken Sie die Polizeipräsenz auf den noch laufenden Weihnachtsmärkten. Ich habe bereits mehrere Sprengstoffspürhunde angefordert, die im Laufe des Tages zur Verfügung stehen. Herr Grössert, bitte übernehmen Sie die Koordination.“
Krohmer zog sich in sein Büro zurück und griff sofort zum Telefon. Nach einer halben Stunde hatte er einige Informationen über die neue Kollegin, die nicht in ihrer Personalakte standen. Tatjana Struck hatte einen überdurchschnittlich hohen Intelligenzquotienten und schloss ihre Ausbildung mit Auszeichnung ab. Alles Dinge, die noch nichts über die Frau aussagten. Sein Kontakt bei der Kripo Frankfurt lieferte noch ein paar Details über Frau Struck, die ihn interessierten.
„Ich bin froh, dass diese schwierige Frau endlich weg ist. Mit ihr hatte ich nur Ärger. Sie hat sich nichts sagen lassen und hielt sich immer genau ans Gesetz. So eine Art Jeanne D’Arc für Arme. Die Frau ist absolut stur, mit der kann man kaum reden. Mit ihrem Dickschädel ging sie immer ihre eigenen Wege, Teamarbeit ist für sie ein Fremdwort. Hier fand sich niemand, der mit ihr zusammenarbeiten wollte. Auf privater Ebene war mit ihr nichts zu machen, das hat sie abgeblockt. Über ihr privates Umfeld gibt es nur Spekulationen und Gerüchte. Ich habe Frau Struck nahegelegt, zu gehen, und zwar weit weg. Ich gratuliere Ihnen nicht zu dieser Frau. Die wird Ihnen noch Probleme bereiten.“ Nach einem Lachanfall folgten dümmliche Witze und Sprüche, die für Krohmer nur schwer zu ertragen waren. Der Frankfurter Kollege Schneider war ein unangenehmer Typ, den Krohmer nur sehr ungern kontaktiert hatte. Bereits zwei Mal hatte er mit ihm bei einer Fortbildung das Vergnügen gehabt. Schneider war laut, hatte immer dümmliche Sprüche auf Lager und war gerne Mittelpunkt jeder Unterhaltung. Krohmer hielt ihn allgemein nicht für das hellste Licht auf der Torte, trotzdem musste er etwas können, sonst hätte er es nicht so weit gebracht. Krohmer bedankte sich überschwänglich. Sollte er Schneider Glauben schenken? Er beschloss, Tatjana Struck eine faire Chance zu geben und sich sein eigenes Urteil über sie zu bilden. Er packte seine Unterlagen und fuhr ins Mühldorfer Rathaus, wo er bereits erwartet wurde.
„Sie wollen was? Sind Sie verrückt geworden?“, rief Krohmer, als er den Grund des Zusammentreffens erfuhr.
„Was spricht dagegen, mich an die Öffentlichkeit zu wenden? Das dürfte doch auch in Ihrem Sinne sein. Die Bevölkerung hat ein Recht darauf, über die Bombe während des Weihnachtsmarktes informiert zu werden, auch wenn das schon ein paar Tage her ist. Die Gerüchteküche brodelt doch bereits und ist am Überkochen. Ich plädiere für Offenheit und Transparenz,“ sagte der Bürgermeister trotzig und seine Stadträte stimmten ihm zu. „Der Zeitungsartikel erscheint morgen überregional. Außerdem kommt heute Nachmittag ein Fernsehteam, das über die Vorkommnisse berichten wird.“
„Wissen Sie eigentlich, was Sie damit anrichten? Sie schüren Angst und Panik; beides können wir nicht brauchen.“
„Ich dachte mir schon, dass Ihnen unser Vorhaben nicht schmeckt, aber darauf können wir keine Rücksicht nehmen. Wir haben entschieden. Ich stelle Ihnen frei, bei dem Termin heute Nachmittag teilzunehmen, das Fernsehteam ist um 15.00 Uhr hier.“
Krohmer verzichtete gerne darauf und ging wütend davon. Natürlich verstand er, dass er als Bürgermeister die Bevölkerung aufklären wollte. Aber hätte er das nicht vorher mit ihm absprechen sollen?
Die Mühldorfer Kripobeamten gingen schweigend in ihr Büro. Werner Grössert wies Tatjana Struck den verwaisten Schreibtisch von Viktoria zu, an dem es sich die Neue sofort bequem machte. Eisiges Schweigen griff um sich.
„Ob es Ihnen nun gefällt oder nicht: Ich gehöre ab sofort zum Team und wir müssen uns irgendwie zusammenraufen.“ Tatjanas Ansprache wurde jäh unterbrochen, denn Leo und Hans standen am Fenster und sahen amüsiert zu, wie die Ente auf einen Abschleppwagen gehievt wurde. Sie stand auf und wollte sehen, was die neuen Kollegen so amüsierte.
„Hoffentlich überlebt die alte Kiste den Abtransport,“ sagte Hans und lachte.
„Man hätte vielleicht noch mehr Aufkleber anbringen sollen. Das hätte die Stabilität deutlich erhöht.“
Tatjana wurde schlecht, sie fand das überhaupt nicht lustig.
„Wer hat das angeordnet? Sie etwa?“
Leo und Hans nickten.
„Sicher. Der Wagen parkte den ganzen Eingangsbereich zu. Sollen wir da untätig zusehen? Außerdem hatte der Fahrer genug Zeit, seine Schrottlaube wegzufahren.“
Tatjana rannte so schnell sie konnte los.
„Was ist denn mit der los?“
Auch Werner hatte sich zu den Kollegen gesellt und nun sahen sie zu dritt, wie die alte Ente auf dem Abschleppwagen verzurrt wurde. Dann wurde es laut. Tatjana Struck schrie auf den Mann ein, der eben den letzten Haltegurt anlegen wollte. Erst jetzt verstanden die anderen: Das war ihr Wagen!
„Ach du Scheiße! Das haben wir ordentlich verbockt! Das verzeiht sie uns nie!“, sagte Hans. Sie sahen zu, wie der betröppelte Mann den Wagen wieder ablud und schließlich davonfuhr. Tatjana Struck setzte sich in die Ente und parkte den Wagen ordentlich auf einen eingezeichneten Parkplatz. Sie blieb im Wagen sitzen und rauchte eine Zigarette, wobei sie sich langsam beruhigte.
„Sie kommt zurück!“ Schnell setzten sich die drei auf ihre Plätze und warteten auf das Donnerwetter, das gleich über sie hereinbrechen würde. Aber die neue Kollegin holte einen Kaffee und setzte sich, ohne ein Wort zu sagen. Über eine halbe Stunde war es totenstill, dann wurde es Leo zu dumm.
„Ich möchte mich für die Aktion entschuldigen,“ sagte er und reichte ihr die Hand. „Ich konnte ja nicht ahnen, dass das Ihr Wagen ist.“
Tatjana Struck reagierte nicht darauf, sondern vertiefte sich in die Arbeit. Warum sollte sie diese dumme Aktion auch noch kommentieren? Klar war sie stinksauer gewesen, aber sie hatte sich wegen ihrem Wagen längst wieder beruhigt. Es war nur ein Wagen, mehr nicht. Nach einer schier endlos langen Fahrt war sie endlich angekommen und musste dringend auf die Toilette. Also parkte sie direkt vor der Tür. Warum auch nicht? Hier auf dem Land war doch sowieso nichts los. Wen also störte der Wagen? Die beiden arroganten Kollegen natürlich! Sie hatte sofort gemerkt, dass sie etwas gegen sie persönlich hatten und eine normale Diskussion mit ihnen nicht möglich war. Die waren beide auch sofort eingeschnappt! Gab es denn nirgends Männer, mit denen man sich so richtig fetzen konnte? Immer musste man überall vorsichtig sein und sich die Worte genau überlegen. Warum? Sie war immer der Meinung, dass man frei von der Seele reden sollte. Leo Schwartz setzte sich wieder. Das war also der Mann, der vorher in Ulm Leiter der Mordkommission war und hierher versetzt wurde, weil eine Falle misslungen war. Das allein hätte sie sympathisch gefunden. Aber dieser abschätzende Blick und diese ablehnende Haltung konnte sie nicht gutheißen. Hans Hiebler war von anderem Holz geschnitzt. Für sein Alter ein sehr gutaussehender Mann, der dazu auch noch fantastisch roch. Aber er hatte keinen Ehrgeiz, sonst würde er die Leitung der Mordkommission schon längst innehaben. Schade, denn Ehrgeiz und Biss gehörten bei ihr dazu. Aus diesem Werner Grössert wurde sie nicht schlau. Als sie sich über ihn informiert hatte und herausfand, dass der verheiratete 40-Jährige aus einer angesehenen Anwaltsfamilie stammte, hatte sie Vorbehalte ihm gegenüber. Allerdings verhielt er sich als Einziger offen und fair. Dazu war er bei den Kollegen beliebt, was sie seinem diplomatischen Geschick zuschrieb. Es wäre ihr am liebsten, wenn sie mit ihm ein Team bildete, dann gab es wenigstens keinen Ärger. Sie war müde und gereizt, was auch daran lag, dass man hier im gesamten Gebäude nicht rauchen durfte. Das war das Erste, was Krohmer ihr sagte, als sie sich vorstellte und dann ihre Zigarettenschachtel hervorholte. Bis jetzt fand sie den neuen Job ätzend.
Sie konzentrierte sich wieder auf den Fall. Je länger sie die Faktenlage vor sich sah, desto mehr war sie davon überzeugt, dass mit diesen Bomben etwas bezweckt werden soll. Aber was? Eine plumpe Geldforderung? Eine Erpressung, die noch nicht vorlag? Oder etwa etwas ganz anderes?
„Wir sollten uns nochmals alle Beteiligten vornehmen,“ sagte sie laut.
„Ich weiß zwar nicht, was das bringen soll; aber bitte, wie Sie wollen,“ sagte Hans und stöhnte laut auf. „Dann mache ich mich mit Leo auf den Weg. Natürlich nur, wenn Sie nichts dagegen haben.“
Tatjana fühlte sich angegriffen und überrumpelt. Sie sollte von Anfang an festlegen, wer hier das Sagen hatte, bevor ihr die drei, vor allem Schwartz und Hiebler, auf der Nase herumtanzen. Sie hatte es nicht nur als Neue, sondern vor allem als Jüngste und dazu auch noch als Frau schwer genug. Sie musste hart bleiben und gleich klare Anweisungen geben.
„Fahren Sie mit Herrn Grössert,“ hörte sie sich sagen und bereute sofort ihre Worte. Das bedeutete, dass sie mit diesem Schwartz zusammenarbeiten musste. Sollte sie zurückrudern? Nein! Sie musste hart bleiben und nahm ihre Jacke. „Können wir?“
Leo war sauer, mit der Entscheidung hatte er nicht gerechnet. Dieser Tag konnte ja nur beschissen werden!
Die Befragungen liefen wie erwartet ab. Es gab keine einzige neue Information, die sie irgendwie weitergebracht hätte. Alle waren enttäuscht, denn das hatte alles nur unnötig viel Zeit gekostet. Vor allem Leo war über die fast unverschämte Art von Tatjana Struck erschrocken und er schämte sich sogar für sie. Die plumpe Art der Befragung und die teilweise sehr indiskreten Fragen kamen ihr leicht über die Lippen. Leo spürte, dass ihre Art hier in der Gegend nicht gut ankam, und hätte eigentlich einschreiten müssen, tat es aber nicht. Soll sie doch zusehen, wie sie allein zurechtkam. Darüber hinaus nervte ihn, dass sie fortwährend rauchte. Immer und überall zündete sie sich eine Zigarette an, sogar im Auto. Sie nahm wenigstens so weit Rücksicht, dass sie das Fenster zur Hälfte öffnete, wodurch es unerträglich kalt war und er bis auf die Knochen durchgefroren war. Die Chemie zwischen ihnen stimmte nicht.
Der Tag verlief sehr langsam und schleppend. Endlich war Feierabend. Wie selbstverständlich ließ Hans seinen Wagen stehen und fuhr mit Leo zu Tante Gerda, die für alle gekocht hatte. Ausführlich berichteten sie bei Gulasch und Spätzle von der neuen Vorgesetzten.
„Gebt der Frau doch eine Chance! Seid bitte fair, schließlich ist sie heute erst angekommen und hat trotz der langen Anfahrt sofort mit der Arbeit angefangen. Sie ist neu hier und braucht Zeit, um sich einzugewöhnen. Sie kennt euch noch nicht. Außerdem kommt sie aus der Stadt, sie muss sich erst mit dem Landleben, dem Dialekt und den Eigenheiten der Menschen hier anfreunden. Erinnere dich doch an deine Anfangszeit Leo. Wo ist die Frau Struck eigentlich untergebracht? Wo wohnt sie? Kennt sie hier jemanden? Das arme Mädl ist bestimmt vollkommen einsam und allein.“
Hans und Leo hatten sich über all die Dinge keine Gedanken gemacht und zuckten mit den Schultern.
„Das finde ich überhaupt nicht gut. Ihr beide habt Zeit, ihr die ersten Tage in der Fremde zu erleichtern. Es wäre anständig gewesen, sie zumindest zu fragen, ob sie Gesellschaft wünscht. Wie muss sich das Mädl jetzt fühlen? Schämt euch!“ Tante Gerda war enttäuscht. So kannte sie ihren Neffen und Leo nicht. Beide waren sonst sehr umgänglich. Hatten die beiden jüngsten Erlebnisse mit ihren Frauen sie so aus der Bahn geworfen?
Leo und Hans sahen zusammen eine Sportsendung im Fernsehen an, die streckenweise sehr langweilig war. Sie verzichteten auf Alkohol, davon hatten beide in letzter Zeit genug.
„Tante Gerda hat wie immer Recht. Wir hätten die Neue unterstützen sollen. Unser Verhalten zeugt nicht gerade von guter Kinderstube,“ sagte Hans.
„Du hast doch gesehen, wie ätzend die Frau ist. Ich habe mich wegen dem Wagen bei ihr entschuldigt und habe ihr sogar die Hand gereicht. Aber diese dumme Kuh hat mich einfach stehen lassen. Ich kam mir vor wie ein dummer, kleiner Schuljunge, dabei bin ich einige Jahre älter als sie, sie ist bestimmt noch keine 40. Wie kommt sie in dem Alter zu dem Job? Ihren Leistungen hat sie das bestimmt nicht zu verdanken, das kann ich mir nicht vorstellen. Sie hat eine unverschämte Art an sich, mit anderen zu sprechen, du hättest heute bei ihren Befragungen dabei sein sollen. Diese Struck hat keine Kinderstube!“, konterte Leo, der sich sofort wieder über die Frau ärgerte. Die beiden lästerten noch lange über die Neue und ließen kein gutes Haar an ihr. Insgeheim wussten sie trotzdem, dass Tante Gerda vollkommen Recht hatte: Sie sollten der Struck beide eine faire Chance geben.