Читать книгу Zu viel riskiert - Irene Dorfner - Страница 10

6.

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„Halt endlich den Mund!“, schrie Wolfgang, der sich kaum konzentrieren konnte. Anitas Handy hatte er noch in Gars einfach aus dem Fenster geworfen. Er versuchte, den Wagen so ruhig wie möglich durch den Verkehr zu lenken. Mehrere Polizeifahrzeuge kamen mit Blaulicht und Sirene entgegen. Dass die wegen ihm gerufen wurden, konnte er sich denken. Die Schüsse, die er auf Anitas Begleiter abgegeben hatte, waren zu laut gewesen. Er fluchte und schrie nun, was Anita erschreckte, denn Wolfgangs Stimme klang angsteinflößend. Also blieb sie lieber still. Sie war immer noch erschrocken darüber, als Wolfgang plötzlich vor ihr stand. Ja, sie hatte geahnt, mit wem sie es zu tun hatte, wollte es aber nicht wahrhaben. Noch dachte sie an einen Zufall. Als sie Wolfgang aber dann in die Augen sah, versetzte es ihr einen Schlag. Wie war er in diese Sache reingeraten? War er der Drahtzieher oder nur ein Mitläufer? Sie hatte jetzt keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Jetzt galt es, bei der nächstbesten Gelegenheit zu fliehen und sich in Sicherheit zu bringen. Wie es Hans ging? Sie hatte gesehen, dass er sich hinter einem Lieferwagen verschanzt hatte, wusste aber nicht, ob er unverletzt war. Die vielen Polizeifahrzeuge waren sicher auf dem Weg nach Gars – und somit auch zu Hans. Um ihn würde man sich kümmern. Sie betete, dass es ihm gut ginge. Sie starrte auf ihre gefesselten Hände, die Wolfgang mit einem Kabelbinder fixiert hatte. Sie war erschrocken gewesen, als sie mit ansehen musste, dass Wolfgang wie selbstverständlich Kabelbinder im Handschuhfach seines Wagens hatte. Mit gefesselten Händen war sie eingeschränkt, aber sie hatte noch ihre Beine. Sie könnte fliehen - aber wie?

Wolfgang Lastin konnte spüren, was in Anitas Kopf vorging. Nachdem er Dampf abgelassen hatte, musste er jetzt schmunzeln, dass die Frau tatsächlich glaubte, fliehen zu können. Sie hatte sich überhaupt nicht verändert. Sie war zwar älter geworden, war aber immer noch sehr hübsch und hatte immer noch den gleichen Dickschädel wie früher. Wie stolz sie ihren Kopf hielt und bemüht war, sich ihre Angst nicht anmerken zu lassen, beeindruckte ihn und erinnerte ihn an die gemeinsame Mutter. Wolfgang war jünger als Anita, beide hatten andere Väter. Während Anitas Vater sehr früh verstarb, lebte sein Vater heute immer noch und er pflegte regelmäßigen Kontakt zu ihm.

„Wie geht es unserer Mutter?“

„Sie ist tot.“

Wolfgang war erschrocken, das wusste er nicht.

„Wann ist sie gestorben?“

„Vor über fünf Jahren. Was interessiert dich das?“

„Sie war meine Mutter.“

„Das fällt dir aber sehr früh ein! Warum hast du sie nicht ein einziges Mal besucht? Sie hat dir regelmäßig geschrieben, aber nie eine Antwort erhalten.“

„Ich hatte immer viel zu tun. Willst du nicht wissen, wie es Papa geht?“

Schon allein dieses Wort ließ sie erschaudern.

„Mein Vater ist schon lange tot“, sagte sie trotzig.

„Du weißt, dass ich meinen Vater meine, den du besser kanntest als deinen eigenen. Ihm geht es übrigens sehr gut.“

„Das interessiert mich nicht! Er soll von mir aus in der Hölle verrotten! Er hat unsere Mutter schlecht behandelt - und uns auch. Hast du schon vergessen, wie oft er uns verprügelt hat, wenn er getrunken hatte?“

„Nein, das habe ich nicht vergessen. Ich habe mich mit ihm ausgesprochen und habe ihm vergeben. Es tut ihm alles aufrichtig leid, das kannst du mir glauben. Papa trinkt schon lange nicht mehr, er hat den Absprung vom Alkohol geschafft. Willst du nicht mit ihm sprechen und deinen Frieden mit ihm machen?“

„Eher friert die Hölle zu!“

„Du bist sehr hart, Anita.“

„Das hat dein Vater aus mir gemacht.“

Wolfgang musste bremsen. Auf der B12 gab es eine Baustelle, die mit einer Ampel versehen war. Anita nutzte die Gelegenheit und versuchte, die Tür zu öffnen.

„Die Tür ist zu, du kommst hier nicht raus“, machte er ihr klar.

Wolfgang fuhr weiter, auch wenn er noch keine Ahnung hatte, wohin er mit seiner Schwester wollte. Vorerst wollte er nur weg.

„Warum nimmst du einen kranken Begleiter mit? Laufen deine Geschäfte so schlecht, dass du dir kein vernünftiges Personal leisten kannst?“, fragte er und wusste, dass er Anita damit provozierte. Lastin war klar, dass es sich um den Mann handelte, für dessen Unfall und somit auch für die Verletzung er verantwortlich war. Ob er ihr das sagen sollte?

„Mein Geschäft geht dich einen Dreck an!“, maulte Anita. Sie dachte nicht daran, sich mit Wolfgang zu unterhalten und ihm damit Informationen zu geben, die ihn nichts angingen. Dass sie mit Hans verheiratet war, behielt sie für sich. Dieser Scheißkerl hatte nicht nur auf ihren Mann geschossen, sondern sie einfach gekidnappt. Sie musste den Spieß umdrehen. „Was hast du vor? Wo bringst du mich hin? Willst du mich töten? Das hättest du auch einfacher haben können. Warum hast du mich vorhin nicht einfach erschossen? Wenn Mutter wüsste, was aus dir geworden ist, würde sie sich im Grab umdrehen! Du bist deinem Vater sehr ähnlich. Er war auch ein Kotzbrocken, du stehst ihm in nichts nach.“

„Weißt du was? Sei einfach still, Schwesterlein! Wenn nicht, werde ich dir deinen vorlauten Mund zukleben müssen, und das willst du sicher nicht.“

Nein, das wollte Anita auf keinen Fall. Sie könnte um Hilfe schreien und im Notfall auch zubeißen, was ihr dann nicht mehr möglich wäre. Also blieb sie ruhig. Wie es ihrem Hans ging?

„Ein Geheimnis kann ich dir noch verraten. Schon allein damit du erkennst, mit wem du es zu tun hast: Ich bin für den Unfall deines Kollegen verantwortlich.“ Lastin lachte, als er ihr erschrockenes Gesicht sah. „Das hättest du mir nicht zugetraut, stimmt’s? Ich wollte eigentlich dich treffen, damit ich dich nicht mehr überall sehen muss. Du kamst mir zu nahe, was ich nicht länger gutheißen konnte. Hättet ihr beide nicht dasselbe Outfit angehabt, wärest du jetzt verletzt oder bestenfalls tot.“

„Du bist echt krank!“, zischte Anita fassungslos.

„Was sollte der Scheiß mit demselben Outfit? Gab es das im Doppelpack günstiger?“

„Du kannst mich mal!“

Leo und Toni waren am Tatort angekommen, Tatjana und der Chef kamen nur zwei Minuten später. Ein Uniformierter kam auf die Kriminalbeamten zu und informierte sie über das, was geschehen war.

„Wenn Sie meine Meinung hören wollen: Die Zeugen übertreiben schamlos. Wir haben es ganz sicher nicht mit einer wilden Schießerei zu tun. Ich bin davon überzeugt, dass es sich nur um Fehlzündungen eines Wagens handelt oder um irgendein vergleichbares Geräusch. Gestern Abend kam ein Krimi, in dem es um eine ähnliche Schießerei ging. Ein schlechter Film, völlig realitätsfremd gemacht, wenn Sie mich fragen.“

Die Kriminalbeamten sahen sich an.

„Bis wir wissen, womit wir es tatsächlich zu tun haben, gehen wir von einem Schusswechsel aus“, sagte Krohmer genervt, der kein Freund von vorschnellen Meinungen war, die hier nicht angebracht waren. „Der Schütze ist flüchtig?“

„Laut Zeugenaussagen fuhr mindestens ein Wagen mit hohem Tempo in diese Richtung. Einige behaupten, dass es zwei Fahrzeuge waren. Sehr viel mehr wissen wir noch nicht.“

„Kennzeichen?“

„Leider nicht. Über Fahrzeugmarke und Farbe gibt es widersprüchliche Aussagen. Sicher ist nur, dass ein Wagen in diese Richtung fuhr. Straßensperren wurden bereits errichtet.“

„Die werden vermutlich nichts bringen“, sagte Leo. „Noch etwas?“

„Es gibt einen Zeugen, der von zwei Schützen spricht. Er beharrt darauf, dass seine Frau von einem der Schützen entführt wurde. Außerdem behauptet er, dass auf ihn geschossen wurde. Er hält sich für einen Kriminalbeamten, aber er kann sich nicht ausweisen, was mich nicht überrascht. Vielleicht erkennen Sie den Mann, was ich allerdings bezweifle. Ich halte ihn für ziemlich verwirrt. Außerdem riecht er sehr stark nach Alkohol.“

„Warum glauben Sie ihm nicht?“, wollte Leo wissen.

„Wir sind hier in Gars und nicht im Wilden Westen. Außerdem kann ich es förmlich riechen, wenn ich angelogen werde, das bringt der Beruf mit sich, das wissen Sie ja selbst. In meinen Augen haben wir es mit einem Betrunkenen zu tun, der sich nur wichtigmachen will. Wieder nur einer, der unsere Arbeit behindert, das kennen wir ja.“

„Und wie erklären Sie sich die anderen Zeugenaussagen?“, bohrte Krohmer nach.

„Wie gesagt gab es gestern einen Krimi….“

„Das ist alles? Darauf stützen Sie Ihre Vermutungen? Wie ist Ihr Name?“ Krohmer wies sich aus. Erst jetzt erkannte der Polizist, mit wem er es zu tun hatte. Verdammt! Der Mühldorfer Polizeichef und somit auch seiner! Warum hatte er ihn nicht erkannt?

„Kevin Mohnhaupt.“

„Ihren Namen werde ich mir merken. Wo finden wir den Betrunkenen, von dem Sie vorhin sprachen?“

„Er sitzt in dem Bus dort hinten.“

Mohnhaupt sah den Kriminalbeamten hinterher, dann folgte er ihnen. Ihm wurde schlecht. Ob er ihnen hätte sagen sollen, dass er dem Betrunkenen Handschellen anlegte, da der sich nicht beruhigen wollte? Mohnhaupt konnte spüren, dass das noch Ärger gab.

Zu viel riskiert

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