Читать книгу Zu viel riskiert - Irene Dorfner - Страница 7

3.

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„Hör endlich auf mit deinem Gejammer! Du wolltest mich begleiten, ich habe dich nicht darum gebeten. Also halt jetzt endlich den Mund!“ Anita Seidl war sauer auf ihren Mann Hans Hiebler. Seit er wegen eines Beinbruchs krankgeschrieben war, langweilte sich der neunundfünfzigjährige und ging ihr mächtig auf die Nerven. Da er sein Leben lang immer gearbeitet hatte und jetzt körperlich eingeschränkt war, wusste er nichts mit sich anzufangen. Heute Morgen hatte er so lange gebettelt, dass sie ihn doch mitnehmen möge, bis sie schließlich nachgab. Die achtundvierzigjährige Detektivin hatte heute eine Observierung, die sich in die Länge zog. Sie war der Person, über die sie Informationen sammeln sollte, von München in dieses verschlafene Nest gefolgt. Was er hier vorhatte, war ihr schleierhaft. Der Mann war in die Garage eines alten Hauses gefahren. Kurz danach kam noch ein Wagen, der ebenfalls direkt in die Garage fuhr. Sie hatte jede Menge Fotos gemacht, aber seit Stunden rührte sich nichts mehr. Die beiden Männer waren immer noch in dem Haus, das offenbar schon länger leer stand, denn es machte insgesamt einen sehr heruntergekommenen Eindruck. Was sollte das? Warum trafen sie sich in Gars, das von München eine gute Autostunde entfernt war? Das galt es herauszufinden, was sie fest vorhatte. Sie beobachtete das Haus mit Argusaugen, denn ihre Jobs erledigte sie immer sehr gewissenhaft. Heute galt es wie so oft, einfach abzuwarten. Ihr machte das nichts aus, schließlich gehörte auch diese Arbeit zu ihrem Job - aber Hans langweilte sich. Außerdem fühlte er sich nicht gut, sein Magen rebellierte. Vermutlich hatte er etwas Schlechtes gegessen oder einfach zu viel von allem, was leicht sein konnte, denn seit er einen Gips hatte und sich selbst bemitleidete, futterte er alles in sich hinein, was er kriegen konnte.

„Dir ist klar, dass wir hier in diesem Kaff seit über drei Stunden stehen?“, maulte Hans zurück. „Denkst du, dass das für mich bequem ist? Langsam weiß ich nicht mehr, wie ich mein Bein lagern soll! Was machen wir hier eigentlich?“

„Du weißt, dass ich nicht über meine Aufträge spreche. Diskretion...“

„Jaja, ich weiß. Ist es das überhaupt wert? Wirst du für diesen langweiligen Job wenigstens gut bezahlt?“

Anita stöhnte. Ja, sie verstand ihren Mann. Er langweilte sich und hatte keine Ahnung von dem Fall – und das sollte auch so bleiben. Hans forderte eine Rundumpflege, die sie ihm nicht geben konnte und auch nicht wollte. Er war nicht bettlägerig, sondern hatte lediglich ein gebrochenes Bein, mit dem er sich eigentlich sehr gut selbst versorgen könnte. Anstatt sie zu unterstützen, jammerte er nur herum und beschwerte sich, wo er nur konnte. Sie verlor mehr und mehr die Geduld mit ihm. Sie hatte schließlich einen Job, dem sie nachgehen musste. Verstand Hans das nicht? Er war schließlich Kriminalbeamter und damit waren ihm lange Observierungen nicht fremd. Warum war er nicht einfach still, stärkte ihr den Rücken und ließ sie in Ruhe arbeiten? Ja, sie hätte den Fall auch abgeben können, aber das kam für sie nicht in Frage. Vor allem dieser Fall hatte es ihr angetan, denn der Name des Mannes, hinter dem sie her war, war ihr nicht unbekannt. Ob sie Hans dieses Detail anvertrauen sollte? Nein, das war nicht ihr Stil. Verschwiegenheit stand bei ihr ganz oben auf der Liste und darauf konnten sich ihre Klienten verlassen. Mühldorf und Altötting waren nicht weit von hier entfernt. Ob sie Hans nicht einfach bei seiner Tante Gerda abliefern sollte? Die alte Dame hätte vielleicht Geduld und Muße, sich um einen kranken Mann zu kümmern. Anita verwarf diesen Gedanken rasch. Nein, das konnte sie der lieben Gerda nicht antun, Hans würde ihr das Leben zur Hölle machen.

„Ruf dir ein Taxi und fahr nach Hause, das habe ich dir schon mehrfach geraten. In einer Stunde würdest du auf der Couch liegen und könntest dir einen Film nach dem anderen ansehen. Oder lies ein Buch, lesen hat noch nie geschadet.“

„Du willst mich doch nur abschieben“, maulte Hans, der bereits viele Filme gesehen und noch mehr Bücher gelesen hatte. Er hatte keine Lust mehr, krank und gebrechlich unnütz auf der Couch zu verbringen, während draußen das Leben ohne ihn weiterging.

„Du könntest dich auch auf die Rückbank legen, aber auch das ist dem gnädigen Herrn vermutlich nicht zumutbar. Als Hauptkommissar hätte ich dir echt mehr Sitzfleisch zugetraut.“

Hans dachte nicht daran, sich ein Taxi zu rufen. Was sollte er zuhause in München, das eigentlich nicht seines war? Er selbst lebte auch nach der Hochzeit mit Anita in Mühldorf am Inn, denn er arbeitete bei der dortigen Kriminalpolizei. Anita lebte und arbeitete in München. Sie führten eine Wochenendehe, was bisher für beide kein Problem gewesen war. Aber er war seit Wochen in München, da er mit dieser vorübergehenden Behinderung nicht alleinbleiben konnte. War es nicht Anita, die darauf bestanden hatte, dass er zu ihr nach München käme, damit sie sich besser um ihn kümmern konnte? Er war sauer, denn von einer Pflege war nicht viel zu spüren. Stattdessen überhäufte ihn seine Frau mit Gegenständen, die ihm das Leben erleichtern sollten. Erst gestern hatte sie ihm eine Greifzange an einer langen Teleskopstange gegeben, damit er Gegenstände leichter vom Boden aufheben konnte. War er ein alter Mann? Konnte sie das nicht für ihn übernehmen? Hans hatte sich das alles ganz anders vorgestellt. Mühsam quälte er sich aus dem Wagen.

„Was hast du vor?“

„Ich muss zur Toilette.“

„Dort hinten ist ein Café, die haben sicher eine Toilette. Es wäre super, wenn du Kaffee mitbringen könntest.“

Hans nahm die Krücken von der Rückbank und humpelte davon. Er war echt sauer. Seine Frau zu begleiten war eine Schnapsidee gewesen.

Anita sah ihrem Mann hinterher. Er gab ein jämmerliches Bild ab, was aber auch amüsant war. Sie wusste, dass es Hans mit der Gebrechlichkeit übertrieb, denn eigentlich ging es ihm nicht wirklich schlecht. Sie musste lächeln, da sein Versuch, ihr mit seinem theatralischen Gang ein schlechtes Gewissen zu bereiten, völlig in die Hosen ging. Sie lehnte sich entspannt zurück. Jetzt hatte sie wenigstens ein paar Minuten ihre Ruhe.

Hans bestellte bei der freundlichen Verkäuferin zwei Kaffee zum Mitnehmen und griff nach einer kleinen Flasche Jägermeister, die er in einem Zug austrank. Eine weitere stellte er auf den Tresen. Vielleicht brachte das seinen Magen wieder auf Vordermann. Er hatte ein schlechtes Gewissen Anita gegenüber, die ihm nur einen Gefallen tun wollte und ihn nur auf sein Drängen hin mitgenommen hatte. Er war undankbar gewesen und hatte seine Wut an ihr ausgelassen. Er kaufte eines der köstlich aussehenden Schokoladenherzen und wollte sich damit bei seiner Frau entschuldigen. Vor der Tür des Cafés trank er auch den zweiten Jägermeister und warf die Flasche in den Müll. Langsam fühlte er sich besser. Auf die guten, alten Hausmittel war eben immer Verlass. Was schlug ihm nur so sehr auf den Magen? Als er zum Wagen ging, dachte er darüber nach, ob er vielleicht nicht doch viel besser in Mühldorf oder sogar bei seiner Tante Gerda aufgehoben wäre. Dann blieb er erschrocken stehen. Hans musste mit ansehen, wie ein Mann aus dem Haus stürmte, das sie zu überwachen hatten.

„Das ist er!“, murmelte Anita ruhig und setzte sich auf. Wo war Hans? Sie sah ihn aus dem Augenwinkel und hoffte, dass er sich beeilen würden. Dann war sie starr vor Schreck und starrte den Mann an, der direkt auf sie zuging und dabei seine Waffe auf sie richtete.

Hans musste erschrocken fassungslos mit ansehen, wie der Mann mit einer Waffe in der Hand plötzlich stehenblieb und Anita anstarrte. Was war da los?

Zu viel riskiert

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