Читать книгу Zu viel riskiert - Irene Dorfner - Страница 8

4.

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Leo Schwartz hatte schlechte Laune. Seine Verlobte Sabine Kofler war in England und arbeitete an einem Artikel über die Auswirkungen des Brexits, der inzwischen zwar abgeschlossen, aber immer noch fast täglich in den Medien präsent war. Das Thema ging ihm langsam echt auf die Nerven. Gestern Abend zappte er durch die Programme. Entweder gab es Berichte über diesen Brexit, Harry und Meghan, oder irgendwelche Proll-Sendungen. Was war an diesem Brexit, der doch jetzt endlich durch war, so wahnsinnig wichtig? Leo verstand nicht viel von Politik und sah viele Themen sehr einfach. Die Briten wollten nicht mehr Teil der EU sein und hatten abgestimmt. Jetzt waren sie raus und zwar mit allen Konsequenzen. Was gab es denn da noch lange zu diskutieren? Sollten es sich die Briten irgendwann wieder anders überlegen, könnten sie ja wieder in die EU eintreten. Wo war das Problem? Dasselbe galt dem Paar Harry und Meghan, über die er auch nichts mehr sehen oder lesen wollte. Wenn die beiden keine Lust mehr auf das Königshaus und den damit verbundenen Pflichten hatten – dann Bitteschön! Es wird seine Gründe haben, warum sie England den Rücken gekehrt haben. Das war deren Entscheidung und ging niemanden etwas an. Konnte man die kleine Familie nicht einfach in Ruhe lassen? Gab es nicht wichtigere Nachrichten? Der gebürtige Schwabe eckte bei manchen Diskussionen mit seinen Ansichten an, was ihm herzlich egal war. Das war nun mal seine Meinung, an der es seiner Ansicht nach nichts zu kritisieren gab.

Die Arbeit als Hauptkommissar bei der Mordkommission im bayerischen Mühldorf am Inn war momentan sehr stumpfsinnig. Da der letzte Mordfall abgehakt war und auch die Silvesterfeierlichkeiten im Gegensatz zum Vorjahr alle glimpflich abgelaufen waren, kam der Chef wieder mit seinen alten Fällen ums Eck, worüber niemand glücklich war. Akten wälzen gehörte weder für Leo noch für die Kollegen zur Lieblingsbeschäftigung. Es blieben ihm, Tatjana Struck und Anton Graumaier nichts anders übrig, als dieser Arbeit nachzugehen. Diana Nußbaumer sonnte sich in Thailand, wo sie seit einer Woche ihren Urlaub verbrachte. Zwei Wochen hatte ihr der Chef genehmigt und sie schickte täglich Bilder und dämliche Nachrichten aus dem Urlaubsparadies, was vor allem Leo neidisch machte. Normalerweise hätte er zwischen Weihnachten und Neujahr eine Woche mit seiner Sabine in Ägypten verbracht, aber der Urlaub war wegen seiner Gehirnerschütterung ins Wasser gefallen. Er war schon lange wieder vollständig genesen, aber der Chef konnte ihm keinen weiteren Urlaub genehmigen, die anderen waren schließlich auch mal dran. Leo gönnte Diana den Urlaub, trotzdem könnte er auf die fröhlichen Urlaubsnachrichten gerne verzichten. Stöhnend lehnte er sich zurück und sah Graumaier an, der als Springer in Mühldorf eingesetzt worden war und an den er sich nur sehr langsam gewöhnte. Sobald Leo mit ihm zurechtkam, leistete er sich wieder einen Fauxpas, der das Verhältnis zwischen ihnen wieder anspannte. Und das lag nur an Tonis Verhalten Frauen gegenüber. Es gab innerhalb der Mühldorfer Polizei nicht eine Kollegin, an die sich der Neue noch nicht rangemacht hatte. Konnte der seine Hormone nicht in den Griff bekommen?

„Was ist mit dir?“, fragte Tatjana, die sich um Leo sorgte, denn der wurde von Tag zu Tag unleidlicher. „Fehlt dir Hans?“

„Irgendwie schon. Wie lange ist er noch krankgeschrieben?“

„Noch mindestens drei weitere Wochen.“

Wieder stöhnte Leo. Hans hatte sich während des Skiurlaubs vor Weihnachten ein Bein gebrochen, das einfach nicht heilen wollte. Lief denn dieses Jahr alles schief? Wenn er schon diese Arbeit machen musste, warum dann nicht wenigstens mit Hans, mit dem er auch befreundet war?

Tatjana Struck schüttelte den Kopf. Je länger Hans weg war, desto unerträglicher wurde Leo. Die beiden waren wie Pech und Schwefel.

„Hans kommt ja wieder, bis dahin reiß dich gefälligst zusammen und jammre hier nicht rum“, sagte sie und arbeitete weiter.

„Wer bist du? Meine Mutter?“ Leo hätte gerne einen Streit angefangen, sogar mit Tatjana. Warum nicht? Sie war nicht dumm und ließ sich nichts gefallen. Eine Auseinandersetzung mit ihr war allemal besser als diese blödsinnige Arbeit!

Aber dazu kam es nicht, denn das Telefon klingelte und Tatjana ging ran. Sie ahnte, was der missgelaunte Leo vorhatte und wollte nicht darauf eingehen. Leo wartete ab, bis Tatjana aufgelegt hatte. Er legte sich Argumente zurecht, die er gedachte, nach dem Telefongespräch anzubringen.

„Einsatz, Leute! Schießerei in Gars.“

„Wo?“ Leo hatte von diesem Ort noch nie gehört.

„Gars am Inn“, sagte Tatjana, als sie schon an der Tür war. „Nahe Waldkraiburg“, setzte sie nach. War sie eigentlich Leos Kindermädchen?

„Du kennst den Ort nicht?“, wunderte sich Toni Graumaier. „Gars müsstest du eigentlich kennen, du lebst doch schon lange genug in dieser Gegend.“ Toni lebte zwar selbst in Landshut, war aber gebürtiger Neuöttinger und hatte bis zu seinem siebzehnten Lebensjahr auch dort gelebt. Eine seiner damaligen Freundinnen kam aus Gars, auch deshalb kannte er den Ort ziemlich gut.

Leo kam sich dumm vor und folgte den Kollegen. Auf dem Flur kam ihnen der Chef entgegen.

„Herr Krohmer? Wie kann ich helfen?“, fragte Tatjana.

„Ich habe von der Schießerei gehört und werde Sie unterstützen. Wegen des Urlaubs von Frau Nußbaumer sind Sie unterbesetzt, was ich nicht gutheißen kann. Wen darf ich begleiten?“

„Ich fahre mit Leo“, sagte Toni Graumaier schnell und Leo nickte. Auch wenn er Toni nicht wirklich mochte, wäre die Vorstellung, mit dem Chef arbeiten zu müssen, noch sehr viel schlimmer. Er mochte und schätzte Krohmer, aber mit ihm zu arbeiten war echt kein Vergnügen.

Krohmer war es egal, mit wem er zusammenarbeitete und sah Tatjana an. Ihr wäre Leo oder Toni sehr viel lieber gewesen, aber jetzt war es zu spät.

„Fahren wir“, sagte sie. „Ich muss nur noch Fuchs Bescheid geben.“

„Das habe ich bereits erledigt“, sagte Krohmer und kontrollierte seine Waffe, auch wenn er nicht gedachte, sie einzusetzen. „Die Spurensicherung ist bereits unterwegs.“

Die knappe halbe Stunde Fahrt von Mühldorf nach Gars verging für Leo und Toni wie im Flug. Sie hörten laute Musik, was beiden angenehm war. Tatjana war genervt. Krohmer mäkelte an ihrem Fahrstil herum und sprach ohne Punkt und Komma über die Schießerei, auch wenn er keine Ahnung davon hatte, was sie wirklich erwartete. Klar war nur, dass es auf dem Marktplatz der viertausend Seelen-Gemeinde Gars eine Schießerei gab. Wie viele Personen beteiligt waren und ob es Opfer gab, stand noch in den Sternen. Streifenpolizisten waren bereits vor Ort und alle Kriminalbeamten hofften, dass die die Lage im Griff hatten, weshalb eine Fahrt mit Blaulicht nicht erforderlich war.

Wenn die Kriminalbeamten gewusst hätten, dass einer ihrer Kollegen involviert war, wären sie vielleicht sehr viel schneller am Tatort eingetroffen.

Zu viel riskiert

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