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Kapitel 3 Der Umzug

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Endlich war es soweit.

Schweren Herzens zog ich aus dem Haus aus, wo ich doch gerade erst meine neue Liebe kennen gelernt hatte.

„Denk daran Toni, ich bin für euch da, wenn ihr etwas braucht.“

„Ja, ja, ich weiß Rolf, aber ich werde demnächst sowieso nach Tunesien fahren müssen, um einiges dort zu klären. Du weißt ja, das ich mich von meinem Mann scheiden lassen will.“

SCHEIDEN?!

Das sagte Toni so, als würde sie mit einer gelassenen Selbstverständlichkeit ihr Sparschwein erschlagen.

„Wird man dich da drüben nicht sofort steinigen?“, fragte ich ohne Besonnenheit direkt nach.

Sofort ergriff mich ein altes Verlassenheitsgefühl aus früheren Kinderjahren, mit einem schalen, ängstlichen Nachgeschmack. Hatte ich schon Verlustängste? Es waren doch Kleinkinderjahre.

Toni guckte mich musternd an.

„Du hast ja einen knallroten Kopf“, stellte sie erschrocken fest.

„Hast du dich wirklich entschieden?“, fragte ich mit einem Kloß im Hals nach.

„Wenn ich mir etwas vorgenommen habe, steht es. Okay?“

Diese Portion Arroganz saß.

„Deswegen brauchst du nicht gleich einen Herzinfarkt zu kriegen. Wenn ich mich zu etwas entschieden habe. Sowas führe ich jedenfalls immer durch.“

„Natürlich…klar. Hab ich alles gut verstanden. Aber ein bisschen anders hatte ich mir unsere jüngferliche Beziehung schon vorgestellt. Wenn du das unbedingt meinst, dann tu es“, sagte ich säuerlich.

„Kann der Rolf nicht mitkommen, Mama?“

„ELENAAA…!“

„Nein…, nein Elena, ich schmeiß indessen hier den Laden, das wird mich ablenken.“

Danach sah ich die beiden einige Wochen nicht mehr.



Der Sommer zog ins Land, sogar bis hin in unser idyllisches Dörfchen, und ich wartete und wartete, aber nichts regte sich von Toni und Elena. Endlich an einem Abend, ein erlösender Anruf.

„Wir kommen morgen zurück. Kannst du für uns ein paar Sachen einkaufen?“

Mir fiel nicht nur meine Kinnlade herunter, sondern mir fiel sofort mein gestresstes Portemonnaie ein. Meines Wissens herrschte in diesem gähnende Leere. Da ich aber schon immer ein optimistischer Mensch war, ließ ich mich in dieser hoffenden Weise an jenem Abend eines Besseren belehren. Mich stierte tatsächlich eine halbzerknitterte, grünlich, ansprechende Notreserve aus einem vergessenen, versifften Seitenfach meines Portemonnaie an.

Brav mein Junge. So schlecht bist du gar nicht, wie dich dein Bruder immer bewertet hat. Nur so kommt man zu lang ersehntem Reichtum.

Der nächste Anruf des darauf folgenden Tages, war nicht so erfreulich.

„Ja hallo wir sind`s. Bei uns ist alles dunkel. Der Strom ist abgesperrt.“, heulte mich jammernd mein Handy an.

„Ich kann für Elena ohne Strom schlecht kochen.“

„Hattest du den Strom denn bezahlt?“

„Ist das denn jetzt so WICHTIG?“, kreischte Tonilein mich erbarmungslos an. Wie gereizt sie war. Das sind pure tunesische Nachwirkungen, die sie erst einmal verarbeiten muss. Geduld. Ich brauche jetzt viel Geduld. Ich muss ihnen Ruhe entgegenbringen. Übermittelnde, besonnene Ausstrahlung stärkt jede Unruhe und Rastlosigkeit. Das waren immer Muttchens Wortegewesen. Sie taten mir wirklich gut. Ich dachte an blauen Himmel, Natur und gesunde, unverbrauchte Luft. Ich atmete tief durch und zwang mich zum Nachdenken.

„Ähäm…ja…“

Funkstille.

„Hallo?...Toni?“

Weg war sie. Ich stierte verdutzt mein tonloses Handy an. Es schien tatsächlich ernst zu sein.

In Windes Eile packte ich das längste Stromkabel ein, was ich bei mir fand und kaufte dieses Mal flotter in der Laden-Kette Ladidl ein. Mein wohltuender Reichtum verließ mich an diesem Tage wieder. Ich kaufte nicht nur gutgünstig ein, sondern für ausgehungerte Tunesien-Geschädigte, die wahrscheinlich wochenlang nichts mehr zu essen bekommen hatten.

Besonders für die Kleine. Der Arabien-Brei hat ihr bestimmt nicht gemundet. Wenn überhaupt jemand für die beiden Heimatlosen gekocht hatte.

Mit unzähligen Einkaufstüten, behangenen an Armen und Schultern, fuhr ich zu den Zweien ins Dorf. Wie schön. Sie waren wieder da. Zukünftige Gemütlichkeit und romantische Atmosphäre, mit Kerzenlicht erwartete mich in nächstliegenden Stunden.

Wunderbare Zuversicht pur.

Dann stand ich endlich vor meiner verflossenen Erst-Heimat. Eigentlich war es doch recht nett in diesem Haus gewesen. Ich ließ einen Moment meinen Großeinkauf auf den Boden sinken. Der wundervolle Bach, der am Haus vorbeifloss. Nur bei Regen stank er immer bestialisch. Eine malerische kleine Innenstadt mit Kirche, Sparkasse, einer Gesundheitskasse, Marktständen, einer Eck-Pommes Bude und bequemen Bänke an der Taxistraßenseite, auf denen sich nur zum Abend hin, Betrunkene und andere Süchtige herumwälzten.

Pustend zog ich meine unzähligen Kilolasten wieder an mich und schleifte sie hechelnd wie ein Husky in die nächste Etage.

Keuchend klingelte ich an Tonis Wohnungstür.

„Hallo, du hast aber lange gebraucht. Was hast du denn da alles eingekauft?

Wir trugen die Tüten in die Küche.

„So viel kann doch kein Mensch essen.“ Irritiert sah ich mich um.

Tatsächlich. Der nette Absperrmensch hatte ganze Arbeit geleistet. Sogar am fortgeschrittenen Spät-Nachmittag würde es nur noch gedämpft dunkel sein. Immerhin brauchten sich beide nicht im Stockdüstern durch die Wohnung zu tasten. Dafür spendete großzügig eine flackernde Straßenlaterne von weitem ein paar Lichtstrahlen in die Zimmer. Zum Lesen reichte es allerdings nicht.

„Da hätte ich ja gleich in Tunesien bleiben können. Da ist es in den Berg-Höhlen ja heller.“

Nach mehrfachen besänftigenden Beschwichtigungen, kam ich auf eine seltsame Idee.

Ich legte das Strom-Kabel von einer Kellersteckdose, bis hoch in Tonis Etagen Wohnung und die beiden hatten wenigstens wieder Licht. Wenn auch vom Untergrund des Hauses für einige Zeit gespendet. Diese Möglichkeit, sich etwas Warmes herzurichten, ordneten wir nach damaliger Hinsicht, einer notwendigen Wichtigkeit zu. Und somit einer verständlichen, eigenmächtigen Gesetzesänderung, für etliche Stunden Strom auf Pump. Immerhin war ja ein Fast-Kleinkind vorhanden und das würde die Sache bei einer eventuellen, eingeräumten Straftat sicherlich mindert. Sogar die Nachbarn gingen achtlos an diesem Kabel im Hausflur vorüber und maßen es sicherlich eher einer dringenden Handwerker Einrichtung bei.

„Bring das mit den Stadtwerken so schnell wie möglich in Ordnung“, riet ich Toni.

„Da muss ich mir erst noch mal was von Oma leihen.“

Bei diesen Worten blieb es.



Inzwischen hatte ich mich in meinem neuen Heim häuslich eingerichtet.

Mein neues Reich bestand aus einem großen Wohnzimmer mit integrierter Küchenzeile und einer geräumigen Schlafnische für ein ganzes Bett, und einer weiteren, großzügigen Ecke, für einen angrenzenden Computer-Tisch. Hinter einer nächsten Tür war ein Abstellraum. Auch sehr geräumig. Vielleicht sogar als begehbaren Kleiderschrank zu nutzen, wenn man sich Regale oder Aufhänge-Vorrichtungen wegdachte, die ich eigentlich eher gebrauchen konnte. Zusätzlich war ein Bad vorhanden, mit einer Dusche, als Sitzbadewännchen gänzlich unvorstellbar, aber es genügte nur ein halber, galanter Ausstiegsschritt bis hin zum WC. Eine kleine Diele und ein Vorraum fehlten auch nicht. Stolz genoss ich den Blick von meiner Terrasse. Vor mir lag mein verträumtes Dörfchen Ich sah den Berg hinunter. Fernblick Pur, wenn die ersten Blätter von den Bäumen gefallen waren. Hier konnte ich in Ruhe meine kleine Familie empfangen.

Endlich kamen sie.

Ich hatte liebevoll den schmalen Wohnzimmertisch gedeckt. Für Toni Tee und für mich meinen, mir

wohlverdienten Kaffee. Ich öffnete die Tür und wies mit einer generösen Handbewegung in Richtung Stube.

Langsam schritten beide in mein Gemach.

„War die andere Wohnung nicht bedeutend größer gewesen?“, war Tonis erste Frage.

Sah sie nur die Größe oder kommt da noch was, ich meinte wenigstens eine winzige, positive….

„Also, mir gefällt es recht gut hier“, verteidigte ich mich.

Plötzlich stürzte sich Elena auf meine Sofakissen und was aus der alten Wohnung durch ihr Herum-Hüpfen davon noch übriggeblieben war.

„Mein Hüpfsofa…Mamaa, ja…ja…ja.“

„Elena, ich habe dir dort drüben in der Ecke ein Malbuch hingelegt“, sagte ich ablenkend und zeigte in Richtung Bett-Ecke.

„Da liegt doch nur ein Stück Teppich“, äußerte sich Toni kühl.

„Haben die im Kindergarten ja auch nur in einigen Ecken“, berichtigte ich und zeigte auf das Malbuch auf dem Boden.

„Ich will hierbleiben und hier schlafen bei dem Rolf, Mama.“

„Wenn du auf dem Teppich in dieser Hütte campieren willst, mein Kind?“

Toni hatte sich verändert. Sie war nicht mehr die liebliche Frau, die ich am Anfang kennen gelernt hatte. Sie war gereizt, schlecht gelaunt und zänkisch geworden. Dafür hatte ich mich den ganzen Tag abgeschuftet, sogar in manchen Herdecken mit Zahnbürstenkleinarbeit, um mir so etwas sagen zulassen?

Toni steckte sich eine Zigarette an. Während sie qualmend auf meiner Weitblick-Terrasse stand, ließ ich enttäuscht meinen Kopf hängen und stierte teilnahmslos mit Elena in das neue Bilderbuch.

„Kannst du mir auch sonen Affen kaufen Rolf?“

„Das geht nicht, dann habe ich ja noch weniger Platz. Frag mal deine Mutter, die hat bestimmt den richtigen Durchblick.“

Trotz der angeschlagenen Stimmung, schlug ich Toni vor, Elena wenigstens bei mir zu lassen, wenn sie anderweitig unterwegs sein würde. Darauf ließ sie sich ohne weitere Diskussionen ein. Juchhuh, grenzenlose Freiheit für uns Zwei.



In den darauf folgenden Tagen brachte Toni Elena immer öfter zu mir.

Sie erledigte Unmengen Amtswege. Entweder waren die Ämter geschlossen, oder die Termine wurden wieder einmal verschoben, oder die Sacharbeiter hatten Urlaub, oder…

Toni sah eben alles anders und deutete hier im deutschen Ländli die Gesetze für bescheuert und

despotisch.

Nach unverständlichen Stresssituationen der Kindergeldamtsmethoden und Harzviererpressungs-Versuchen, beratschlagten wir gemeinsam, ob es nicht vielleicht doch ratsamer wäre, vorrübergehend zusammenzuziehen, bis wir eine geeignete Wohnung für uns drei gefunden hätten.

„Direkt über dem Haus am Berg, befindet sich sogar ein Kinderhort, in den Elena sogar zu Fuß alleine hingehen könne“, wiederholte ich eindringlich.

Toni dachte darüber nach und sah es nach mehreren, überschlagenden Rechenexempeln ein.

Lange Rede, kurzer Sinn. Wir taten es einfach und zogen mit einer vorübergehenden Genehmigung des Tolleranten Vermieters, in mein „Großes“, beziehungsweise „Kleines“ Apartment zusammen. Dieser Umzug wies außerdem besondere Vorteile für Toni auf. Er verschaffte ihr ebenfalls einen beachtlichen Vorsprung vor dem Gerichtsvollzieher, als erstes in der neuen Bleibe zu sein. Omis Schnelligkeit war eben oft langsamer, als die angehenden Konsequenzen es eigentlich bei ihrer Enkelin zuließen. In Tonis prekärem Fall, waren es ja nur die unverschämt, hohen Stromkosten der alten Wohnung, mit schlecht aufzuweisender Isolierung des Hauses. Leider sind die Herren Gerichtsvollzieher auch nur Menschen, die sicherlich gewinnbringend ihres Amtes walten. Außerdem brauchte eben alles seine Zeit, um umfangreiche Forderungen wie diese, an den richtigen Mann zu bringen, zudem Omas ja keine Rennautos sind.

Meine Einsiedler-Wohnung wurde nun zu einer idyllischen Familien Cottage, und Elena begnügte sich vorerst mit dem Camping auf ihrer „Nur-Teppich-Spielecke“, wo sie mit ihrer Mama zum ersten Mal im angrenzenden, gebrauchten Hochbett schlafen durfte, das wir gekonnt in die Notnische hineingequetscht hatten. Zumindest, brauchten wir statt der Wand nur die Fußleisten zu entfernen.

Selbstverständlich schlief Elena ganz oben. Ich selbst schlief im Wohnbereich auf meinem großen Eck-Sofa. So waren wir zu einer glücklichen und zufrieden Familie zusammengerutscht.

Wir kochten, backten, spielten Spiele zusammen und pumpten uns ab und zu was bei Omi, wenn sich unser Wohlstand wieder minimiert hatte.


Flucht in die Hoffnungslosigkeit

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