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KAPITEL 7 Das Gespräch

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Nach einer gemeinsamen Epoche zu dritt, entschied sich Toni wieder nach Tunesien zu fahren. Sie hätte dort unten wieder mal Endgültiges zu klären und dieses müsse einfach sein. Ich packte schweren Herzens wieder einmal den Wagen mit allen möglichen Sachen und Geschenken. Ohne meine Anziehsachen und ohne „Meinen“ und „Deinseinen“ Hausstand. Und wieder verabschiedete ich mich mit einem Kloß im Hals und einem Ziegelstein im Bauch. Und wieder war diese Leere in der Wohnung. Kein Kinder-Geplapper mehr. Keine Kindersendung im Fernsehen und kein Wortwechsel mit Toni, über irgendwelche bevorzugten Themen und Spekulationen.

Absolute Stille.

Nach ihrer Abfahrt, legte Ich das Bettzeug von beiden ordentlich zusammen und setzte mich auf meine kleine Terrasse.

Ich fragte immer wieder nach dem „Warum“. Ein breites Spektrum. Dabei hatten wir doch Missverständnisse, Sorgen und Nöte in der letzten Zeit kontinuierlich geklärt? Ich wollte meiner kleinen Familie Sicherheit und Geborgenheit geben. Aber so konnte es auf keinen Fall gut werden, wenn Toni immer wieder in diese verdammte Hoffnungslosigkeit flüchtete. Sie fühlte sich regelmäßig von Tunesien angezogen, dorthin getrieben. War sie dort unten, ergriff sie die Flucht wieder nach Deutschland. Wollte sie vielleicht gar nicht bei mir bleiben? War ich für sie nur ein Sprungbrett oder ein Flaschengeist, den sie bei jedweden Fluchtversuchen und bei Schwierigkeitsgrad zehn aus einer Boukha-Flasche herauszitierte? War es eine krasse Behinderung, Deutschen Geschlechtes, mit französischem Ursprung zu sein? Sollte ich vielleicht ein Medizinstudium absolvieren, damit sie in ihrer Harz IV Branche angesehener erschien?

Nein, so würde sie niemals denken. Es sind sicherlich nur meine Gedanken, die sich wie Spinnweben ausbreiteten. Ich musste irgendetwas tun, was mich umstimmte. Irgendetwas. Vielleicht auch einer Therapie zustimmen?

Guten Tag. Meine Name ist deutsche Mann…, ich binne arabisch geschädigt und auf der Suche nach mich selbst.

Nöö…, das ging doch wirklich zu weit. Genau in diesem Moment wurde ich vernünftig.

Ich brauchte nur einen einfachen, lausigen und verständnisvollen Gesprächspartner.

Düsseldorf war zu weit. Jetzt sofort musste ich jemand haben. Auf der Stelle. Meine Funkuhr blinkte mir die rote Zahl 21:07 an die Zimmerdecke. Vier Sekunden später wechselte sie auf 22:17. Ich nahm die Zweite. Die schien mir realistischer zu sein. Iris! Natürlich, sie gab es ja seit einiger Zeit auch.

Plötzlich fiel mir meine Flaschen-Notreserve ein. Kleiderkammer!?

Vielleicht ist das Fläschchen ja auch schon kindgerecht nach Tunesia entsorgt worden.

Schwungvoll öffnete ich meinen begehbaren Kleider Schrank…, Kammer…, Nische…, Notfall-Ramschloch… und was davon noch übrig geblieben war.

Auf dem Boden lagen ein großer Kleiderhaufen, Kinderspielzeug mit Schuhen gepaart, abgelaufene Medikamente und zerknitterte Plastiktüten, verschiedener Art und Sorte. Hatten wir in so vielen, verschiedenen Geschäften in den letzten Wochen eingekauft? Elenas Lieblingsstoff- und Betttiere, die ich ihr gekauft hatte, lagen jammernd vor mir auf dem Boden. Wir stierten uns frustriert an.

Wahrscheinlich wären die armen Viecher wegen ihrer Deutschen Herstellung da unten sowieso nur brutal gesteinigt worden. Gott sei Dank waren sie Geschlechtslos.

Plötzlich, traf mich ein unerwarteter Lichtschein. Ich sah tatsächlich in der hintersten Ecke meine alte Wein-Flasche Rotschild, brav und jugendgerecht auf dem Wandregal stehen.

Einen Abend mal für mich. Iris musste unter allen Umständen wach bleiben. Unternehmungslustig rief ich sie an. Sie meldete sich. Ich setzte sie vor die vollendete Tatsache, dass ich unbedingt mit ihr reden müsse.

„Eigentlich wollte ich gerade Schlafen gehen, aber das werde ich dann heute mal verschieben“, sagte sie humor-und verständnisvoll.

Juchhuh…, schiere Leidenschaft mit einem Schluck Wein und Gemütlichkeit. Ich fuhr zur Iris wie in Trance. Und ich hatte ein gutes Gefühl dabei. Warum ich zur ihr fuhr…? Selbstbetrug, oder vielleicht Heimweh nach Europäischer Heimatluft? Kann ich nicht mehr sagen. Weiß ich selber nicht mehr.

Irgendetwas trieb mich einfach zu ihr.

Lächelnd öffnete Iris mir die Tür.

Sie sah es mir an, dass mein Kummer mir auf der Stirn geschrieben stand.

„Kannst du mir eine Antwort auf ein paar Fragen geben?“, fiel ich gleich mit der Tür ins Haus.

„Ich glaube, du machst erst mal den Wein auf und ich hole ein paar Gläser.

Das war eine geniale Idee.

Ich beobachtet Iris. Ihre Bewegungen waren leicht und sie wirkte ausgeglichen. Ihre freundliche, aufgeschlossene Art tat mir gut.

Ich öffnete die Flasche und goss ein. Wir stießen an.

Einen Moment schauten wir uns in die Augen. Wärme strahlte mir entgegen. Herzlichkeit und vieles mehr.

Etwas, was ich nicht erklären konnte, aber was ich aufsog wie ein Schwamm. Das, was ich in der letzten Zeit so sehr vermisst hatte. Was ich mir von Toni in diesem Augenblick gewünscht hätte.

„Ich hatte dir ja schon das vorige Mal etwas vorgeheult, und ich habe heute Abend nicht das Gleiche vor“, sagte ich tollpatschig.

„Mich stört es keineswegs, wenn ein Mann weint. Im Gegenteil, es sollte eigentlich eine Erleichterung für deine Seele sein.“ Wenn dir danach ist, tu es einfach.“

Ich sah einen Eimer für meine noch nicht geflossenen Tränen vor mir stehen. Vorsichtig schob ich ihn mit dem Fuß beiseite. Wollte mir meine Psyche jetzt auch noch in den Rücken fallen?

Viele Worte sagte Iris nicht, aber die wenigen die sie sagte, brachten mich zu Nachdenken.

Mir war immer noch hundeelend zumute. Mein Vorhaben, Iris unzählige Fragen über meinen tiefsten, verzweifelten Seelenschmerz zu stellen, um diese dann in kleinste Details zu zerpflücken, und in größten Trauergebärden und Selbstmitleidschübe zu verarbeiten, maß ich in den nächsten Augenblicken immer weniger Bedeutung bei. Klein und hässlich saß plötzlich Gollum vor mir, der wieder einmal seinen gierigen Blick nicht von dem ersehnten Ring lassen konnte. Mir war keinesfalls nach Ring zu Mute.

Iris zündete ein paar Kerzen an. Leise Musik spielte im Hintergrund.

Katie M. - Blues in the Night-. Wir schwiegen eine Weile. Ich wurde automatisch ruhiger .Gollum auch.

„Ist sie wieder gefahren?“

„Ja“, sagte ich leise und kaum hörbar.

„Sie wird auch wiederkommen.“

„Ich verarbeite es irgendwie aber nicht mehr, Iris.“

„Es ist zwischen euch ein Seelenband entstanden. Wenn sich solch ein Band erst einmal gefestigt hat, kann man solches schlecht wieder lösen. Das Schlimme daran ist, Toni ist mit ihrem Seelenband wahrscheinlich noch bei ihrem Ehemann verhaftet. Mit Gewalt ist da nichts zu machen. Es sei denn, es geschieht durch Schock oder eine Enttäuschung. Desto empfindlicher die Seele ist, umso größer sind die Seelenschmerzen die damit verbunden sind. Es braucht seine Zeit. Alles braucht eben Zeit.“

Ich hörte zu. Es tat mir gut. Von solch einer Seite hatte ich unsere Beziehung noch nicht betrachtet. Seelenband. Bestimmt war meins schon ausgeleiert

„Du musst eben noch Geduld haben, Rolf.“

Geduld, das, was ich momentan nicht mehr hatte.

Ich sah Iris an. Ihre Worte gingen tiefer ins Herz, als ich dachte.

„Ich weiß nicht, ob diese Geduld in mir noch auffindbar ist, denn der Schmerz wird von Mal zu Mal größer und es wächst eine unbegreifliche Hoffnungslosigkeit.“

Ich goss noch einmal Wein nach

„Kennt Toni deine Angst? Kennt sie deinen Schmerz, den du um Sie und das Kind hast? Oder spielst du nur den Verständnisvollen und den Coolen?“

Darüber hatte ich auch noch nicht nachgedacht. Meistens verbarg ich diese Gefühle, um sie nicht noch mehr zu beunruhigen. Aber müsste sie es nicht selbst schon längst gespürt haben?

„Ich glaube, ich kann dir diese Frage keinesfalls beantworten. Meine Gefühle spielen augenblicklich verrückt und ich begreife nichts mehr.“

„Lass dir Zeit Rolf und versuche dich irgendwie abzulenken. Sie ist immer wiedergekommen und wird

auch dieses Mal wiederkommen.“

„Ja, ich versuche es.“

Ich fuhr zurück nachhause.

Bei der nächsten Aussprache mit Toni, werde ich eingehend alles klären.


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