Читать книгу Auf keinen Fall wir - Iris W. Maron - Страница 7
Kapitel 3
ОглавлениеIch unterrichte gerne. Böse Zungen behaupten, das liegt daran, dass ich mich gerne reden höre. Vermutlich ist das nicht so falsch. Jedenfalls bin ich guter Laune, als ich die Tür zum Seminarraum öffne, um die erste Einheit meiner Lehrveranstaltung abzuhalten. Ich trete schwungvoll ein – und mein Blick fällt auf ein bekanntes Gesicht. Mitten in der Bewegung erstarre ich.
Fuck, fuck, fuck!
Dort drüben an der Fensterseite der u-förmig aufgestellten Tische sitzt Sven.
Scheiße, das kann doch nicht wahr sein! Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich in einer anderen Stadt einen Kerl abschleppe und der dann ausgerechnet hier Archäologie studiert und auch noch in meiner Lehrveranstaltung sitzt? Da muss doch ein Lottogewinn wahrscheinlicher sein. Und dann auch noch ausgerechnet Sven, den ich erst letztes Wochenende hatte... Ich hätte ihn fragen sollen, was er macht, dann wäre das hier nicht passiert.
Memo an mich selbst: In Zukunft etwas mehr Interesse an meinen Sexpartnern heucheln.
Ein Teil von mir würde am liebsten umdrehen und verschwinden. Das geht natürlich nicht. Also straffe ich die Schultern und betrete den Seminarraum. Sven unterhält sich unterdessen mit seiner Sitznachbarin und hat mich noch nicht bemerkt.
Am Pult angekommen, sortiere ich zunächst meine Notizen, dann rücke ich meine Brille zurecht und wende mich den Studierenden zu.
»Hallo«, grüße ich freundlich. Fassade ist alles. »Mein Name ist David Baumgarten.« Und ich bin ihr Pilot auf diesem Flug.
Sven wendet sich von seiner Sitznachbarin ab und sieht zu mir. Erst mustert er mich abwesend, doch dann erkenne ich genau den Moment, in dem es bei ihm klick macht. Seine Augen weiten sich ungläubig. Er schluckt und sieht weg. Wird er sogar rot? Wäre kein Wunder.
»In dieser Übung beschäftigen wir uns mit nicht-invasiven Methoden der Archäologie«, fahre ich fort. »Ich werde Ihnen unterschiedliche Ansätze vorstellen, mit denen man heute Blicke in die Erde wirft, ohne diese aufzugraben. Das sind natürlich Ansätze, die eng mit der neuesten Computertechnologie verbunden sind. Die Methoden, um die es in dieser Lehrveranstaltung geht, sind also digital und virtuell. So können etwa mit einem 3-D-Laserscanner archäologische Strukturen erkannt, dokumentiert und in einem Modell sichtbar gemacht werden – ohne dass man durch Grabung diese Strukturen zerstört. Das geht im kleinen Maßstab, wenn man eine konkrete Grabungsstelle vermisst, aber auch im ganz großen Stil. Das wäre dann ein Fall für das Airborne Laser Scanning, eine Methode, die ursprünglich aus der Fernerkundung stammt. Hier vermisst, wie der Name schon sagt, ein an einem Flugzeug befestigter Laserscanner ganze Landschaftszüge und liefert detaillierte Daten über deren Beschaffenheit, die weitreichende Rückschlüsse über die Geschichte dieser Landschaft ermöglichen.«
Wie immer rede ich frei, ich habe nur ein paar Notizen gemacht, auf die ich ab und zu einen Blick werfe. Im ersten Moment hat meine Stimme vielleicht kurz gewackelt, doch je länger ich spreche, desto souveräner werde ich. Svens Anwesenheit blende ich aus, so gut es geht. Es lässt sich ohnehin nichts daran ändern.
»Andere Methoden, mit denen wir uns beschäftigen werden, sind die der Luftbildarchäologie, die etwa mittels Drohnen aus großer Höhe Fotos von Landschaften macht und diese dann deutet. Sie müssen wissen, dass man etwa anhand des Pflanzenwachstums Schlussfolgerungen über den entsprechenden Untergrund anstellen kann – und der ist oft menschengemacht. Wenn irgendwo unter der Erde archäologische Strukturen liegen, hat das unweigerlich Konsequenzen für den Pflanzenwuchs darüber. Wir hinterlassen Spuren – und manchmal muss man eine veränderte Perspektive einnehmen, um diese sehen zu können.«
Damit habe ich sie. Wie gesagt, ich rede gerne. Das Gefühl, wenn man es schafft, die Aufmerksamkeit aller im Raum Versammelten auf sich zu konzentrieren und sie in den Bann zu ziehen, ist einfach großartig. Ich war schon immer eine Rampensau. Daran ändert auch Svens Anwesenheit nichts. Im Gegenteil, vielleicht ist die sogar ein zusätzlicher Kick.
Weiter im Text.
»Außerdem werden wir uns mit den Methoden der geophysikalischen Prospektion beschäftigen, etwa mit dem Bodenradar. Der große Vorteil dieser Methoden ist, ich habe es schon gesagt, dass man die archäologischen Strukturen, die man so findet, nicht zerstört. Und wenn man Grabungen unternimmt, kann man das wesentlich gezielter machen – weil man schon weiß, wo man suchen muss.«
Ich mache eine Kunstpause und mustere die Studierenden. Sie wirken alle interessiert – nur Sven sieht, wenig verwunderlich, etwas irritiert aus. Seine Stirn ist gerunzelt. Unweigerlich muss ich ein kleines bisschen grinsen.
Ich sehe heute ganz anders aus als in dem Club in Köln. Natürlich sitzt meine Frisur auch heute perfekt, aber ich frisiere meine Haare anders, wenn ich an der Uni bin, als wenn ich mich auf die Pirsch mache. Außerdem trage ich meine Brille und ein gut geschnittenes Sakko über dem Shirt. Keines von diesen karierten Dingern mit Lederflicken an den Ellbogen natürlich, obwohl das dem Klischee des Dozenten mehr entsprechen würde.
Als Nächstes gehe ich die Anwesenheitsliste durch. Sven verhält sich unauffällig, als ich ihn aufrufe – er heißt Koch mit Nachnamen. Wie alle anderen auch zeigt er kurz auf und sagt dann mit fester Stimme: »Hier.«
Anschließend erläutere ich das genaue Programm und verteile die Referatsthemen. Wieder lässt Sven sich nichts anmerken, als er mir, wie alle anderen auch, noch einmal seinen Namen nennt, als ich ihn für sein Referat eintrage. Gut.
»Für heute war es das auch schon«, sage ich, mache aber sofort eine zur Ruhe gemahnende Geste, als diese Worte zum allgemeinen fluchtartigen Aufbruch zu führen drohen. »Bevor Sie gehen: Ich empfehle Ihnen dringend die Teilnahme an der Lehrexkursion am letzten Juni-Wochenende, die ich gemeinsam mit Doris Nehonsky organisiere. Wir fahren zur Ausgrabungsstätte einer neolithischen Pfahlbausiedlung am Bodensee. Dort werden wir uns mit der Pfahlbaukultur und deren archäologischer Erschließung beschäftigen. Vor allem aber werden wir Drohnen fliegen lassen und Laserscanner aufstellen und die Landschaft so nach weiteren archäologischen Strukturen absuchen. Die so gesammelten Daten werden wir dann an der Uni auswerten. Anmeldefrist ist der 30. April.«
Noch einmal werfe ich einen aufmerksamen Blick in die Runde, ehe ich den Studierenden ein Lächeln schenke und sie mit einem »Aber jetzt!« entlasse.
Sven ist einer der Ersten, die verschwinden. Als ich den Seminarraum endlich verlasse – wie immer haben mich ein paar Studierende aufgehalten, die zu dämlich oder zu feige sind, ihre Fragen während der Lehrveranstaltung zu stellen, wenn ich sie dazu auffordere –, ist von ihm weit und breit nichts mehr zu sehen.
Den Rest des Tages meistere ich wie auf Autopilot – haha, guter Witz. Ich schiebe die Gedanken an Sven beiseite und erledige, was zu erledigen ist. Besonders konzentriert bin ich dabei nicht, aber das ist für die Abrechnung von Reisekosten und ähnlich aufregende Dinge zum Glück auch nicht nötig. Am Abend muss ich dann einfach joggen gehen. Raus. Mir Luft machen. In meinem Kopf herrscht ziemliches Chaos. Kaum bin ich daheim angekommen, ziehe ich mir meine Sportsachen an, setze die Kontaktlinsen ein und laufe los. Obwohl es nieselt.
Ich wähle die Strecke am Fluss entlang. Es dauert nicht lange und meine Gedanken wandern zurück zur Arbeit. Den Unterricht habe ich zwar souverän hinter mich gebracht – der Routine sei Dank –, dennoch bin ich mir noch nicht ganz im Klaren darüber, was es bedeutet, dass Sven in meiner Lehrveranstaltung sitzt. Und welche Konsequenzen das hat.
Scheiße, das klingt doch echt wie der Anfang eines miesen Films: Dozent vögelt einen Kerl, der sich als sein Student entpuppt. Beim Genre bin ich mir nur noch nicht ganz sicher. Ein Horrorfilm könnte so beginnen. Sven als irrer Axtmörder, der mich durch die Stadt verfolgt. Groteske Kulisse für so etwas, dazu ist die Stadt viel zu bezaubernd.
Unweigerlich muss ich grinsen bei dem Gedanken, dass Sven mir hier mit einer Axt hinterherjagt. Oder mit einer Kettensäge. So wie Christian Bale in American Psycho.
Äußerlich hat Sven zum Glück gar nichts mit Christian Bale gemeinsam. Er ist hundertmal schärfer.
Vielleicht nutze ich die Gelegenheit einfach und schlafe noch mal mit Sven? Ah, nein, blöde Idee. Selbst wenn er nicht mein Student wäre. Ich ficke nicht mit Kerlen, die ich regelmäßig sehe. Das gibt nur Ärger. In der Regel treibe ich es auch mit keinem öfter als drei, vier Mal.
Ich mache da nur ganz selten Ausnahmen. Thomas ist eine und dann ist da noch Ole, mit dem ich zusammen promoviert habe und der heute an einer Uni in Norwegen arbeitet. Das mit ihnen funktioniert aber auch nur deswegen, weil wir nicht in derselben Stadt wohnen und weil ich weiß, dass sie genauso ticken wie ich. Also, Ole zumindest. Bei Thomas bin ich mir nicht mehr so sicher, ob Konrad ihm nicht womöglich eine Gehirnwäsche verpasst hat. Ich habe noch nichts von ihm gehört, seit ich ihn im Club verloren habe.
Inzwischen bin ich schon ein ordentliches Stück den Fluss entlanggelaufen. Trotzdem habe ich das Gefühl, ich bin keinen Schritt weitergekommen.
Okay, David, jetzt noch mal in Ruhe. Was genau ist das Problem?
Es ist jetzt wirklich nicht so, als hätte ich noch nie einen meiner One-Night-Stands wiedergetroffen. Ja, dass Sven ausgerechnet mein Student ist, ist eine blöde Situation. Aber wir sind erwachsen. Sven hat sich heute nichts anmerken lassen und die Einheit ist ganz normal gelaufen. Was soll denn auch groß passieren? Er wird sich ja wohl kaum die Klamotten vom Leib reißen, sich nackt auf den Tisch legen und schreien: »Hier bin ich! Nimm mich!«
Möglicherweise bricht er die Lehrveranstaltung auch einfach ab. Dann wäre das Problem doch gelöst. Und wenn nicht, muss das auch nicht heißen, dass der Rest des Semesters anders laufen wird als heute. Vielleicht kriegen wir das Ganze ja auf eine professionelle Ebene. Ich der Dozent, er der Student, und reden müssen wir miteinander außerhalb der Lehrveranstaltung auch nicht.
Es ist auch nicht so, dass ich ein Problem damit habe, dass meine Studierenden wissen, dass ich schwul bin. Falls Sven es herumerzählen sollte. Ich bin offen schwul. Keine Ahnung, wie deutlich man es mir anmerkt – nicht so sehr, denke ich. Aber an der Uni ist das eigentlich kein Problem. Ich bin auch bei Weitem nicht der Einzige. Im Gegensatz zu den USA ist es hier außerdem nicht strengstens verboten, sich auf Studierende einzulassen. Der Professor, der seine Studentin heiratet, ist nicht ohne Grund ein Klischee. Auch wenn ich das ziemlich erbärmlich finde. Sollte also darüber geredet werden, dass ich was mit Sven hatte, dann wäre das vielleicht lästig, aber eigentlich stehe ich über solchen Sachen. Zumal die Sache zwischen uns etwas Einmaliges war und vorbei ist. Auf meine Karriere sollte es keine Auswirkungen haben. Und lange würde man ohnehin nicht darüber sprechen, da gibt es interessanteren Klatsch.
Und trotzdem renne ich hier in einem Höllentempo den Fluss entlang und werde nicht langsamer, obwohl meine Beine brennen und mein Brustkorb schmerzt. Ich bin inzwischen ziemlich durchnässt, sowohl vom Nieselregen als auch von meinem Schweiß. Aber ich kehre nicht um. Ich brauche das gerade.
Wieder sehe ich vor meinem inneren Auge Sven im Seminarraum sitzen. Ich spüre seinen irritierten Blick auf mir. Und dann denke ich daran, wie er mich am Samstag angesehen hat. Sehe seinen schweißnassen Rücken. Sein Zucken, als er gekommen ist.
Es dauert ewig, bis ich die Bilder aus meinem Kopf kriege. Irgendwann bin ich dann aber doch so lange gelaufen, dass für etwas anderes in meinem Kopf kein Platz mehr ist. Ich achte nur noch auf meinen Körper, auf mein rasendes Herz, den schnellen Atem, auf jeden einzelnen Schritt, den ich mache. Endlich ist mein Kopf frei.
Die Ruhe hält nicht lange an. Nachdem ich daheim eine heiße Dusche – eine Wohltat für meine brennenden Muskeln – genommen und etwas gegessen habe, finde ich mich dabei wieder, dass ich rastlos durch meine Wohnung tigere. Ich werfe eine Ladung Wäsche in die Maschine, damit ich wenigstens das Gefühl habe, etwas Sinnvolles zu tun. Dann setze ich mich mit meinem Laptop aufs Sofa. Den Versuch, an meinem Aufsatz weiterzuschreiben, gebe ich schnell auf. Mir fällt kein einziges Wort ein. Dabei ist die Deadline Ende der Woche. Scheiße. Lustlos mache ich mich daran, den Text zu formatieren, das Literaturverzeichnis zu erstellen und die Bilder zu beschriften. Dabei muss ich wenigstens nicht denken.
Ich habe ungefähr die Hälfte erledigt, da klingelt plötzlich mein Handy. Thomas.
»Hey«, begrüße ich ihn.
»Hallo«, grüßt er zurück. »Gut zurückgekommen?«
»Ja, klar. Das Semester hat auch gleich voll gestartet. Sitzungen, Besprechungen, Lehre – das Übliche.«
Zumindest wenn das Auftauchen eines One-Night-Stands in der Lehrveranstaltung als »das Übliche« bezeichnet werden kann.
»Hier ist es auch extrem stressig. Eine große Gala steht an. Ich sage dir, die spinnen, diese Künstlertypen.«
Thomas arbeitet als Eventmanager in einer großen Agentur. Nach seinem abgebrochenen BWL-Studium hat er noch einmal komplett neu begonnen, sich aber relativ rasch hochgearbeitet. Uni war nichts für ihn, sagt er immer. Eventplanung dafür umso mehr.
»Kann ich mir vorstellen.«
»Was wolltest du denn von mir? Ich hab gesehen, dass du mich angerufen hast.«
»Einmal darfst du raten.«
Thomas schnaubt. »Ich nehme an, du willst einen Bericht über Samstagnacht?«
»Ganz genau. Einen vollständigen, wenn ich bitten darf.«
»Hm... Ach. Wo soll ich denn anfangen?«
»Bei dem Moment, in dem Konrad dich entführt hat?«, schlage ich vor.
Die Antwort ist ein Lachen. Ein ziemlich glückliches Lachen, wenn mich nicht alles täuscht. Nicht gut.
»Ich hätte nicht gedacht, dass ich ihn je wiedersehe. Er geht nicht so gerne aus, weißt du, und schon gar nicht in solche Clubs.«
»Kann ich mir vorstellen«, erwidere ich. Tatsächlich denke ich, dass Konrads liebste Beschäftigung an einem Samstagabend ein Brettspiel mit Freunden oder, wenn es mal etwas wilder sein darf, ein frivoles Puzzle mit seinem festen Freund ist. Dann geht man früh schlafen und am Sonntag gemeinsam in den Zoo. Bei dem bloßen Gedanken kräuseln sich mir die Zehennägel.
»Aber er war da und...«
Thomas zögert und vor meinem inneren Auge sehe ich direkt, wie er verträumt mit dem Ladekabel seines Handys – dessen Akku notorisch leer ist – spielt. Ach je.
»Weißt du, ich habe immer geglaubt, wenn ich ihn wiedersehe, dann ist mir das egal und ich kann höflich mit ihm umgehen oder, ich weiß nicht, mir vor seinen Augen wen anderen aufreißen oder so. Aber als ich ihn gesehen habe, war plötzlich alles wieder da. Oder alles wieder weg. Also die ganze Streiterei und das Drama. Ich habe mich daran erinnert, wie schön es mit ihm war. Wie nah wir uns waren.«
»Mhm«, mache ich. Mehr Antwort erwartet Thomas zum Glück auch nicht.
Ich glaube, ich brauche einen Drink. Nüchtern ertrage ich das nicht. Also stelle ich meinen Laptop beiseite, stehe auf und marschiere in die Küche. Irgendwo müsste da noch ein Whisky sein.
Thomas redet unterdessen weiter. »Jedenfalls haben wir geredet. Erst einmal gar nicht über uns. Nur über Belanglosigkeiten. Aber das war... Es war wirklich lustig. Wir sind einfach auf einer Wellenlänge. Noch immer.«
»Hmhm«, schnaufe ich, während ich die Whiskyflasche öffne und mir einschenke. Nie im Leben glaube ich, dass die beiden wirklich auf einer Wellenlänge sind. Thomas und Konrad, der – was ist er noch mal?
»Was macht Konrad eigentlich?«, frage ich aus dem Gedanken heraus.
»Er ist Lehrer. Musik und Religion.«
»Passt zu ihm.«
»Mensch, David, sei nicht so.«
»Wie bin ich denn?«
»Ich weiß genau, dass du das scheiße findest.«
»Ich weiß noch nicht, was genau das ist, also erzähl weiter. Habt ihr miteinander geschlafen?«
Thomas gluckst. »Nein, wir sind Mönche geworden. Zölibat ist das neue Sexy.«
Das beruhigt mich etwas. Ich hatte schon Angst, dass er mir jetzt erzählt, sie hätten die ganze Nacht geredet und erkannt, dass sie seelenverwandt sind oder ähnlich hohle Phrasen.
»War's gut?«
»Ja.«
»Und jetzt?«
»Mann, keine Ahnung! Das haben wir noch nicht besprochen. Wir haben am Sonntag ausgeschlafen und sind dann frühstücken gegangen und dann...«
Wenn er jetzt »in den Zoo« sagt, breche ich in hysterisches Gelächter aus.
»... haben wir uns verabschiedet«, sagt er stattdessen. »Und seither habe ich nichts von ihm gehört.«
»Ah. Klingt doch gut. Abschiedssex, sozusagen.«
»Hm, nein. Nein, ich denke nicht, dass das Abschiedssex war. Ich will ihn wiedersehen. Ich will... ihn zurück.«
Das Letzte sagt er ganz leise. Scheiße, es hat ihn wieder voll erwischt.
»Wie soll denn das gehen?«, frage ich. »Also, nicht, dass ich daran zweifle, dass du ihn wiederkriegst. Aber was dann? Weißt du nicht mehr, wie es war? Er hat dich wahnsinnig gemacht mit seiner Eifersucht und seiner Anhänglichkeit.«
»Ich weiß ganz genau, wie es war«, knurrt Thomas. »Aber das ändert nichts daran, dass ich ihn zurückwill. Mit ihm ist besser als ohne ihn. Und vielleicht... Also, das mit der offenen Beziehung hat für ihn nicht funktioniert. Ich denke, ich schlage ihm vor, dass wir es diesmal exklusiv versuchen.«
»Was?« Vor lauter Schreck verschlucke ich mich an meinem Whisky.
»Mensch, David«, gluckst Thomas in meinen Hustenanfall hinein. »Bitte krieg keinen Herzinfarkt deswegen!«
»Du kannst mit mir nicht solche Scherze machen.«
»Das war kein Scherz.«
»Bist du dir sicher?«
»Hm... Ja. Ja, ich bin mir sicher. Auch wenn es sich wirklich, wirklich komisch anfühlt.«
Ich brumme etwas Unverständliches als Antwort. Thomas weiß ohnehin, was ich denke. Oh Mann. Dann hat die allgemeine Verspießerung echt auch ihn ergriffen. Mein einziger Trost ist, dass es ohnehin nicht lange halten wird.
Wir schweigen uns eine Weile an. Ich wüsste nicht, was ich sagen sollte, das nicht zu einem Streit führen würde.
»So«, unterbricht Thomas die Stille schließlich. »Ich habe dir von meinem Samstag erzählt. Jetzt erzählst du von deinem.«
Ich nehme einen großen Schluck von meinem Whisky und seufze schwer.
»So schlecht?«, fragt Thomas belustigt und etwas sensationsgeil. Er liebt die Geschichten von meinen manchmal etwas schrägen Aufrissen. Nun, damit kann ich heute nicht dienen. Obwohl dieser Aufriss letztlich dann doch ziemlich schräg war...
»Nein, es war nicht schlecht. Eigentlich sogar echt gut.«
»Details! Wie sieht er aus?«
»Gut«, brumme ich. Viel zu gut. »Blonde Haare, grüne Augen. Sportlich. Etwas kleiner als ich. Und jünger. Aber nicht so jung. Denke ich. Keine Ahnung. Schwer einzuschätzen.«
Thomas lacht auf.
»Wieso brabbelst du so, Schatz? Was war der Haken an der Sache? Hat er einen krummen Schwanz?«
Thomas kichert über seinen billigen Kalauer, ich hingegen verdrehe nur die Augen. »An seinem Schwanz ist nichts auszusetzen.«
»Aber?«
»Kein Aber.«
»Schatz! Ich weiß, dass da was ist! Lass dir nicht alles so aus der Nase ziehen.«
Mit einem letzten großen Schluck trinke ich meinen Whisky aus. Ich hatte gehofft, dass ich es ihm nicht erzählen muss. Aber wie es aussieht, komme ich nicht darum herum. »Er ist mein Student.«
»Was?«
»Er studiert hier Archäologie. Am Mittwoch war er in meiner Lehrveranstaltung.«
»Fuck!«
»Ja.«
»Wusstest du das?«
»Natürlich nicht! Dann hätte ich ihn doch nicht mit zu dir genommen.«
»Wie hat er reagiert, als er dich wiedergesehen hat?«
»Gar nicht. Also, ich denke, er war erstaunt, dass ich kein Pilot bin«, brumme ich und Thomas lacht. »Aber er hat sich nichts anmerken lassen. Nach der Lehrveranstaltung ist er sofort abgehauen.«
»Und jetzt?«
»Versuchen wir es exklusiv miteinander«, erwidere ich zynisch. Das kann ich mir einfach nicht verkneifen.
Thomas bekommt einen ziemlichen Lachanfall. Als er sich wieder beruhigt hat, fragt er: »Aber ernsthaft: Hast du mit ihm geredet?«
»Nein. Wahrscheinlich bricht er die Lehrveranstaltung ohnehin ab.«
»Wenn nicht, wirst du mit ihm reden müssen.«
»Wozu soll das gut sein?«
»Das ist doch eine beschissene Situation.«
»Aber sie wird nicht besser, wenn wir drüber reden.«
»David, du kannst das nicht so stehen lassen. Tu wenigstens so, als wärst du erwachsen.«
»Du klingst wie Konrad.«
Thomas seufzt genervt. »Du kennst Konrad doch gar nicht. Und du weißt, dass ich recht habe. Das Thema zu ignorieren, macht einfach keinen Sinn.«
»Was soll es bringen, darüber zu sprechen? Es ist doch ohnehin klar, dass wir am besten so weitermachen, wie es heute gelaufen ist.«
»Ist es das?«
»Ja, natürlich.«
»Und was, wenn er das anders sieht?«
»Wieso sollte er?«
»Vielleicht will er ja ein klärendes Gespräch.«
»Dann soll er darum bitten.«
»In der Situation bist aber eindeutig du am längeren Hebel. Du musst auf ihn zugehen. Du hast ihn angelogen, du hast ihn abgeschleppt und jetzt bist du sein Dozent.«
»Danke für die Zusammenfassung«, knurre ich.
»Schaff klare Fronten, David«, erwidert Thomas erstaunlich gelassen.
Bevor er sich für Konrad, Moral und Monogamie entschieden hat, mochte ich ihn echt lieber.
Der Rest der Woche verläuft unspektakulär. Ich knie mich in meine Arbeit und schaffe es, den Aufsatz mit nur minimaler Verspätung fertigzustellen. Er ist brillant, also sollte das kein Problem sein. Danach stürze ich mich auf die überfällige Auswertung meiner neuesten Daten. Das unterbreche ich nur am Sonntag für eine Mountainbiketour mit Manuel, einem Kumpel, den ich aus dem Fitnessstudio kenne. Er stammt aus Argentinien, ist Physiker und arbeitet auch hier an der Uni. Ein unterhaltsamer Typ, für jeden Spaß zu haben. Mit ihm ist es jedenfalls nie langweilig. Er ist eine Hete, aber dafür kann er ja nichts.
Leider habe ich trotz des vollen Programms genug Zeit, über das Sven-Problem nachzudenken. Auch wenn ich es wirklich am liebsten ignorieren würde, fürchte ich, Thomas hat recht. Ich werde mit Sven sprechen müssen, wenn er meine Lehrveranstaltung weiter besuchen will. Von mir aus kann er das. Nachdem wir »die Fronten geklärt« haben, sollte wieder alles passen und wir können das Thema abhaken.
Ich muss ihm nur klarmachen, dass es kein Problem für mich ist, sein Dozent zu sein und ihn objektiv zu beurteilen. Und dass nichts zwischen uns passieren wird. Nicht, dass er sich noch etwas einbildet. Man hört immer wieder von Studierenden, die ihren Dozenten nachstellen. Beiderlei Geschlechts jeweils, im Übrigen.
Allerdings brauche ich einen Vorwand, um ihn zu mir zu bitten. Ich werde ihn schließlich nicht vor sämtlichen Studierenden auffordern, länger zu bleiben, damit ich mit ihm sprechen kann. Und ich werde ihm auch keine Mail schicken, obwohl ich seine Adresse jetzt habe. Erstens wirkt das verzweifelt und zweitens will ich nicht, dass er etwas Schriftliches in der Hand hat. Also beschließe ich, alle Studierenden zu zwingen, ihre Referate mit mir zu besprechen, bevor sie sie halten. Normalerweise mache ich so etwas nicht. Meine Lehrveranstaltung wird jetzt pädagogisch noch wertvoller. Weil ich was mit meinem Studenten hatte.
Scheiße, was für eine Ironie.
Wider Erwarten sitzt Sven tatsächlich in der zweiten Einheit meiner Lehrveranstaltung. Er begrüßt mich, als ich eintrete, sogar mit einem leichten Lächeln und einem kleinen Zucken seiner Augenbrauen. Ich ignoriere das.
Ich hatte wirklich erwartet, dass er den Kurs abbricht. Andererseits ist die Auswahl an Kursen nicht groß – und meiner ist mit Abstand der spannendste. Wohl oder übel eröffne ich den Studierenden also gleich zu Beginn, dass sie in der Woche, bevor sie ihr Referat halten, zu mir in die Sprechstunde kommen sollen. Sven ist praktischerweise der erste Referent, das habe ich heute Morgen noch überprüft. Dann kann ich dieses leidige Gespräch noch heute hinter mich bringen.
Die Einheit läuft, wie schon die letzte, trotz der Umstände gut. Es liegt mir einfach, zu unterrichten, und ich merke, dass ich die Studierenden mitreiße.
Direkt nach der Lehrveranstaltung findet meine Sprechstunde statt. Zum Glück verlässt Doris dafür immer das Büro. Fünf Minuten nach Beginn der Sprechstunde klopft es an der Tür.
»Herein!«, rufe ich.
Sofort öffnet sich die Tür und Sven tritt ein.
»Komm rein«, sage ich. Ich duze ihn, alles andere wäre einfach nur lächerlich. »Du kannst die Tür offen lassen, wenn dir das lieber ist.«
»Geht schon«, meint Sven und schließt die Tür hinter sich. »Du wirst ja nicht gleich über mich herfallen.«
Er sieht mich an und grinst. Der Anblick fährt mir sofort in den Schritt. Das ist der gleiche Blick wie am Samstag, bevor er sich ausgezogen hat. Wenn er mich so ansieht, bin ich tatsächlich in Versuchung, gleich über ihn herzufallen.
Ich reagiere nicht und der Moment geht vorüber.
Bin ich echt schon so notgeil? Mein letztes Mal war mit ihm. Ich sollte dieses Wochenende dringend ausgehen und mir wen aufreißen. Wenn diese Stadt nur nicht so ein Kaff wäre! Ah, nein, das geht ja gar nicht, dieses Wochenende kommt meine Schwester zu Besuch. Dann wird das nichts mit einem Aufriss. Oh Mann, ich sollte echt nicht an Sex denken, wenn ich mit Sven reden muss.
Ich rücke meine Brille zurecht und deute auf den Stuhl, der für Sprechstunden neben meinem Schreibtisch steht.
»Setz dich.«
Sven tut, wie ihm geheißen, und sieht mich fragend an. Ich bemühe mich um eine neutrale Miene und ein professionelles Auftreten.
»Du hast also das erste Referat.«
Sven nickt und ich schiebe automatisch noch mal meine Brille zurecht. Möglichst sachlich und distanziert erkläre ich ihm dann, wie ich mir das Referat vorstelle und was ich von ihm erwarte. Er soll begreifen, dass dies das einzige Thema ist, worüber wir in Zukunft sprechen werden und dass dies die einzige Art ist, auf die wir zukünftig Gespräche führen werden. Ich der Dozent, er der Student, und den Rest vergessen wir.
Sven hört aufmerksam zu und macht sich ein paar Notizen. Streber.
»Alles klar so weit?«, frage ich, nachdem ich mit meinem Sermon fertig bin.
»Ja«, bestätigt Sven.
Ich lehne mich zurück und taxiere ihn abwägend.
»Ich hoffe, die Art, wie wir uns kennengelernt haben, beeinträchtigt deine Leistungen in der Lehrveranstaltung nicht«, sage ich auf die gleiche nüchterne, kühle Art, auf die ich ihm zuvor meine Anforderungen an sein Referat erklärt habe.
Sven blinzelt irritiert, dann schüttelt er den Kopf. »Natürlich nicht.«
»Gut. Dann verspreche ich dir, dass es auch nicht beeinflusst, wie ich dich beurteilen werde. Ich behandle dich wie alle anderen auch.«
»Hm, ja, danke.«
»Und ich erwarte von dir, dass du dich benimmst wie alle anderen auch.«
»Hatte nichts anderes vor«, erwidert er und sieht mir fest in die Augen. Vielleicht bilde ich es mir ein, aber ich meine, ein bockiges Funkeln in seinem Blick zu sehen. Darauf gehe ich aber nicht weiter ein.
»Gut. Dann verstehen wir uns ja.«
»Ja, klar.«
Ich nicke noch einmal, fühle mich sehr souverän und schiebe meine Brille zurecht.
»Hast du noch Fragen?«, erkundige ich mich dann, weil sich das am Schluss der Sprechstunde nun einmal so gehört.
»Nein«, erwidert Sven.
»Dann wäre das alles«, erkläre ich.
»Okay«, brummt Sven, räumt sein Notizbuch in seinen Rucksack und steht auf.
Ich wende mich unterdessen meinem Computer zu und rufe meine Mails auf. Sieben neue Nachrichten. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass Sven noch vor meinem Tisch steht und mich ansieht. Wortlos. Den Rauswurf letzten Samstag hat er irgendwie besser verstanden.
»Tschüss«, sage ich deswegen, ohne mich noch mal zu ihm zu drehen.
Von Sven kommt noch ein leises »Tschüss«, dann verlässt er endlich mein Büro und schließt die Tür hinter sich.
Kaum ist er weg, lehne ich mich in meinem Stuhl zurück, fahre mit beiden Händen durch meine Haare und atme tief aus. Ich merke erst jetzt, wie angespannt ich war. Gut, dass ich das hinter mir habe.