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Kapitel 4

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Am Freitagabend stehe ich am Bahnhof und warte. Angeblich soll Miris Zug pünktlich ankommen. Noch wage ich nicht, an dieses Wunder zu glauben. Doch tatsächlich: Der Zug aus Frankfurt hat keine Verspätung. Und er spuckt unendlich viele Menschen aus. Suchend sehe ich mich um, kann Miri aber nicht entdecken.

Plötzlich legen sich von hinten zwei Hände auf meine Augen und eine eindeutig verstellte Stimme krächzt: »Wer bin ich?«

»Angela Merkel!«, rufe ich sofort.

Die Hände lösen sich von meinem Gesicht und ich drehe mich zu Miri um. Man sieht, dass wir Geschwister sind. Miri hat die gleichen blaugrauen Augen wie ich, die mich jetzt belustigt anstrahlen. Wir haben ähnliche Gesichtszüge und wenn sie sie nicht seit Jahren blond färben würde, wären ihre Haare so hellbraun wie meine.

»Angela Merkel?«, prustet Miri.

Ich lache und umarme Miri fest. Ich liebe meine Schwester, auch wenn unser Verhältnis in letzter Zeit manchmal etwas angespannt ist. Früher war Miri wild und frei. Sie war nach der Schule ein Jahr in Australien, während des Studiums hatte sie Auslandsaufenthalte in San Francisco und Oslo. Sie hatte Affären mit Männern und Frauen, war oft verliebt und trotzdem immer ungebunden.

Seit sie jedoch mit diesem Kerl zusammen ist, hat sie sich verändert. Er heißt Oskar, ist Mitte vierzig und Miri meint, er ist distinguiert. Ich meine, er ist aalglatt. Miri liebt ihn. Und sie passt sich ihm an. Einen Job in Singapur hat sie seinetwegen abgelehnt. Sie verbringt fast nur noch Zeit mit ihm und mit Dingen, die ihm gefallen. Er wandert, also tut sie das auch. Er trinkt nur Rotwein, also tut sie das auch. Er geht früh schlafen, also tut sie das auch. Früher war sie eine Bier trinkende Nachteule, die keine zehn Pferde auf einen Berg bekommen hätten. Alles in ihrem Leben dreht sich nur noch um Oskar.

Umso mehr freut es mich, dass sie heute allein gekommen ist. Ein Wochenende nur sie und ich, ohne Oskar. Fast wie früher, als wir während des Studiums in einer WG gewohnt haben. Und genau wie früher bestellen wir auch heute, nachdem wir bei mir angekommen sind, Pizza und überbrücken die Wartezeit mit Cocktails.

Wenn wir zusammen sind, quasseln wir eigentlich ununterbrochen. Miri redet fast so viel wie ich. Sie sprudelt immer nur so über vor Geschichten und Anekdoten. Bis sie mich auf den neuesten Stand gebracht hat, was ihren Job – Miri hat Biochemie studiert und arbeitet in einem Pharmaunternehmen in Frankfurt –, ihren nervigen Chef und die kuriosen Kollegen anbelangt, und ich ihr erzählt habe, was sich bei mir auf der Arbeit so tut – abgesehen von Sven –, haben wir die Pizza schon aufgegessen. Drinks gibt es natürlich immer noch reichlich. Damit übersiedeln wir dann auch aufs Sofa.

Dort angekommen, sieht Miri zum wiederholten Mal an diesem Abend auf ihr Handy und verzieht enttäuscht das Gesicht.

»Was ist denn?«, frage ich.

»Ach, nichts«, antwortet sie. »Ich habe Oskar nur vorhin im Zug geschrieben und ihm ein erfolgreiches Wochenende gewünscht. Er hat die Nachricht gelesen, aber er antwortet nicht.«

»Was macht er denn dieses Wochenende?«

»Er muss auf so ein dämliches gruppenbildendes Seminar mit seinen Kollegen.«

»Klingt ja ätzend.«

»Extrem. Trotzdem kann er mir doch schnell antworten«, mault sie.

»Absolut«, stimme ich zu, weil ich weiß, dass sie jetzt Zustimmung braucht – auch wenn ich mir denke, dass der gute Oskar ihr vermutlich einfach nur nicht antworten will und es deswegen auch nicht tut. Den Kommentar verkneife ich mir jedoch, weil Miri immer sofort in die Luft geht, wenn ich Kritik an Oskar äußere.

Miri nimmt einen großen Schluck von ihrem Cocktail, dann stellt sie das Glas ab, lässt sich seitlich gegen mich sinken und legt den Kopf auf meine Schulter.

»In letzter Zeit ist Oskar so komisch«, sagt sie und seufzt.

»Aha?«

»Ja, er wirkt irgendwie zerstreut. Ich glaube, er hat ein Problem, aber er redet nicht mit mir darüber. So wie ganz am Anfang, als wir zusammengekommen sind. Weißt du noch?«

Ich nicke. Ich erinnere mich. Das war damals schon wahnsinnig kompliziert mit den beiden. Oskar war zwar offenkundig scharf auf Miri – kein Wunder, sie ist wirklich hübsch (und das sage ich nicht nur, weil sie mir so ähnlich sieht) und wesentlich jünger als er.

Dennoch war er immer ziemlich unnahbar und geheimniskrämerisch. Ich dachte, das hätten die beiden inzwischen im Griff. Schließlich sind sie schon zwei Jahre zusammen.

»Dabei sollte er doch wissen, dass ich im helfen kann… Ich sehe doch, dass es ihm nicht gut geht. Aber er will nicht darüber reden. Er schließt mich aus. Letztens habe ich versucht, ihn zur Rede zu stellen. Ich habe ihm gesagt, dass ich das so nicht kann, dass er sich mir öffnen muss, dass ich ein Teil seines Lebens bin. Dass er mehr Zeit für mich haben muss. Wir sehen uns ja nur so wenig. Er ist dann völlig ausgerastet und hat gemeint, ich bevormunde ihn und ich wäre so fordernd. Keine Ahnung, vielleicht war es auch das Koks, er ist dann immer so...«

»Das Koks?« Ich brülle fast. »Der Wichser kokst?«

Miri schnaubt und sieht mich zynisch an.

»Wer von uns noch nie härtere Drogen als Gras genommen hat, hebe die Hand«, sagt sie und hebt ihre Hand. Ich lasse meine wohl oder übel gesenkt und sehe Miri finster an.

»Wer seine Hand nicht oben hat, unterlasse jegliche moralische Wertung«, fährt Miri fort.

»Ich habe aber nie regelmäßig gekokst«, knurre ich. Habe ich wirklich nicht. Ich hatte mit Anfang Zwanzig eine Phase, in der ich beim Ausgehen Einiges ausprobiert habe, bin aber zum Glück an nichts hängen geblieben.

»Du hast ja auch nicht so einen stressigen Job.«

Oskar ist Investmentbanker. Einer von der üblen Sorte. Ein wandelndes Klischee von einem Banker.

»Das ist doch kein Grund!«, beharre ich.

»Nein, natürlich nicht«, gibt sie mir recht und ich bin ehrlich erleichtert. »Ich finde es ja auch scheiße, dass er kokst. Es ist ja aber nicht so oft… Und ich kann ihn doch nicht deswegen verlassen.«

»Und wie du das kannst. Mir fallen auch noch tausend andere Gründe ein.«

Miri verdreht die Augen. »Du hast einfach keine Ahnung, was es heißt, eine Beziehung zu führen und zueinander zu stehen. Da muss man manchmal auch Kompromisse eingehen.«

»Du hast recht, ich habe wirklich keine Ahnung, was es heißt, auf einmal so scheiße dämlich zu sein!«

»Sag mal, spinnst du?« Jetzt ist es Miri, die schreit.

»Ist doch wahr! Wie kannst du diesen Arsch entschuldigen?!«

»Ich liebe diesen Arsch!«

»Du lässt dich von ihm behandeln wie der letzte Dreck!«

»Das ist doch überhaupt nicht wahr!«

»Natürlich ist das wahr! Er ist ein psychotischer Mistkerl und du lässt dir alles gefallen!« Inzwischen schreien wir beide.

»Du bist immer so überheblich und rechthaberisch!«

»Und du bist völlig verblendet, seit du mit dem zusammen bist!«

»Wie gesagt, wer noch nie eine Beziehung hatte, sollte vielleicht einfach mal die Klappe halten!«

Wir funkeln uns an wie zwei Boxer, kurz bevor sie aufeinander losgehen. Zum Glück sind die Zeiten, in denen wir uns tatsächlich gekloppt haben, schon lange vorbei. Miri ist mir körperlich zwar unterlegen, kämpft aber mit unfairen Mitteln. Ich habe am Unterarm eine Narbe von einer Bisswunde, die sie mir mal zugefügt hat. Zugegeben, ich hatte es verdient.

Es vergeht bestimmt mehr als eine Minute, in der wir nichts sagen und uns nur zornig anstarren. Ich bin so stinksauer, dass ich richtig – und jenseits jeder Metaphorik – spüre, wie der Zorn mir den Hals abschnürt. Wie kann sie sich nur so behandeln lassen? Wie kann sie diesen Kerl entschuldigen? Und wie kann sie es wagen, mir vorzuwerfen, ich wäre überheblich und rechthaberisch? Ich mache mir Sorgen um sie, verdammte Scheiße!

Gerade weil ich so wütend bin, macht eine Konfrontation keinen Sinn. Ich würde nur Sachen sagen, die ich nicht zurücknehmen kann, und Miri auch. Also stehe ich schließlich auf und gehe wortlos ins Bad. Ich werfe meinem Spiegelbild einen finsteren Blick zu, dann putze ich mir die Zähne, bis das Zahnfleisch blutet. Im Kopf höre ich immer noch Miris Worte.

Als ich im Bad fertig bin, hole ich noch das Gästebettzeug aus meinem Schlafzimmer und werfe es im Wohnzimmer aufs Sofa. Miri sehe ich dabei nicht an. Ich weiß auch so, dass sie noch genauso kocht vor Wut wie ich. Also verziehe ich mich ins Schlafzimmer und knalle die Tür hinter mir zu.

Kaum liege ich im Bett, tun mir meine Worte auch schon wieder leid – auch wenn ich, ganz ehrlich, wirklich recht habe. Miri benimmt sich, als hätte man ihr operativ das Hirn entfernt. Aber beschimpfen hätte ich sie deswegen nicht müssen.

Ich schlafe nicht gut diese Nacht. Als ich morgens zerknautscht aufwache, will ich nichts mehr, als mich mit Miri zu versöhnen. Ich hasse es, wenn wir streiten. Da besucht sie mich einmal ohne ihren Kerl und dann das. Ich beschließe, als Friedensangebot Frühstück zu machen, also ziehe ich mich schnell an und gehe dann frische Brötchen holen. Zurück in der Wohnung lässt es sich nicht vermeiden, Miri zu wecken. Schließlich schläft sie auf dem Sofa und ich habe eine offene Küche.

Miri wacht auf, als ich die Kaffeemaschine einschalte. Eine Weile wälzt sie sich noch hin und her, dann steht sie auf und tappst ins Bad. Sie sieht ähnlich verquollen aus wie ich, hat also wohl auch nicht gut geschlafen. Das könnte natürlich daran liegen, dass mein Sofa nicht unendlich bequem oder dass mein Kühlschrank bisweilen recht laut ist, aber das glaube ich nicht. Miri streitet so ungern mit mir wie ich mit ihr.

Während Miri duscht, koche ich Eier und decke den Tisch. Ich habe gestern ziemlich viel eingekauft – wenn ich schon einmal Besuch von meiner Schwester habe, will ich ihr schließlich auch etwas bieten.

Miri braucht eine Weile im Bad – das liegt wohl in der Familie. Also nehme ich mir in der Zwischenzeit einen Kaffee und checke am Handy meine Mails. Mit nassen Haaren und im Morgenmantel – welcher Mensch nimmt bitte einen Morgenmantel mit, wenn er übers Wochenende wegfährt? – kommt Miri schließlich zurück ins Wohnzimmer und setzt sich zu mir an den Esstisch.

»Kaffee?«, frage ich.

»Natürlich.«

Ich schenke Miri ein und schiebe ihr dann den Brotkorb zu.

»Bedien dich.«

»Danke.«

Miri nimmt sich ein Croissant und zerfetzt es in kleine Teile, ohne etwas davon zu essen. Dann sieht sie von unten zu mir auf.

»Wieder gut?«, fragt sie ein bisschen unsicher.

»Natürlich«, erwidere ich.

Miri lächelt, dann greift sie nach der Marmelade und verteilt etwas davon auf ihren Croissant-Fetzen, um die dann endlich zu essen. Das ist das Gute daran, Geschwister zu sein: Man braucht keine großen Worte, um Streitereien beiseitezulegen.

Das Frühstück läuft noch etwas verkrampft, weil wir uns bemühen, das Thema Oskar großflächig zu umschiffen. Ein paarmal ertappe ich Miri dabei, wie sie ihr Handy checkt und verärgert das Gesicht verzieht. Offenbar meldet Oskar sich immer noch nicht. Ich verkneife mir einen Kommentar, auch wenn es mir schwerfällt.

Spätestens, als wir nach dem Frühstück darüber diskutieren, was wir heute machen wollen, ist alles wieder normal zwischen uns. Miri ist nach Stadtbummel und ich habe nichts dagegen, verweigere aber eine ausgedehnte Shoppingtour. Einkaufen ist hier qualvoll, weil es nur zwei Zielgruppen zu geben scheint: Ökos und Spießer. Ich bin beides nicht. Miri auch nicht, aber sooft sie mich schon besucht hat, sie lernt es einfach nicht.

Wir einigen uns darauf, durch die Stadt zu spazieren und dann noch auf dem Markt frisches Gemüse zu holen. Miri wünscht, heute von mir bekocht zu werden, und dafür bin ich immer zu haben – sie selbst ist in der Küche absolut unfähig und schafft es sogar, Nudeln mit Tomatensoße zu versauen.

Diese Stadt ist eigentlich ein Dorf. Ständig trifft man Leute, die man kennt. In einem großen Laden für Einrichtungsbedarf und Dekoartikel, in den Miri mich jedes Mal schleift, um dann stundenlang dortzubleiben und über jeden einzelnen Bilderrahmen in Entzücken auszubrechen, treffen wir auf eine ehemalige Studienkollegin von ihr, die inzwischen auch hier wohnt.

Wie Miri mich, hat Barbara ihren Mann in den Laden mitgeschleppt. Er heißt Justus und so sieht er auch aus. Groß, hager und schlaksig, mit ausgeprägten Geheimratsecken und miserablem Modegeschmack. Er trägt eine beige Hose, ein beiges Hemd und darüber einen kakifarbenen Pullunder. Abgesehen von seinem schrecklichen Geschmack und seiner fast schon klischeehaften Leidenschaft für Modelleisenbahnen, ist er ein netter Kerl. Langweilig, aber nett. Er ist ruhig und ein bisschen schüchtern, das exakte Gegenteil der quirligen und burschikosen Barbara. Auch äußerlich haben sie wenig gemeinsam, Barbara ist klein und nicht gerade schlank.

»Wollen wir heute Abend nicht zusammen etwas unternehmen?«, fragt Miri, nachdem sie und Barbara sich ausführlich und lautstark begrüßt haben. »Wir sehen uns doch so selten!«

»Unbedingt! Lasst uns etwas trinken gehen! Ich würde euch davor ja zu uns nach Hause einladen, du kennst unser Haus noch gar nicht. Aber es ist nicht gerade ums Eck.«

»Wie wäre es, wenn ihr zu mir kommt?«, schalte ich mich ein. »Ich koche eine Kleinigkeit und dann schauen wir, wohin der Abend uns noch führt.«

»Wir können uns doch nicht einfach so bei dir einladen«, meint Justus, höflich wie er ist.

»Ich habe euch eingeladen«, entgegne ich. »Und kochen würde ich sowieso.«

»Wenn David kocht, reicht das ohnehin immer für zehn«, ergänzt Miri. Sie übertreibt maßlos. »Ich finde das eine tolle Idee. Ihr kommt zu David und dann gehen wir noch aus. Um sieben?«

Barbara und Justus stimmen zu und ich gebe ihnen meine Adresse. Wir machen noch ein bisschen Small Talk, dann schaffe ich es endlich, Miri aus dem Laden zu schleppen. Ich habe es jetzt eilig, auf den Markt zu kommen. Schließlich brauche ich noch Zeit, um zu kochen.

Die Begegnung mit Barbara und Justus bleibt an diesem Tag nicht unsere einzige mit Bekannten. Kaum haben wir den Markt erreicht, läuft uns ausgerechnet Sven über den Weg. So verwunderlich ist das nicht, am Samstag ist hier gefühlt die ganze Stadt. Trotzdem finde ich es wirklich lästig.

Neben Sven geht eine junge Frau, die mir einen finsteren Blick zuwirft. Ich brauche einen Moment, bis ich Irina ohne all das Make-up erkenne. Was macht die denn jetzt auch noch hier? Langsam kriege ich echt Verfolgungswahn. Gibt es ein geheimes Wurmloch zwischen hier und Köln, von dessen Existenz ich noch nichts weiß?

Sven stockt einen Moment und sieht mich abwartend an. Keine Ahnung, was er sich erhofft. Ich werde ihn wohl kaum ansprechen, nur weil wir uns außerhalb der Uni treffen. Ich nicke ihm nur zum Gruß zu, dann gehe ich weiter. Miri folgt mir, doch aus dem Augenwinkel sehe ich, dass sie Sven angetan nachsieht.

Kein Wunder. Wir haben einen ähnlichen Männergeschmack. Zu ähnlich. Vor Oskar stand sie immer auf die schwulen Jungs. Sie hat sogar mal ein Auge auf Thomas geworfen. Vielleicht ist Oskar ja auch heimlich schwul und all seine Gestörtheit resultiert aus seiner unterdrückten Sexualität.

»Der ist aber scharf«, meint Miri dann auch prompt. »Woher kennst du den?«

»Du solltest dein Gaydar wirklich mal zur Wartung geben. Das Ding ist defekt.«

Miri lacht. »Wirklich, er ist schwul? Immer dasselbe.«

Ich nicke und würde jetzt wirklich gerne über etwas anderes sprechen. Also marschiere ich auf einen Gemüsestand zu und frage Miri, was sie will. Sie zuckt nur mit den Schultern – und will das Thema offensichtlich noch nicht wechseln.

»Also, woher kennt ihr euch?«

»Er ist mein Student.«

»Und wieso weißt du dann, dass er schwul ist?«

»Mein Gaydar funktioniert eben ausgezeichnet.«

»Hattest du was mit ihm?«

»Mann, Miri!«

»War doch nur 'ne Frage.«

Die ich nicht beantworten will. Ich lüge Miri nicht gerne an, will aber gerade wirklich nicht über Sven reden. Schlimm genug, dass Thomas es weiß. Also ignoriere ich Miri und verlange Salat, Kartoffeln, Karotten, Sellerie, Zwiebeln und Knoblauch. Ich denke, ich mache heute ein Schmorgericht. Der Frühling macht momentan Pause. Es ist ziemlich kühl und bewölkt, vielleicht regnet es später noch. Das ist das richtige Essen für solches Wetter. Wenn es warm wird, machen Schmorgerichte keinen Spaß mehr.

Blöderweise hat Miri Lunte gerochen und legt, nachdem ich gezahlt habe, sofort wieder los.

»Da ist doch was mit dir und dem. Zumindest er steht auf dich.«

»Was tut er?!«

»Er steht auf dich.«

»Wie kommst du auf den Schwachsinn?«

»Er sieht ständig zu dir rüber. Seine Freundin scheint dich aber nicht zu mögen. Die schaut ziemlich fies.«

Automatisch blicke ich auf und suche Sven, entdecke ihn aber nirgends. Samstags ist der Markt immer überfüllt. Dafür sehe ich Miris triumphierendes Gesicht.

»Ha! Und du stehst auf ihn.«

»Spinnst du? Nur weil ich hinschaue, wenn du sagst, er starrt mich an? Da müsste ich ja auf jeden stehen.«

»Nein. Wegen des Ausdrucks, mit dem du dich nach ihm umsiehst. Obwohl der nicht gerade sexy ist. Du siehst eher aus, als müsstest du dringend aufs Klo.«

»Das bildest du dir nur ein«, knurre ich.

Miri wackelt wissend und ein bisschen zweideutig mit den Augenbrauen, woraufhin ich die Augen verdrehe. Anstatt sie in ihre Schranken zu weisen, stachelt das Miri nur noch weiter an. Sie hakt sich bei mir unter und tätschelt mir den Unterarm.

»Du weißt, du kannst mir alles erzählen, Bruderherz«, flötet sie.

»Na gut«, sage ich gedehnt. »Also, pass auf...« Ich mache eine kleine Spannungspause, ehe ich fortfahre. »Heute gibt es einen Schmortopf. Mit Lamm vielleicht. Es mögen zwar nicht alle Lamm, aber ich mag Lamm und du auch und das ist das Wichtigste. Wenn Barbara und Justus ein Problem damit haben, müssen sie eben die Beilagen essen. Wir müssen also als Nächstes zum Fleischer. Ich denke, ich mache das Ganze eher orientalisch. Dann brauchen wir noch Gewürze und Datteln, vielleicht auch Dörrpflaumen. Oder Aprikosen. Und Couscous statt der Kartoffeln, das passt besser. Die Karotten brauchen wir dann vielleicht doch nicht, aber die kann ich ja für etwas anderes verwenden. Für eine Suppe am besten. Ein Dessert wäre noch gut. Etwas mit karamellisierten Feigen würde gut passen. Aber Feigen haben jetzt keine Saison.«

»Du sollst mir nicht erzählen, was wir essen, sondern was zwischen dir und diesem heißen Typen ist. Wieso starrt er dich so an? Und wieso redest du nicht mit ihm? Du redest doch sonst mit allen.«

»Schau, dort ist der Fleischstand.«

»David, du weichst aus.«

»Miri, du nervst.«

Miri lacht auf und schlägt mir nicht gerade sanft gegen die Brust. »Du sollst mich nicht immer so nennen, das weißt du doch. Dann fühle ich mich wie eine Zwölfjährige mit Zöpfen und Zahnspange. Ich heiße Miriam.«

»Für mich wirst du immer eine Zwölfjährige mit Zöpfen und Zahnspange bleiben, Mirilein.«

Miri schlägt noch einmal lachend zu, dann sind wir am Fleischstand angekommen und sie lässt mich erst einmal vom Haken.

Zum Glück verschont sie mich auch, nachdem ich das Lamm erstanden habe, mit weiteren Fragen. Sie lässt sich stattdessen von mir kreuz und quer über den Markt schleifen, während ich mich spontan zu den weiteren Gängen meines Menüs inspirieren lasse, und wirft nur ab und zu ein, was ihr besonders gut und was ihr so gar nicht schmeckt. Anschließend müssen wir noch zum Supermarkt, weil der Markt zwar viel, aber nicht alles hat.

Vollbepackt und mit hängenden Zungen kommen wir schließlich in meiner Wohnung an. Nachdem alles verstaut ist und wir uns die Hände gewaschen haben – da bin ich pingelig –, kommandiere ich Miri zum Gemüseschnippeln ab. Das kann sie immerhin, auch wenn sie sonst in der Küche völlig unfähig ist. In der Zeit, in der wir noch eine WG hatten, haben wir diese Zusammenarbeit perfektioniert und sie lässt sich brav von mir herumkommandieren.

Ich beginne mit dem Lammschmortopf, weil der am längsten braucht. Unterdessen schneidet Miri zunächst unter Tränen Zwiebeln – was natürlich noch schlimmer wird, als sie sich mit der Hand, in der sie die Zwiebeln gehalten hat, über die Augen fährt. Völlig unfähig in der Küche, ich sage es ja. Ich kann mir ein hämisches Lachen nicht verkneifen.

»Als ob dir das nicht passieren würde!«, motzt Miri prompt.

»Ich weine nie.«

»Ja, klar. Und was war das damals, als Layne Staley gestorben ist?«

»Ich war ein Teenager, meine Hormone waren durcheinander, das zählt nicht.«

»Du hast geheult wie ein Schlosshund!«

»Das war ja auch wirklich traurig!«

»Siehst du. Sag ich doch.«

»Halt die Klappe und schneid die Tomaten.«

Miri salutiert lachend und widmet sich den Tomaten, während ich das Lamm in einer Mischung aus Olivenöl, Chili, Ingwer und allen Gewürzen mariniere, die ich finden konnte und auf die ich Lust hatte. Dann erhitze ich Öl in einer Kasserolle und brate das Fleisch von beiden Seiten scharf an. Sofort erfüllt ein intensiver Duft meine Küche.

»Oh Gott, ich kriege Hunger!«, meint Miri prompt.

»Da wirst du dich noch eine Weile gedulden müssen. Mach inzwischen doch mal den Dreck da weg. Husch, husch!«

»Husch, husch dich selber, du Spinner.«

Miri wirft lachend ein Geschirrtuch nach mir – zum Glück nicht das Messer, das sie in der anderen Hand hat –, macht sich dann aber doch, wie von mir geheißen, ans Aufräumen und Putzen.

Das Fleisch ist inzwischen so weit angebraten, also nehme ich es aus der Kasserolle heraus und lege es beiseite. Dann dünste ich die Zwiebeln an und beobachte, wie sie langsam anschwitzen. Ich liebe das. Es brutzelt vor sich hin und riecht so gut. Nach ein paar Minuten gebe ich die Tomaten dazu und dann wieder das Fleisch, ehe ich mit Wasser aufgieße. Noch ein paar Gewürze sowie Datteln, dann kann das Ganze in den Ofen. Bevor ich das Gericht dann serviere, werde ich noch frischen Koriander über den Eintopf streuen und ihn dann mit dem Couscous anrichten. Dazu noch ein Klecks Joghurt. Perfekt.

Als Nächstes widme ich mich der Vorbereitung der Vorspeise. Es gibt eine Karotten-Ingwer-Suppe. Also muss Miri wieder ran ans Schneidbrett, um Karotten und Sellerie zu schneiden. Zwiebeln haben wir noch, die röste ich mit dem Sellerie an, ehe die Karotten dazukommen. Nach einiger Zeit lösche ich das Gemüse mit Weißwein ab und gieße etwas Kokosmilch sowie Gemüsebrühe darüber. Nein, die ist nicht selbst gemacht, man kann es ja auch übertreiben.

Als ich umrühre, knurrt mein Magen verdächtig. Das Frühstück ist wirklich schon lange her und in meiner Küche riecht es fantastisch.

Während die Suppe vor sich hin köchelt, widme ich mich der Vorbereitung des Desserts. Ich habe mich für einen Schokokuchen mit flüssigem Kern entschieden. Das beeindruckt die Leute immer maßlos und nach zahlreichen missglückten Experimenten zu Beginn meiner Schokokuchen-Karriere habe ich dessen Zubereitung inzwischen perfektioniert. Dazu gibt es Granatapfelkerne mit einem leicht säuerlichen Dressing, das passt zum orientalischen Touch der Hauptspeise. Den Granatapfel entkerne ich selbst und lasse Miri ihn nicht anrühren. Würde sie das machen, gäbe es eine riesige Sauerei.

Dann bereite ich noch schnell den Schokoteig vor, das ist kein Aufwand, und stelle ihn in den Kühlschrank. Anschließend widme ich mich noch mal der Suppe. Ich püriere das inzwischen weiche Gemüse und gieße es mit dem Saft der Orangen auf, die Miri brav ausgepresst hat. Dann noch Ingwer und Muskatnuss dazu, das war's.

Mit einer theatralischen Geste lege ich den Kochlöffel beiseite und wende mich Miri zu.

»Fertig!«

»Wird ja auch Zeit. Es ist zwanzig vor sieben.«

»Schon? Scheiße! Ich muss noch ins Bad!«

»Ich geh zuerst!«, ruft Miri und stürmt sofort los, so schnell kann ich gar nicht schauen. Manche Dinge werden sich nie ändern.

Ich rufe ihr noch ein paar unschöne Schimpfworte hinterher, doch Miri lacht nur und dann ist sie auch schon im Bad verschwunden. Grummelnd nutze ich die Zeit, die ich noch habe, um meine Küche aufzuräumen und den Tisch zu decken. Miri braucht wie immer ewig im Bad. Zum Glück gehört Barbara nicht zu den pünktlichsten Menschen – Justus bestimmt schon –, deswegen habe ich dennoch genug Zeit, um mich in einen halbwegs annehmbaren Zustand zu versetzen. Okay, annehmbar ist untertrieben. Ich sehe gut aus, wie immer. Nur die Frisur hätte etwas mehr Zuwendung vertragen können, aber das Klingeln reißt mich aus meiner Routine.

Es wird ein lustiger Abend. Miri, Barbara und Justus sind angemessen begeistert von meinen Kochkünsten. Natürlich gehen wir nicht mehr aus, nachdem wir aufgegessen haben. Wir sind alle viel zu vollgestopft. Also plündern wir meine eigenen Alkoholvorräte; nur für Justus gibt es Cola, weil er noch fahren muss. Was sind die auch aufs Land gezogen. Ist ja furchtbar.

Auf keinen Fall wir

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