Читать книгу Flüchtlingsdrama eines Drillings - Isa Louise Reichenbach - Страница 5
Die Zeit, in die ich hineingeboren wurde
ОглавлениеLange ist es her, als ich in einem kleinen, verschlafenen Örtchen direkt nach Kriegsende geboren wurde.
Der Staub einiger eingestürzter Mauern lag noch in der Luft. Der kleine Kurort, in dem zuvor die Menschen durch die heilenden Quellen Linderung für ihre Leiden fanden, war zum Glück größtenteils erhalten geblieben. Nur weniges musste repariert werden, sodass das Leben wieder bald vorangehen konnte. Allerdings war die Geschäftigkeit, die vor dem Krieg geherrscht hatte, aufgrund der Umstände längst eine andere geworden: Es musste sogar Tauschhandel mit Lebensmitteln betrieben werden, um die nötigsten Nahrungsmittel auf dem Tisch servieren zu können. Es mangelte an allem, auch die dringend benötigten Gebrauchsgüter mussten irgendwie besorgt werden, um ein neues Leben beginnen zu können.
Um den Ortskern befand sich Stacheldraht. Rund gewickelt zog er sich wie eine gekräuselte Girlande durch die Straßen der Innenstadt. Niemand konnte durchkriechen oder darübersteigen. Nicht jeder sollte in die besetzte Zone einfach so hineingehen können. Dort hatten sich wohl überwiegend Engländer einquartiert. An den Eingängen durch den Stacheldraht befanden sich kleine Wachhäuschen, an denen Posten jeden kontrollierten, der rein- und rausging. Um in die besetzte Zone zu gelangen, benötigte man einen Ausweis. Die Menschen, die den Krieg verloren hatten, sollten außen vor bleiben. Ein Zeichen des verlorenen Krieges, Grenzen zu setzen.
Die Menschen nach den Kriegserlebnissen waren vorsichtig miteinander. Wenn sie sich trafen, sagte jeder einige nette Worte. So entstanden kleine Kontakte. Doch durch die vielen Heimatvertriebenen blieben sich die Menschen einander fremd. Die, die die Heimatlosen aufgenommen hatten, empfanden das oft als Einschränkung, denn solche Begegnungen sind nie einfach. Alle Menschen hatten mit dem Wiederaufbau zu tun und schufen sich neue Hausstände. Keiner hatte Zeit, die schlimmen Erlebnisse der Kriegszeiten zu verarbeiten. So wurde gearbeitet und geschwiegen.
In diese Zeit wurde ich hineingeboren: ein mageres und mickrig-kleines Mädchen mit geringem Gewicht – eben den Umständen angepasst. Die Zeit war darauf angelegt, sich von wenigem zu ernähren und zurückhaltend zu sein. Es gab nicht alle Lebensmittel und vieles nur auf Verbrauchsmarken.