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Kapitel 4 : Verliebt!

Schnell war Bens erster Monat in Neuseeland vorbeigerauscht. Die lebhafte und herzliche Familie und natürlich vor allem Stella machten ihm das Einleben einfach. Seine Cabin war nun mit Unterstützung von Stella wohnlich eingerichtet und er hatte sich motiviert in seine neue Arbeit gestürzt. Zuerst einmal gab es viel zu besprechen mit Phil und Taonga. Ben wollte herausfinden, was sie sich genau vorstellten, was ihnen wichtig war und so weiter.

Dann machte er sich daran, ein Konzept auszuarbeiten. Phil und Taonga waren begeistert von ihrem neuen Mitarbeiter. Neuseeländische Unkompliziertheit und neuseeländischer Pioniergeist, kombiniert mit Schweizer Organisation und Genauigkeit, schienen eine gute Mischung zu sein. Handwerklich waren sie alle drei sehr stark und ergänzten sich bestens.

Ben hatte vorgeschlagen, zuerst einmal die sanitären Anlagen sowie die Gemeinschaftsküche fertigzustellen, sodass der Campingplatz möglichst schnell in Betrieb genommen werden konnte. Platz für Zelte und Wohnmobile war da. Die Cabins könnten dann nach und nach erstellt werden.

Da Phil und Taonga sehr viele Leute kannten, war es möglich, für Arbeiten, die sie nicht selbst erledigen konnten, ausgebildete Handwerker anzuheuern. Sie bekamen praktisch das gesamte Material von verschiedenen Firmen geschenkt, dafür hatte sich Ben eingesetzt. Und viele der Arbeiter verlangten weniger Lohn, als sie hätten einfordern können.

Stella war oft draußen mit den zwei Jungen, die Mädchen besuchten wieder die Tagesschule bis am Nachmittag. Die drei spielten draußen, schauten den Männern bei der Arbeit zu, feuerten sie an, brachten ihnen kalte Getränke und Stella half manchmal mit, wo es ihr möglich war. Doch ihre Hauptaufgabe war es, sich gut um Liam und Josh zu kümmern.

Ben hatte sich bis über beide Ohren in die so natürliche Stella verliebt. Jedes Mal, wenn sie mit den Kindern nach draußen kam und ihm zuwinkte oder ihn fragte, ob er etwas brauchte, ging er noch viel motivierter an seine Arbeit.

Phil hatte bemerkt, dass Ben Gefühle für Stella hatte. Bei der nächsten guten Gelegenheit während der Arbeit sprach er ihn darauf an. «Stella gefällt dir, nicht wahr?»

Ben errötete. «Äh, ja, merkt man das?»

Phil lachte und sagte: «Mir ist es jedenfalls aufgefallen, mein Lieber. Ich denke, sie mag dich auch sehr.»

«Meinst du?»

Phil lächelte Ben an und nickte. «Ich möchte dir nicht zu nahe treten, Ben, aber darf ich dir eine persönliche Frage stellen?»

«Äh, ja klar.»

Phil räusperte sich und sprach dann ernst weiter. «Weißt du, Stella ist uns, also Julia und mir, sehr wichtig. Wir fühlen uns während ihres Neuseelandaufenthaltes verantwortlich für sie.»

Ben nickte. Auf was wollte Phil hinaus?

«Wir möchten auf keinen Fall, dass sie schlechte Erfahrungen mit Männern macht. Versteh mich nicht falsch, Ben, wir haben dich echt gern, du bist ein wirklich bemerkenswerter junger Mann. Nun ja, es ist nur so, dass junge Männer, wenn sie verliebt sind, manchmal etwas Mühe mit ihrem Verstand haben.» Er klopfte Ben freundschaftlich auf den Rücken. «Meinst du es ernst mit ihr?»

Phil war wirklich sehr direkt. Ben stotterte: «Äh ... also, ich meine... ich bin kein Typ für oberflächliche Affären, wenn du das meinst.»

«Genau das meine ich», antwortete Phil nachdenklich. «Wenn es dir recht ist, würden wir euch gerne unterstützen, falls es zu einer Beziehung kommt. Ich hoffe wirklich, dass du mich richtig verstehst.»

Ben überlegte einen Moment. Irgendwie kam es ihm wie eine heftige Einmischung in sein Privatleben vor, doch er spürte Phils ehrliches Herz und es berührte ihn, dass ihm Stella so wichtig war.

«Ich habe mich in Stella verliebt, Phil. Es ist mir sehr wichtig, dass es ihr gut geht. Also, wieso sollen wir euer Angebot nicht annehmen, dass ihr sozusagen unsere Coaches seid? Falls Stella überhaupt eine Beziehung mit mir wünscht und sie ebenfalls einverstanden ist.»

Phil schien erleichtert zu sein. «Deine Reaktion bestätigt meine Einschätzung deines Charakters, Ben. Vielen Dank!» Er lächelte und fuhr fort: «Ich bin wirklich dankbar, das geklärt zu haben, bevor ihr überhaupt zusammen seid!»

Die beiden arbeiteten weiter.

Einige Tage später kam Stella an einem Nachmittag strahlend auf Ben zu, als er alleine draußen arbeitete. Dieses Mal, zum Glück für ihn, hatte sie einmal nicht die Kinder im Schlepptau. Ben mochte die vier Kinder sehr, er spielte oft mit ihnen, wenn er Feierabend hatte. Doch er freute sich, Stella einmal ohne sie zu treffen. Er arbeitete gerade auf dem Dach der sanitären Anlagen.

«Ich habe Eistee gemacht, hast du Durst?»

Ben legte sein Werkzeug beiseite und trat ans Ende des Daches.

«Ich bin am Verdursten!» Er kniete sich nieder.

Stella versuchte, ihm das Getränk hochzureichen, doch sie erreichte ihn nicht. «Ich muss noch etwas wachsen», meinte sie kichernd.

Ben schüttelte den Kopf. «Deine Größe ist perfekt», sagte er, «aber ich könnte einfach zu dir runterkommen.» Er kletterte geschickt vom Dach und sprang dicht neben sie.

Stella freute sich, dass sie einen Moment Zeit miteinander hatten. Sie fühlte sich wohl in seiner Nähe. Eigentlich hatte sie nur aus diesem Grund den Tee gebracht, in der Hoffnung, einen Moment mit ihm zusammen zu sein.

Ben trank das Glas in einem Zug aus. «Ich habe noch nie so einen köstlichen Tee getrunken, Stella!»

Sie musste lachen. «Brauchst du sonst noch etwas?»

«Eine Dusche», entgegnete er grinsend, «es ist extrem heiß heute und ich stinke wie ein Schwein. Tut mir leid.»

Stella hatte selbstverständlich festgestellt, wie verschwitzt er war, doch es störte sie kein bisschen. «Okay», sagte sie nur und verließ ihn.

Ben schaute ihr verdattert nach. Was hatte sie vor? Ihr selbstgenähtes Sommerkleid umschmeichelte ihre Figur, als sie Richtung Haus lief. Er konnte seinen Blick nicht abwenden, bis sie im Haus verschwand.

Kurze Zeit später erschien sie mit einer riesigen Wasserflasche in den Armen. Es war einer dieser Fünfliterkanister, die man im Supermarkt bekommen konnte.

«Bleib hier stehen», sagte sie zu Ben und kletterte mitsamt der Flasche die Leiter hinauf aufs Dach.

Er starrte sie unverwandt an, als sie mit der schweren Flasche Stufe um Stufe hochkletterte. Was hatte sie bloß im Sinn? «Kann ich dir irgendwie helfen?»

«Nein, ich bin gleich so weit. Bitte schließ die Augen, Ben.» Stella kicherte.

Selbstverständlich hatte Ben inzwischen erraten, was sie vorhatte, doch er schloss brav die Augen und wich nicht von der Stelle. Dann ergossen sich die eiskalten fünf Liter Wasser von oben über ihn. Ben prustete und schüttelte sich wie ein nasser Hund.

In Windeseile kletterte er hinauf aufs Dach, packte Stella, so nass wie er war, und drückte sie an sich, sodass sie möglichst viel Nässe abbekam. Bens Herz begann zu rasen, als ihre Körper sich berührten. Sie wand sich aus seiner Umarmung und er ließ sie sofort los, weil er sich nicht sicher war, ob er vielleicht zu weit gegangen war.

Tatsächlich schaute sie ihn einen Moment fast erschrocken an, doch dann lachte sie. «Du bist so gemein! Schau dir mein Kleid an, es ist völlig durchnässt!»

Ben musterte Stellas Kleid. «Das hast du verdient, schau einmal mich an!»

Stella grinste, Ben war klitschnass. «Aber du hast dir eine Dusche gewünscht, ich habe nur deinen Herzenswunsch erfüllt.»

Sie schauten sich einen Moment in die Augen. Bens Herz raste und auch Stella spürte, wie ihr das Blut vor Aufregung in den Kopf schoss. Ben war so gutaussehend und er schien sie tatsächlich zu mögen, sie konnte es kaum fassen.

Ben hätte sie am liebsten noch einmal an sich gedrückt, doch er wagte es nicht. Er war sich nicht sicher, ob sie ähnlich wie er empfand. Sie war zwar immer sehr herzlich und schien seine Nähe zu suchen, so wie gerade eben. Aber er hatte Mühe, sie einzuschätzen, und er wollte auf keinen Fall einen Fehler machen. Nach dem Gespräch mit Phil war er noch vorsichtiger.

Stella schaute auf die Uhr. «Du musst sicher weiterarbeiten, ich möchte dich nicht stören.» Sie drehte sich um und kletterte vom Dach herunter.

Ben blieb wie angewurzelt stehen. Sie störte ihn nicht, ganz im

Gegenteil. Warum brachte er kein Wort heraus?

Stella ging nicht gerne von Ben weg, doch sie fühlte sich ein wenig aufdringlich. Vielleicht empfand er gar nicht so viel für sie, wie sie für ihn? Zudem hatte sie die Gespräche, die sie mit ihren Eltern über die Liebe geführt hatte, tief in ihrem Herzen verinnerlicht. Auch Phil und Julia hatten schon mit ihr über Beziehungen gesprochen.

Stella wünschte sich einen christlichen Partner, der ihre Überzeugung in Bezug auf Liebe und Sexualität teilte. Dies war ihr so wichtig, dass sie sogar einen Ring trug, der sie daran erinnern sollte, dass sie sich Sex für die Ehe aufsparen wollte.

Wie wohl Ben darüber denken würde? Hielt er das vielleicht für altmodisch? Sie war überzeugt, dass es sich lohnte, etwas so Kostbares und Wunderbares wie die Sexualität für den Ehepartner zu bewahren. Für sie war dies nicht verbunden mit komischen prüden Regeln, die man einhalten musste, sondern es war ein vorübergehender, aber überaus lohnender Verzicht!

Über Bens Glauben wusste sie nicht viel mehr, als dass er im

Moment eine Pause eingelegt hatte.

Etwas später kehrte Stella mit Liam und Josh nach draußen zurück und spielte mit ihnen. Als die Kinder alleine friedlich im Sand buddelten, zückte Stella ihre Stifte und ihren Zeichnungsblock und begann zu zeichnen. Sie schaute immer wieder zu Ben, der weiter auf dem Dach des zukünftigen Duschraums arbeitete. Er war dabei, Wellblech zu montieren.

Wellblech wurde in Neuseeland für fast alles verwendet. Ben hatte mit den Neuseeländern nicht lange diskutiert, ob es nicht ein schöneres Material gäbe, er konnte sich den Gepflogenheiten durchaus anpassen.

Nun hatte er Stella entdeckt und winkte ihr zu. «Beobachtest du mich etwa?»

Stella grinste. «Es gibt nichts Schöneres, als jemandem beim Arbeiten zuzusehen!»

Ben knüllte sein T-Shirt, das er kurz zuvor wegen der Hitze ausgezogen hatte, zu einer Kugel und warf es nach Stella.

«Du hast mich nicht getroffen!», kicherte sie. «Aber du solltest dein T-Shirt wieder anziehen, du wirst dich sonst an der neuseeländischen Sonne schnell verbrennen.»

«Ich habe mich mit Sonnenmilch eingerieben», erwiderte Ben und widmete sich erneut seiner Arbeit. Nicht ohne immer wieder zu ihr zu schauen.

Stella skizzierte fleißig weiter. Sie hatte Ben bald in den verschiedensten Haltungen gezeichnet und begutachtete ihre Skizzen, indem sie den Block etwas von sich weghielt. Dann korrigierte sie ihre Zeichnungen da und dort mit schnellen, gekonnten Strichen.

Plötzlich stand Ben hinter ihr und hielt ihr die Augen zu. Sie schrie auf vor Schreck, sie hatte so konzentriert an ihren Skizzen gefeilt, dass sie gar nicht bemerkt hatte, wie er das Dach verlassen und sich an sie herangeschlichen hatte.

«Hast du ein schlechtes Gewissen?», witzelte Ben. Als er ihr erschrockenes Gesicht sah, entschuldigte er sich. «Habe ich dich so erschreckt? Das wollte ich echt nicht, sorry!»

Er begutachtete die Zeichnungen und war überrascht. «Das ist unglaublich. Du bist eine Künstlerin, Stella!» Dann grinste er geschmeichelt. «Das bin ja ich. Immer und immer wieder ich.»

Stella war die Situation peinlich. Diese Skizzen hatte sie eigentlich nur für sich selbst gezeichnet, sie wollte nicht, dass Ben sie sah.

«Du nähst deine Kleidung selbst, du zeichnest hervorragend, was stecken noch für Überraschungen in dir?»

Stella war ganz rot geworden und schob den Zeichenblock schnell in ihre Tasche. «Na ja, das mache ich eben gerne, aber es gibt Leute, die können das besser.»

Ben hielt sie an den Schultern fest und schaute ihr einen Moment ernst in die Augen, bis sie den Blick senkte. «Stella, du bist viel zu bescheiden. Du bist extrem begabt.» Ben ließ sie los. «Darf ich die Zeichnungen behalten?»

Stella schaute wieder auf und lächelte ihn an. «Du bist hartnäckig, Ben. Von mir aus kannst du sie behalten, aber sie sind nicht so gut, ich habe das alles nur schnell skizziert.» Nicht sehr begeistert händigte sie ihm die Bilder aus.

Ben schüttelte den Kopf und entgegnete: «Wie sehen deine Bilder denn aus, wenn du mehr Zeit dafür hast?»

Stella überlegte einen Augenblick, dann kam ihr eine Idee. «Was hältst du davon, wenn ich ein Porträt von dir male? Aber so richtig, mit Farbe und allem. Kannst du mal eine Stunde oder etwas länger ruhig sitzen?»

Ben war begeistert. Die Vorstellung, Zeit allein mit Stella zu verbringen, war fabelhaft. Das mit dem Stillsitzen könnte zwar eine Herausforderung werden, aber der würde er sich stellen. «Das würdest du machen? Kann ich mir das denn leisten?», scherzte er.

Stella lachte. «Für dich mache ich es ausnahmsweise kostenlos. Normalerweise würde es dich einige Tausend Neuseelanddollar kosten.» Sie musste noch mehr lachen.

Dieses wunderbare Lachen.

«Morgen ist Samstag. Wir könnten an den Strand runtergehen, dann male ich dich dort. Das wäre ein toller Hintergrund.»

Ben war sofort einverstanden. «Wollen wir morgen direkt nach dem Frühstück losziehen?», fragte er.

Sie nickte und überlegte insgeheim, ob sie wohl diese Nacht überhaupt schlafen könnte vor lauter Aufregung. Ben begleitete sie und die Kinder bis zum Haus. Auch er war aufgeregt, wenn er an den nächsten Tag dachte.

Am anderen Ende der Welt

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