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ОглавлениеKapitel 7 : Wie sag ich es ihm bloß?
Am nächsten Abend setzten sich Ben und Stella zusammen in den Garten hinter dem Haus. Ben war gespannt, was ihm Stella erzählen wollte. Sie druckste herum.
«Was möchtest du Wichtiges mit mir besprechen?», fragte Ben lächelnd.
Stella hielt ihm ihre Hand hin. «Siehst du diesen Ring?», fragte sie.
«Er hat eine Bedeutung, Ben. Eigentlich hätte ich vor unserem Kuss gestern darüber sprechen sollen, aber ich wollte die schöne Stimmung nicht zerstören.»
Ben schaute sie fragend an. Hatte er einen Fehler gemacht?
Sie fuhr fort: «Meiner Meinung nach ist Sex ein sehr kostbares und wunderbares Geschenk, das Gott sich für die Ehebeziehung ausgedacht hat. Deshalb möchte ich mir das für meinen zukünftigen Ehepartner aufsparen.»
Jetzt war es ausgesprochen! Es herrschte eine lange Weile absolute Stille.
Natürlich hatte Ben so etwas schon gehört. Er hatte immer den Eindruck gehabt, dass Sex für Christen etwas Schlechtes sei, sozusagen ein notwendiges Übel, schließlich gebot Gott den Menschen, dass sie sich vermehren sollten.
«Okay», sagte er stockend, «ich akzeptiere selbstverständlich deine Meinung. Ich bin auch überhaupt nicht der Typ, der sofort mit einer Frau ins Bett steigt ... äh ...» Er räusperte sich. «Wenn du es genau wissen möchtest, ich hatte bisher nur eine Freundin, Naemi, von der ich dir erzählt habe, und wir haben nicht miteinander geschlafen.»
Stella war erleichtert und dankbar für seine Offenheit. «Meinst du es denn ernst mit mir?», kam es ihr zögerlich über die Lippen.
Seine Antwort erfolgte sofort und ohne jedes Zögern: «Oh ja, Stella!»
Sie schaute ihn dankbar an.
Er nahm ihre Hände mit ernstem Blick: «Du willst dir Sex aufheben für die Ehe, so viel habe ich verstanden. Aber was verstehst du genau unter Sex?»
Sie sah ihn verwirrt an.
«Ich meine, was ist mit Händchenhalten, das tun wir ja nun schon ...», er lächelte fast verlegen. «Wie ist es mit Küssen? Wie und wo darf ich dich berühren?»
Das waren gute Fragen. In der Theorie hatte sich Stella diese Fragen auch schon gestellt, nur war sie da viel strenger mit sich selbst gewesen als jetzt, wo ihre Gefühle Achterbahn fuhren.
«Ich denke Händchenhalten ist auf jeden Fall okay!», erklärte sie lächelnd.
Dankbar drückte er ihre Hände noch fester.
«Der Kuss gestern war wunderschön!», schwärmte sie.
«Küssen ist erlaubt?», fragte Ben.
Sie nickte und sagte: «Keine Zungenküsse, okay? Das wäre mir zu viel.»
Ben nickte, damit konnte er leben. «Wir gehen es langsam an, okay, Stella? Du musst mir sagen, was dir zu weit geht. Du bist mir sehr wichtig! Ich möchte auf keinen Fall etwas tun, was du nicht willst!»
Stella war sehr erleichtert über Bens Reaktion, die ihr zeigte, dass er es wirklich ernst mit ihr meinte und dass er ihre Meinung akzeptierte.
Eine Woche später machten sie am Samstagabend einen Spaziergang am Strand. Stella bückte sich nach einer großen Paua-Muschel, die in allen Regenbogenfarben im Sonnenlicht glänzte. «Wow! Ben, schau dir diese wunderschöne Muschel an!»
Ben bestaunte die Muschel, doch Stella spürte, dass er etwas auf dem Herzen hatte. «Ist irgendetwas nicht in Ordnung, Ben?»
Er erschrak, seine Freundin war wirklich sehr sensibel und spürte sofort, wenn ihn etwas beschäftigte. Ben hatte sich etwas ausgedacht für den nächsten Tag. Er wollte mit Stella eine Wanderung durch einen Regenwald an einen Strand machen. Doch die Anfahrt mit dem Auto würde etwa zwei Stunden und die Wanderung nochmals rund vier Stunden in Anspruch nehmen. Das war also ein Tagesausflug. Er wusste, wie wichtig der Gottesdienst für Stella war und hatte sich deshalb bis jetzt nicht getraut, sie zu fragen, ob sie ihn morgen ausfallen lassen würde, um den Ausflug mit ihm zu unternehmen.
Jeden Sonntag fand ein lebendiger Gottesdienst in der alten, typisch neuseeländischen Holzkirche statt. Ben war noch nie dabei gewesen, er benötigte seiner Meinung nach eine längere Kirchenpause. Stella jedoch kam immer ganz begeistert aus dem Gottesdienst, sie ging jeden Sonntag hin.
Ben blickte zu Boden und zeichnete mit dem Fuß Kreise in den Sand.
«Ben, sag mir, was los ist, bitte!» Stellas Stimme klang flehend. Ben streichelte ihr über die Wange. «Ach, Stella, ich weiß, wie wichtig dir der Gottesdienst am Sonntag ist, du hast noch keinen versäumt, jedenfalls nicht, seit ich hier bin.»
Stella legte den Kopf schief und schaute Ben erwartungsvoll an. Auf was wollte er hinaus? «Und?»
Ben zeichnete noch einen Kreis in den Sand. «Ich würde morgen so gerne den ganzen Tag mit dir zusammen sein. Ich liebe dich!» Er schaute noch immer auf den Sand unter seinen Füßen. «Ich möchte einfach nur mit dir zusammen sein. Ich habe eine wunderschöne Wanderung entdeckt. Mitten durch einen Regenwald an einen unberührten Strand.» Ben machte eine Pause und schaute endlich auf.
Sie lächelte. «Nun möchtest du mich fragen, ob ich für dich den Gottesdienst sausen lassen würde, nicht wahr?»
Ben stotterte: «Nun ja, äh, ich weiß, es ist dir wichtig.»
Stella lachte. «Also, Ben, ich weiß gar nicht, was du für ein Theater machst. Frag mich doch einfach, anstatt um den heißen Brei herumzureden.» Sie lehnte den Kopf an seine Brust und umarmte ihn.
«Klar, ich komme gerne mit dir mit. Ich möchte doch auch mit dir zusammen sein. Den ganzen Tag. Den ganzen Sonntag!»
Ben staunte. «Echt?» Er küsste sie erleichtert auf die Stirn.
«Kommst du dann nächsten Sonntag mit mir zum Gottesdienst? Das würde mich sehr freuen. Aber ich möchte dich nicht drängen, überleg es dir in Ruhe!»
Er küsste sie nochmals zärtlich. «Auf jeden Fall werde ich nächste Woche mit dir zum Gottesdienst kommen. Auch wenn es mich, ehrlich gesagt, ziemlich Überwindung kostet.»
Sie strahlte übers ganze Gesicht.
Am nächsten Tag saßen sie schon in aller Frühe im Auto. Sie fuhren auf schmalen Straßen in eine kaum besiedelte Gegend. Wenn ab und zu ein Haus in der Nähe war, erkannte man das an den lustigen Briefkästen, die an der Straße standen. Die erfinderischen Neuseeländer gestalteten diese oft fantasievoll. Gerade waren sie an einem fischförmigen Briefkasten vorbeigefahren, in dessen weit geöffnetes Maul der Briefträger die Post legen musste.
Irgendwann wurde die Straße noch schmaler und war nicht mehr geteert.
«Eine Gravel Road, eine Schotterstraße!», rief Ben begeistert und gab etwas mehr Gas. «Zum Glück ist das so eine alte Kiste, mit einem neuen Auto könnte ich diese Strecke wohl kaum fahren.»
Stella klammerte sich am Sitz fest. «Auf jeden Fall nicht in diesem
Tempo», sagte sie gespielt vorwurfsvoll.
Immer wieder flogen Steine gegen das Auto, doch das störte Ben wenig. Der Wagen schaukelte und wurde durchgeschüttelt. Ben fuhr mit Vorliebe in die Schlaglöcher und freute sich wie ein Kind.
Stella wurde es irgendwann zu viel. Sie rief: «Mann, Ben, kannst du nicht langsamer fahren? Die Straße ist in einem furchtbaren Zustand!»
Ben lachte und sah zu Stella hinüber. Doch als er merkte, dass sie sich wirklich nicht mehr wohl fühlte, drosselte er sofort das Tempo und umfuhr die nächsten Löcher vorsichtig.
Endlich erreichten sie ihr Ziel, einen Kiesplatz direkt am Waldrand. Die beiden zogen sich ihre Trekkingschuhe an und sprühten sich mit Insektenspray ein.
«Am Strand gibt es bestimmt extrem viele Sandfliegen», sagte Ben und sprühte Stellas Beine besonders gut ein. «Jetzt stinken wir dermaßen, dass uns die lästigen Viecher bestimmt meiden!»
Die Wanderung durch den Regenwald war fantastisch.
«Schau dir den riesigen Farnbaum an, Ben! Ich liebe diese Bäume, sie sind so typisch für Neuseeland.»
Ben umarmte Stella, die staunend am Wegrand stehen geblieben war, von hinten und stützte sein Kinn auf ihre Schulter. «Ja, wunderschön, Stella. Magst du auch dieses fast ohrenbetäubende Zirpen der Zikaden?»
Stella musste lachen. «Tja, sie sind wirklich ziemlich laut. Sie übertönen fast das herrliche Vogelgezwitscher!»
Ben bedeckte Stellas Nacken mit Küssen. Ein angenehmer Schauder lief ihr über den Rücken. «Die Vögel klingen so anders als in der Schweiz, nicht wahr?»
Stella drehte sich um und zog Bens Kopf sanft zu sich. Sie küssten sich innig.
Bens Herz raste schon wieder. «Ich liebe dich, Stella!»
Sie küsste ihn nochmals und flüsterte ihm ins Ohr: «Ich bin so glücklich mit dir. Ich liebe dich auch.»
Stella bereute es nicht, Ben zuliebe auf den Gottesdienst verzichtet zu haben, sie genoss es zutiefst, mit ihm zusammen zu sein.
Eigentlich wollten sie ihr Picknick am Wasser einnehmen. Doch der wunderschöne Strand mit dem grobkörnigen goldgelben Sand und den bizarren Felsen, die aus dem tiefblauen Meer ragten, war Heimat von unzähligen Sandfliegen. Eine regelrechte Invasion der stechenden kleinen Insekten ließen Stella und Ben nach kurzer Zeit schon fast fluchtartig die Idylle verlassen. Wild um sich schlagend rannten sie zurück in den Wald, wo es besser war. Vor allem Stella war an Armen und Beinen von Stichen übersät und reagierte mit einem starken Ausschlag.
«Du Arme!» Ben behandelte Stellas geplagte Haut mit einem kühlenden Gel.
«Du bist gut ausgerüstet, was?»
Ben tippte Stella zärtlich auf ihre Stupsnase. «Klar, wenn ich mit der schönsten Frau im gefährlichen Bush unterwegs bin!»
Sie aßen ihr mitgebrachtes Essen im Schutz des Waldes. Ben fütterte Stella mit kleinen Tomaten und schaute ihr zu, wie sie mit geschlossenen Augen genüsslich kaute.
Der Tag ging viel zu schnell zur Neige. Es wurde bereits dunkel, als sie den Campingplatz erreichten.
«Trinken wir noch etwas bei mir?» Ben wollte Stella noch eine Weile für sich haben und zeigte auf sein bescheidenes Heim unter den hohen Bäumen.
Stella überlegte einen Moment. Sie hatten sich vor einer Woche versprochen, dass sie es beim Händchenhalten, Küssen und Umarmen belassen wollten. War es richtig, mit ihm alleine in die Cabin zu gehen? Nun, sie waren auch den ganzen Tag alleine gewesen und Ben würde sich gewiss an seine Abmachung halten.
Sie schaute, ob Julia und Phil da waren. Im Esszimmer brannte Licht. Sie sehnte sich sehr danach, noch ein wenig Zeit mit Ben zu verbringen. «Hast du Eistee?»
Ben war erfreut, dass sie noch zu ihm kommen wollte. «Klar, im
Kühlschrank sollte eine Flasche stehen.»
Sie meldeten sich kurz bei Julia und Phil, damit sie wussten, dass sie zurück waren.
«Seid vorsichtig», sagte Phil schmunzelnd, «ihr könnt wohl nicht genug voneinander bekommen, was?»
Ben und Stella nickten lachend.
Ben nahm Stella an der Hand und zog sie zu seinem Häuschen. Mit Schrecken stellte er fest, dass alle seine Sachen verstreut herumlagen. Wäschestücke, Papier und sogar Essensreste. «Oh Mann, ich habe nicht mit Besuch gerechnet. Ich sollte wohl einmal aufräumen!»
Stella hielt sich die Hände vor den Mund und starrte auf Bens unglaubliche Unordnung.
«Es tut mir echt leid, mein Schatz.» Ben war die Sache peinlich. Er nahm sich vor, in Zukunft ordentlicher zu sein, wenigstens Stella zuliebe. «Komm wir trinken den Eistee draußen, okay?»
Stella nickte lachend.
Sie machten es sich auf der Veranda gemütlich. Weil es schon ziemlich kühl war, kuschelten sie sich ganz nah aneinander.
«Am nächsten Sonntag begleite ich dich zur Kirche, versprochen.» Stella wuschelte zärtlich durch Bens wilden Schopf. «Ich freue mich, Ben!»