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Kopfzerbrechen

Fernando Calatrava-Schmitz lag auf dem Bett in Zimmer vierzehn und dachte nach. Hinter seinen Schläfen pochte es heftig, der Migräneanfall war noch nicht vorüber. Noch einmal tauchte er den Waschlappen in die Wasserschüssel neben seinem Bett und legte ihn sich auf die Stirn. Seine kurzen schwarzen Haare waren schon ganz nass, genau wie sein Dreitagebart. In der letzten Zeit hatten Kopfschmerzattacken dieser Art zugenommen. Auch seine Augenringe waren viel dunkler als sonst. Er schlief aber auch so schlecht. Letzte Woche hatte ihn sogar seine Ärztin gefragt, ob er vielleicht Stress hätte. Stress. Sie hatte ja keine Ahnung. Hier ging es nicht um Stress. Hier ging es um seine Existenz.

Er verfluchte sich, dass er damals auf diese versnobbte Gartenparty gegangen war. Eigentlich hatte er gar nicht hingehen wollen. Es war nicht seine Welt, auch wenn die meisten Gäste Kunden von ihm waren und er sie mit Wein aus der ganzen Welt belieferte. Der Biergarten um die Ecke wäre ihm tausendmal lieber gewesen. Innerlich hatte er sich schon dagegen entschieden, wollte sich einen netten Abend vor dem Fernseher machen. Und dann war sein Leo nach Hause gekommen, wieder einmal schlecht gelaunt. Wieder einmal hatte er nur über die Bank und irgendwelche neuen Wertanlagen reden wollen. Da war Fernando doch zur Party gegangen.

Und dort hatte er ihn kennengelernt: Vinzent Fischer hatte weltmännisch gewirkt, ja: auch ziemlich großkotzig. Aber Fernando fand ihn interessant. Und ja: auch irgendwie anziehend, ein Machertyp. Das Gegenteil von Leo in der letzten Zeit. Er hatte sich auch bei dem Gedanken ertappt, dass ein Machertyp viel besser zu ihm passte. Er sah sich selber schließlich auch als Macher. Aber es war nichts zwischen ihnen gelaufen. Das hätte er sich und Leo nie angetan, Fernando Calatrava-Schmitz war schließlich katholisch.

Hätte er damals schon etwas ahnen können? Wieder und wieder hatte er sich in den vergangenen Monaten diese Frage gestellt. Er hätte etwas ahnen müssen. Aber die Gelegenheit, die sich ihm da bot, war zu verlockend gewesen.

Sein Weinhandel in Wattenscheid lief schlecht, seine Kredite waren ausgereizt. Und dann hatte er von diesem Vinzent Fischer den Tipp bekommen von einem boomenden Weinbaugebiet im Westen Australiens, in das er, Fernando, investieren könnte, um dann den Exklusiv-Vertrieb für Mitteleuropa zu übernehmen. Heute wusste er längst, dass das ein fauler Trick gewesen war und Fischer selber dahinter steckte. Dieser Mistkerl hatte alles geplant und seine Situation von Anfang an ausgenutzt. Das Angebot von Austridivine, die Schulden und dann sein lässiger Vorschlag, ihm die Summe vorzustrecken: Es war alles ein abgekartetes Spiel gewesen.

Natürlich hätte er auch Leo um Geld bitten können, schließlich arbeitete der auf einer Bank und kannte sich aus mit Darlehen. Leo hätte vielleicht Schwierigkeiten bei der Arbeit bekommen, aber er hätte das auch wieder ausbügeln können. Leo hatte schließlich einen makellosen Ruf, was schadete da ein Kredit? Und wie lange waren sie jetzt schon zusammen? Dreiundzwanzig Jahre.

Es wäre wirklich besser gewesen, wenn er Leo damals alles erzählt hätte. Aber nein, er hatte sich dagegen entschieden. Leo nervte in der letzten Zeit schon genug. Er wollte ihm nicht noch mehr Angriffsfläche bieten. Wo war die Zeit hin, als sie sich noch bedingungslos vertrauten? Als er Leo liebenswert fand und es ihm nie in den Sinn gekommen wäre, an ihrer Beziehung zu zweifeln?

Kaum war der Deal mit Austridivine geplatzt und die Firma in Luft aufgelöst, hatte Vinzent Fischer auf der Matte gestanden und das Geld eingefordert. 300.000,– Euro. In bar.

Fischer hatte nicht einsehen wollen, dass er das Geld erst in ein paar Monaten zahlen konnte. Erst dann würde der Großauftrag der Ruhr-Biennale kommen. Bei der Biennale wurde so viel Wein bestellt, dass die Rückzahlung überhaupt kein Problem gewesen wäre. Aber um das Geld ging es diesem Mistkerl gar nicht. Er hatte ihn in der Hand, darum ging es! Er, Fernando Calatrava-Schmitz, Weinhändler aus Wattenscheid, war diesem Mafioso vollkommen ausgeliefert. Aber so konnte es nicht weitergehen.

Sein Handy vibrierte. Eine SMS. Schon wieder Leo.

Warum musste der ihn auch alle fünf Minuten fragen, ob es seinem Kopf inzwischen besser ging? Nein! Es ging ihm nicht besser! Nicht, solange man ihn dauernd und von allen Seiten bedrängte. Als die Migräne stärker wurde, hatte er Leo gebeten, einen Spaziergang zu machen und ihn allein zu lassen. Und nun ließ ihn Leo trotzdem nicht in Ruhe. Genau aus diesem Grund bestand er auch seit Jahren auf einem eigenen Zimmer, wenn sie in Urlaub fuhren. Er hatte keine Lust auf diese ewige Nähe. Hatten sie denn aufgehört, eigenständige Menschen zu sein? Nur, dieses Mal hatte es nicht geklappt mit den beiden Einzelzimmern. Ein Computer-Fehler, hatte die Dame an der Rezeption gesagt. Das nützte ihm nun auch nichts. Ein so kleines Hotel war ihm außerdem noch nie untergekommen. Ein mehr als seltsamer Treffpunkt, den sich der Mistkerl da für die Übergabe der ersten Rate ausgesucht hatte. Und warum hatte unbedingt Leo mit dabei sein sollen? Das ergab für ihn alles keinen Sinn.

Schon wieder vibrierte das Handy. Konnte er nicht endlich Ruhe geben? Merkte Leo nicht, dass er alles nur noch schlimmer machte?

Doch dieser Gedanke tat ihm sofort leid. Leo konnte ja nichts dafür. Er hatte ja von alledem keine Ahnung. Er wusste ja auch nicht, dass dies kein normaler Urlaub war. Fernando verspürte ein schlechtes Gewissen, er hatte ihm schließlich nicht die Wahrheit gesagt, da gab es nichts zu beschönigen.

Und jetzt ging es um Leben oder Tod. Und das schon sehr bald.

Ja, das war der Ausweg. Er sah ihn klar und deutlich vor sich.

Plötzlich war der Kopfschmerz wie weggeblasen. Was für eine Erleichterung! Er wusste, was zu tun war. Ein kaltes Lächeln erschien auf seinem kantigen Gesicht.

Taugenixen

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