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Unter der Sonne

Das Meer in der Bucht von Las Olivadadas schimmerte grünlich. Der kleine Strand lag wie eine Oase inmitten der hohen Felsen. Von der nächsten Ortschaft abgelegen, wurde er fast ausschließlich von den Gästen des Hostals genutzt.

Linn Kegel und Bettina Heidenreich kletterten die steile Steintreppe hinunter, die in die Felsen gehauen war. Aus der Höhe konnten sie bereits die anderen Hotelgäste in der Bucht erkennen. Drei Nordsee-Strandkörbe hatte das Hostal aufgestellt, im ersten saßen zwei Frauen, die eine mit einem übergroßen Hut, die zweite mit sportlichem Kurzhaarschnitt. Im zweiten Korb war die glänzende Glatze eines Mannes zu erkennen, der eifrig in sein Handy tippte. Zwei weitere Männer in Badehosen – ein jüngerer und ein älterer, beide sichtbar sportlich – spielten Badminton.

Bettina zupfte das Hüfttuch über ihrem Badeanzug zurecht.

»Ich hätte einfach nie mit dem Rauchen aufhören sollen.«

»Ach, Bettina nun hör aber mal auf. Ich habe keine Lust, mir einen Urlaub lang deine Gewichtsprobleme anzuhören. Menschen sehen aus, wie Menschen aussehen. Auch du. Und für Rubens wärst du das Non plus ultra gewesen.«

»Du hast ja auch gut reden. Was liegt gewichtstechnisch zwischen uns? Ein halbes Rind?«

»Du spinnst! Ich bin einfach einen Kopf größer. Aber weißt du, wenn ich du wäre, würde ich es machen wie mein Landsmann und der Lieblingskabarettist meiner Kindheit, Peach Weber. Der ist körperlich um einiges präsenter als du und pflegte zu sagen: Solange ich noch in meine Schuhe reinpasse …«

»Also ich will denen da unten jedenfalls nicht den Appetit verderben.« Bettina hielt inne und fing an, in ihrer Strandtasche zu kramen.

»Was wird das, wenn’s fertig ist?«, fragte Linn, doch da war es ihr auch schon klar.

Bettina begann auf den steilen Stufen ein grünes Gummikrokodil aufzublasen. Als auch die aufgerissene Schnauze mit Luft gefüllt war, gab sie mit dem Kopf das Zeichen zum Weitergehen. Das Gummitier hielt sie sich vor den runden Bauch.

»Weißt du, dass du ganz schön einen an der Klatsche hast?«

»Das musst ausgerechnet du sagen«, giftete Bettina zurück.

Sie hatten die Bucht erreicht und breiteten ihre Badetücher aus. Linn streifte ihre Shorts und das T-Shirt im Eiltempo ab und stand schon schlaksig im Bikini vor Bettina. Ihre feuerrot gefärbten Haare band sie sich aus dem Gesicht. Nachdem sie nach Erscheinen ihres letzten Buches wegen ihres Kurzhaarschnitts von der Presse dauernd mit Laurie Penny verglichen worden war, trug sie die Haare nun wieder länger.

»Ich stürz mich mal zu den Nixen. Na, was ist, bist du dabei?«

»Ach nö«, brummte Bettina missmutig. »Das ist mir jetzt zu anstrengend. Ich will lieber was lesen.«

»As you like«, erwiderte Linn und lief zum Wasser. Um die zwei Männer beim Badminton nicht zu stören, machte sie einen Bogen an den Strandkörben vorbei. So sah sie auch, dass der Glatzkopf mit dem Handy ein leicht fülliger Mittfünfziger war. Immer noch tippte er auf seinem Mobiltelefon herum, neben ihm lag eine fein säuberlich gefaltete Financial Times. Vertieft in sein Display, würdigte er sie jedoch keines Blickes.

Vom nächsten Strandkorb her rief die Sportliche mit dem burschikosen weißen Kurzhaarschnitt, die Linn auf Ende sechzig schätzte, hingegen ein fröhliches »Huhu!«. Ihre Begleiterin verzog unter dem ausladenden Sonnenhut nur einmal kurz die noch immer schönen Lippen zur Andeutung eines Lächelns. Ihre Augen verbarg sie hinter großen, dunklen Brillengläsern. Sie mochte noch etwas älter sein, ihr frisiertes Haar jedoch leuchtete golden und fiel in weichen Locken auf die Schultern. Obgleich sie saß, sah man, dass sie ein raffiniert geschnittenes Leinenkleid trug.

»Tag auch«, grüßte Linn und stürzte sich in die Fluten.

»Sagen Sie Bescheid, wenn Sie Nixen sehen! Dann komme ich nach«, rief ihr die Frau mit den kurzen Haaren hinterher, »die soll’s hier nämlich geben!«

»Ich werde die Augen offen halten«, rief Linn zurück. »Vielleicht angle ich ja eine.«

»O là là!«, jubelte die Burschikose.

Obwohl die Sonne jetzt im Mai schon heftig brannte, war das Wasser noch erschreckend kalt. Linn schwamm einige Minuten, dann hatte sie genug. Wieder zurück auf ihrem Laken, fand sie Bettina immer noch übelgelaunt. Sie hielt das Krokodil auf den Bauch gepresst und blickte starr vor sich hin.

»Frau Heidenreich, das ist doch lächerlich, wie du dich aufführst. Du bist doch keine fünfzehn mehr. Pubertäre Übellaunigkeitsanfälle sollten nun wirklich langsam vorbei sein!«

»Das ist meine Sache. Du kannst da nicht mitreden.«

Just in diesem Moment landete der Badminton-Ball der beiden Männer vor Bettina. Der jüngere der beiden kam auf sie zugerannt.

»Mein Ball liegt zwischen Ihren Füßen«, sagte er. Er war vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt, hatte weißblonde Haare, war auffallend gepflegt und trug eine überaus knapp sitzende Badehose.

»Und jetzt?«, knurrte Bettina betont sonor, griff sich den Federball und dann nach ihrer Zeitschrift. Der Mann war perplex.

»Und jetzt möchte ich ihn wiederhaben.«

Bedächtig schob sie ihre Sonnenbrille auf die Nasenspitze und musterte ihn über den Brillenrand: »Ach so. Möchten Sie das.«

Der junge Mann war von Bettinas Verhalten sichtbar irritiert: »Was wollen Sie? Soll ich jetzt bitte sagen? Also: Ich hätten bitte gerne meinen Ball zurück. Geht’s jetzt?«

»Schon besser.« Bettina holte widerwillig mit dem Ball aus und warf ihn dem Mann direkt vor die glatt rasierte Brust.

»Ist sie immer so?«, fragte er Linn. Er war wirklich von oben bis unten ein auffallend hübscher junger Mann.

Auch Linn hatte sich den Dialog mit steigender Irritation angehört. »Ich fürchte schon. Wissen Sie, meine Freundin ist gerade aus dem Knast geflohen. Sie ist der Meinung, durch Nettigkeit könnte sie auffallen. Also, sagen Sie es bloß nicht weiter.«

»Aha«, erwiderte der Weißblonde und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Ich dachte mir schon so was in der Art. Aber kein Problem, ich hab meinen Zivildienst im Altersheim gemacht und bin einiges gewöhnt. Bei Demenzkranken verliert sich irgendwann der soziale Liebreiz.« Er wollte gerade zu seinem Begleiter zurücklaufen, einem muskulösen Mann mittleren Alters, als dieser auf die Gruppe zukam.

»Ich hoffe, unser Spielchen belästigt Sie nicht«, säuselte er etwas zu guttural und ließ eine ganze Reihe perlweißer Zähne aufblitzen. Auf seinem Brusthaar funkelte eine goldene Kette in der Sonne. »Manchmal denke ich ja, diese kleinen Bälle führen ein Eigenleben. Irgendwie landen sie nie da, wo ich will. Aber zumindest hatten Sie Gelegenheit, sich meinen Freund ganz genau anzuschauen, nicht wahr?«

»Vinz, jetzt lass gut sein, wir gehen weiterspielen«, versuchte der Jüngere die Situation zu retten.

»Ach, er war jetzt nicht der erste Mann, den wir in Badehose sehen, wenn Sie das meinen«, erwiderte Linn, indem sie den Klang seiner Stimme nachmachte. Ihr war der protzige Kerl sofort unsympathisch. Und wie er sich hier aufführte, fand sie ziemlich peinlich.

»Aber bestimmt nicht von dieser Qualität«, gab der Muskelmann mit einem süffisanten Blick auf das Gummikrokodil zurück. »Ich jedenfalls mag es nicht, wenn man meinen Freund so ansieht, merken Sie sich das.« Der gutturale Klang war einem Befehlston gewichen. Doch dann schien er sich wieder zu besinnen und fuhr einschmeichelnd fort: »Sie wohnen sicher auch hier im Hostal, nicht wahr? Wie unhöflich, mich noch gar nicht vorgestellt zu haben! Ich bin Vinzent Fischer. Und das hier ist mein Freund Tom Boie.«

»Fischer und Boie«, murmelte Bettina. »Wie einfallsreich.«

»Wir sehen uns ja dann heute Abend bestimmt zum Dinner«, fuhr der Goldbehängte fort. »Das ist der Vorteil dieses Kleinods hier. Oder auch der Nachteil, je nachdem, Frau …«

»Kegel und Heidenreich«, schmetterte ihm Bettina entgegen. »Und ehrlich gesagt, sind wir nicht hier, um Bekanntschaften zu machen, ob mit oder ohne Badehose. Na dann, bis später. Man sieht sich.«

Wieder verschwand der schmeichelnde Ton aus Vinzent Fischers Stimme und der Ausdruck seines Gesichts wurde härter: »Da machen Sie sich mal keine Sorgen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das passiert.« Er drehte sich um und ging. Tom Boie blieb noch einen Moment kopfschüttelnd stehen. »Der ist heute ja wieder richtig Spitze drauf« murmelte er, und zu Linn gewandt: »Na dann, bis später.«

»Unverschämtheit«, knurrte Bettina. »Arroganter Schnösel.«

»Ja, wirklich ein seltsamer Typ. Du warst aber auch nicht gerade der Inbegriff an sozialer Kompetenz. Aber dieser Boie scheint im Gegensatz zu seinem besitzergreifenden Lover ganz nett zu sein. Wie krass ist das denn: Er mag es nicht, wenn man seinen Freund so ansieht? Als hätten wir ihn sabbernd angeglotzt! Das ist doch völliger Quatsch. Und ziemlich psycho.«

»Also dieser Fischer sieht aus wie ein Zuhälter. Auf jeden Fall kommt der doch aus der Halbwelt, so wie der rumläuft. Ich wette mit dir.«

»Es ist so schön, dass du überhaupt keine Vorurteile hast, Bettina!«, erwiderte Linn sarkastisch. »Na egal. Wir werden mit dem Mann nichts zu tun haben. Also lass uns nicht weiter über ihn nachdenken.«

»Wo du recht hast, hast du recht.« Bettinas Kopf verschwand hinter der Zeitschrift.

»Seit wann liest du denn die Brigitte?«

Bettina hielt ihr das Cover unter die Augen.

»Abnehmen ohne üble Laune. 99 Tipps, wie es Ihr Partner auch während der Diät mit Ihnen aushält?«, las Linn fassungslos. »Spinnen die jetzt komplett?«

Bettina zuckte nur mit den Schultern. »Dachte, schaden kann’s ja nicht.«

»Da wäre ich mir aber an deiner Stelle nicht so sicher. Du willst es wohl vorab an mir testen, bevor du es auch an Xaver ausprobierst?«

»Bingo«, gab Bettina ehrlich zu und vergrub sich wieder in die Lektüre.

Linn hingegen merkte jetzt die Müdigkeit. Es war verdammt früh gewesen, als sie am Morgen in Köln aufgestanden war, um pünktlich am Flughafen zu sein. Sie zog ihren nassen Bikini aus, schlüpfte wieder in Shirt und Shorts und beschloss, sich dieser Müdigkeit hinzugeben und für ein paar Minuten die Augen zu schließen. Ein Fehler, wie sich später herausstellen sollte. Doch zunächst hörte sie noch eine ganze Weile das Brechen der Wellen und spürte den leichten Wind des Atlantik auf ihrer Haut. Dann schlief sie ein.

Taugenixen

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