Читать книгу Dorran - Isabel Tahiri - Страница 15

Verbannung

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In Südland erwartete Dorran ein Wachsoldat. „Willkommen in Südland. Gültige Währung sind Wertsteine, aber Gold wird auch gern genommen. Wer stiehlt verliert eine Hand und wer tötet das Leben. Du kannst Dich überall niederlassen, solange Du niemandem etwas streitig machst. Such Dir ein einsames Plätzchen und baue Dir ein Haus. Wir haben nichts gegen euch Bergländer, verhaltet euch anständig und alles ist in Ordnung.“ Dorran bedankte sich und fuhr ein Stück vom Fluss weg.

Simone kroch aus dem Verschlag und umarmte ihn fest. „Tut es sehr weh, ich habe den Soldaten bestochen. Eine alte Frau war bei mir im Wald und hat mir erzählt, was sie mit den Verbannten tun, sie brandmarken. Ich war entsetzt, dass sie Dir so etwas antun würden. Die Alte meinte, für einen Wertstein würde der Soldat das Eisen nur ganz leicht aufdrücken und einen mit Honig getränkten Lappen auflegen. Hat er das getan?“ Sie sah ihn prüfend an.

Dorran nickte. „Danke, Simone, aber was machst Du hier? Du solltest bei den Kindern sein.“

Sie schaute ihn liebevoll an. „Den Kindern geht es gut, sie sind erwachsen. Ich habe ihnen einen Brief geschrieben, sie werden es verstehen, aber ich konnte Dich doch nicht allein gehen lassen. Nein, das hätte ich nicht fertiggebracht.“ Er lächelte sie dankbar an und drückte sie noch einmal fest an sich.

„Was jetzt?“ Simone und Dorran beratschlagten und überlegten, was am Besten wäre. Letztendlich beschlossen sie das Land zu durchfahren, das Meer anzuschauen, und dann wieder an die Grenze zu Bergland zurückzukommen. Allerdings nicht hier im Südosten, sondern eher an die westliche Grenze, in der Nähe von Waal. Weit weg von Wolkenstein. Bevor sie wieder zurück konnten, mussten sie mindestens drei Jahre, oder sogar noch mehr, hier in Südland bleiben. Auch Waldland wäre eine Option, aber sie kannten sich nirgends aus, Südland war wenigstens an der Küste dicht besiedelt. Außerdem musste das Brandmal verblassen oder mit ein bisschen Glück auch ganz verschwinden. Und noch viel wichtiger, Hermann von Wolkenstein sollte Dorran vergessen haben.

Damit begann für Simone und Dorran eine lange Reise, die sie hoffentlich am Ende wieder nach Hause führen würde. Sie fuhren erst einmal einfach den Fluss entlang, irgendwann würde er sie ans Meer führen, sie hatten ja keine Eile. An schönen Flecken blieben sie ein paar Tage, ansonsten waren sie einfach unterwegs. Das erste Dorf, dass sie erreichten, hieß Litz, ein seltsamer Name, aber die Einwohner waren freundlich und verkauften ihnen Proviant. Simone und Dorran bekamen für zwei Wertsteine: zehn Kilogramm Mehl, zehn Dauerwürste, ein Fass mit Äpfeln, einen Schinken, einen Sack Zwiebeln, einen Sack Kartoffeln, drei Weinschläuche, zwei große Brote, vier frische Fische und ein kleines Fass mit Butter. Die Preise waren wesentlich niedriger, als in Bergland. Und die Frau mit der Butter, schenkte jedem noch kostenlos einen Becher Milch aus. Beide freuten sich über ihren günstigen Einkauf, damit würden sie viele Tage auskommen. Als sie am Abend rasteten, brieten sie die Fische in frischer Butter, tranken Wein direkt aus dem Schlauch und aßen zum Nachtisch Äpfel. Angenehm gesättigt legten sie sich frühzeitig schlafen.

Am nächsten Morgen räumte Simone den ganzen Wagen aus. Dorran sammelte Holz und half ihr, als er zurückkam. Alles musste neu sortiert werden, um sich einen Überblick zu verschaffen. Die Plane war noch gut, die hatten sie schon ein paar mal benutzt. Topf und Pfanne gut geölt, aber das Öl ging langsam aus. Bettzeug, Kleidung, alles in bester Ordnung. Dorrans Bogen war weg, ebenso sämtliche Pfeile. Ein herber Verlust, bis er das richtige Holz für einen neuen Bogen fand und eine gute Sehne, könnte es etwas dauern. Und mit Fallen zu jagen, würde sie zwingen, irgendwo länger zu bleiben. Gut, Zeit war ja nicht ihr Problem. Dann räumten sie alles wieder ordentlich ein und zählten ihre Barschaft, insgesamt zweiundsiebzig Wertsteine hatten sie noch. Das würde eine Weile reichen, und vielleicht fand einer von ihnen Arbeit im nächsten Dorf.

Dorran und Simone fuhren ein Stück den Fluss entlang, bis sie eine geeignete Stelle für ein Lager fanden. Diesmal beabsichtigten sie länger zu bleiben. Simone wollte dringend Wäsche waschen, deshalb wählten sie den Platz sorgfältig aus. Am späten Nachmittag wurden sie fündig. Nahe dem Fluss standen ein paar Bäume, dort würde man die Plane gut befestigen können. Sie schoben den Wagen in eine günstige Position, breiteten die große Stoffbahn aus und zogen sie über den Wagen bis an die Bäume, so erhielten so wieder ihren trockenen, geschützten Platz. Dorran befestigte die Plane an Wagen und Bäumen und fegte den Boden darunter. Er sammelte Steine am Fluss um sie zu einem Ring auszulegen. Simone wusch die Wäsche im nahen Fluss, und hängte sie an den Ästen der Bäume auf. Dorran entfachte ein kleines Feuer und sammelte noch mehr Holz. Das Pferd hatte er ausgespannt, es graste mit zusammengebundenen Vorderläufen friedlich auf der Wiese. Gekocht wurde später gemeinsam, es gab Eintopf aus einem Stück Schinken, zwei Zwiebeln und ein paar Kartoffeln. Simone entdeckte wilden Thymian, er wuchs offensichtlich auf der ganzen Insel, der den Geschmack abrundete. Später verband sie Dorrans Hand neu, das Brandmal heilte wirklich gut, es tat auch kaum noch weh. In dieser Nacht liebten sie sich in der Sicherheit ihres Verschlages und schliefen danach eng umschlungen ein.

Sie blieben eine ganze Woche an diesem Plätzchen, kein einziger Mensch kam vorbei. Sie kamen sich aber überhaupt nicht isoliert vor, im Gegenteil, sie genossen die stille Zweisamkeit. Es fiel ihnen fast schwer, wieder von dort aufzubrechen, aber sie mussten bald ein paar Vorräte kaufen, Öl und Butter auf jeden Fall. Außerdem war inzwischen Ende September, man sollte sich langsam auf den Winter einrichten. Also spannten sie das Pferd ein und fuhren weiter den Fluss entlang.

Ihre nächste Station hieß Mitzili, ein winziges Dorf, direkt am Fluss auf einer kleinen Ebene gelegen. Dort gab es zwar keine Arbeit, aber es war gerade geschlachtet worden, für einen Wertstein bekamen sie einen Braten, frische Bratwürste, ein Fass gesalzenes Fleisch und einen Topf mit ausgelassenem Fett. Öl hatten sie dort keines, aber Schmalz war auch gut. Bei einer Frau tauschten sie ein paar der Äpfel gegen sechs Eier ein. Man hatte auch nichts dagegen, dass Dorran und Simone am Dorfrand in ihrem Wagen übernachteten. Sie wurden am Abend sogar an das große Küchenfeuer eingeladen und bekamen gekochtes Fleisch aus dem Kessel. Brot und Salz wurde herumgereicht. Das waren wirklich freundliche Leute hier, der Abend ging schnell vorbei. Dorran half am anderen Tag ein paar Stunden beim Holzhacken, was gerne als Dank für das Essen angenommen wurde.

Nach einer weiteren Woche verließen sie langsam die Berge, man merkte es sofort. Der Weg war breiter, flacher und mit wesentlich weniger Geröll übersät. Es wurde plötzlich wieder wärmer, tagsüber brauchte man keine Jacke mehr, dabei hatte man bereits Herbst. Offensichtlich, war es im Süden viel wärmer als in Bergland. Dorran und Simone überlegten, ob sie nicht sogar im Wagen überwintern könnten. Sie müssten sich noch eine Plane, oder auch zwei, kaufen, wie damals in Waal und genügend Vorräte. Unterwegs begegneten sie jetzt auch anderen Reisenden, aber die meisten waren kurz angebunden, Guten Tag und Guten Weg, ein richtiges Gespräch entwickelte sich nicht. Die beiden Reisenden fanden das sehr schade, hätten sie doch gerne ein paar Neuigkeiten erfahren.

Irgendwann trafen sie Alfonso und seine Familie, sie zeichneten sich durch bunt bemalte Wagen und ein freundlich, fröhliches Wesen aus. Man rastete an der gleichen Stelle am Fluss und kam vorsichtig abtastend ins Gespräch. Dorran war der Mann sofort sympathisch, was scheinbar auf Gegenseitigkeit beruhte. Auch Alfonso wollte in den Süden ans Meer, er überwinterte alle zwei Jahre dort. Dorran und Alfonso verstanden sich gut, Simone kam bestens mit Aurora, seiner Frau, zurecht. Als die Fahrt dann weitergehen sollte, wurde man sich rasch einig, fortan wollte man gemeinsam reisen. Das hatte für Dorran und Simone natürlich Vorteile. Alfonso kannte sich aus, und wusste genau, wo es was zu kaufen gab. Aber auch Nachteile, oft wurden sie schon am Ortsrand wieder verjagt, fahrendes Volk war nicht überall willkommen. Dieses Problem löste Dorran, indem er vorschlug, für alle einzukaufen. Wenigstens in den Dörfern, in denen Alfonso und seine Familie nicht willkommen waren. Die Idee wurde freudig begrüßt. Als Dorran ihre Wünsche auch noch aufschrieb, er hatte beim Aufräumen ein Buch mit leeren Seiten gefunden, waren sie begeistert.

Alfonso gab ihm gleich fünf Wertsteine mit, als er mit Simone voraus fuhr nach Beata, um die Idee zu testen. Problemlos kaufte er alles von seiner Liste und auch noch eine Menge anderer Dinge für sich selbst, unter anderem zwei Kannen gutes Öl. Für alles zusammen benötigte er nur zwei Wertsteine. So preisgünstig wie in Litz war es in Beata auch, eigentlich im ganzen Süden. Für zwei Wertsteine hätte man in Bergland kaum etwas bekommen. Jetzt aber war ihr Wagen bis unters Dach mit den herrlichsten Dingen vollgestopft.

Es war abgemacht, sich eine Flussbiegung weiter, wieder mit Alfonso zu treffen. Dorran wunderte sich über das Vertrauen, dass Alfonso zu ihnen hatte, manch einer wäre mit den fünf Wertsteinen vielleicht durchgebrannt. Er war froh, so gut eingekauft zu haben, er wollte Alfonso nicht gerne enttäuschen. In der kurzen Zeit, hatte Dorran bereits das Gefühl, einen guten Freund gewonnen zu haben. Offensichtlich sah Alfonso das genau so. Beim Ausladen unter freudigem Geschrei, zeigte sich erst, wie viel Dorran und Simone wirklich gekauft hatten. Die ganze Wiese lag voller guter Sachen. Alfonso kramte seine Geldbörse heraus und fragte Dorran, was er denn nun noch bezahlen müsse.

Dorran winkte ab. „Äh, Alfonso, Du bekommst noch drei Wertsteine zurück, Du musst mir nichts mehr geben.“

Der sah ihn erstaunt an. „Was? Das hast Du alles für zwei Wertsteine gekauft? Diese Verbrecher, ich hätte für die fünf Steine nicht einmal die Hälfte bekommen. Ein Segen, das wir euch getroffen haben. Ab jetzt bist Du mein Bruder, kommt herüber ans Feuer, wenn ihr eure Sachen verstaut habt. Dann esst ihr mit uns.“ Er küsste ihn noch rechts und links auf die Wange und lief laut rufend zu seinen Leuten zurück. Beim Abendessen gab es ein ein großes Abküssen und Schulterklopfen, Alfonsos Familie konnte kaum fassen, was sie heute alles bekommen hatten. Man brachte Dorran und Simone die besten Stücke Fleisch, Schüsseln mit Gemüse und Fladenbrot. Es wurde ein schöner Abend, man sang und trank Wein, die Frauen tanzten. Satt und zufrieden fielen alle, spät in der Nacht, auf ihr Lager.

Die Nächte wurden jetzt spürbar kühler, obwohl die Oktobertage immer noch sehr warm waren. Auch einige Tage später, in einem anderen Dorf, machten sie den Einkauf auf dieselbe Weise und auch diesmal erzielte Dorran einen guten Preis. Bei den Lebensmitteln jedenfalls, für zwei warme Jacken mussten sie dagegen drei Wertsteine hinblättern, das war deutlich teurer als in Bergland. Aber Simone und Dorran froren immer gegen Abend und brauchten sie dringend. Trotzdem war es viel Geld.

Das Dorf hieß Klippe und lag an dem berühmten und einzigen Wasserfall auf der Insel Adlerhorst. Sie konnten sich gar nicht daran sattsehen. Das Wasser schoss mit großer Kraft über die Klippen des Donnerflusses, der nach dem Wasserfall deutlich abfiel. Von dem Felsen, auf dem sie standen konnten sie sehen, dass sie einiges an Gefälle überwinden mussten. Dorran fürchtete um Pferd und Wagen, aber Alfonso beruhigte ihn dahin gehend, im schlimmsten Fall, gehe man vor dem Pferd. Dadurch könnte man es bremsen und ihm den Abstieg einigermaßen erleichtern. Aber bis jetzt hatte Alfonso an diesem Streckenabschnitt noch nie Probleme gehabt.

Die nächsten drei Tage ihres Weges hatten sie erwartungsgemäß nur Gefälle, das war anstrengend für Menschen und Pferde. Man rastete deshalb immer bereits am Nachmittag.

Dafür stieg die Temperatur wieder an, auch nachts war es deutlich wärmer, was von allen als angenehm empfunden wurde. Dorran fiel wieder ein, was er damals von Mechthild gelernt hatte, sie waren die ganze Zeit über die Hochebene gereist. Und er hatte gedacht, bereits der erste Abstieg nach der Grenze sei das Hochplateau gewesen. Sie kamen sie sehr gut voran. Lebensmittel kauften sie in Bauernhöfen, an denen sie vorbeifuhren. Hier war unwichtig, wer einkaufen ging, die Bauern machten keinen Unterschied zwischen Alfonso und Dorran, sie hatten einzig Interesse an den Wertsteinen, wer sie ihnen gab, war egal.

Mitte November sahen sie dann das erste Mal das Meer, sie waren noch weit entfernt, aber der Horizont sah anders aus. Alfonso erklärte ihnen, dass es jetzt noch ungefähr zehn Tage dauern würde bis zu ihrer Ankunft. Die Stadt Flusstor ließen sie links liegen, da hatte das fahrende Volk schlechte Erfahrungen gemacht, einkaufen konnten sie weiterhin bei den Bauern. Aber hier verließen sie den Fluss, dem sie so lange gefolgt waren und fuhren in südöstlicher Richtung direkt nach Meerstadt. In der Nähe der Stadt gab es ein großes Winterlager des fahrenden Volkes und Alfonso lud Simone und Dorran dorthin ein, um mit ihnen den Winter zu verbringen. Er versprach, als sie zögerten, dass zumindest Simone Geld verdienen würde, sie konnte die ganze Zeit unterrichten. Das gab den Ausschlag, freudig stimmten sie zu. Den Winter allein und ohne festen Wohnsitz zu verbringen, war eben doch nicht sehr verlockend.

Dorran

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