Читать книгу Dorran - Isabel Tahiri - Страница 5
Station in Keilberg
ОглавлениеThomas´ kleines Tal war von dichtem Wald umgeben. Dorran suchte den Waldrand nach einem Pfad oder Weg ab, der ihn nach Norden führen würde. Erst nach einer ganzen Weile wurde er fündig und begann dem schmalen Pfad zu folgen, der neben einer Brombeerhecke begann. Stunde um Stunde wanderte er dahin, er hatte schon wieder Durst, aber er sah oder hörte nirgends Wasser. Um sich abzulenken dachte er über seine Heimat nach. Die Insel, auf der er lebte war ziemlich groß. Sie hieß Adlerhorst, weil ein vorbeifahrendes Schiff, lange bevor sie besiedelt wurde, unzählige Adler hatte fliegen sehen. Dass Adlerhorst die Heimat der großen Seeadler war, ist allerdings schon ein paar hundert Jahre her, inzwischen gab es längst nicht mehr so viele davon. In Bergdorf hatten sie ganz genau ein Nest gehabt. Er sah sich um, aber der Pfad ließ nicht erkennen, wohin es ging. Alles nur dichter Wald. Seine Heimat lag im großen Weltmeer, weit weg vom Kontinent und von Neottia. Der Kontinent hatte keinen anderen Namen, von dort stammen eigentlich alle, die in der Welt leben. Durch die Seefahrt hatten man verschiedene Inseln entdeckt und besiedelt, Adlerhorst war eine davon. Vor ungefähr einhundert Jahren, wurde dann die neue Welt gefunden. Sie ist noch lange nicht vollständig erforscht, aber der erste Eindruck, den die Seefahrer von ihr erhielten, prägte ihren Namen. Man fand unzählige Orchideen dort vor, in allen Farben und Größen, daher der Name Neottia, was Orchidee bedeutet. Man musste Wochen auf einem Schiff verbringen, um das Festland oder Neottia zu erreichen. Aus der alten Welt kamen die Kelten und andere Volksstämme, auch das fahrende Volk der Insel stammte von dort. In der neuen Welt gab es verschiedene Eingeborenenstämme, die er nicht kannte. Neottia wurde auch erst vor einhundert Jahren entdeckt, darüber hatte Mechthild fast nichts gewusst. Sie hatte vermutet, dass man auf der Welt noch mehr Länder finden könnte, aber das war reine Spekulation. Langsam machte ihn sein Durst verrückt. Er blieb stehen und lauschte, hörte aber nur Vogelrufe. Er riss sich einen kleinen Zweig ab und kaute darauf herum. Den Durst löschte das natürlich nicht, aber es lenkte ein wenig ab.
Er schritt jetzt schnell aus und richtete seine Gedanken wieder auf seine Heimatinsel. Sie unterteilte sich in drei Gebiete, die mit der Zeit eigene Länder wurden. In Waldland, das im Westen lag und dünn besiedelt war. Es bestand aus einem schmalen Küstenstreifen und der Rest fast nur aus dichtem Mischwald. An der Grenze zu Bergland gab es noch einen schmalen Streifen hügeliges Grasland. In Waldland konnte jeder leben, wie er wollte, die einzige Art von Zivilisation gab es im Grenzgebiet. Die Hauptstadt lag dort, sie hieß sinnigerweise Waldstadt. Es gab natürlich ein paar Dörfer, aber wenig und diese richteten sich nur nach sich selbst. Gesetze aus der Hauptstadt nahm man zur Kenntnis, aber nicht sehr ernst. Dorrans Hunger nahm wieder zu, aber das war nicht so schlimm, der Durst plagte ihn ärger. Er schaute sich um und fand, glücklicherweise, ein paar Büsche mit wilden Himbeeren. Er stürzte sich darauf und aß sämtliche Beeren auf. Sie schmeckten nicht nur sehr lecker, sie löschten auch ein wenig seinen Durst.
Gestärkt wanderte er weiter den Pfad entlang, und beschäftigte sich mit der Insel Adlerhorst. Im Osten grenzte Waldland an Bergland, dass wie der Name schon sagt, hauptsächlich aus Bergen und Tälern bestand. Sein Heimatdorf Bergdorf, war das am höchst gelegene Dorf des Landes gewesen. Die Einwohner hatten immer stolz darauf hingewiesen. Im Norden war Bergland relativ dicht besiedelt, es gab dort vor allem die Hauptstadt. Mittelstadt hieß sie, hier hatte man einen Hauch mehr Fantasie bewiesen als in Waldland, aber nicht besonders viel. Bis zum Meer war das Land gleichmäßig hügelig, mit Wald und Grasflächen bedeckt. Dort gab es auch die meisten Weizenfelder, denn in Keilberg stand die bislang einzige Getreidemühle des Landes. Im Westen von Bergland war der große Bergadlersee, dessen Abfluss durch Waldland ins Meer floss. Hier wurden Süßwasserfische gezüchtet, Körbe aus Schilf geflochten und noch andere Dinge hergestellt. Leider hatte er nicht gut aufgepasst, als Mechthild ihm vom See erzählt hatte. Im Osten ging das Gebirge bis zum Meer, wo es in hohen Klippen den Rand von Bergland darstellte. Im Süden war die Landschaft nur noch leicht hügelig, die Hügel gingen nach einer Weile in eine endlose Grassteppe über. Dort gab es ein paar Burgen, schön an der Grenze zu Südland verteilt. So nach dem Motto, sicher ist sicher. Aber soweit er von Mechthild wusste, waren die Südländer friedliche Menschen, die sich überhaupt nicht für den Norden interessierten.
Seine Gedanken wurden unterbrochen, als er an einen Bach kam. Endlich! Dorran trank das kühle Wasser in großen Zügen. Danach blieb er einfach am Ufer liegen und ruhte sich aus. Es musste schon Nachmittag sein, aber durch die Bäume konnte er den Himmel nicht sehen. Er hoffte, bald eine andere Ansiedlung zu finden, im Wald würde er ungern übernachten. Nicht, dass er Angst hätte, aber hier kannte er sich überhaupt nicht aus. Er musste wenigstens so lange aus dem Wald heraus um seine Richtung zu bestimmen. Inzwischen konnte ihn der Pfad in irgendeine beliebige Richtung führen, er würde es nicht merken. Zeit, weiter zu gehen. Dorran trank noch einen großen Schluck aus dem Bach und setzte sich wieder in Bewegung. Er beschäftigte sich jetzt mit Südland. Es wurde von zwei großen Flüssen durchzogen, dem Donnerfluss, der seinen Namen wohl von dem großen Wasserfall hatte, der von einem Hochplateau in die Ebene rauschte. Und dem Dreiländerfluss, der seinen Namen davon hatte, dass er durch alle drei Länder floss. Er entsprang im Bergadlersee und wurde von unzähligen Quellen auf seinem Weg gespeist. Südland war an drei Seiten von Meer umgeben und hatte zwei große Häfen, in Meerstadt und in Kap Azul. Alle ausländischen Waren wurden hier von Schiffen gebracht und heimische Erzeugnisse wieder mitgenommen. Ihm fiel wieder ein, was Mechthild ihm darüber erzählt hat. Auf der ganzen Insel wurde fast nirgendwo Eisen bearbeitet, es gab wohl Erz in den Bergen, aber das Meiste wurde abgebaut und verschifft. Es gab nur zwei Eisenhütten auf der ganzen Insel, eine in Bergland und eine in Waldland. Beide waren an ein Bergwerk angeschlossen. Den einen oder anderen Schmied gab es natürlich schon, aber sie arbeiteten nur für sich und ihr näheres Umfeld, nichts von dem, was sie herstellten kam auf die großen Märkte. Wenn man hier eine Klinge kaufen wollte, war sie teuer und garantiert nicht aus Adlerhorst. Das verstand Dorran zwar nicht, aber Mechthild war der Meinung, es gäbe einfach keine Leute hier, die sich mit Eisen gut genug auskennen würden, um Stahlklingen herzustellen.
Ansonsten wurde natürlich gefischt und Muscheln gesammelt, die steinige Küste bot sich dafür an. Kap Azul, die Hauptstadt lag an, dem für Seefahrer gefährlichen, Kap Sturmwind, das jedes Jahr seine Opfer forderte. Ansonsten war eigentlich nur die Küstenregion dicht besiedelt, im Inland gab es wenige kleine Dörfer oder Städtchen, dafür aber sehr viele, vereinzelt gelegene, Bauernhöfe. Ach ja, Sommerau sollte man noch nennen, dort gab es die einzige Kathedrale der ganzen Insel. Entsprechend stolz waren die Einwohner von Sommerau, man hatte nicht gerne mit ihnen zu tun, sagte jedenfalls Mechthild, sie seien hochmütig, fast schon überheblich.
Gegen Abend kam er endlich wieder einmal aus dem Wald heraus, vor ihm erstreckten sich eine Menge Getreidefelder. Sein Blick fiel auf eine kleine Stadt. Das musste Keilberg sein, anhand der Felder konnte er es erraten, nirgends gab es so viele. Hier wurde fast das gesamte Mehl des Landes erzeugt. Nur hier gab es eine Getreidemühle, die direkt an einem Bach lag. Er konnte sie auch schon sehen, ein Rad bewegte die Mahlsteine, angetrieben von der Strömung des Baches. Jedenfalls hatte er das so von Mechthild gehört. Eigentlich alles, was er über sein Land und die Insel gelernt hatte, stammte von ihr. Sie hatte ihm Lesen und Schreiben beigebracht, aber bedauerlicherweise kein einziges Buch besessen. Damit er üben konnte, hatte sie sich eines ausgeliehen, vom Dorfbüttel, der besaß nämlich eine Bibel. Leider ging das nicht lange gut, als man bemerkte, dass der fremde Junge die Bibel des Dorfes las, war man über ihn hergefallen, hatte ihn verprügelt und ihm das Buch entrissen. Im Anschluss daran wurde die arme Mechthild schwer gerügt. Sie durfte, zur Strafe, zwei Sonntage nicht zur Bibellesung zum Büttel kommen. Seitdem hatte Dorran kein Buch mehr gesehen. Aber seine Ziehmutter hatte ihm viele Geschichten über seine Heimat erzählt, darunter auch über diese Mühle hier in Keilberg.
Die Stadt war nicht besonders groß, aber die Einwohner angeblich alle sehr reich. Gutes feines Mehl war teuer, in Bergdorf wurden die Körner von Hand gemahlen. Das Mehl war deshalb eher grob, man konnte natürlich Brot daraus backen, aber keinen Kuchen. Den würde er gerne einmal probieren, in seinen sechzehn Lebensjahren hatte er noch nie Kuchen bekommen. Zum Ausgleich dafür hatte Mechthild immer Süßspeisen für ihn gemacht. Meistens Quarkspeisen, der Quark war einfach herzustellen. Manchmal auch Pudding, aber für den musste sie sich ordentlich anstrengen, bis das Mehl fein genug gemahlen war. Entsprechend selten kam er auf den Tisch.
Ihm fiel sein Geburtstagsessen wieder ein, das zugleich auch sein Abschiedsessen gewesen war. Er meinte den Zimtpudding noch zu schmecken. Zimt war ebenso selten und nur durch einen Zufall in Mechthilds Hände gelangt, ein Hausierer hatte es dabei. Wenn er nicht Medizin benötigt hätte, wäre Mechthild nie in den Besitz von Zimt gekommen. Aber so erhielt sie es als Bezahlung. Sie hatte sich die größte Mühe gegeben, ihm den Abschied zu versüßen.
Im Geiste bedankte er sich noch einmal bei ihr, für alles, was sie je für ihn getan hatte.
Keilberg lag auf einer kleinen Insel, jedenfalls sah das so aus. In Wahrheit war das Areal von Bächen umgeben, über die verschiedene Brücken führten. Umgeben war es von einem Palisadenzaun, die Häuser waren allerdings aus Steinen gebaut. Sie hatten bunte Ziegeldächer, das sah Dorran zum ersten Mal. In Bergdorf waren die Dächer mit Stroh gedeckt, auch in Thomasdorf war das so gewesen. Es stimmte offensichtlich, die Leute hier waren reich.
Er ging näher an den Ort heran, wurde aber an der Brücke, die über den Bach führte von einem Wachposten aufgehalten.
Dieser sah ihn misstrauisch an. „Wer bist Du und was willst Du hier?“
Er gab die gewünschte Auskunft. „Mein Name ist Dorran, ich komme von Bergdorf, und suche Arbeit für Essen.“
Der Mann musterte ihn von oben bis unten und entschied sich dann dafür ihn durchzulassen.
„Geh in die Schänke, da hilft man Dir sicher weiter.“
Tatsächlich machte der Wirt ihm ein Angebot. „Du musst aber mindestens eine Woche bleiben, das ist die Voraussetzung. Dann kannst Du hier wohnen, bekommst drei gute Mahlzeiten am Tag und machst alle Arbeit, die ich Dir auftrage. Wenn ich am Ende zufrieden mit Dir gewesen bin, bekommst du für jeden Tag, den du gearbeitet hast einen Wertstein. Einverstanden?“ Dorran überlegte nicht lange und willigte ein. Er hatte es nicht eilig, und ein paar Wertsteine zu besitzen würde ihm auf der Reise in den Norden bestimmt nicht schaden. Für einen Wertstein konnte man sich ein Brot, eine Dauerwurst und einen Krug Bier oder auch Milch kaufen. Die Bezahlung war also nicht besonders großzügig bemessen, aber dafür gab es drei Mahlzeiten am Tag und ein Dach über dem Kopf.
Hier in Bergland, waren die Wertsteine überall gültig. Er erinnerte sich nicht mehr, ob Wertsteine auch in Südland und Waldland die gültige Währung waren. Aber selbst wenn nicht, solange, bis er für seiner Suche vielleicht das Land verließ, konnte er sich davon etwas kaufen. Dorran wusste auch schon, was er sich gerne zulegen würde. Einen Wasserschlauch aus Ziegenleder, mit einer Kordel, damit er ihn um den Hals oder über der Schulter tragen konnte. Und, wenn das Geld reichte, einen schönen Rucksack aus Leder. Dann hätte er endlich die Hände frei beim Wandern. Wenn er sehr viel verdienen würde, wären auch ein paar Stiefel nicht schlecht. Aber notfalls ging er eben barfuß, wenn seine alten Stiefel endgültig auseinanderfielen. Jetzt würde Dorran also das erste Mal selbst Geld verdienen, er hatte in seinem Leben allerdings noch nicht viele Wertsteine gesehen. Eigentlich nur die seiner Ziehmutter, wenn er genau darüber nachdachte. Sie waren aus einem fast durchsichtigen Stein gewesen, keiner sah wie der andere aus. Aber sie funkelten wunderbar in der Sonne. Wenn man sie eine Weile in der Hand hielt, wurden sie warm. Mechthild hatte zwölf Stück besessen, sie aber nie angerührt. Alles was sie benötigten, tauschte sie mit ihren Kräutern und Salben ein. Die Wertsteine vergrub sie unter ihrem Bett, für schlechte Zeiten.
Der Wirt bedeutete Dorran sich zu setzen und stellte ihm eine Schüssel mit dicker Suppe auf den Tisch. Er legte ein auch großes Stück Schwarzbrot dazu. „Das muss für heute reichen, dann zeige ich Dir wo Du schlafen wirst und im Morgengrauen geht es dann los.“ Dorran nickte, er war müde, und aß schweigend seine Suppe und das Brot. Es schmeckte gut, so würzig. Danach führte der Wirt ihn nach draußen und zeigte ihm einen Schlafplatz im Stall. Eigentlich war es eine leere Pferdebox, aber das Stroh roch frisch. Er bekam noch eine Decke, dann war er allein. Er schaute sich um, der Stall wirkte gepflegt und sauber. Erschöpft wickelte er sich in die Decke, rückte sich ein bisschen im Stroh zurecht und war kurz darauf eingeschlafen.
Als eine Magd ihn wieder weckte, war es noch dunkel. Sie nahm ihn mit in die Küche und gab ihm einen Becher warme Milch und etwas Brot. „Wenn Du morgens etwas essen willst, musst Du immer so früh aufstehen wie heute, sonst kommst Du nicht mehr dazu. Wenn der Wirt erst mal auf ist, scheucht er einem den ganzen Tag herum. Ach, übrigens, wie heißt Du eigentlich? Also ich bin die Gretel, jedenfalls sagen alle so zu mir. Getauft wurde ich allerdings auf Margarethe, aber niemand nennt mich so.“ Sie redete auf ihn ein, während er noch versuchte richtig wach zu werden. Aber sie lächelte ihn dabei freundlich an. Er sagte ihr also seinen Namen und bedankte sich für ihren Rat. Sie grinste. „Kein Problem, Dorran, ein seltsamer Name, woher kommt er?“
„Meine Ziehmutter stammt von den Kelten ab, hat sie jedenfalls erzählt, daher dieser Name. Er bedeutet Fremder.“
Sie lachte hell auf. „Na das bist Du ja auch.“ Gretel steckte sich noch ein Stück Brot in den Mund und verließ die Küche. Dorran blieb allein zurück, aber nicht sehr lange. Der Wirt kam herein gerauscht und als er ihn sah, teilte er dem jungen Mann gleich eine Arbeit zu. „Du machst als erstes die Schankstube sauber. Abfälle bringst Du der Sau in den Stall, Teller und Becher in die Küche. Dann Tische abwischen, aber gründlich, wenn ich bitten darf. Danach den Boden fegen. Wenn um die Mittagszeit die ersten Leute kommen, muss hier alles blitzblank sein. Kannst du das?“ Dorran nickte und verschwand in den Schankraum.
Nach drei anstrengenden Stunden glänzte endlich alles sauber und frisch. Am Längsten dauerten die Tische, es war ihm gestern gar nicht aufgefallen, aber anscheinend verschütteten die Gäste ständig ihr Bier oder ließen das halbe Essen auf dem Tisch zurück. Heute war es natürlich angetrocknet und es dauerte ewig, bis er alles gesäubert hatte. Als er damit fertig war, ging er wieder in die Küche zurück. Dort traf er Gretel. „Iss schnell etwas, dann wirst Du spülen müssen. Ich muss dabei helfen die Teller und Becher an die Tische zu bringen. Fang am Besten sofort, nachdem Du gegessen hast, damit an.“ Er nickte. Sie schob ihm eine Schüssel mit Eintopf herüber und legte eine dicke Scheibe Weißbrot dazu. Dann rannte sie hinaus.
Während er aß kam die Wirtin herein, eine dicke, gemütlich aussehende Person. Sie lächelte ihn freundlich an. „Ah, Du bist der Neue, Dorran, stimmts?“ Als er nickte fuhr sie fort. „Die Schankstube hast Du ganz allein saubergemacht? Die Gretel hat Dir nicht geholfen?“ Als er verneinte, lobte sie ihn. „Ich war ganz überrascht, der letzte Bursche war furchtbar, aber Du hast es sehr gut gemacht, so sauber war es schon lange nicht mehr.“ Dann langte sie in einen Topf und legte ihm noch eine Wurst in seine Schüssel. „Lass es Dir schmecken. Nach dem Essen spülst Du da hinten am Ziehbrunnen, das Geschirr, die Becher und zum Schluss die Töpfe. Gretel bringt Dir alles hinaus.“ Sie zeigte ihm noch das große Bord, auf das er alles Gespülte zum Trocknen stellen sollte. Dann wendete sie sich wieder ihren Töpfen zu und beachtete Dorran nicht weiter.
Als er auch noch die Wurst verputzt hatte, begab er sich in den Hof und begann zu spülen. Die Flut an Bechern und Tellern schien nicht enden zu wollen, zum Glück brachten die Leute ihr eigenes Besteck mit. In der Schankstube war anscheinend ordentlich was los, denn Gretel kam immer wieder mit Nachschub für Dorran. Es war schon dunkel, als er den letzten Topf für heute scheuerte. Die Wirtin hatte Dorran zum Abendessen gerufen. „Nach diesem Topf machst Du Schluss für heute, das reicht für Deinen ersten Tag. Komm rein und iss. Danach kannst Du schlafen gehen. Was jetzt noch kommt, soll die Gretel in einen Eimer mit Wasser werfen, dann ist es morgen leichter zu spülen.“ Erschöpft aß er den wirklich schmackhaften Eintopf, den die Wirtin erneut mit einer Extrawurst krönte. Dorran sah sie dankbar an und verschwand sofort nach dem Essen im Stall.
So verliefen eigentlich alle seine Tage, aufräumen, putzen, spülen. Dazwischen Essen und schlafen, aber es machte ihm nichts aus. Das Essen war wirklich gut und die Wirtin belohnte seinen Fleiß oft mit einer Extrawurst. An jedem Nachmittag bekam er ein Stück Kuchen, was wie ein kleines Wunder für ihn war. Meist war es ein einfacher Rosinenkuchen, aber er schmeckte köstlich, duftig locker gebackener Teig, mit dicken Rosinen. Am Sonntag bekam er dann ein Stück Erdbeerkuchen, Dorran aß ihn ganz langsam und genoss jeden Bissen.
Die Woche war sehr schnell vorbei, er musste weiter. Wehmütig dachte er an das gute Essen, dass er hier bekommen hatte, vor allem den Kuchen würde er vermissen. Aber als er gehen wollte, baten die Wirtsleute ihn, noch eine Woche dranzuhängen. Sie seien sehr zufrieden mit Dorran gewesen, zahlten ihm zehn Wertsteine aus und stellten ihm fünfzehn weitere in Aussicht, wenn er bleiben würde. Dorran fragte nach dem nächsten Markttag, bevor er zusagte. Der war am dritten Sonntag im Mai, also in zehn Tagen. Solange würde er bleiben, aber dann musste er weiter. Er besaß jetzt schon fast soviel Geld, wie Mechthild ihr Leben lang besessen hatte. Den Wasserschlauch aus Ziegenleder, den Rucksack und sogar ein Paar neue Stiefel, könnte er sich auf jeden Fall leisten. Da er noch weitere zwanzig Wertsteine verdienen sollte in den nächsten zehn Tagen, würde sogar noch etwas übrigbleiben.
Dann kam das Unwetter, es regnete und stürmte, die Straßen und Wege wurden fast unpassierbar, der Markttag fiel aus. Dorran musste in der Schankstube schlafen, im Stall war es nicht mehr trocken genug. Er blieb also noch einen Monat länger, denn Stiefel, Rucksack und Lederschlauch wollte er unbedingt für seine Weiterreise haben. Inzwischen hatte er sich angewöhnt, kaum, dass der letzte Gast gegangen war, alle Abfälle, die er auf den Tischen fand, in den Schweinetrog zu werfen. So schlief er besser, ohne den Geruch der Essensreste und am Morgen war er viel schneller mit der Arbeit fertig.
Zu Essen bekam er immer nur gute Sachen, im Prinzip dasselbe, wie die Gäste. So kam er in den Genuss einiger Köstlichkeiten wie Rinderbraten, Fasan, diverse Hühnerteile, Lamm und Fisch. Auch von den Süßspeisen durfte er sich nehmen, allerdings erst am Abend, von dem, was übrigblieb. Meist gab es verschiedene Puddings, aber auch kleine Küchlein oder eine sahnige Creme, die die Wirtin mit Wein herstellte waren darunter. Er hatte deutlich zugenommen, wirkte kräftiger, als bei seiner Ankunft, aber fett war er noch nicht. Und da er seine Reise zu Fuß machen würde, machte er sich deshalb auch keine Sorgen.
Endlich war es soweit, die Wirtsleute zahlten ihm seinen letzten Lohn aus, zwanzig Wertsteine, dann schulterte er sein Bündel und schlenderte über den Markt. Sie hatten ihn nur widerstrebend gehen lassen, aber eingesehen, dass er weiter musste. In den sieben Wochen hatte er einhundertzwanzig Wertsteine verdient, und nicht einen davon ausgegeben. Die hilfsbereite Gretel hatte ihm einen schlanken Beutel genäht, den er mit einer Kordel um den Bauch binden konnte, darin bewahrte er sein kleines Vermögen auf. In der Tasche hatte er zwanzig Wertsteine, damit würde er ziemlich weit kommen, er stellte ja keine großen Ansprüche.
Dorran fand einen großen Wasserschlauch, den er gefüllt kaufte, da konnte er auch gleich sehen, ob er dicht war. Er kostete den Inhalt, es war ein billiger saurer Wein, aber mit Wasser vermischt, konnte er ihn gut trinken. Zwei Wertsteine hatte ihn das gekostet, aber Dorran brauchte auch noch Stiefel. Seine waren schon lange zu klein, die Spitzen abgeschnitten, damit die Zehen Platz hatten. Er sah sich nach einem Stand mit Schuhen um. Beim Schuhmacher erstand Dorran ein paar weiche Stiefel aus Kalbsleder, die wunderbar verarbeitet waren, vier Wertsteine, ein guter Preis. Auch zwei Hemden und eine neue Hose, einen Ledergürtel und zwei Halstücher wurden gekauft. Außerdem einen Rucksack aus robustem Leder für zwei Wertsteine, groß genug für seine neuen Kleider, den Schinken und das Brot, dass die Wirtin ihm zum Abschied geschenkt hatte. Der kleine Steinkrug mit Schnaps vom Wirt, passte ebenfalls noch gut hinein. Er schlug ihn in sein Wickeltuch ein und verstaute dann alles in seinem neuen Rucksack. Dorran kam sich reich vor und war dankbar, für das Glück, hier Arbeit gefunden zu haben. Um die Mittagszeit war er bereits unterwegs, unverdrossen marschierte er weiter Richtung Norden.