Читать книгу Gefunden! Ein Traumprinz für Jessica - Isabella Defano - Страница 4
1. Kapitel
ОглавлениеFast fünf Monate später
Es war bereits Mitte November, als Jessica in der österreichischen Stadt Judenburg ankam. Laut den Adoptionspapieren, die sie vor einigen Monaten im Arbeitszimmer ihrer Eltern gefunden hatte, wurde sie hier adoptiert. Lange hatte sie mit sich gerungen, ob sie diesen Weg gehen sollte, denn immerhin lag die Geschichte nun schon fast 20 Jahre zurück. Doch am Ende siegte die Neugierde. Sie wollte einfach wissen, wer sie war.
Kurz nachdem sie den Brief gefunden hatte, versuchte sie, die Wahrheit einfach zu verdrängen und irgendwie weiterzuleben. Da es keine Versicherungsunterlagen oder ähnliche Vorsorgemaßnahmen ihrer Eltern gab, wurde ihr Elternhaus zwangsversteigert. Wütend und fassungslos musste Jessica ihr Heim, in dem sie fast 20 Jahre ihres Lebens verbracht hatte, verlassen. Das Einzige, was ihr von ihren Eltern blieb, waren einige Fotos und der Schmuck ihrer Mutter.
Aber Jessica hatte auch Glück. Aufgrund ihrer guten Noten hatte sie sich für ein Stipendium qualifiziert. Wie geplant, begann sie daher mit ihrem Jurastudium, um so in die Fußstapfen ihrer Eltern zu treten. Schließlich hatten sie sich genau das für ihre Tochter gewünscht und Jessica wollte sie nicht enttäuschen. Leider musste sie schnell erkennen, dass ihr dieser Studiengang überhaupt nicht lag. Sie hasste es, sich mit den eher trockenen Gesetzestexten befassen zu müssen. Lieber würde sie etwas Richtiges tun. Irgendwann musste sie der Tatsache ins Auge sehen, dass sie nun mal keine geborene Anwältin war. Nicht so wie ihr Vater, der bereits in dritter Generation Jura studiert hatte. Sie begann, ihr Leben und ihre Entscheidungen infrage zu stellen. Musste plötzlich immer wieder an ihre Adoption denken. Wieso wurde sie zur Adoption freigegeben? Wieso hatte ihre Mutter sie nicht gewollt? Wer waren ihre leiblichen Eltern? Hatte sie vielleicht noch Geschwister? All diese Fragen beschäftigten Jessica mit jedem Tag mehr und ließen sie nicht mehr los. Ihr Studium wurde immer unwichtiger und so beschloss sie, es abzubrechen und diesen Fragen auf den Grund zu gehen.
Als ein anderer Reisender plötzlich mit Jessica zusammenstieß, kam sie in die Gegenwart zurück. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie sich immer noch auf dem Bahnsteig befand. Überall liefen andere Reisende hin und her, während ein Zug nach dem anderen ankam und wieder abfuhr. Um nicht weiter im Weg herumzustehen, ging Jessica den Bahnsteig entlang zum Ausgang. Dort setzte sie sich auf einen der Wartestühle und dachte über ihre weiteren Schritte nach.
Die Entscheidung, nach Judenburg zu fahren, hatte sie ganz spontan getroffen, denn Jessica kannte sich gut. Sie war sehr gut darin, Dinge vor sich herzuschieben und erfand immer neue Ausreden. Wahrscheinlich hätte sie der Mut verlassen, wenn sie nicht sofort gefahren wäre. Oder die Eltern ihrer Freundin, bei denen sie gerade lebte, hätten es ihr ausgeredet. Trotzdem konnte sie ihre Zweifel nicht ganz abschütteln. Wie bereits die gesamte Fahrt über, fragte sich Jessica auch jetzt wieder, ob dies wirklich der richtige Weg sei. Immerhin besaß sie überhaupt keine Hinweise zu ihren leiblichen Eltern. Also, wo sollte sie anfangen zu suchen? Sie hatte nur ein altes Babyfoto aus ihrer Zeit im Krankenhaus. Schließlich stand sie auf und ermahnte sich selbst.
„Ich werde bestimmt keine Antworten bekommen, wenn ich hier nur rumsitze. Das Jugendamt wird schon etwas wissen, was mir weiterhilft.“
Alle Reisenden in ihrer Nähe schauten plötzlich zu Jessica hin. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie diese Worte laut ausgesprochen hatte. Verlegen verließ sie das Bahnhofsgebäude und machte sich auf den Weg. Sie würde ihre Antworten schon bekommen. Musste einfach wissen, wer sie war. Vielleicht konnte sie dann anfangen, ihr Leben neu zu ordnen.
Es dauerte fast eine Stunde, bis sie vor dem Jugendamt ankam. Zwar hatte sie mithilfe ihres Smartphones schnell die Adresse herausgefunden, jedoch einmal leider den falschen Bus erwischt. Schnell ging sie hinein, denn bereits in einer halben Stunde würden die Sprechzeiten enden. Zu ihrem Glück war nicht mehr sehr viel los und bereits nach zehn Minuten wurde sie in ein Sprechzimmer gerufen.
„Frau Neumann! Bitte setzen Sie sich. Mein Name ist Loreen Gerber. Wie kann ich Ihnen helfen?“
Schnell setzte sich Jessica auf den angebotenen Stuhl. Nach kurzem Zögern begann sie, zu sprechen.
„Ich wurde als Baby adoptiert. Jetzt suche ich nach meinen leiblichen Eltern und hoffe, dass Sie mir helfen können.“
Hastig zog Jessica die Adoptionspapiere aus ihrer Tasche und reichte sie der Frau. Diese las sich alles ganz genau durch und wandte sich danach wieder Jessica zu.
„Gut! Ich werde im Computer nachschauen, welche Informationen gespeichert wurden.“
Minutenlang gab Loreen Gerber etwas in ihren Computer ein. Zwischendurch nahm sie sich immer wieder die Unterlagen vor, bis sie Jessica schließlich leicht irritiert anschaute.
„Es tut mir leid, aber ich kann einfach keine Unterlagen in unserem System finden. Die Adoptionsdaten werden zwar bei uns zwischen 20 und 30 Jahren gespeichert, aber nach der Umstellung wurden nicht alle Dokumente digitalisiert. Möglich, dass Ihre Akte im Archiv zu finden ist.“
Frustriert sah Jessica die Jugendamtsmitarbeiterin an. Von diesem Gespräch hatte sie sich mehr erhofft.
„Und was passiert jetzt?“
„Ich habe Ihren Fall notiert und lasse die Unterlagen heraussuchen. Sobald diese gefunden wurden, werde ich mich mit Ihnen in Verbindung setzen. Haben Sie eine Adresse hier in der Stadt?“
Jessica schüttelte den Kopf.
„Nein! Ich bin erst heute in Judenburg angekommen. Über einen Schlafplatz habe ich mir noch gar keine Gedanken gemacht. Meine Reise hierher war ziemlich spontan. Ich habe nicht damit gerechnet, dass es Probleme geben könnte.“
Wieder sah Frau Gerber Jessica leicht irritiert an.
„Ich fürchte, ein paar Tage werden Sie mir geben müssen. Unser Archiv ist groß und wir müssen die Akte erst finden. Sie sollten sich daher auf jeden Fall nach einem Zimmer umsehen.“
Jessica nickte, obwohl sie nicht wusste, wie sie ein Hotelzimmer bezahlen sollte. Zwar hatte sie in den letzten Monaten etwas Geld sparen können, trotzdem würde sie sich ein Hotel nicht lange leisten können. Wieso habe ich diese Reise nach Österreich nicht besser geplant?, fragte Jessica sich selbst. Ohne nachzudenken, hatte sie ihre Sachen gepackt und war zum Bahnhof gefahren. An Fragen wie Kosten oder Wohnmöglichkeiten hatte sie keinen Gedanken verschwendet.
Bedrückt über diese Entwicklung stand Jessica auf und nickte der Mitarbeiterin leicht zu. Sie wusste, dass sie hier nun nichts mehr erreichen konnte. Sie würde warten müssen, bis die fehlenden Unterlagen gefunden wurden. Nachdem sie Frau Gerber ihre Telefonnummer aufgeschrieben hatte, verließ Jessica das Jugendamt.
Völlig in ihren eigenen Gedanken vertieft, lief Jessica stundenlang durch die Stadt. Immer wieder überlegte sie, wie es nun weitergehen sollte. Bereits einige Hotels hatte sie abgeklappert, doch überall waren die Zimmerpreise so hoch, dass sie nur wenige Tage dort leben könnte. Lediglich ein Hotelangestellter war so freundlich und hatte Jessica die Adresse einer Pension genannt, die durchaus bezahlbar war. Leider schienen noch andere diese Anschrift gut zu kennen, denn Zimmer waren keine mehr frei. Nun wusste Jessica nicht mehr weiter. Wo sollte sie jetzt noch suchen?
Ganz in Gedanken vertieft, achtete Jessica nicht auf ihre Umgebung. Erst als sie plötzlich mit einer Frau zusammenstieß, zwang sich Jessica, ihre Umwelt wieder wahrzunehmen. Die Frau war schon etwas älter. Ihre kurzen blonden Haare zeigten bereits einige weiße Strähnen, während ihre Augen eine blaue Farbe besaßen. Obwohl sie nicht wusste, warum, kam ihr die Frau seltsam bekannt vor, dabei hatte Jessica sie noch nie in ihrem Leben gesehen. Vielleicht liegt es an den Augen, ging es ihr durch den Kopf. Denn abgesehen von ihren eigenen, hatte sie noch nie so dunkelblaue Augen gesehen.
„Es tut mir leid. Ich habe Sie einfach nicht gesehen“, sagte Jessica schnell und schaute die Frau entschuldigend an.
Die ältere Dame sagte nichts, sondern schaute nur völlig erstarrt in Jessicas Gesicht.
„Ist alles in Ordnung?“, fragte Jessica, die diese seltsame Stille unheimlich fand.
Plötzlich nickte die Frau, ohne Jessica dabei aus den Augen zu lassen.
„Ja! Es ist alles in Ordnung. Mir ist nichts geschehen. Haben wir uns schon einmal gesehen? Sie kommen mir so bekannt vor.“
Nachdenklich sah Jessica die Frau an. Auch sie kam ihr irgendwie bekannt vor, jedoch konnte sich Jessica nicht erklären woher. Immerhin war sie seit ihrer Geburt nie wieder in Österreich gewesen. Ja, sie hatte sich sogar für eine Deutsche gehalten. Laut ihrer Geburtsurkunde war sie in München geboren worden und daran hatte sie nie gezweifelt. Umso weniger konnte sie daher verstehen, warum sie dann in Judenburg adoptiert worden war.
„Ich weiß nicht genau“, beantwortete Jessica die Frage der Frau. „Waren Sie schon einmal in Deutschland? Ich komme aus Nürnberg.“
Die ältere Frau schüttelte mit dem Kopf.
„Nein, in Nürnberg war ich noch nie. Seltsam, ich hätte schwören können, dass wir uns irgendwo schon einmal begegnet sind. Wie heißen Sie?“
„Jessica! Jessica Neumann.“
Jessica wusste nicht, warum sie überhaupt auf diese Frage antwortete. Eigentlich war es nicht ihre Art, fremden Leuten ihren Namen zu nennen. Bei dieser Frau jedoch hatte sie ein positives Gefühl. Es bestand eine seltsame Verbindung, die sie sich einfach nicht erklären konnte. Ist sie vielleicht meine Mutter?, ging es Jessica plötzlich durch den Kopf. Doch gleich darauf verwarf Jessica den Gedanken wieder, immerhin war diese Frau bestimmt schon um die 60. Zwar gab es immer öfter Spätgebärende, doch in der Regel gaben eher junge Frauen ihre Babys ab. Somit war es wohl eher unwahrscheinlich, dass sie ihre leibliche Mutter sein konnte. Doch wieso war ihr diese Frau nur so vertraut?
Mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen sah die Frau Jessica an.
„Es freut mich, Sie kennenzulernen, Jessica. Mein Name ist Gertrud Philipps. Ich habe zufällig mitbekommen, wie Sie hier in der Pension nach einem Zimmer fragten. Ich wollte nicht lauschen, doch haben Sie nichts reserviert?“
Verwirrt schüttelt Jessica mit dem Kopf. Seltsam, diese Frau hatte sie vorhin gar nicht wahrgenommen. Oder vielleicht doch?, ging es ihr durch den Kopf. Unbewusst? Kommt mir diese Frau deshalb so bekannt vor?
„Nein!“, sagte Jessica schließlich. „Meine Reise hierher war ziemlich spontan. Ich habe nicht mit einem längeren Aufenthalt gerechnet. Leider sieht es im Moment so aus, als würde ich noch einige Tage hier bleiben müssen. Ein teures Hotelzimmer kann ich mir aber nicht leisten.“
Mitfühlend nickte Gertrud Philipps der jungen Frau zu.
„Das ist aber schlecht. Morgen findet im Festsaal ein großes Konzert statt, daher sind unsere Jugendherbergen und Pensionen gerade gut gefüllt. Es dürfte daher schwer werden, in der Stadt ein günstiges Zimmer zu bekommen. Selbst die Obdachlosenheime dürften gerade überfüllt sein, denn es ist in der Nacht schon ziemlich kalt auf der Straße. Sie hätten wirklich vorher ein Zimmer reservieren sollen!“
Jessica war frustriert. Wenn es stimmte, was diese Frau sagte, hatte sie ein ernsthaftes Problem. Natürlich könnte sie mit einem Zug zurück nach Deutschland fahren. In Nürnberg hätte sie eine Wohnung, oder besser gesagt ein Zimmer bei der Familie ihrer Freundin. Mit Freuden hatten Carinas Eltern sie aufgenommen, schließlich waren sie so nicht ganz allein. Nur schwer kamen sie damit zurecht, als ihre einzige Tochter für ein Jahr nach Amerika flog, und so wurde sie eine Art Ersatztochter. Doch Jessica wollte noch nicht zurück, nicht ohne Antworten. Denn diese Antworten auf ihre Fragen würde sie von Deutschland aus nicht bekommen. Sie musste also hier bleiben, bis es neue Informationen gab. Sie würde sonst nie erfahren, woher sie kam und wer sie wirklich war. Noch einmal würde sie nämlich bestimmt nicht nach Österreich fahren. Das wusste sie genau.
„Haben Sie vielleicht noch einen Tipp für mich?“, fragte Jessica hoffnungsvoll, immerhin schien sich die Frau hier auszukennen. „Es muss auch nichts Besonderes sein, nur ein Platz zum Schlafen.“
Jessica konnte sehen, wie Frau Philipps angestrengt nachdachte, doch zu ihrer Enttäuschung, schüttelte sie mit dem Kopf.
„Es tut mir leid, ich wünschte, ich könnte Ihnen helfen. Leider fällt mir im Moment nichts ein.“
Als Jessica sich traurig verabschieden wollte, kam der Frau doch noch eine Idee.
„Warten Sie! Vielleicht wüsste ich doch etwas für Sie. Es ist aber keine Pension, sondern eine Farm. Mein Mann arbeitet dort als Verwalter, und wir suchen gerade Aushilfskräfte. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, zusätzlich noch etwas Geld zu verdienen, könnten Sie dort wohnen, bis Sie Ihre Angelegenheiten geregelt haben.“
„Danke“, sagte Jessica und schüttelte mit dem Kopf. „Es ist nett von Ihnen, aber ich suche nicht nach einem Job. Ich werde nicht lange genug hier sein. Ich muss nur einige Tage warten, bis ich die Antworten auf meine Frage erhalte. Danach kehre ich nach Deutschland zurück.“
Mit diesen Worten verabschiedete sich Jessica von Frau Philipps. Doch bevor sie gehen konnte, reichte diese ihr eine Visitenkarte.
„Falls Sie Ihre Meinung noch ändern. Bei uns hätten Sie auf jeden Fall einen Platz zum Schlafen und kostenlose Verpflegung.“
Nachdenklich sah Jessica der Frau hinterher, als diese zu einem Wagen ging, ihr noch einmal zuwinkte und dann wegfuhr. Erst nachdem das Auto nicht mehr zu sehen war, machte sie sich wieder auf den Weg. Als sie an einem Mülleimer vorbeikam, wollte sie die Visitenkarte wegwerfen. Doch dann, aus einer Laune heraus, steckte sie sich die Karte in die Hintertasche ihrer Jeans.
Nachdem Jessica zwei weitere Stunden erfolglos durch die Stadt gegangen war, kam ihr die Karte von Frau Philipps wieder in den Sinn. Vielleicht sollte ich das Angebot doch annehmen. Immerhin wäre es besser, als die nächsten Nächte irgendwo auf der Straße zu verbringen. Es wurde bereits dunkel und immer weniger Leute waren auf den Straßen unterwegs. Außerdem war es schon ziemlich kalt geworden, sodass Jessicas Hände trotz der Handschuhe schon richtige Eisklumpen waren. Schließlich fasste Jessica einen Entschluss. Sie würde auf das Angebot eingehen, immerhin hatte sie nichts zu verlieren. Jetzt, wo ihre beste Freundin in Amerika war, wartete sowieso niemand auf sie und deren Eltern würden es schon irgendwann verstehen. Sie konnte also hier nach ihrer Mutter suchen, zusätzlich etwas Geld verdienen und sich überlegen, was sie in Zukunft tun wollte. Obwohl ihr diese Entscheidung nicht leichtfiel, hatte Jessica nicht vor, mit ihrem Jurastudium weiterzumachen. Viel lieber würde sie mit Kindern arbeiten. Kindergartenpädagogik!, ging es ihr durch den Kopf. Ja, das würde mich interessieren. Doch dafür brauchte sie Geld.
Nachdem Jessica diesen Entschluss gefasst hatte, suchte sie mit ihrem Smartphone das nächstliegende Hotel. Heute war es eindeutig schon zu spät, um auf der Farm nach einem Job zu fragen. Sie würde sich also gleich morgen früh auf den Weg dorthin machen und heute Nacht in einem Hotelzimmer übernachten. Dieses Mal hatte sie Glück. Für eine Nacht war tatsächlich noch ein Zimmer frei, auch wenn Jessica bei dem Preis ganz schön schlucken musste. Doch bereits nach wenigen Minuten wurde sie auf ihr Zimmer geführt und ließ sich erschöpft auf das Bett fallen. Wenige Augenblicke später fielen Jessica die Augen zu und sie schlief ein.
Währenddessen musste Gertrud Philipps auf der Farm immer wieder an Jessica denken. Noch immer fragte sie sich, wo sie die junge Frau schon einmal gesehen hatte. Es konnte kein Zufall sein, dass sie ihr irgendwie bekannt vorkam. Doch auch als kurze Zeit später ihr Ehemann von der Arbeit nach Hause kam, hatte sie auf ihre Fragen leider keine Antwort. Noch nie war sie in Nürnberg gewesen, sondern lediglich in Köln, wo ihre einzige Tochter Liesbeth mit ihrer Familie lebte.
„Gertrud? Ist alles in Ordnung? Du siehst so nachdenklich aus.“
Leicht erschrocken drehte sich Gertrud zu ihrem Mann um. Sie hatte gar nicht mitbekommen, wie er ins Haus gekommen war.
„Claas, du bist schon zu Hause? Entschuldige, ich war gerade ziemlich in Gedanken. Weißt du, ich habe heute in der Stadt eine junge Frau getroffen. Ich weiß nicht warum, aber irgendwie kam sie mir bekannt vor, als hätte ich sie schon irgendwo einmal gesehen. Mir will einfach nur nicht einfallen, wo. Ich habe ihr übrigens die Adresse von der Farm gegeben. Sie sucht gerade ganz verzweifelt nach einem billigen Zimmer und ich dachte, sie könnte vielleicht in einem unserer Wohnblöcke wohnen.“
Leicht irritiert sah Claas seine Frau an. So durcheinander hatte er sie noch nie gesehen. Doch plötzlich wurde ihm bewusst, was sie gerade gesagt hatte. Diese fremde Frau sollte in einem ihrer Wohnblöcke wohnen?
„Wie stellst du dir das vor, Gertrud? Ich glaube kaum, dass Carlos oder Christian besonders begeistert wären, wenn ich einfach jemanden in eine der Wohnungen einquartiere.“
Gertrud schüttelte den Kopf und sah ihren Mann bittend an.
„Du sollst sie ja auch nicht einfach so dort wohnen lassen. Ich habe ihr schon gesagt, dass sie als Gegenleistung auf der Farm mithelfen müsse. Immerhin benötigen wir doch immer wieder Aushilfskräfte. Sie ist jung, sie kann lernen.“
Ihr Mann blieb skeptisch. Es stimmte, natürlich waren sie gerade auf der Suche nach Hilfe. Doch was hatte er davon, wenn die junge Frau sowieso nur wenige Tage auf der Farm blieb. Es lohnte sich gar nicht, sie irgendwo einzuarbeiten, immerhin wäre sie schon nach kurzer Zeit wieder verschwunden. Als er jedoch seine Frau betrachtete, fiel es ihm schwer, ihr diesen Wunsch abzuschlagen.
„Warum ist dir diese junge Frau so wichtig? Du hast sie doch nur einmal gesehen.“
Gertrud Philipps zuckte mit den Schultern.
„Ich weiß es nicht genau. Sie tut mir irgendwie leid. Ihre Augen sahen so traurig aus, als würde sie etwas beschäftigen. Ich möchte ihr gerne helfen, wenn sie meine Hilfe wünscht. Wer weiß, vielleicht bekomme ich dann auch heraus, von woher ich sie kenne.“
Claas Philipps blieb weiter skeptisch. Immerhin war er es, der seinen Chefs erklären müsste, warum er die Frau vorübergehend einstellte.
„Schauen wir erst einmal, ob sie überhaupt kommt. Möglicherweise hat sie ja eine andere Lösung gefunden. Ich gehe jetzt unter die Dusche und danach können wir zu Abend essen.“
Gertrud nickte und schaute ihrem Mann nach, während er im Badezimmer verschwand. Natürlich war es ihr klar, dass ihre Bitte für ihn ziemlich unverständlich klang. Immerhin kannte sie die junge Frau gar nicht. Trotzdem hoffte sie, dass es sich Jessica noch einmal anders überlegte und doch noch zur Farm kam.