Читать книгу Ein Boot, ein Kuss und du - Isabella Lovegood - Страница 10
5. Kapitel
ОглавлениеAngelina
Noch immer klopfte mir das Herz bis zum Hals und ich spürte meinen Puls höchst beunruhigend auch an anderen Stellen meines Körpers. Ich wusste genau, dass das eben ziemlich fies gewesen war. Das mit meinen Brüdern war natürlich Quatsch. Zuletzt hatte ich sie vor mehr als zwanzig Jahren eingecremt, als wir noch Kinder gewesen waren. Miguel und Alonso waren fünf und sechs Jahre jünger als ich. Ich hatte Lorenzo auf die Probe gestellt und er hatte sie mit Bravour bestanden. Es war nicht zu übersehen gewesen, wie sehr ihn meine Aktion erregt hatte, doch mit keiner Silbe oder Geste hatte er versucht, unsere Abmachung zu brechen und mich zu verführen, oder gar sich zu nehmen, was er wollte.
Der Fahrtwind kühlte meine heißen Wangen, aber gegen die innerliche Hitze, die mich noch immer erfüllte, konnte er nichts ausrichten. Wie kam es, dass mich ein alter Freund so aus dem Gleichgewicht bringen konnte? Wir kannten uns seit Ewigkeiten, doch noch nie hatte ich ihn als so anziehend männlich und attraktiv wahrgenommen. Ich hätte mich ihm am liebsten an den Hals geworfen und ihn angefleht, mit mir Sex zu haben. Aber natürlich kam das nicht infrage. Oder?
Unauffällig schielte ich zu ihm hinüber. Er stand am Steuer, statt sich hinzusetzen. Vermutlich wollte er die Sonnencreme erst besser einziehen lassen. Ich betrachtete das Spiel seiner Muskeln, die das Schlingern, Heben und Senken des Schiffes ausglichen. Ich ertappte mich dabei, mir über die Lippen zu lecken. Verflucht, war der Mann sexy! Was hatte ich mir nur dabei gedacht, ihm so nahe zu kommen? Noch immer hatte ich seinen verlockenden Geruch nach frisch gewaschenem Mann in der Nase, gemischt mit Meer und Sonnencreme. Wie hätte er wohl reagiert, wenn ich ihm den Bund der Badeshorts heruntergezogen und seine verlockende Erektion mit dem Mund verwöhnt hätte? Das Pochen in meinem Unterleib verstärkte sich wieder. Er schien gut gebaut zu sein und erneut fiel mir Lorenzos Ruf ein. Keine meiner Bekannten, die mit ihm im Bett gewesen waren, hatte sich über seine Qualitäten ebendort beschwert. Das Gegenteil war der Fall und so etwas wie Neid stieg in mir auf. Lag es tatsächlich an ihm oder war ich schlichtweg so ausgehungert, dass ich ernsthaft darüber nachdachte, meine eigenen Regeln über Bord zu werfen?
Erneut betrachtete ich ihn, doch diesmal kreuzten sich unsere Blicke. Ich sah in seinen Augen dasselbe brennende Verlangen, das auch mich plagte. Verdammt, was hatte ich da angeleiert? Ich zwang mich, wegzusehen und den Anblick des mittlerweile tiefblauen Meeres zu genießen. Lorenzo führte das Boot in gemäßigtem Tempo durch die Wellen und ließ uns Zeit, die Küstenlinie zu betrachten, die an uns vorüberzog. Schroffe Felsen türmten sich auf, an denen sich die Wellen brachen, dann wichen sie zu einer kleinen Bucht zurück, an deren Ende sich ein schmaler Strand befand. Einige Sonnenschirme waren zu erkennen. Ein paar Gestalten planschten im flachen Wasser, andere lagen auf bunten Tüchern im Sand und genossen die Sonne.
Zwischendurch machte Lorenzo einen weiten Bogen um die belebte Hafeneinfahrt von Cala d’Or und wir fuhren an dem Küstenort vorbei, immer weiter nach Süden. Wenig bewohnte Abschnitte folgten, die mich mit ihrer Ursprünglichkeit und Rauheit beeindruckten. Unwillkürlich stieß ich einen tiefen Seufzer aus, was mir einen forschenden Blick von Lorenzo einbrachte.
»Es ist wunderschön hier. Bezaubernd. Faszinierend.«
Er lächelte zufrieden. »Ja, da bin ich ganz deiner Meinung. Irgendwie muss ich künftig auch während der Saison Zeit finden, öfters auszufahren. Es macht den Kopf frei.« Er gab Gas und wir schossen durch die Wellen. Meine Haare flatterten im Wind und ich genoss das Gefühl von Freiheit, das mich durchströmte, als gäbe es nur diesen perfekten Moment, in dem die Alltagssorgen in den Hintergrund rückten.
Wir passierten die Buchten von Figuera, Santanyí und Lombards und ich stellte fest, dass die Orte vom Meer aus ganz anders wirkten, als wenn man mit dem Auto oder zu Fuß unterwegs war. Nach einer Weile meldete mein Magen mit heftigem Grummeln, dass es Zeit für Energienachschub wurde. In diesem Moment drosselte Lorenzo den Motor und wandte sich zu mir. »Was hältst du von Mittagessen?«
»Wollte ich auch gerade fragen. Suchst du uns ein lauschiges Plätzchen?«
»Ein kleines Stück noch, dann kommen wir zur Cala Figuereta. Dort werden wir ankern. Kennst du die?«
Ich schüttelte den Kopf. »Um ehrlich zu sein, war ich ewig nicht mehr in dieser Gegend.«
Er nickte. »Ich muss gestehen, wenn ich das Boot nicht hätte, würde ich vieles gar nicht kennen.«
Es war eine kleine Bucht, die landseitig von schroffen Felswänden begrenzt war. Auf der anderen Seite hatten wir uneingeschränkte Sicht auf das offene Meer. Lorenzo verankerte das Schiff, dann klappte er einen Tisch aus, der mir bisher entgangen war.
»Wirklich praktisch«, stellte ich anerkennend fest, als wir einander gegenüber saßen und unser mitgebrachtes Essen ausbreiteten, um es miteinander zu teilen.
Er nickte lächelnd. »Es ist ein tolles Boot und ich freue mich jedes Mal, dass ich es habe.«
Ich überlegte, ob wir uns gut genug kannten, um ihm persönliche Fragen zu stellen, beschloss dann jedoch, es darauf ankommen zu lassen. »War es hart für dich, als Juliana das mit euch beendet hat?«
Einen Moment war er still, dann meinte er: »Es gab bisher wenige Frauen in meinem Leben, mit denen ich mir mehr als eine Affäre hätte vorstellen können. Sie war eindeutig eine davon.«
»Hast du dir nie gewünscht, eine Familie zu gründen?«, wagte ich mich weiter vor.
Er zuckte scheinbar gleichgültig mit den Schultern. »Ich denke, ich bin dafür nicht geschaffen.«
Das überraschte mich. »Wie kommst du darauf?«
Lorenzo bedachte mich mit einem langen Blick, bevor er sich daran machte, seinen Serrano-Schinken und meinen Lieblingskäse aus Schaf- und Ziegenmilch auf eine Brotscheibe zu häufen. Als ich bereits davon ausging, dass er meine Frage ignorieren würde, meinte er: »Das liegt bei uns in der Familie. Die Gene oder was weiß ich.« Er nahm einen Bissen, kaute und schluckte. »Mein Vater hat meine Mutter ständig betrogen. Mama hat es akzeptiert, um uns den Vater nicht zu nehmen, wie sie es ausdrückte. Erst als wir aus dem Haus waren, hat sie sich von ihm scheiden lassen. Mein Bruder hat seine Ehe auch in den Sand gesetzt, also denke ich, ist es besser, ich probiere es gleich gar nicht, dann erspare ich mir und einer potenziellen Partnerin eine Menge Kummer und Ärger.«
Diese Sichtweise machte mich sprachlos. Das war also der Grund, warum er fast ausnahmslos flüchtige Affären hatte? Die Gene?
»Entschuldige, wenn ich dir das so hinknalle, aber das halte ich für absoluten Quatsch. Natürlich ist es deine Sache, ob du dich als Single wohlfühlst oder dir eine Familie wünschst, aber Treue ist eine Entscheidung und keine Frage der Gene.«
Seine Augenbrauen zuckten überrascht hoch. »Meinst du? Dann treffen aber eine Menge Leute falsche Entscheidungen.«
»Stimmt. Aber das hat nichts mit einer Veranlagung zu tun, die man in die Wiege gelegt bekommt, und deren Opfer man ist.«
»Klingt, als ob du dich mit dem Thema bereits gründlich auseinandergesetzt hättest.«
Ich zog eine Grimasse. »Das stimmt. Um ehrlich zu sein, hatte ich es schon mit einigen Männern zu tun, für die Treue ein Fremdwort war und alle möglichen Ausreden dafür parat hatten.«
»Trotzdem glaubst du noch immer daran, dass es möglich ist?«, fragte er ungläubig.
»Das ist es ganz bestimmt. Meine Eltern sind einander treu und meine Tante und mein Onkel führen auch eine gute Ehe.«
»Denkst du das oder weißt du es? Wie kannst du dir da so sicher sein?«
Ich verharrte mitten in der Bewegung und meine Olive rutschte von der Gabel und kullerte über den Tisch. Lorenzo fing sie gerade noch, bevor sie auf dem Boden landete, und hielt sie mir vor den Mund. Als ich sie zwischen die Zähne nahm, berührten meine Lippen seine Fingerspitzen. Das sanfte, aufregende Kribbeln, das sich davon ausgehend verbreitete, ließ mich beinahe vergessen, wovon wir gesprochen hatten. Erst nachdem ich den Kern auf den Rand meines Tellers gelegt hatte, war ich auch geistig wieder soweit, antworten zu können.
»Ich will es glauben«, gab ich dann zu. »Vielleicht ist die emotionale Treue aber ohnehin wichtiger als die körperliche.«
Er runzelte die Stirn und griff nach einer weiteren Brotscheibe. »Was meinst du damit?«
»Treue bedeutet für mich in einer Beziehung mehr, als nur mit niemand anderem ins Bett zu hüpfen. Für einander da sein. Achtsam sein, was der andere braucht, damit es ihm gut geht. Sich gegenseitig verwöhnen. Das Gleichgewicht von geben und nehmen. Nicht nur, einander verliebt in die Augen zu sehen, sondern gemeinsam in die gleiche Richtung zu schauen«, zitierte ich einen Dichter. Unter seinem intensiven Blick verstummte ich verlegen und fühlte, wie mir das Blut warm in die Wangen stieg.
»Wie kann jemand alleine sein, der sich so schöne Gedanken über Beziehung macht und offenbar viel zu geben hat?« Seine Stimme war samtig und weich und jagte mir einen wohligen Schauer über den Rücken. Ich versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr er mich damit berührte, und zuckte mit den Schultern.
»Weil dazu zwei gehören und ich noch niemanden gefunden habe, der die gleichen Vorstellungen hat. Besonders das mit dem Geben und Nehmen funktionierte bisher nicht so richtig und ich habe es satt, mich ausnutzen zu lassen.«
»Das tut mir leid.« Lorenzo nahm einen großen Schluck Wasser, dann richtete er neuerlich den Blick auf mich. »Ich finde es bemerkenswert, dass ich hier sitze und mich mit dir über Beziehungen unterhalte. Am Ende polst du mich sogar noch um.« Er zwinkerte mir zu. »In der letzten Zeit passieren diesbezüglich ohnehin Dinge, die ich nie erwartet hatte. Erst holt sich Alejandro eine Braut aus Österreich und bekommt gleich auch noch einen ziemlich süßen Sohn dazu. Und dann die Sache mit Enrique. Ich hatte ja schon länger den leisen Verdacht, dass er schwul sein könnte, aber da stand ich anscheinend alleine da, oder?«
Er schmunzelte wissend und ich spürte, wie mir erneut die Röte in die Wangen stieg. Wie hatte er mitbekommen können, dass ich jahrelang unglücklich in den zurückhaltenden, liebenswerten Mann verschossen gewesen war, obwohl wir so wenig Kontakt gehabt hatten? Erst in den letzten Monaten, seit ich mich mit Florian angefreundet hatte, war ich öfter mit der Runde zusammen. Wusste vielleicht unsere ganze Clique darüber Bescheid?
»Ich bin froh, dass er Florian gefunden hat«, erwiderte ich, ohne auf Lorenzos Bemerkung einzugehen. »Sie wirken sehr glücklich miteinander.«
»Und du bist seither deutlich entspannter in Enriques Gegenwart«, stellte er unerbittlich fest, lächelte mich aber ohne Spott an.
»Ja, das stimmt«, gab ich nun zu. »Ich bin froh, endlich zu wissen, warum aus uns nichts werden konnte.«
»Kann ich mir vorstellen.« Lorenzo nickte verständnisvoll. »Eva und Florian sind ausgesprochen nette Menschen. Vielleicht solltest du dich auch in Österreich umsehen.« Obwohl er im Scherz gesprochen hatte, erschien mir die Idee plötzlich gar nicht so abwegig, also griff ich sie auf.
»Ich wünsche mir schon lange, Urlaub im Ausland zu machen. Hast du Spanien schon mal verlassen?«
Er schüttelte nur den Kopf, weil er gerade den Mund voll hatte.
»Allerdings ist mir bei dem Gedanken, mich ganz alleine aufzumachen, doch etwas mulmig. Vielleicht fliege ich das erste Mal gemeinsam mit Eva. Sie ist ja regelmäßig in ihrer früheren Heimat.« Alejandros Frau arbeitete auch nach ihrem Umzug nach Mallorca für eine österreichische Agentur, die sich auf literarische Übersetzungen spezialisiert hatte.
»Stimmt, für sie ist das Fliegen vermutlich so aufregend wie für mich, mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Palma zu fahren.« Lorenzo lächelte schief. »Eigentlich ein bisschen armselig, wenn ich es recht bedenke. Ich bediene jahrein, jahraus Gäste aus aller Herren Länder und war selbst noch nirgends.«
An seinem Blick erkannte ich, dass er über etwas nachdachte, während er die letzten Bissen seines Brotes aß. Ich selbst war schon satt. Mir fiel auf, dass zwei Möwen über uns kreisten, nun kam auch eine dritte hinzu. Ich hatte den Eindruck, dass es die eleganten silbrig-weißen Vögel auf unsere Reste abgesehen hatten und hielt es für klüger, diese zusammenzupacken, bevor sie einen Angriff starten konnten.
»Fertig?«, fragte ich Lorenzo. Er nickte und half mit, alles in den kleinen Kühlschrank zu packen.
Ich reichte ihm das Geschirr über die Treppe in die Kombüse, als er mich mit einer Frage überraschte: »Was hältst du davon, wenn ich dich begleite, falls du deine Urlaubspläne tatsächlich umsetzt? Ich könnte auf dich aufpassen, während du dich unter den österreichischen Männern umsiehst.«
Ich hob erstaunt die Augenbrauen. »Meinst du das ernst?«
Er zuckte mit den Schultern. »Warum nicht?«
»Weil mir vermutlich kein Mann in die Nähe kommt, solange es aussieht, als wäre ich vergeben.«
»Oh, da hast du recht, daran habe ich nicht gedacht. Dann halte ich mich eben dezent im Hintergrund. Du könntest mich ja als deinen Bruder ausgeben.«
Ich musste bei der Vorstellung lachen. »Oder als meinen Bodyguard. Verrückte Idee!«
»Ich denke, es würde Spaß machen. Wie satt bist du? Glaubst du, du kannst bequem auf dem Bauch liegen?«, wechselte er das Thema.
»Ja, warum?«
Als Antwort wackelte er mit den Fingern und deutete auf meine Schultern. Ich gestand mir ein, dass es mir gefiel, wie hartnäckig er darauf beharrte, mir eine Massage zu geben. Ich holte ein trockenes Strandtuch aus meiner Tasche und breitete es auf der Liege aus. Bei der Vorstellung von seinen kräftigen Händen auf meiner Haut erhöhte sich mein Herzschlag.
»Öl habe ich keines, aber wir könnten stattdessen die Sonnencreme benutzen«, schlug ich vor, bevor ich mich hinlegte.
»Macht es dir etwas aus, die Bikiniträger zu öffnen?«
Ich zögerte einen winzigen Moment, dann griff ich nach hinten und löste die Verschlüsse am Rücken und im Nacken und streifte meine Haare zur Seite.
»Perfekt«, murmelte er und etwas an seinem Tonfall ließ mich leicht erschauern. Ich hörte, wie er Sonnencreme aus der Flasche drückte, spürte jedoch nichts. Erst als ich die schmatzenden Geräusche wahrnahm, wurde mir klar, dass er sie erst in den Handflächen anwärmte, bevor er mich damit berührte. Zuerst strich er langsam über meinen Rücken, dann fing er an, mit Fingern und Handballen meine verspannten Schultermuskeln zu lösen. Ich stöhnte auf.
»Steinhart«, stellte er mitleidig fest. »Tut es weh?«
»Nicht wirklich«, nuschelte ich und das stimmte. Noch nie hatte ich eine solche Mischung aus Schmerz und Wohlgefühl gespürt. Er bearbeitete mich mit einem Einfühlungsvermögen, das unerwünschte Assoziationen heraufbeschwor. Knetend und streichend, mal nur mit den Daumen kreisend, dann wieder mit den ganzen Handflächen, jedem Muskelstrang Aufmerksamkeit schenkend, arbeitete er sich langsam vom Nacken bis zur Lendenwirbelsäule nach unten. Ich war längst in einer Art Schwebezustand und wünschte mir, er würde nie wieder damit aufhören. Als er sich über mich beugte und nahe an meinem Ohr eine leise Frage stellte, nickte ich nur träge.