Читать книгу Lenchens Baby - Isolde Kakoschky - Страница 10
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Mit einem leisen Stöhnen, das aber auch irgendwie nach Aufatmen klang, ließ sich Heiko Borkhof auf einen Stuhl sinken.
»Das war die letzte Fuhre.« Er nahm einen großen Schluck aus der Mineralwasserflasche. »Ich fahre jetzt den Transporter weg. Soll ich was zu essen mitbringen?«, wandte er sich an seine Frau und seinen Sohn.
»Oh ja, Döner wäre gut!«, meinte Annika.
»Lieber Pizza!«, hielt Lukas dagegen.
»Na, einigen könntet ihr euch schon«, schmunzelte Heiko über die Wünsche seiner Familie.
»Dann eben Pizza«, gab Annika nach, was bei Lukas ein kleines Jubelgeschrei auslöste.
»Okay, beschlossen und verkündet, Pizza für alle«, bestätigte nun auch Heiko und erhob sich, um das Haus zu verlassen.
Annika trank ebenfalls einen Schluck und widmete sich dann wieder den Kartons, die noch ausgepackt werden mussten. Seit Freitag waren sie fast ohne Unterbrechung zwischen ihrer alten Wohnung und dem neuen Haus gependelt. Nun schien das Ende in Sicht. Fertig, oder fix und fertig, wie sie sich selbst eingestand, waren sie bald. Zehn Jahre hatten sie in der Wohnung unten in der Stadt gewohnt; erstaunlich, was sich da so alles angesammelt hatte. Lukas hatte das Wochenende bei seinen Großeltern verbracht, erst mit der letzten Fuhre sammelte ihn Heiko dort ein. Noch ein bisschen unsicher schaute sich der Junge in seinem neuen Zuhause um.
»Mama, schlafen wir heute hier im Haus?«
Lächelnd stupste ihm Annika auf die Nase. »Ja, heute schlafen wir zum ersten Mal hier. Da musst du aufpassen, was du träumst. Es geht in Erfüllung.« Das hatte einst ihre Oma immer gesagt. Wenn es ein schöner Traum war, konnte man ja mal daran glauben. Ob sie allerdings so gut schlafen würden, schien ungewiss. Auch wenn nun alle Möbel hier waren und auch schon aufgebaut in den Räumen standen, würden sie die nächsten Tage noch nicht im Schlafzimmer übernachten. Am Dienstag oder Mittwoch wollten die Dachdecker anrücken. Und da die Schlafräume im oberen Stockwerk, direkt unter dem Dach, lagen, sahen sie von der Nutzung vorerst ab. Das Haus war alt, an die hundert Jahre bestimmt. Wer weiß, wie lange niemand etwas Grundlegendes am Dach gerichtet hatte, überlegte sie. Außer den Dachziegeln mussten nun auch die Dachbalken und die Sparren ersetzt werden. Das war sicherlich mit einer Menge Staub und Schmutz verbunden. Heiko hatte bereits eine große Plane beschafft, um die unteren Räume zur Treppe hin abzuschotten. Hier würden sie einstweilen auf dem Sofa schlafen. Für Lukas gab es ein Campingbett.
Aber es war gut, dass das Dach nun direkt nach dem Kauf, noch vor dem Herbst und Winter neu gedeckt werden konnte. Da der Kaufpreis erschwinglich gewesen war, stockten sie den Bankkredit gleich noch um die erforderliche Summe auf. Heiko waren beim Bestellen der Handwerker seine guten Kontakte durchaus dienlich gewesen. Er verdiente sein Geld ja auch auf dem Bau, aber eher auf oder unter der Straße. Auf dem Dach rum zu klettern war nun gar nicht sein Ding.
Annika beobachtete Lukas, der aus dem Fenster auf die schmale Siedlungsstraße vor dem Haus schaute und sein Lego-Auto auf dem Fensterbrett fahren ließ. Hier war es schön ruhig, nicht so laut und so voller Verkehr, wie unten an der Hauptstraße, ideal für Familien mit Kindern. Bestimmt würde der Junge bald Freunde finden. Ein Stück hin hatten sie einen kleinen Spielplatz entdeckt.
Sie war so froh, dieses Häuschen nun ihr Eigen nennen zu können. An der Hinterseite schloss sich ein kleiner Hof und ein Garten an. Auf einer Grasfläche stand sogar noch ein stabiles Schaukelgerüst. Bestimmt hatten einst Franziska und Alexander dort gespielt. Lukas würde es auch hier gefallen, war sich Annika sicher. Im nächsten Frühjahr wollte sie etwas Gemüse anpflanzen. Momentan lag der Garten wohl seit Jahren brach, mindestens seit der alte Herr nicht mehr lebte.
Der nächste Karton leerte sich langsam und in der Küche piepste der Geschirrspüler. Sie ging hinüber, um ihn auszuräumen. Einiges an Geschirr hatte Annika noch in der alten Wohnung gespült und dann verpackt, der Rest kam hier an die Reihe. Die neue Küche war schon seit voriger Woche fertig aufgestellt und angeschlossen, ein wahrer Segen. Beim Anblick des Herdes meldete sich der Hunger. Eigentlich müsste Heiko längst zurück sein, sagte ihr der Blick zur Uhr. Aber wahrscheinlich hatten heute noch mehr Leute keine Lust, etwas selbst zu kochen. Gut für den Italiener, schlecht für ihren Magen.
Lukas schien es ähnlich zu gehen. »Kommt Papa bald?«, stand er fragend an der Küchentür. In dem Moment drehte sich der Schlüssel im Schloss.
»Na endlich!«, riefen beide wie aus einem Mund.
»Lass die Teller, Schatz«, sagte Heiko zu seiner Frau, die eben Geschirr auf den Küchentisch stellen wollte. »Heute essen wir direkt aus der Pappe, ich habe die Pizzen auch schneiden lassen. Du hast noch genug mit Geschirr und Abwasch zu tun.«
Kaum standen die Kartons auf dem Tisch, griffen die drei zu und ließen sich ihre Pizza mit gutem Appetit schmecken. Vor dem Fenster senkte sich langsam die Dämmerung hernieder. Lukas gähnte herzhaft und auch Annika und Heiko spürten, wie nun, mit gefülltem Magen, die Müdigkeit von ihnen Besitz ergriff. Annika räumte die leeren Kartons zusammen.
»Ich glaube, es ist das Beste, wenn wir das Bettzeug auspacken und uns langsam hinlegen. Lukas muss morgen zur Schule und du zur Arbeit.«
»Das stimmt«, pflichtete ihr Heiko bei.
»Lasst uns das Nachtlager errichten, tapfere Krieger!« Lachend schnappte er sich Lukas und trug ihn hinüber ins Wohnzimmer.
»Guten Morgen, mein Spatz!« Annika strich ihrem Sohn sacht übers Haar. »Komm, du musst aufstehen. Der Papa ist schon längst bei der Arbeit.«
Nur widerwillig öffnete Lukas die Augen.
»Auf geht´s! Die Sonne scheint«, versuchte Annika, gute Laune zu verbreiten, während Lukas noch immer durch die halb geschlossenen Lider blinzelte.
»Hast du denn etwas Schönes geträumt?« Mehrfach hatte sie in der Nacht bemerkt, wie sich Lukas auf seinem Campingbett hin und her wälzte. Jetzt setzte er sich endlich auf.
»Mama, ich habe von einem Geist geträumt.«
Annika schmunzelte. »Aha. Musstest du ihn bekämpfen, mein mutiger Ritter?« Mit Lukas ging die Fantasie manchmal durch. Aber er war immer der Sieger in jedem Kampf. Sie dachte an die Ritterrüstung aus Plastik, die Lukas zum letzten Geburtstag bekommen hatte und die auch noch in einer der Kisten auf das Auspacken wartete.
»Nein«, antwortete Lukas, nun hellwach. »Der Geist ist einfach wieder verschwunden. Er hat mir zugewinkt.«
»Dann war es bestimmt der gute Hausgeist«, beendete Annika das Gespräch. »Und nun los, ab ins Bad, anziehen und frühstücken. Die Schule fängt bald an.«
Eine halbe Stunde später verließen die beiden das Haus. Da der Schulweg für Lukas völlig neu war, wollte ihn Annika an den ersten Tagen lieber begleiten. Später konnte er mit den älteren Kindern der Siedlung alleine mitgehen, wenn sie nicht zur selben Zeit los musste. Ihre Dienstzeiten in der Sparkasse wechselten zwischen früh und nachmittags. Deshalb hatten sie Lukas auch im Hort angemeldet. Nur in dieser Woche durfte er nach der Schule heimkommen. Für ihn war das Haus ja auch neu, er sollte seine Zeit haben, um sich einzuleben.
Nachdem sie Lukas in der Schule abgeliefert hatte, lief Annika zum Rathaus. Ein paar Minuten musste sie allerdings warten, bis die Behörde öffnete. Dann meldete sie sich und Lukas auf ihre neue Anschrift um. Heiko würde das im Laufe der Woche sicherlich auch noch einrichten können. Denn wenn die Dachdecker kamen, wollte er noch ein paar Tage frei nehmen.
Anschließend kaufte sie noch ein paar Kleinigkeiten im Drogeriemarkt ein und begab sich auf den Heimweg. Obwohl der Weg nicht lang war, musste sie sich wohl erst daran gewöhnen. Die kleine Wohnsiedlung lag oberhalb des Stadtzentrums und daher führte die Straße stetig bergauf. Für größere Einkäufe würde sie doch eher das Auto bevorzugen, überlegte Annika.
Ehe sie es sich versah, war der Vormittag vergangen und es wurde Zeit, Lukas von der Schule abzuholen.
»Mama, was gibt es zu essen?«, sprang er ihr entgegen. Nun bemerkte auch Annika, dass sie seit dem Toast mit Marmelade am Morgen nichts mehr zu sich genommen hatte. Gekocht hatte sie nichts. Sie zwinkerte Lukas zu.
»Bratwurst?«
Der Junge grinste sie nur an und zeigte: Daumen hoch! Nichts liebte er so sehr, wie Röster vom Grill. Am nahen Supermarkt gab es einen Grillstand. Sie wandten sich nach links und liefen los.
»Mama, waren da mal Türen dran?« Lukas war ein Stück voraus gelaufen und stand nun direkt im Durchgang des Saigertors, dem mittelalterlichen Stadttor.
»Ganz bestimmt waren da früher Tore dran«, mutmaßte Annika. »Abends wurden die geschlossen, damit keine Räuber in die Stadt konnten.« So weit zurück hatte sie sich noch nie darüber Gedanken gemacht. Sie konnte sich nicht einmal an die Zeit erinnern, als der Straßenverkehr noch durch das Tor musste. Für sie stand es schon immer in der Fußgängerzone als Wahrzeichen und Sehenswürdigkeit.
Lukas sprang mit einem Satz nach vorne. »Jetzt bin ich draußen!«
Annika lachte und folgte ihm zum Bratwurststand – draußen vor der Stadt.
Als Heiko am Abend von der Baustelle kam, stand trotz der noch nicht komplett eingerichteten Wohnung ein warmes Essen auf dem Tisch. Das Kochen brachte für Annika so etwas wie Normalität in den Umzugsstress, der ja noch längst nicht vorüber war.
»Wann kommen denn die Dachdecker?«, fragte sie deshalb ihren Mann.
Heiko verzog das Gesicht. »Morgen noch nicht. Es hat wohl bei den anderen Leuten nicht so geklappt, wie geplant. Nun müssen wir uns noch einen Tag länger gedulden. Aber der Meister hat mir versprochen, dass am Mittwoch wenigstens das Gerüst aufgestellt wird.« Er sah zu Annika. »Da bist ja du noch zuhause. Am Donnerstag und Freitag hüte ich das Haus.«
»Na gut, auf einen Tag mehr oder weniger kommt es nun wirklich nicht an«, reagierte Annika eher gelassen. »Und wenigstens sind die Wetteraussichten noch ganz passabel.«
Heiko nickte. Regen konnten sie wahrhaftig nicht brauchen.
»Super!«, ließ sich nun auch Lukas vernehmen. »Dann kann ich morgen nach der Schule wieder im Garten spielen.«
»Das kannst du«, erwiderte Annika und strich ihrem Sohn übers Haar. »Aber jetzt Abmarsch in die Badewanne, sonst haben wir die Gartenerde auch noch im Bett.« Als Lukas um die Ecke ins Bad verschwunden war, erhob sich auch Annika, um ihm zu folgen. »Fährst du morgen mal nach der Arbeit zu Real«, wandte sie sich im Gehen an Heiko.
»Kein Thema, was brauchen wir?«
»Unser Sohn braucht eine Schaukel«, erklärte Annika.
»Er wollte sich heute schon aus einem Ast und meiner Wäscheleine eine bauen.«
Heiko lachte. »Einfälle hat er ja. wird erledigt!«