Читать книгу Wetteinsatz mit bittersüßem Beigeschmack - Ive Holt - Страница 7
- Vier -
ОглавлениеSchweigend saßen Daniel und Sarah nebeneinander im Fond des Taxis. Nur die laute Musik aus dem Autoradio durchbrach die Stille. Der Fahrer pfiff leise zur Melodie und schien nicht die Absicht zu haben, seine Fahrgäste in ein Gespräch zu verwickeln.
Während der kurzen Fahrt konzentrierte sich Sarah mit äußerster Anstrengung auf die an ihr vorüberziehenden Straßen mit den hell erleuchteten Schaufenstern. Sie bekam ihre Nervosität nicht in den Griff. Neben diesem Mann zu sitzen, ihm so nahe zu sein, brachte sie vollkommen durcheinander. Sarah sank tiefer in die Polster ihres Sitzes und rieb ihre kalten Hände aneinander. Ihre Anspannung wuchs mit jeder Minute.
„Du bist so still. Was ist mit dir?“ Daniel sah sie eindringlich von der Seite an.
Sarah rührte sich keinen Millimeter. Bei diesem charmanten Mann fiel es ihr unglaublich schwer, einen klaren Gedanken zu fassen, geschweige denn, einen Ton zustande zu bringen. Ihr blieben förmlich die Worte im Hals stecken. Sie wollte so schnell wie möglich nach Hause. Sie brauchte Abstand zu Daniel, um selbst erst einmal Herr über dieses Gefühlschaos zu werden.
Ihr Körper zuckte zusammen, als seine Hand ihr Kinn berührte, und er langsam ihren Kopf in seine Richtung drehte. Daniels intensiver Blick verunsicherte sie, sie konnte dem kaum standhalten, doch er hielt weiterhin ihren Kopf mit leichtem Druck fest. Nicht, dass er ihr wehtat, aber es gab kein Entrinnen. Mit ihren Augen tastete sie seine Gesichtskonturen ab, von seinen Augen über die gerade Nase und blieben schließlich an diesen sinnlichen Lippen hängen. Sie prägte sich jedes Detail ein. In Gedanken spürte sie seine geschmeidigen Lippen auf ihren, fühlte, wie er sie zärtlich küsste und sich dabei ihre Lippen öffneten.
‚Stopp!‘ ermahnte sie sich selbst. Erschrocken über ihre verselbstständigten Fantasien blinzelte sie mit den Augen. Das waren doch alles nur Wunschträume! Sarah löste ihren Kopf aus seinem Griff.
„Es ist nichts. Ich bin einfach nur kaputt. War ein anstrengender Tag“, lautete ihre knappe Antwort und wandte sich erneut zum Fenster.
Wow, sie hatte es geschafft! Drei ganze Sätze, ohne zu stottern. Erleichtert stellte sie fest, dass diese Fahrt ihr Ziel erreicht hatte.
„Wir sind da.“ Der Blick des Taxifahrers glitt über seine Schulter zu Daniel. Er nannte den Preis und Daniel zückte sein Portemonnaie. Sein Blick ruhte auf ihr, als er einen Geldschein hervorzog.
„Stimmt so.“ Er drückte dem Fahrer das Geld in die Hand und öffnete seine Tür. Zügig lief er um das Fahrzeug und öffnete Sarahs Tür. Daniel griff nach ihrer Hand und half ihr beim Aussteigen.
In der Zwischenzeit packte der Taxifahrer Skier und Stöcke aus dem Kofferraum seines Wagens und lehnte sie an die Hauswand. „Ich wünsche noch einen schönen Abend.“ Zum Gruß nickend stieg er in das Taxi, schloss die Fahrertür und brauste davon.
Sarah schaute den roten Rücklichtern des Taxis nach, öffnete den Reißverschluss ihrer Skijacke und holte den Haustürschlüssel aus der Innentasche. Daniel stand ihr gegenüber und beobachtete schweigend jede ihrer Bewegungen. Ihm entging ihre Nervosität nicht. Insgeheim hoffte Sarah, dass er nicht sah, wie ihre Hände zu zittern begannen.
Inzwischen war es fast dunkel. Die Schaufenster der Geschäfte auf der gegenüberliegenden Straßenseite waren hell beleuchtet, ringsherum schimmerte der Schnee. Auf den Gehwegen gingen ein paar Passanten, einige eilten an ihnen vorbei, eingehüllt in dicke Wintermäntel, Stiefel und die Köpfe tief eingezogen, und beachteten sie gar nicht. Die Luft wurde eisiger und der Wind blies ihnen in die Gesichter. Vom Himmel fielen ein paar zarte Schneeflocken, die wirbelnd auf dem gefrorenen Boden landeten.
„Danke fürs Bringen.“ Mit scheuem Blick sah sie zu ihm auf.
Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Er hatte das Taxi fortgeschickt. Hieß das, dass er sie hinauf in ihre Wohnung bringen wollte oder hatte er noch etwas in der Stadt zu erledigen oder sogar eine Verabredung? Normalerweise ging sie sein Privatleben nichts an. Aber die Vorstellung, dass er sich mit einer anderen Frau traf, piekste wie feine Nadelstiche auf ihrer Haut. Augenblicklich verwarf sie diesen übelschmeckenden Gedanken. An so etwas wollte sie einfach nicht denken. Jetzt war er bei ihr und das fühlte sich so unglaublich gut an.
„Du kannst gerne noch auf einen Tee mit raufkommen, also wenn du magst? Es sei denn, du hast noch etwas anderes vor.“
Schockiert über ihren eigenen Mut drehte sie ihm rasch den Rücken zu und ging zur Haustür. Sie spürte einen leichten Schmerz im Fuß, achtete aber nicht weiter darauf. Bevor sie den Schlüssel ins Schloss stecken konnte, stand Daniel dicht bei ihr und nahm ihn ihr aus der zitternden Hand. Prüfend blickte er zu ihr hinunter.
„Ich habe nichts weiter vor, ich bringe dich in deine Wohnung und“, gab er mit rauer Stimme zur Antwort, „dein Angebot nehme ich gerne an, wenn es für dich in Ordnung ist.“
Ihr stockte der Atem. Er hatte nichts Besseres vor! Keine andere Verabredung? Sie hatte nicht ernsthaft damit gerechnet, dass er auf ihren Vorschlag einging, obwohl sie es sich insgeheim gewünscht hatte. Spürte er ihre Unsicherheit? Hin und her gerissen, ob sie wirklich das Richtige tat, schob sie eine verirrte Haarsträhne aus ihrem Gesicht.
„Ja. Kein Problem. Ich glaube kaum, dass du ein Serienmörder bist“, scherzte sie und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
„Wenn es dich beruhigt, Sarah, ich bin kein Serienmörder.“ Er lachte. „Sollen die Skier auch mit rein oder soll ich sie an einem anderen Ort abstellen?“
„Hm? Was?“ Daran hatte sie überhaupt nicht mehr gedacht.
„Die Skier. Was soll mit denen werden?“ Sichtlich darüber amüsiert, dass er sie auf angenehme Weise nervös machte, zeigte er auf die Bretter an der Hauswand.
Achso, wegen der Skier war er so hilfsbereit. Er glaubte, sie käme wegen ihrer Verletzung nicht alleine zurecht. Er wollte aus purer Fürsorge und vielleicht auch wegen seiner Schuldgefühle helfen und nahm deshalb die Einladung an. Leicht enttäuscht nickte sie.
„Ähm, ja, die kommen mit ins Haus. Du kannst sie im Flur abstellen.“
Ohne ein weiteres Wort betraten sie den dunklen Flur. Daniel zog die Tür hinter sich ins Schloss und stellte die Skier gegen die Wand.
Nachdem Sarah das Licht eingeschaltet hatte, ging sie vorsichtig die Treppe zu ihrer Dachwohnung hinauf, Daniel folgte ihr wortlos. Wohl bewusst, dass ihre Kehrseite genau auf seine Augenhöhe war, legte sie, so gut es ging, einen Zahn zu. Es war das erste Mal, dass sie mit einem fremden Mann alleine in ihrer Wohnung sein würde. Sie kannte ihn ja kaum und spürte eine leise Anspannung in ihrem Körper.
Oben angekommen nahm sie ihre Schlüssel aus Daniels Hand und schloss die Wohnungstür auf. Sarah betrat ihre Wohnung, schaltete die Beleuchtung ein, legte den Schlüssel auf die Kommode und forderte Daniel auf, ebenfalls einzutreten.
Beide befreiten sich aus ihren Skijacken und Stiefeln und gingen hinüber in den Wohnbereich. Seine stattliche Figur ließ ihr ihre Wohnung irgendwie kleiner erscheinen. Die Luft zum Atmen erschien ihr begrenzt und war auf einmal so geladen, dass sie beim kleinsten Funken zu explodieren drohte.
„Hier ist es aber kalt! Hast du vergessen, die Heizung einzuschalten?“, stellte Daniel, sich die Hände reibend, fest.
„Mist, sorry. Aber meine Heizung spinnt mal wieder. Nächste Woche muss ich unbedingt eine Heizungsfirma anrufen, die sich das mal anschaut. Ich hoffe, es ist nicht allzu viel kaputt.“
In Wirklichkeit wusste sie aber genau, dass eine Generalüberholung der Heizungsanlage unabwendbar war, denn diese hier hatte schon viele Jahre auf dem Buckel. Sarah schob diese lästige Angelegenheit seit dem letzten Winter immer wieder vor sich her, weil sie ahnte, dass die Reparatur eine sehr teure Angelegenheit werden würde. Viel Erspartes hatte sie nicht vorzuweisen und konnte es sich einfach nicht leisten, da der Laden nicht genug abwarf. Keinesfalls wollte sie das jedoch Daniel unter die Nase reiben. Das ging ihn nichts an.
Zum Glück gab es in dem hinteren Wohnbereich einen kleinen Kamin, den Daniel auch sofort entdeckte. Selbstsicher steuerte er darauf zu. „Was hältst du davon, uns einen Tee zu kochen, und ich bringe den Kamin in Gang? Sonst erfrierst du ja noch in deinen eigenen vier Wänden.“
Dankend nahm sie seinen Vorschlag an.
Sie beobachtete, wie er das Kaminholz aus dem Holzkorb nahm und zum Kamin schaffte. Er zündete ein paar dünne Brennhölzer an und es dauerte nicht lange und ein Feuer entfachte. Damit kannte er sich anscheinend aus.
„Ich gehe kurz ins Schlafzimmer und ziehe mich um.“
Abrupt machte sie auf dem Absatz kehrt und verschwand.
Keine fünf Minuten später war sie wieder bei ihm, ohne einen prüfenden Blick in den Flurspiegel geworfen zu haben. Sie wusste, ihr Äußeres konnte sich sehen lassen, obgleich sie nicht mit ihrer Freundin Jessica mithalten konnte. Doch wem ihre Erscheinung nicht gefiel, der sollte einfach wegschauen. Sarah würde sich für niemanden, auch nicht für Daniel, verstellen. In bequemen, schwarzen Jeans, dicken Wollsocken und einem lila Sweatshirt ging sie zum Herd, um einen Kessel mit Wasser für den Tee aufzusetzen. Daniel hockte vor dem Feuer und rieb sich die Hände vor dem knisternden Feuer.
Sarah beförderte zwei große Teebecher aus dem Oberschrank. „Möchtest du eine bestimmte Sorte Tee?“ Fragend schaute sie auf den Mann, der sich ihr nun langsam näherte und jede ihrer Verrichtungen genau studierte.
„Earl Grey. Ganz einfach und doch unwiderstehlich.“ Schmunzelnd blieb er neben ihr stehen und seine Augen ruhten auf ihren.
Wieder vernahm sie die Doppeldeutigkeit seiner Worte. Schnell widmete sie ihre Aufmerksamkeit dem Tee, bereitete ihn ohne Eile und versuchte, in den Normalmodus umzuschalten. Sie wollte nicht weiter über seine Worte nachdenken oder zu viel hineininterpretieren.
„Du kannst schon mal rüber zur Couch gehen. Ich bin gleich soweit.“
„Nein, lass mich das machen. Du gehst zur Couch und ich erledige das hier. Du musst deinen Fuß schonen, schon vergessen?“
Zwinkernd nahm er ihr den Kessel aus der Hand und brühte den Tee auf. Mit einer Selbstverständlichkeit übernahm er diese Aufgabe, sodass Sarah entspannt zur Couchgarnitur humpelte und sich darauf niederließ. Sie zog den kleinen Hocker heran, legte ihren verletzten Fuß darauf und zog die Socke aus. Erst jetzt spürte sie, wie ausgelaugt sie war. Zum Glück war ihr Knöchel nur ein bisschen angeschwollen und die Schmerzen hielten sich in Grenzen. Sie rieb darüber und fühlte, dass Ruhe genau das war, was sie jetzt brauchte, sowohl physisch als auch psychisch.
Mit Herzklopfen beobachtete sie, wie Daniel routiniert die Teetassen auf das kleine Tablett neben dem Herd stellte und es anschließend zu ihr hinüber trug. Seine Fürsorge schmeichelte ihr. Es war noch nicht lange her, als sie das letzte Mal so umsorgt wurde, doch Marks Hilfe hatte sie nicht so erregend empfunden wie Daniels. Sarah genoss den Anblick, der sich ihr bot. Daniels Bewegungen waren besonnen und anmutig. Sie betrachtete ihn unauffällig von oben bis unten, stets darauf bedacht, dass er es nicht bemerkte. Sein Körper war athletisch, an Armen und Beinen zeichneten sich seine Muskeln ab. Gott war dieser Mann unglaublich schön, absolut kameratauglich. Die Frauenwelt musste ihm doch zu Füßen liegen!
Sarah schaute auf sein Gesicht, das angestrengt auf das Tablett gerichtet war, um nicht den Tee zu verschütten, als er sich dem Couchtisch näherte. Sicherlich gehörte dies nicht zu seinen alltäglichen Aufgaben. Sie konnte sich vorstellen, dass er Leute beschäftigte, die diese Dinge für ihn erledigten.
Sein Dreitagebart stand ihm ausgesprochen gut, ließ ihn verführerisch aussehen. Dieser Mann war der absolute Hauptgewinn, der Jackpot im Lotto, einschließlich Zusatzzahl. Sarah beneidete die Frau, die ihn für sich gewinnen würde. Schnell schob sie diese Vorstellung in die unterste Schublade ihres Hirns und genoss das Gefühl der Vertrautheit zunehmend. Es war rundherum angenehm, sich von einem Adonis wie ihn verwöhnen zu lassen, also warum sollte sie ausgerechnet jetzt darauf verzichten und trüben Gedanken hinterher hängen? Wann hatte sie das letzte Mal einen Mann so genau angeschaut, oder umgekehrt? Himmel, jede seiner Bewegungen ließ ihren Puls in schwindelerregende Höhen schießen und ihr Blut Achterbahn fahren!
Sicher platzierte Daniel das Tablett auf den kleinen Couchtisch und ging zum Sideboard, welches links von der Couch stand.
„Gemütlich hast du es“, stellte er anerkennend fest und sah sich in der kleinen Wohnung um, nahm die Streichhölzer, die neben den Kerzen lagen, und zündete alle Lichter an. Er ging zu ihr zurück, hob die flauschige Decke von der Couch und breitete sie über Sarah aus. „Es wird zwar allmählich wärmer hier drinnen, aber die solltest du lieber zusätzlich nutzen. Du siehst ziemlich durchgefroren aus und zitterst an den Händen.“
Sarah wollte ihm nicht erklären, warum ihre Hände zitterten. Ganz bestimmt lag es nicht an der Kälte, sondern einzig und allein an ihm.
Er setzte sich zu ihr und überreichte ihr eine Tasse mit dampfendem Tee. Dabei streifte er sanft ihre Finger. „Hier, bitte. Aber vorsichtig, der ist heiß.“
‚Und nicht nur der Tee‘. Sarahs Unterbewusstsein verpasste ihr einen beschwingten Stups und zwinkerte ihr verzückt zu.
Bevor Daniel nach seiner Tasse langte, warf er noch einmal einen schuldbewussten Blick auf ihren verletzten Knöchel.
„Es war meine Schuld, dass dir das heute passiert ist. Ich hätte umsichtiger fahren müssen.“
Er strich mit seiner Hand vorsichtig über die Stelle am Knöchel, die geschwollen war. Sarah erschauerte bei seiner Berührung und zog ihren Fuß unter die Decke.
„Andererseits hatte die Sache auch etwas Positives…“ Verheißungsvoll richteten sich seine blaugrauen Augen auf ihre.
„Ist schon gut. Wäre ich nur nicht so unaufmerksam gewesen. Egal, es ist ohnehin zu spät. Mach dir keine Vorwürfe. Zum Glück ist nichts gebrochen“, unterbrach Sarah ihn, damit er seinen Satz nicht vollenden konnte. Mit gesenkten Lidern pustete sie in den Becher und nippte vorsichtig an ihrem Tee. Sie genoss das wohlige Gefühl, welches ihren Körper beschlich. Verträumt sah sie zum Fenster und beobachtete den herrlichen Flockenwirbel. Kerzenlicht und Kaminfeuer tauchten den Raum in eine behagliche Atmosphäre und dieser Mann an ihrer Seite heizte ihre Fantasien noch zusätzlich an. Seine Gegenwart erregte sie. Plötzlich war es wieder da, dieses Kribbeln auf ihrer Haut. Obwohl er ihr fremd war, empfand sie bereits eine gewisse Intimität zwischen ihnen. Gleichzeitig ließ das Schweigen die Anspannung steigen. Die Stimmung im Raum verwandelte sich blitzartig.
Daniel bemerkte, dass Sarah tief in ihren Gedanken versunken war.
„Skifahren ist nicht so dein Ding, stimmt’s?“
Sarah lächelte. „Nein, nicht wirklich. Ich habe gestern Abend die Wette verloren, also musste ich mit.“
„Du hättest nein sagen können.“
„Ja, vielleicht. Anfangs lief es ja auch prima.“
„Bis ich dir in die Quere kam.“ Daniel schüttelte schuldbewusst den Kopf. Er trank seinen Tee und stellte die halbvolle Tasse auf das Tablett zurück.
„Das hätte jedem anderen auch passieren können.“
Sarah trank ihren Tee und genoss das Wohlgefühl, das sich in ihrem Körper verteilte.
Daniel lehnte sich zurück und wirkte nachdenklich.
„Wirst du mit deinem verletzten Fuß im Laden zurechtkommen?“
„Sicher. Bitte mach dir darüber keine Gedanken.“
„Okay. Aber du lässt mich wissen, wenn du Hilfe benötigst. Versprochen?“
„Versprochen.“
„Gehört dir nur die Buchhandlung im Erdgeschoss oder das ganze Haus?“
Verdutzt schaute Sarah auf. Der Themenwechsel kam unerwartet. Worauf wollte er hinaus? Augenblicklich fiel ihr das Gespräch von gestern Abend ein.
„Wieso? Willst du mir einen Kredit aufschwatzen, damit ich das Haus kaufen kann?“ Sie fühlte sich provoziert, sicher hatte er nur wieder Berufliches im Sinn und wollte sie als Kundin werben. Und dafür war ihm jedes Mittel und jede sich bietende Gelegenheit recht. Sarah stöhnte, während Daniel sich ein Lachen nicht verkneifen konnte.
„Nein Sarah, ganz bestimmt nicht. Ich bin einfach nur neugierig und möchte dich näher kennenlernen.“
Ungläubig starrte sie ihn an.
„Glaubst du im Ernst, ich bin hier, um dich als Kundin zu gewinnen?“ Sein Lachen verblasste.
„Ich weiß nicht.“ Sie zuckte mit den Schultern und strich verlegen die Decke über ihren Beinen glatt.
„Hey Sarah, ich möchte gerne da anknüpfen, wo wir gestern Abend unterbrochen worden sind. Wir hatten nicht mehr die Möglichkeit, unser Gespräch fortzuführen.“
„Oh, und ich dachte,…“
„Was dachtest du? Dass ich nur geschäftlich interessiert bin? Nein, Sarah. Das ist das letzte, was mir in den Sinn kommen würde.“
Langsam drehte er sich zu ihr, sein linkes Bein zog er angewinkelt auf die Couch, stützte seinen Kopf auf einer Hand ab und studierte Sarahs Profil eingehend. Er nahm eine ihrer braunen Locken und wickelte sie um seinen Finger. Seine selbstsichere und lässige Art machten sie nervös.
„Seit wann lebst du hier in Garmisch? Deinem Dialekt nach zu urteilen, stammst du aus Norddeutschland.“
Froh darüber, dass er ein neutraleres Thema anschnitt, stellte sie ihren Teebecher auf den Tisch und beugte sich nach vorne, um ihren Knöchel zu massieren und Daniel somit die Möglichkeit nahm, sie weiter zu berühren. Denn diese intime Geste wirkte sich verheerend auf ihre widersprüchlichen Gefühle aus. Zum einen genoss sie seine Nähe, aber auf der anderen Seite war ihr auch klar, dass zu viel Nähe auch Chaos bedeutete. Chaos in ihrem Innern und Chaos, was seine Beziehung zu Melanie betraf.
„Ich bin in Hamburg geboren und aufgewachsen.“
Das musste genügen, sie war nicht gewillt, mehr von ihrer Vergangenheit preiszugeben. Es ging ihn nichts an, dass sie wegen einer gescheiterten Beziehung hierher geflüchtet war. Damals kam ihr nicht einmal in den Sinn, für ewig bei Marianne zu bleiben. Ihr Traum war es, ihr Studium zu beenden, um später einmal in einem Verlag zu arbeiten, so wie ihre Großmutter. Doch dieser Traum platzte jäh mit dem Ende ihrer Beziehung zu Paul.
„Und du? Du klingst auch nicht gerade so, als wärst du ein waschechter bayrischer Bub.“
Sie schielte belustigt zu ihm hinüber.
„Ich wurde hier geboren. Unsere Eltern haben aber von Anfang an sehr viel Wert darauf gelegt, dass Richard und ich hochdeutsch sprechen. Es war schon immer ihr Plan, dass wir eines Tages in ihre Fußstapfen treten. Und mit diesem urbayrischen Slang kann man sich nicht überall verständigen.“
Er schmunzelte. Doch plötzlich verdunkelten sich seine Augen. Sein Gesichtsausdruck wurde ernst, als er nach ihrer Hand griff.
„Dialekt hin oder her. Es gibt aber eine Sprache, die überall in der Welt verstanden wird.“
Bevor Sarah überhaupt wusste, wie ihr geschah, hatte Daniel sie bereits in seine Arme gezogen. Sie wollte protestieren, doch die Wärme und Zärtlichkeit seiner Lippen auf ihren ließen sie verstummen.
Spätestens jetzt hätte sie ihm Einhalt gebieten müssen, doch sie genoss diesen Kuss, der eine Gänsehaut auf ihren Körper zauberte. Von diesem Mann magisch angezogen, fühlte sie sich wie die Magnetnadel, die einem überdimensionalen Magnetfeld nicht entrinnen konnte.
Seine Hände durchstreiften ihre Haare und Sarah durchzuckten tausend kleine Blitze. Ahnte er, welches Gefühlsintermezzo dieser Kuss in ihr wach rief?
Sarah legte ihre Hände auf seine Brust und drückte ihn von sich weg. Keuchend öffnete sie die Lider.
Ihm musste doch durchaus klar sein, welche Wirkung er auf sie hatte. In seinen Augen sah sie Funken sprühen und wusste, dass sie nicht vom Kaminfeuer stammen, aber mindestens genauso heiß und lodernd waren. Es war offensichtlich, dass sie sich vom ersten Augenblick gegenseitig anzogen.
„Du schmeckst himmlisch Sarah. Süß und unwiderstehlich, wie der Nektar einer vollkommenen Rose.“
Seine Hände umschlossen erneut ihr Gesicht. Er zog sie näher zu sich und wartete auf ihr stummes Einverständnis. Sarahs Atmung setzte für wenige Millisekunden aus. Ihr war, als würde die Welt um sie herum zum Stillstand kommen.
Noch konnte sie die ganze Sache stoppen. Aber ihre Vernunft versank in dunkle Tiefen, weil es sich berauschend anfühlte und sie machtlos gegen dieses Gefühl war. Jeder Widerstand war zwecklos. Sie wollte noch einmal von diesen Lippen kosten. Nicht einen Millimeter bewegte sie sich von der Stelle, sondern ließ ihn gewähren. Er schaute auf ihren sinnlichen Mund, dann beugte er sich vor und seine Lippen eroberten ihre fast zaghaft. Diese Mal ging er es nicht so stürmisch an. Langsam und genießerisch kostete er ihre weichen Lippen, zuerst ganz leicht, bis er spürte, dass das Eis gänzlich gebrochen war und Sarah seinen Kuss genauso erwiderte. Ihr wurde schwindelig. Dieser Kuss war inniger als der vorhergehende.
Wie eine zarte Blume im Sturm knickte Sarahs letzter Rest Verstand, sie war ihm völlig ausgeliefert.
Sie schlang die Arme um seinen Hals und rutschte auf seinen Schoß, ohne Scheu und ohne diesen gefühlvollen Kuss zu unterbrechen. Sie wollte jeden Zentimeter seines Körpers an ihrem spüren. Ihre Finger glitten durch sein weiches Haar und ihr Verlangen steigerte sich, als er ihren Po umfasste und gegen seinen Unterleib drückte. Sie spürte die Intensität seines Kusses, öffnete ihre Lippen vollends, sodass sich ihre Zungen berührten. Erst zögernd, doch dann immer leidenschaftlicher erwiderte sie sein Zungenspiel.
Daniels Fingerspitzen wanderten über ihren Rücken nach oben und hinterließen hauchdünne, prickelnde Spuren. Eine Welle der Lust jagte einen Schauer nach dem anderen durch ihre Adern. Überwältigt von diesen Empfindungen presste Sarah ihren Körper noch enger an seinen. Ihre Brustwarzen richteten sich auf und wurden hart, in ihrem Schoß spürte sie Feuchtigkeit und ein angenehmes Ziehen. Behutsam schob er seine Hände unter ihre Oberschenkel und drückte seine Erektion gegen ihre Scham.
Ein Aufstöhnen entrang sich ihrem Mund, welches sein Verlangen noch mehr steigerte. Daniels Hände wanderten unter ihr Sweatshirt und streiften über ihre Haut. Jeglicher Körperkontakt schoss wie kleine elektrische Impulse direkt in ihren Unterleib.
Völlig unerwartet hielt Daniel inne und blickte in ihr vor Leidenschaft gerötetes Gesicht. Seine Augen verdunkelten sich und sprühten vor Lust.
„Sarah, ich will dich. Seit gestern Abend gingst du mir nicht mehr aus dem Kopf. Da war dieses eigenmächtige Gefühl, ich kann es dir nicht erklären. Aber ich fühle mich magisch von dir angezogen.“
Die Heiserkeit in seiner Stimme bestätigte ihr, dass auch er erregt war. Heißer Atem strich über ihre Halsbeuge und wühlte ihr Innerstes auf.
Gänzlich um den Verstand gebracht, stieß sie einen Seufzer aus und nickte kaum merklich. Ja, genauso war es ihr ergangen. Sie hatte also dieselbe Wirkung auf ihn wie er auf sie! Ihr Instinkt hatte sie nicht getäuscht. Jegliche Vernunft über Bord werfend wollte auch sie ihn, hier und jetzt. Sie fühlte die Hitze, welche sie vollends einhüllte, und biss auf ihre Unterlippe. Daniel zog zischend die Luft ein. Seinem Drang nachgebend presste er erneut seine Lippen auf ihre. Sarahs Hände gingen auf Wanderschaft und berührten die Wölbung an seiner Hose. Daniel stöhnte. Ihre Hand an seiner Männlichkeit brachte ihn um den Verstand.
Sanft rollte er ihr Sweatshirt nach oben und umfasste ihre Brüste.
„Hm wie wunderbar sich das anfühlt.“ Verzaubert von diesem himmlischen Anblick senkte er seine Nasenspitze zwischen die Spalte ihrer Brüste.
„Deine Haut ist so samtig und duftet nach Blumen.“ Mit seiner Zunge hinterließ er feuchte Spuren am Ansatz ihres BHs und neckte sie auf spielerische Weise.
Beide schraken auf, als sie das laute Klingeln eines Handys vernahmen. Daniel zog die Stirn in Falten, sein Handy war stumm.
Mit verschleiertem Blick und außer Atem richtete Sarah sich auf. „Das ist meins“, beantwortete sie die unausgesprochene Frage.
„Lass es klingeln.“ Wieder fanden sich ihre Münder. Daniel hielt sie noch fester umschlungen, denn er war nicht bereit, dass diese wundervolle Frau seinen Armen entschwand.
Aber der Anrufer ließ nicht locker.
Irritiert und abgelenkt vom penetranten Klingelton presste Sarah ihre Hände gegen seine Brust, dass er sie widerstrebend freigeben musste.
„Musst du da rangehen?“
„Ja. Vielleicht ist es wichtig.“ Mit erhitztem Gesicht und doppelten Pulsschlag stand Sarah auf und sah sich nach ihrem Handy um. Da das Klingeln von neuem begann, humpelte sie zur Flurkommode, um nachzusehen, wer der Störenfried war. Der Zauber des Augenblickes war verflogen. Frustriert hielt sie das Handy am Ohr und runzelte die Stirn.
„Mark. Du bist es! Was gibt es denn?“
In Daniels Gesicht sah sie Enttäuschung, als sie sich zu ihm umdrehte, während sie Marks Namen erwähnte. Daniels Kiefermuskeln waren angespannt. Unwirsch fuhr er sich mit einer Hand durch die Haare.
„Ja, ich habe mich hingelegt, eine Schmerztablette genommen und fast geschlafen, du hast mich geweckt“, log sie. „Nein, du brauchst nicht mehr vorbeischauen. Es ist alles gut. Ich geh jetzt wieder ins Bett. Lass uns morgen reden… Ja, danke. Schönen Abend.“
Damit legte sie auf. Verlegen mied sie es, Daniel anzusehen, als sie zum Dachfenster hinüber ging und ihm den Rücken zuwandte. Sie kreuzte die Arme vor der Brust und schob mit einer Hand ihre braune Mähne nach hinten.
Mark hatte sie ins Hier und Jetzt zurückgeholt, die Magie dieses Abends war verflogen. Im Stillen war sie ihm sogar dankbar, dass er diesen Rausch unterbrochen hatte. In einem schwachen Moment hatte sie die Kontrolle abgegeben und nicht darüber nachgedacht, worauf sie sich da einließ. Sie kannte Daniel keine vierundzwanzig Stunden und wäre beinahe mit diesem Fremden im Bett gelandet. Sarah rief sich mit brachialer Gewalt in Erinnerung, dass er bereits vergeben war. Aus eigener Erfahrung wusste sie, wie es sich anfühlte, betrogen zu werden. Sie würde das hier nicht zulassen, sondern die Kontrolle behalten und vernünftig sein, so schwer ihr auch dieser Entschluss fiel. Lieber ein Ende mit Schrecken als…
Sie zuckte zusammen, als Daniel hinter ihr auftauchte und seine Hände auf ihre Schultern legte. Diese Berührung brachte sie an den Rand der Selbstbeherrschung und schnürte ihr beinahe die Kehle zu. Sie durfte jetzt nicht schwach werden.
Fest stand, sie fühlte sich zu Daniel hingezogen. Aber sie durfte diese Gefühle nicht zulassen, es wäre falsch und hinterhältig gegenüber Melanie. Wie konnte sie sich derart gehen lassen?
Aber warum fühlte sie sich dann so elend? Eine einzelne Träne kullerte über ihre Wange. Sarah schaffte es nicht mehr, diese vor Daniel zu verbergen, weil er sie in diesem Moment zu sich herum drehte. Er schlang die Arme um ihren Körper und stützte sein Kinn auf ihrem Kopf.
„Was ist los?“
Ihm war nicht entgangen, dass die Stimmung umgeschlagen war.
Sarah schüttelte langsam den Kopf und spannte ihre Muskeln an. Daniel, der diese Veränderung spürte und falsch interpretierte, ließ augenblicklich von ihr ab, um sie genauer zu betrachten. „Das war Mark, stimmt’s? Was wollte er?“
„Nichts.“ Mehr brachte sie nicht über die Lippen. Jedes weitere Wort wäre überflüssig. Sie drehte sich wieder zum Fenster.
„Verstehe“, raunte er an ihrem Rücken.
Nichts verstand er!
Schweigend standen sie so eine Weile, ohne sich zu rühren oder etwas zu sagen. Sarah spürte seinen warmen Atem in ihrem Nacken. Allein die Tatsache, dass er sie mit seinem Duft in gewisser Weise betörte, machte die Sache nicht leichter. Sie musste einen kühlen Kopf bewahren. „Ich möchte, dass du gehst.“
„Bist du dir sicher?“
In seiner Stimme klangen Hoffnung und Enttäuschung mit, als er eine Antwort forderte. Nachdenklich bohrte sich sein Blick auf die kleine zierliche Gestalt vor ihm.
„Bitte, Daniel. Ich muss alleine sein“, flüsterte sie.
Daniel straffte den Rücken und Sarah spürte, ohne sich umzudrehen, wie Daniel sich leise von ihr entfernte und wortlos ihre Wohnung verließ. Die Tür fiel leise ins Schloss und nichts als Leere und Stille breitete sich im Raum aus.
Sarah schlich völlig deprimiert zur Couch und ließ sich bäuchlings darauf fallen. Das Gesicht tief in eines der Kissen vergraben, schluchzte sie. Fast auf den Tag genau kam sie vor zwei Jahren in diesem Zustand in Garmisch an. Damals hatte sie genauso verzweifelt auf dieser Couch wegen eines Mannes gelegen, doch dieses Mal lagen die Dinge ein wenig anders. Damals war sie die Betrogene, diejenige, deren Gefühle verletzt worden waren und die geflüchtet war. Heute betrog der Mann, zu dem sie sich auf unerklärliche Weise hingezogen fühlte, seine Freundin und sie war die heimliche Geliebte. Und Sarah wusste, wie Melanie sich fühlen würde, wenn sie davon erfuhr. Sie kannte Melanie Hansen nicht näher, war ihr gestern das erste Mal im Pub begegnet, aber sie war eine Frau, und Sarah wünschte keiner ihrer Geschlechtsgenossinnen, so verletzt zu werden, wie sie es selbst erlebt hatte. Ihr Kopf sagte, dass sie sich nicht auf Daniel einlassen durfte, ihr Herz hingegen sprach eine andere Sprache. Ihr Wunsch, einmal von der verbotenen Frucht zu probieren, hatte sich erfüllt. Nicht mehr und nicht weniger! Das musste sie sich immer wieder ins Gedächtnis rufen. Eine Zukunft mit Daniel blieb reines Wunschdenken.
Und dennoch fühlte Sarah eine Last auf ihrer Brust, die ihr Herz zu zerdrücken schien. Sich gegen seine Anziehung wehren zu müssen, kostete all ihre Kraft.
Bepackt mit einer Schmerztablette und einem Kühlakku sowie einer geballten Ladung Bitternis zog sie sich in ihr Schlafzimmer zurück.