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Kapitel 4Die verlorene Tochter

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Auf dem Weg zum Treffen mit Karzinger schob er die aufkommende Nervosität beiseite. Als Journalist konnte er zwar keine großartigen Referenzen vorweisen. „Noch nicht!“, dachte er. Doch die „Stadtzeitung“ war für ihn ein Sprungbrett, von dem aus er es zu bedeutenderen Zeitungen und Magazinen schaffen würde! Aber was ging das Bruno Karzinger an! Die Bilder, die er in der Scheune gesehen hatte, die fertigen und die, an denen noch gearbeitet wurde, gefielen ihm. Zwar war er sich noch nicht sicher, warum, doch sie waren kraftvoll und raffiniert zugleich. Er war froh, dass er Karzinger in dieser Hinsicht nichts vormachen musste, sollte er während des Treffens nach seiner Einschätzung gefragt werden. Er hatte den Hügel erreicht, von dem aus er den See und das Haus sehen konnte. Der blaue Himmel spiegelte sich im Wasser, doch er wollte sich nicht darauf einlassen, denn seine Anspannung war geblieben. „Er lebt abseits von seinen Helfern, die…“ Aus dem Holzhaus drang Lachen, als er heran war. Das half ihm, denn er war nicht gekommen, um sich beeindrucken zu lassen. Auf der Zufahrt stand noch immer der Wagen von Miriam Blankenstein. Ob es wirklich ihr Wagen war? Neben der Eingangstür fand er einen Klingelzug. Er zog daran und im Innern des Hauses hörte er so etwas wie eine Kuhglocke anschlagen. Dann wurde die Tür geöffnet. „Hallo Tillman!“ Thomas war auch hier zur Stelle und ließ ihn herein. Dann wies er auf eine offene Zimmertür gegenüber der Eingangstür, durch die Miriam Blankenstein gerade das Zimmer verließ. Sie blickte kurz zu ihm, aber ohne ein Zeichen des Erkennens. Dann ging sie zu der Treppe, die ins obere Stockwerk führte, und verschwand. Er war nicht erstaunt, dass seine Ahnung zur Gewissheit geworden war. Er erinnerte sich an ihre gemeinsame Autofahrt: „Meine Eltern wollen für mich nur das Beste, aber sie verstehen mich nicht…“ Er betrat das Zimmer. Es war ein großer Raum, der sowohl als Arbeits- wie auch als Wohnraum diente. Neben der Tür standen zwei mannshohe Holzplastiken, archaisch anmutende Gestalten, deren Herkunft er nicht sofort zuordnen konnte. Sie wirkten wie stumme Wächter, die ungebetene Besucher abschrecken sollten… Vor der weiten Fensterfront, von der aus man einen ungehinderten Blick auf den See hatte, stand ein großer Arbeitstisch, an dem Bruno Karzinger saß und ihn interessiert anblickte. Er musste es sein, denn auch wenn das Foto, das er von ihm gesehen hatte, kein aktuelles gewesen war, so erkannte er Karziger doch sofort wieder, denn die Augen blickten wie auf dem Foto prüfend und interessiert. „Guten Tag, ich bin Tillman Graat von der „Stadtzeitung“!, stellte er sich vor. „Vielen Dank, dass Sie mich empfangen!“ „Guten Tag!“, Karzinger reichte ihm die Hand. „Setzen Sie sich!“ Dabei blickte er zu Thomas, der ebenfalls das Zimmer betreten hatte. „Möchten Sie etwas trinken?“ „Ja, einen Kaffee!“ Er lächelte Thomas zu, der zwischen ihm und Karzinger stand „Ich nehme einen Tee!“, sagte Karzinger. Thomas ging hinaus, ohne etwas zu sagen. „Wer hat Sie geschickt?“, fragte Karzinger ohne Umschweife. „Wie ich schon sagte, ich arbeite für die „Stadtzeitung“, ein Magazin für junge Leute!“ „Sind Sie geschickt worden, oder war es Ihre Idee?“ „Es ist ein Auftrag, für den ich …“ Karzinger hob die Hand und unterbrach ihn: „Wir haben oft Leute von der Presse hier. Das ist einerseits nützlich, andererseits führt es auch immer wieder zu Missverständnissen was meine Person und meine Arbeit, aber besonders, was unsere Lebensweise hier draußen betrifft!“ Ich habe nicht die Absicht …!“ Karzinger hob erneut die Hand, als wüsste er, was Tillman sagen wollte und als hätte er die Argumente, die Tillman vorbringen wollte, schon tausendmal gehört. „Sie wollen etwas … und für mich lautet die Frage: Was sind Sie bereit dafür zu geben?!“ „Sie sind ein anerkannter Künstler. Viele Menschen schätzen Ihre Arbeiten …“ „Und Sie?!“, unterbrach ihn Karzinger erneut. In diesem Moment kam Thomas mit den Getränken ins Zimmer. Er baute sie vor Tillman und Karzinger auf und zog sich dann in den Hintergrund des Zimmers zurück. „Was halten Sie von meinen Arbeiten?“ Karzinger wiederholte seine Frage. Trotzdem schien er mehr Interesse an seinem Tee als an Tillmans Antwort zu haben. „Ich bin erst seit gestern hier …!“ Und wieder hob Karzinger die Hand, als würde er keine Zeit haben, sich Tillmans Ausführungen anzuhören:„Über meine Bilder, die vergangenen, die gegenwärtigen und die zukünftigen können Sie schreiben, was Sie wollen! Daran kann ich Sie nicht hindern, das interessiert mich auch nicht! Mein Gott, was ist dazu schon alles gesagt worden! Aber wenn Sie über mich und unsere kleine Kolonie schreiben wollen, brauchen Sie Zeit und ein offenes Herz und einen offenen Verstand. Haben Sie die Zeit?“ „Ich dachte, zwei, drei Tage …“ „Ich sehe, Sie haben die Zeit nicht! Wie soll ich Ihnen da vertrauen? Doch vielleicht täusche ich mich und Sie haben in ein paar Tagen begriffen, was hier geschieht! Schreiben Sie, schreiben Sie, und bringen Sie mir, was Sie dann haben. Ich freue mich, wenn Sie ins Schwarze treffen. Dann werde ich Ihnen mein Einverständnis zu einer Veröffentlichung geben! Wenn nicht … Aber wir werden ja sehen!“ Und nach einer Pause, in der sich Tillman und Karzinger wortlos musterten: „Wo sind Sie untergebracht?“ Tillman zögerte mit seiner Antwort, weil er nicht glaubte, dass Karzinger mit seinem Monolog zu Ende war. „Er wohnt im linken Seitenflügel, wie abgesprochen!“, schaltet sich Thomas ein, der im Hintergrund auf diese Frage gewartet zu haben schien. „Setz Dich endlich dazu!“, forderte Karzinger ihn auf. „Wie steht es um unsere Einladung zu Ostern?“, wollte er wissen. „Wir sind voll im Plan!“, antwortete Thomas, „Die Vorbereitungen laufen gut!“ Tillman war huldvoll entlassen worden. „Zumindest kann ich erst einmal bleiben. Das ist doch etwas!“ Er schloss die Tür des Hauses. Diesmal hatte Thomas ihn nicht begleitet, denn Karzinger und Thomas hatten in seiner Gegenwart begonnen darüber zu sprechen, dass zu Ostern mehrere Gäste auf dem Gutshof erwartet wurden. Bei den Gästen handelte es sich um Käufer und Sammler, die ebenso wie

er auf dem Hof untergebracht werden sollten, wenn sie denn nicht am selben Tag wieder wegfahren würden. Karzinger und Thomas machten sich Gedanken, dass es mit den Gästezimmern knapp werden konnte. Doch notfalls wollten sie sie in dem Hotel unterbringen, in dem auch Wanda übernachtet hatte. Er würde versuchen den Artikel bis dahin fertig zu haben und Karzinger mit seiner Arbeit überzeugen. Dann konnte er vor dem Großereignis abreisen. „Ich sollte Karl Friedberg anrufen und…“, dachte er. „Tillman!“ Miriam saß in ihrem Auto. Sie hatte das Fenster herunter gelassen. „Wie ist es gelaufen?“, wollte sie wissen. „Gut, ja sehr gut sogar!“ „Ist er nicht süß?“ „Ehhh…“ Er war überrumpelt von ihrer kindlich scheinenden Bewunderung. „Sie ist verliebt in ihn! Warum auch nicht?“, dachte er. „Machen wir einen Spaziergang um den See!“, schlug sie vor. Sie war ausgestiegen. „Ich möchte dir das erklären, einverstanden?“ „Warum nicht? O. K.!“ Er war überhaupt nicht neugierig darauf zu erfahren, warum sich Miriam in Karzinger, der ihr Großvater hätte sein können, verliebt hatte. Doch da waren ihre Eltern und der Überfall der Polizei in seine Wohnung. Mit beidem wollte er sie konfrontieren. „Lass uns hier entlang gehen, auf der Sonnenseite! Der Weg ist besonders schön!“, schlug sie vor. „Einverstanden!“ Er erinnerte sich an Karzingers Aufforderung, Zeit und Offenheit in seinen Besuch zu investieren: Hier konnte er damit beginnen! Zunächst liefen er und Miriam schweigend nebeneinander her. Der Weg führte direkt am Ufer entlang und soweit er sehen konnte, gab es kein weiteres Haus in der Nähe. „Hast du dich sehr gewundert, mich hier zu treffen?“ Aus Miriams Stimme klangen Stolz und Eitelkeit, doch auch Unsicherheit, die sie zu verbergen suchte. „Ich habe gestern dein Auto gesehen, ohne genau zu wissen, ob es deins ist!“ „Aber du hast es dir gedacht?“ „Ja, trotzdem war ich mir nicht sicher!“ „Ich habe ihn bei einem Vorbereitungsseminar kennen gelernt. Er war nur da, weil er über seine Arbeit und das Zusammenleben hier sprechen sollte… Es war Liebe auf den ersten Blick! Für ihn auch!“, fügte sie sich selbst bestätigend hinzu. „Und wie alt ist er?“ Er ärgerte sich über ihre verliebte Selbstgefälligkeit und wollte sie nur zu gern in die Wirklichkeit zurückbringen. „Aber das ist doch unwichtig!“, antwortete sie bestimmt. „Und deine Eltern?“, er ließ nicht locker und es gefiel ihm, sie weiter mit Fragen zu konfrontieren, die ihr unangenehm sein mussten. „Das ist es, weshalb ich mit dir sprechen wollte!“ Sie blickte ihn hoffnungsvoll an: „Würdest du mir helfen?“ Tillman sah das überhebliche Lächeln von Kommissar Wörner vor sich. „Und wie stellst du dir das vor?“ Er wusste, dass er sich in die Familienverhältnisse der Blankensteins nicht einmischen wollte. Andererseits: War dies nicht eine Chance, mit seinen Nachforschungen voran zu kommen? „Ich habe meinen Eltern geschrieben, dass es mir gut geht und sie sich keine Sorgen zu machen brauchen. Aber das genügt vielleicht nicht?“ „Warum rufst du sie nicht einfach an. Wenn sie deine Stimme hören …“ „Das geht nicht!“, unterbrach ihn Miriam. „Ich kann nicht mit ihnen sprechen!“, gab sie kleinlaut zu. „Ich möchte meine eigenen Entscheidungen treffen können! Nicht immer gezwungen sein, mein Leben mit ihnen zu teilen!“„Das ist doch normal!“, bestätigte er sie. „Aber nicht für meine Eltern, das ist das Problem! Wenn du mit ihnen sprechen könntest, wenn du ihnen erklären würdest…!“ Sie sah ihn Hilfe suchend mit einem Kleinmädchenlächeln an. Sie war stehen geblieben. Tillman blickte auf den See. Das Wasser am Ufer war klar und… Er bückte sich und hielt eine Hand ins Wasser. „Genau die richtige Temperatur, um Schwimmen zu gehen!“ Miriam sah ihn immer noch erwartungsvoll an. „Ich muss darüber nachdenken, denn zunächst mal bin ich hier, um zu arbeiten!“ „Wenn ich ihr helfe, wird sie mir auch helfen müssen!“, dachte er. „Bevor ich zurück fahre, gebe ich dir Bescheid!“ Miriam wandte sich enttäuscht ab und ließ ihn allein. „Wie ein Kind, sie reagiert wie ein trotziges Kind! Aber ich bin nicht ihretwegen hier!“ Wenig später fiepte sein Handy. Erst dachte er, es würde Miriam sein, die sich entschuldigen wollte. Hatte sie seine Handynummer? „Ja, Hallo!?“ „Warum bist du gestern nicht gekommen! Ich habe gewartet!“ Es war Johanna Palm. Was sollte er ihr sagen! Die Wahrheit? „Es tut mir leid, ich konnte nicht!“ „Und warum konntest du nicht?“ Dabei lachte sie ein spitzes Lachen, als hätte sie Spaß daran, seine Männlichkeit in Frage zu stellen.„Ich arbeite an einem Auftrag, und bin hier, um einen Künstler zu interviewen!“ „Wie heißt er, und wo bist du?!“ Sie ließ nicht locker. Sollte er ihr… „Er heißt Bruno Karzinger!“„Der Karzinger mit seiner Künstlerkommune?!“ „Ja, der Karzinger!“ „Du hättest mir nur etwas sagen müssen, dann hätte ich dich mit ihm bekannt gemacht! Ich warte morgen auf dich… zur gewohnten Zeit!“ „Es ist ein Auftrag von der „Stadtzeitung“ und ich werde eine Weile hier bleiben müssen!“ „Ach, du Ärmster!“, hörte er Johanna Palm überheblich lachen, als fände sie seinen Auftrag und seine Arbeit die reinste Zeitverschwendung… Er hasste sie dafür, brachte aber noch heraus, dass er nun arbeiten müsste und beendete das Gespräch. Zurück in seinem Zimmer, öffnete er das Fenster und atmete tief die würzige und milde Frühlingsluft. Er begann zu arbeiten und hatte bald das Gespräch mit Johanna Palm vergessen. … realistische Bildelemente, Gesichter, Körperteile, überlagert von abstrakten Formen, in diese übergehend, um dann geläutert oder zerstört, aber in jedem Fall nicht ohne Zeichen einer Berührung, eines Konflikts, einer Verwandlung, daraus hervor zu gehen. Doch einige Elemente scheinen allen Einwirkungen, allen Konfrontationen zu widerstehen … verändern ihrerseits das, was als Kraft auf sie einzuwirken schien… saugen auf, speien aus… dies alles schwerelos aufgetragen als ein dauerndes Kommen und Gehen, eintauchend, sich auflösend, sich neu formierend, nach einer endgültigen Form drängend, um dann in die befreiende Leere einzutauchen… „Hier, hier … !“ Von weitem waren Stimmen, Gelächter und Gejohle zu hören. Er unterbrach seine Arbeit. Auch wenn ihm Karzingers Bilder gefielen, war er doch unzufrieden, denn das Treffen mit dem Maler war für ihn unbefriedigend verlaufen. Ein erfolgreicher alter Mann, der sich mit jungen Frauen und Männern umgab und sie für sich arbeiten ließ, aber ohne etwas von sich preiszugeben. Bisher gab es nichts Sensationelles zu berichten… Wie sollte er damit Karl Friedberg überzeugen? Die Stimmen und das Rufen waren weiterhin zu hören. Er schaltete das Notebook aus und verließ das Zimmer.

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