Читать книгу Die Harry Brown Liste - J. U. Gowski - Страница 7

1.

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Das Ende des Spätherbstes kündigte sich an. Das Wetter seit Tagen grau, kalt und nass. Der späte Abend kam mit schweren Wolken und mit ihnen kamen Regen und Dunkelheit. Die Landstraße lag verlassen da. Sie wurde nur noch selten befahren, seitdem es die neue Schnellstraße gab. Ein Mann stand seitlich an der Straße unter einem Baum und hörte den Wind, wie er sich in den alten Alleebäumen verfing, um die letzten Blätter mitzunehmen. Das braune Laub auf der Straße alt, nass und rutschig. Er hatte noch etwas Zeit, bevor der hellblaue BMW kommen würde. Ein E9 Coupe, ein Klassiker von 1973, wie er sich schlaugemacht hatte. Immer dieselbe Zeit, immer dieselbe Strecke. Kalter Regen lief ihm in den Halskragen. Es störte ihn nicht. Er lächelte vor sich hin und sah auf die Displayanzeige seines Handys. Er wartete. Seine Augen hatten sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt. In ein paar Minuten würde das kleine Auto der drallen Angestellten von der Sparkasse hier durchfahren.

Sie kam immer um dieselbe Zeit von ihrer Mutter, einer reizenden alten Dame mit Vorliebe für sorgfältig frisiertes blau-weißes Haar. Seinen Wagen hatte er tief in dem kleinen Waldweg geparkt, über seine Schuhe Plastiktüten gestülpt und fest mit Isolierband umwickelt. Er wollte keine eindeutigen Spuren hinterlassen. Der Regen würde das übrige tun.

So harrte er still im Dunkel der Bäume aus.

Es vergingen zehn Minuten, bis der kleine rote VW Polo vorbeifuhr.

Erneut schaute er auf die Zeitanzeige seines Handys. Pünktlich wie immer. Es blieben ihm noch ca. zwölf bis fünfzehn Minuten. Die würde er nicht brauchen. Alles war vorbereitet. Er lief vor, dahin wo sich die Landstraße zu einer Rechtskurve bog und fing an, die Reflektoren an den Bäumen mit schwarzer Folie abzukleben, kurz vor der Kurve auf der linken Straßenseite. Nachdem er damit fertig war, nahm er das bereitgelegte dünne Stahlseil, an dem in gleichmäßigen Abständen Reflektoren angebracht waren und die kleine Seilwinde. Er zog das Seil von der rechten Straßenseite schräg über die Straße zu den Bäumen, die er gerade abgeklebt hatte. Dann schlang er es in der richtigen Höhe um den Baum und spannte es mithilfe der kleinen Winde. Aus der Rechtskurve wurde eine gerade Strecke, an deren Ende ein knorriger Alleebaum stand. Er hoffte, der alte Baum würde den Crash überleben. Der Fahrer nicht. Aber da war er sich auch sicher, bei dem rasanten Tempo, mit dem der Fahrer diese Strecke immer befuhr. Ein tragischer Unfall und leicht erklärbar.

Überhöhte Geschwindigkeit, für dieses Wetter nicht angepasste Fahrweise.

Man konnte es sich aussuchen. Wieder ein leichtsinniger Fahrer, der seine Raserei mit dem Leben bezahlte. Ein Fall für die Verkehrsstatistik, mehr nicht. Der Regen wurde stärker. Er legte seinen Kopf in den Nacken und ließ den Regen auf sein Gesicht prasseln.

Dr. Bommer kam aus der Dusche, wo er sich die Spuren seines erotischen Abenteuers abgewaschen hatte und zog sich an. Seine Frau wusste zwar von dem Verhältnis, aber er musste ja nicht ihre Nase darauf stoßen, von wo er kam. Das gebot schon die Höflichkeit. Den Gedanken mit der Nase fand er witzig. Er kicherte.

Fertig angezogen betrat er das Schlafzimmer, beugte sich über die junge Frau im Bett und gab ihr einen sanften Kuss auf die vollen Lippen. Sie rekelte sich auf dem Laken. Dann hob sie ihren dunklen Lockenkopf und sah auf die kleine Uhr, die neben dem Bett stand. »Musst du wirklich schon los?«, fragte sie schmollend.

»Du musst nicht immer fragen, obwohl du es doch genau weißt.«, wies er seine Geliebte in einem streng väterlichen Tonfall zurecht.

»Ja, pünktlich zu deiner Frau.«

»Richtig!«

»Wann verlässt du sie endlich?«, fragte sie mit immer noch schmollendem Gesicht.

»Darüber haben wir auch schon gesprochen. Ich werde sie nicht verlassen.« Er sah sie eisig an. Da verstand er keinen Spaß. Etwas milder fuhr er fort: »Spiel nicht die Rolle der zurückgesetzten Geliebten. Sie passt nicht zu dir und ist auf Dauer auch ermüdend. Ich weiss, dass ich kein Adonis bin und mein Intellekt interessiert dich nicht. Es ist nur ein Arrangement, von dem wir beide etwas haben. Ich das Vergnügen und du den Luxus, den ich dir finanziere. Ich nehme an, dein Liebhaber profitiert auch davon.« Erschrocken riss sie ihre dezent geschminkten Augen auf. Jetzt macht sie wieder auf scheues Reh, dachte er. Naiv, Schmollmund, große erstaunte Augen. Wenn er es nicht besser wüsste. Sie konnte Männer schon um den Finger wickeln. Ihn nicht. Ihre Schauspielkunst reichte einfach nicht aus, um ihn ernsthaft zu täuschen. Sie amüsierte ihn eher. Er war einfach zu misstrauisch und hatte eine gesunde Selbsteinschätzung, was seine körperlichen Vorzüge betraf.

Besser gesagt, wusste er von den nicht vorhandenen. Ihm stand keine Eitelkeit, in welcher Form auch immer im Wege. Er bemitleidete die alten Schwachköpfe, ihren absurden Kampf gegen das Alter bis zur Lächerlichkeit. Wie sie ihre wenigen Haare fein säuberlich von weit hinten oder von weit unten von der Seite über ihre Glatze kämmten und dann mit viel Pomade haltbar machten. Bei jedem Windstoß sah es aus, als ob sich ein Klodeckel hob.

»Ich sagte ja, mein Intellekt interessiert dich nicht sonderlich. Was schade, doch nicht zu ändern ist.« Er lächelte sie kalt an. Dann ging er zu dem Sessel, auf dem er seine braune Aktentasche abgelegt hatte, griff sie und schritt zur Zimmertür.

Dort drehte er sich noch einmal um. Sie sah ihn immer noch verunsichert an. Er warf ihr spielerisch eine Kusshand zu, lächelte und sagte: »Bis nächste Woche.« Dann verschwand er durch die Tür. Sie blieb noch ein paar Sekunden im Bett liegen, bevor sie aufsprang und sich den Morgenmantel überwarf.

Leise, auf Zehenspitzen lief sie zum Fenster, stellte sich daneben und schob leicht die Gardine zur Seite. Vorsichtig linste sie nach draußen.

Es regnete heftig. Er hielt die Aktentasche als Regenschutz über den Kopf. Sie hörte ihn laut fluchen, als er die Wagentür von seinem alten hellblauen BMW nicht gleich aufbekam. Dann stieg er ein und fuhr los.

Sie blieb noch einen kurzen Moment neben dem Fenster stehen, dann ging sie ins Wohnzimmer und griff das Handy vom Couchtisch. Sie wählte eine Nummer. Nach einem kurzen Moment wurde am anderen Ende abgenommen. »Er ist losgefahren.«, sagte sie leise. Sie wusste in dem Moment selber nicht, warum sie flüsterte. Als ob sie befürchtete, er könnte sie noch in seinem Auto hören. Sie schüttelte darüber den Kopf. »Und er weiß über uns Bescheid, wie du schon vermutet hast.«, sprach sie lauter ins Telefon, während sie nervös über ihre sorgfältig gezupfte Augenbraue strich.

Der Mann stand verdeckt unter den Bäumen am Straßenrand. Er steckte das Handy in die Manteltasche. Das Display hatte 21.00 Uhr gezeigt. Es war inzwischen stockdunkel. Der Himmel schüttete sein Nass mit wütender Heftigkeit. Er war durchnässt und fror. Doch die Anspannung ließ ihn nicht daran denken. Er holte die Handschuhe aus der anderen Manteltasche und zog sie über. Es konnte nicht mehr lange dauern.

Weit vorn in der Kurve, tasteten zwei Lichtkegel die dunklen Umrisse des Waldes ab. Sie verschwanden kurz darauf in der Senke, unweit des letzten geraden Teilstücks der Straße. Er machte sich bereit. Das musste er sein. Der Mann lief vor zur Kurve, stellte sich dort in die Dunkelheit der Bäume. Er wollte bereit sein, und wenn nötig, sofort zur Stelle.

Denn falls es nicht so lief, wie er es sich gedacht hatte, würde Plan B zur Ausführung kommen.

Die Scheibenwischer arbeiteten auf Hochtouren. Es goss wie aus Eimern.

Zum Glück kannte er die Strecke, wusste, um die Zeit würde er allein auf der Straße sein. Es waren nur ein paar Kilometer bis Berlin. Eigentlich sollte er noch die Papiere abgeben, die er in seiner Aktentasche hatte, aber das konnte warten. Morgen ginge es sicher auch noch. Er würde Nasser Al-Sharif einfach von zu Hause anrufen und sich eine Ausrede einfallen lassen.

Er gab Gas. Der Tacho sprang schnell auf 130. Er hatte den Klassiksender eingestellt und war gerade dabei das Radio lauter zu drehen. Es lief ein Klavierstück von Franz Schubert. Plötzlich merkte er, dass mit der Straße etwas nicht stimmte. Irgendwas schien anders zu sein. Die Erkenntnis, und sein Versuch zu bremsen, kamen zu spät. Bruchteile von Sekunden später krachte er frontal in den alten Baum.

Der Mann, der den Unfall genau beobachtet hatte, trat aus der Dunkelheit. Er holte sich eine Taschenlampe aus seiner Jackentasche, schaltete sie ein. Dann lief er zu dem Autowrack. Mit einem kräftigen Ruck riss er die Fahrertür auf. Stumm hockte er sich zu dem Mann, der eingeklemmt in seinem Auto saß und leuchtete ihn mit der Taschenlampe an. Das Gesicht blutüberströmt. Eine riesige Platzwunde klaffte an der Stirn, wahrscheinlich durch den Aufprall gegen die Frontscheibe. Der Oldtimer hatte keinen Airbag. Die Lenksäule hatte sich durch den Brustkorb gerammt. Der Motorblock die Beine zerquetscht. Die Augen waren weit aufgerissen. Kein schöner Anblick. Er lächelte bitter, ohne Mitleid und sah zu, wie das Lebenslicht in den Augen des Mannes erlosch. Als es vorbei war, stand er auf, ging zu dem Stahlseil und trennte es von dem Baum. Vorsichtig wickelte er es auf, während er über die Straße ging. Er achtete darauf, dass sich kein Reflektor löste. Am anderen Ende angekommen öffnete er den Karabinerhaken von der Schlaufe. Er leuchtete mit der Taschenlampe die Stelle ab, an der er das Seil um den Baum geschlungen hatte. Er konnte in der Rinde die Druckspur erkennen, hoffte aber, dass sie keinem auffiel, wenn der Unfall untersucht werden würde.

Dann lief er wieder zurück zur Unfallstelle und riss die Klebefolien von den Bäumen entlang der Allee ab, mit denen er die Reflektoren abgeklebt hatte. Er schloss die Fahrertür des BMW. Fast hätte er es vergessen.

Als er um das Auto ging, bemerkte er die Aktentasche auf dem Beifahrersitz. Der Versuch die Tür zu öffnen, schlug fehl. Die Seitenscheibe war gesplittert. Mit dem Ellenbogen gab er ihr den Rest. Dann nahm er die Aktentasche und schüttelte die darauf gefallenen Glassplitter ab. Er schaute sich noch einmal um. Der Regen war etwas schwächer geworden. Bald würde er ganz aufhören. Zufrieden lief er zu seinem Auto und setzte sich hinein. Der Mann sah sich den Inhalt der Aktentasche an. Ein dickerer Hefter, ein Notizbuch, Brieftasche, zwei verschiedene Schlüssel und ein Smartphone. Die Brieftasche enthielt Führerschein, Ausweis, vier Kreditkarten und etwas Bargeld. Einen Moment später lief er zu dem Autowrack zurück, legte die Brieftasche und das Smartphone ins Handschuhfach. Es wäre eine unnötige Komplikation, wenn die Verkehrspolizei keine Papiere finden würde. Die Schlüssel steckte er in die Jackentasche des Toten. Er hoffte, dass in diesem Moment nicht doch noch ein Auto vorbeikam. Der Regen ging in schwaches tröpfeln über. Zurück in seinem Wagen widmete er sich dem Ordner und dem Notizbuch. Er konnte mit beidem nichts anfangen. Die Aktentasche hatte er aus einem plötzlichen Impuls heraus an sich genommen. Jetzt wusste er selber nicht, was er zu finden gehofft hatte. Vielleicht so etwas wie eine Mandantenkartei. Er packte alles zurück in die Aktentasche und legte sie auf den Beifahrersitz. Dann startete er seinen betagten Wagen. Der sprang zuverlässig ohne murren an. Langsam rollte er aus dem Waldweg und bog auf die Landstraße.

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