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VII

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Das Mittagessen übertraf in jeder Beziehung meine Erwartungen, und ich stellte fest, dass der Koch ein Meister war. Fräulein West führte den Vorsitz an der Tafel, und obgleich sie und der Steward sich gar nicht kannten, arbeiteten sie doch glänzend zusammen. Nach der Präzision, mit der er bei Tisch bediente, hätte man glauben sollen, dass er seit vielen Jahren Diener in ihrem Hause war und sie genau kannte.

Der Lotse nahm sein Essen im Navigationshaus ein, so dass wir bei Tisch nur die vier waren, die während der langen Reise zusammen essen sollten. Kapitän West und seine Tochter saßen einander gegenüber, während ich rechts vom Kapitän und Pike gegenübersaß. Fräulein West saß also rechts von mir, aber um die Tischecke.

Pike hatte sich feingemacht und eine schwarze Jacke angezogen, die wie ein faltiger Sack über den mächtigen Muskeln hing, mit denen sein krummer Nacken gepolstert war. Er sprach während des ganzen Essens kein Wort. Er hatte indessen zu viele Jahre am Tisch des Kapitäns gesessen, als dass seine Manieren nicht in jeder Beziehung tadellos gewesen wären. Zuerst glaubte ich, dass er sich durch die Anwesenheit Fräulein Wests eingeschüchtert fühlte. Später wurde mir jedoch klar, dass es die Anwesenheit des Kapitäns war, die diesen Druck ausübte. Kapitän West hatte nämlich eine besondere Art ihm gegenüber, die ich allmählich kennenlernte. So fern Pike und Mellaire den Matrosen standen, einfach weil sie von ganz anderer, höherer Art waren, ebenso fern stand Kapitän West seinen Offizieren. Er war unbedingter Aristokrat, durch und durch Aristokrat.

Andererseits behandelte Kapitän West mich als einen vollkommen gesellschaftlich Gleichgestellten. Ich war ja freilich auch sein Passagier. Fräulein West behandelte mich in derselben Weise, war aber dem Steuermann gegenüber viel entgegenkommender als ihr Vater. Und Pike antwortete ihr höflich mit »ja, gnädiges Fräulein« und »nein, gnädiges Fräulein«, während er mit guten Manieren aß und mich mit seinen durchdringenden blauen Augen unter den buschigen Brauen betrachtete. Ich meinerseits betrachtete ihn auch prüfend. Trotz seiner brutalen Vergangenheit hatte ich doch Sympathie für diesen Mann. Er war anständig und aufrecht. Aber mehr noch als das gewann mich für ihn sein knabenhaftes Lachen, das er hören ließ, als ich eine lustige kleine Geschichte zum besten gab.

Fräulein West war heiter, lebhaft, erfrischend. Ich bemerkte abermals, dass das feine, fast zarte Oval ihres Gesichtes nicht ganz mit ihrer Gestalt übereinstimmte. Sie war nämlich in Wirklichkeit ein durchaus kräftiges und gesundes junges Weib, ihre Formen hatten bei aller Schlankheit doch die schwellende Rundung lebendiger Kraft. Als ich ihr Gesicht näher betrachtete, entdeckte ich auch, dass es lediglich die Linien des Ovals selbst waren, die es so zart erscheinen ließen. Es war zwar fein, aber nicht schwächlich. Ihr Hals selbst war wie eine schöne gerade weiße Säule. Selbst ihre Hände zogen meine Aufmerksamkeit auf sich – sie waren nicht klein, aber wohlgeformt, weiß und stark und gepflegt.

Fräulein West erzählte, wie unerwartet ihr die ganze Reise gekommen war – sie erklärte ihren Entschluß als eine reine Laune. Während sie sprach, rechnete ich in Gedanken aus, wie viele wirklich leistungsfähige Menschen sich auf der Elsinore befanden. Es waren Kapitän West und seine Tochter, die beiden Steuermänner, dann selbstverständlich ich selbst und Wada sowie der Steward und endlich – ganz ohne Zweifel – der Koch. Die Zahl der Leistungsfähigen betrug also acht, aber davon waren freilich der Koch, der Steward und Wada Diener und keine Seeleute und Fräulein West und ich Überzählige. Für die Arbeit selbst blieben also nur drei – drei von einer Schiffsbesatzung von fünfundvierzig Mann. Ich zweifelte nicht, dass es noch andere gab, die etwas leisten konnten, denn es erschien mir ganz unmöglich, dass mein erster Eindruck von der Mannschaft richtig sein sollte. Übrigens war ja auch der Zimmermann da – er war auf seinem Gebiet vielleicht ebenso tüchtig wie der Koch. Endlich mochten noch die beiden Segelmacher hinzukommen, die ich noch nicht gesehen hatte.

Kurz darauf begann ich – noch bei Tisch – keck von dem zu erzählen, was mich besonders interessierte und meine unumschränkte Bewunderung erregt hatte, nämlich wie meisterhaft Pike und Mellaire sich die Herrschaft über diese traurige Mannschaft gesichert hatten. Als ich zu der Geschichte auf dem großen Luk kam, wo Pike Larry in die Luft geschleudert hatte ... und zwar nur mit einem Klapps von seinen Fingerspitzen ... sah ich einen warnenden, fast drohenden Ausdruck in den Augen des Steuermanns. Nichtsdestoweniger fuhr ich in meiner Erzählung fort und beschrieb das ganze Erlebnis.

Als ich geendet hatte, herrschte Schweigen. Fräulein West beschäftigte sich eifrig mit einer kupfernen Kaffeemaschine. Pike war im höchsten Maße in die interessante Tätigkeit des Nüsseknackens vertieft, vermochte aber doch nicht ein ganz leises schalkhaftes Aufleuchten seiner Augen zu verbergen. Kapitän West hingegen sah mir in die Augen – aber, mein Gott, aus welcher Ferne! Seine blauen Augen waren so klar, seine Stimme so sanft und leise wie je.

»Es gibt eine einzige Regel, die ich Sie freundlichst zu befolgen bitte, Herr Pathurst – wir reden nie von der Mannschaft.«

Das war eine tüchtige Backpfeife für mich. Und mit dem ausgesprochenen Gefühl, ein Leidensgenosse Larrys zu sein, beeilte ich mich zu bemerken: »Es war durchaus nicht die disziplinare Seite der Angelegenheit, die mich interessierte, sondern die Kraftleistung an sich.«

»Die Mannschaft macht uns Mühe genug, so dass wir nicht nötig haben, uns auch noch von ihr zu unterhalten, Herr Pathurst«, fuhr Kapitän West so ruhig und ungestört fort, als hätte ich überhaupt nichts gesagt. »Die Behandlung der Mannschaft überlasse ich meinen Offizieren. Das ist ihre Sache, und sie wissen ganz genau, dass ich keine überflüssige Härte dulde.«

Über das harte Gesicht Pikes flog der fast unmerkliche Schatten eines ironischen Lächelns, während er scheinbar teilnahmslos das Tischtuch betrachtete. Fräulein West lenkte das Gespräch auf ein anderes Thema und brachte uns bald zum Lachen durch die witzige Art, wie sie einen Streit mit einem Droschkenchauffeur in Boston erzählte.

Nach dem Essen ging ich in meine Kabine, um mir Zigaretten zu holen, und benutzte die Gelegenheit, um Wada über den Koch auszufragen. Wada war nämlich stets mit Neuigkeiten versorgt.

»Er heißen Louis«, erzählte er. »Er Chinamann. Nein – eigentlich nur halb Chinamann. Andere Hälfte Englischmann. Sie wissen, Napoleon langer Zeit Insel gelebt und tot dieser Inselland?«

»Sankt Helena«, antwortete ich.

»Richtig. Dort Louis geboren. Er sprechen guter Englisch.«

In diesem Augenblick kam Mellaire vom Deck in die Kabine herunter, nachdem er vom Steuermann abgelöst worden war. Auf dem Wege nach dem großen Raum im Heck, wo er zu tun hatte, kam er an meiner Kabine vorbei. Sein Gruß »Guten Abend, Herr Pathurst«, klang würdevoll und höflich, und doch war mir der Mann unsympathisch. Selbst wenn er mit mir sprach und liebenswürdig lächelte, hatte ich das Gefühl, dass etwas in der Tiefe seines Gehirns mich prüfend überwachte und erforschte, etwas Feindliches und Drohendes. Und irgendwie erinnerte er mich an die drei Männer, die als letzte aus dem Vorderkastell aufgetaucht waren, und denen Pike die Leviten gelesen hatte.

Hinter Mellaire trottete ein schüchternes und verlegenes Individuum mit dem Gesicht eines etwas blöden Jungen und dem Körper eines Riesen. Seine Füße waren fast noch größer als die des Steuermanns, aber die Hände – ich warf einen schnellen Blick auf sie – doch nicht ganz so groß wie die Pikes.

Als sie vorbeigegangen waren, sah ich Wada fragend an.

»Er Zimmerbaas. Er schaffen zweiter Tisch. Sein Name sein Lavroff. Steward sagen, er sehr viel jung für Zimmerbaas. Vielleicht zweiundzwanzig Jahren. Vielleicht auch dreiundzwanzig.«

Als ich meinen Kopf dem geöffneten Bullauge über dem Schreibtisch näherte, hörte ich wieder das Glucksen und Schwappen des Wassers. So ruhig und lautlos bewegte sich das Schiff vorwärts, dass man, wenn man am Tische saß, nicht auf den Gedanken kam, dass man sich nicht auf festem Boden befand. Ich war immer nur auf Dampfern gereist, und ich konnte mich eben nur schwer daran gewöhnen, dass es hier keine Schraube und daher auch nicht das unaufhörliche Zittern des Schiffskörpers gab.

»Nun, und was meinen Sie«, fragte ich Wada, der ebensowenig wie ich das Reisen auf einem Segelschiffe kannte.

Er lächelte höflich.

»Ich wissen nicht recht. Vielleicht alles gut und schön. Vielleicht auch nicht. Wir sehen.«

»Meinen Sie auch, dass es Krawall geben wird?«

»Ich finden, Seemänner sein sehr komisch«, drückte er sich um die Antwort.

Meuterei auf der Elsinore

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