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IX

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Ich schlief diese Nacht schlecht. Zwar schlief ich sofort ein, wachte aber gleich wieder auf. Und dann versuchte ich vergeblich wieder einzuschlafen, bis ich es schließlich aufgab. Aber bei meinem nervösen Zustand auch noch an Hitzpickeln leiden zu müssen – und noch dazu bei diesem saukalten Winterwetter, das war des Guten doch zuviel!

Um vier zündete ich das Licht wieder an, um weiter zu lesen. Meine Kabine lag auf der Luvseite des Schiffes, und an Deck hörte ich die Schritte des wachhabenden Offiziers, der unaufhörlich auf und ab ging. Einer wachte also dort oben. Die Arbeit ging ihren Gang, wachsame Männer paßten auf, und solange die Reise dauerte, würde – darüber war ich mir klar – diese Wachsamkeit keine Stunde aussetzen. Um halb fünf hörte ich den Wecker des Stewards Alarm schlagen, aber er wurde sofort wieder zum Schweigen gebracht, und fünf Minuten später streckte ich die Hand aus und öffnete die Tür, um den Steward zu rufen. Ich hatte Verlangen nach einer Tasse Kaffee.

Der Steward schien wirklich ein Juwel zu sein. Zehn Minuten später brachte er mir eine Tasse wundervollen Kaffees. Dann las ich weiter, bis es hell wurde, und als es halb neun war, hatte ich schon im Bett gefrühstückt, war angezogen und rasiert und an Deck. Wir wurden noch geschleppt, aber wegen des leichten Nordwindes waren schon die Segel gesetzt. Im Navigationshaus saßen der Kapitän und der Lotse und rauchten. Am Steuer stand ein Mann, dem ich sofort ansah, dass er zu den wenigen Tüchtigen an Bord gehörte. Er war nicht groß, eher etwas untersetzt. Seine Stirn war hoch und intelligent. Ich erfuhr später, dass er Tom hieß – Tom Spinker, ein Engländer. Er hatte blaue Augen, helle Haut, Haar und Bart waren graumeliert; er schien gegen Fünfzig zu sein. Er grüßte mich gutgelaunt und lächelte freundlich dabei. Er hatte freilich nicht gerade die seemännische Art des Schulschiffsjungen Henry, aber ich erkannte doch sofort, dass er nicht nur ein befahrener, sondern sogar ein tüchtiger Seemann war.

Fräulein West tauchte mit rosigem Morgenteint aus dem Navigationshause auf. Als ich auf ihre Frage, wie ich geschlafen hätte, »ganz scheußlich« antwortete, bat sie um nähere Erklärung. Ich erzählte ihr deshalb von meinen Hitzpickeln und zeigte ihr die Blasen an meinen Handgelenken.

»Sie müssen ein Blutreinigungsmittel haben«, entschied sie sofort. »Warten Sie doch bitte einen Augenblick ... Ich will sehen, was ich habe.«

Im selben Augenblick lief sie in die Kajüte und kam gleich darauf mit einem Glase Wasser in der Hand wieder, in das sie einen Teelöffel Cremor Tartari gerührt hatte.

Ich trank. Und um elf, als ich es mir auf meinem Deckstuhl bequem gemacht hatte, kam sie wieder und gab mir eine zweite Dosis. Bei dieser Gelegenheit rügte sie scharf, dass ich Wada erlaubt hatte, Possum Fleisch zu geben. Sie belehrte mich und Wada, dass es eine wahre Todsünde sei, so jungen Hunden Fleisch zu geben. Die Verpflegungsfrage des Hündchens erregte einen wahren Sturm in einem Wasserglase, und als alles vorbei war, hatte Fräulein West es verstanden, eine enge Verbindung zwischen uns beiden anzuknüpfen. Und sie hatte in mir das Gefühl wachgerufen, dass Possum uns eigentlich gemeinsam gehörte.

Das Gabelfrühstück bestärkte mich in meiner Bewunderung für den Koch. Im Laufe des Nachmittags ging ich deshalb in die Kombüse, um seine Bekanntschaft zu machen. Er war durch und durch Chinese, jedenfalls bis er den Mund öffnete, denn da wurde er plötzlich Vollblutengländer. Er sprach, tatsächlich so kultiviert wie ein Oxforder Student. Auch er war alt, um die Sechzig, wenn er auch nur Neunundfünfzig zugeben wollte. Dreierlei fiel mir besonders an ihm auf: sein Lächeln, das sein ganzes glattrasiertes Asiatengesicht mit den schiefen Augen umfaßte, seine außergewöhnlich regelmäßigen, weißen Zähne, die ich für falsch hielt, bis der allwissende Wada mich eines Besseren belehrte; endlich seine Hände und Füße. Seine lächerlich kleinen, aber schöngeformten Hände waren es, die mich veranlaßten, mir auch seine Füße anzusehen. Auch sie waren lächerlich klein und sehr gut, fast stutzerhaft beschuht.

Gegen Mittag setzten wir den Lotsen ab, aber die Britannia bugsierte uns noch einige Stunden und warf erst los, als das offene Meer vor uns lag und das Land nur noch als ein schmaler blauer Streifen am Horizont zu sehen war. Erst jetzt begann unsere Reise wirklich, wenn seit unserer Abfahrt von Baltimore auch schon gut vierundzwanzig Stunden vergangen waren.

Als der Schlepper loswarf, stand ich am Kampanjebogen und schaute voraus. Fräulein West trat zu mir. Sie hatte in der Kajüte zu tun gehabt und war nur heraufgekommen, um – wie sie sich ausdrückte – ein bisschen frische Luft zu schöpfen.

Sie beobachtete den Himmel mehrere Minuten in äußerst sachverständiger Weise und sagte dann:

»Das Barometer steht heute sehr hoch ... Die Brise wird nicht lange anhalten. Entweder schläft der Wind ein, oder er dreht sich. Dann gibt es eine Nordostkühlte.«

»Was würden Sie denn vorziehen?« fragte ich.

»Die Kühlte selbstverständlich. Sie bringt uns eher vom Lande weg und hilft mir außerdem schneller durch das Fegefeuer der Seekrankheit hindurch. Ja, ja«, fügte sie hinzu, »ich habe zwar gute Seebeine – aber am Anfang jeder Reise leide ich entsetzlich. Sie werden mich wahrscheinlich einige Tage nicht zu sehen bekommen.«

»Ich habe irgendwo gelesen, dass Lord Nelson nie eine gewisse Übelkeit überwand, wenn er auf See war«, sagte ich.

»Ich habe sogar meinen Vater gelegentlich seekrank gesehen«, antwortete sie. »Auch einige von den stärksten und abgehärtetsten Seeleuten, die ich je gekannt habe.«

Pike hielt einen Augenblick in seinem unaufhörlichen Auf- und Abwandern an Deck inne und lehnte sich neben uns an den Kampanjebogen. Ein Teil der Mannschaft arbeitete auf dem Deck unter uns. Meinem unerfahrenen Blick erschienen sie noch abstoßender als bisher.

»Eine nette Sammlung, Herr Pike«, sagte Fräulein West.

»Die schlimmste, die ich je gesehen habe«, knurrte er, »und ich habe doch was erlebt in der Beziehung.«

»Sie sehen so verhungert aus«, bemerkte ich.

»Sind sie auch«, antwortete Fräulein West, und ihre Augen glitten mit demselben abschätzenden Viehhändlerblick, den ich bei dem Steuermann bemerkt hatte, über die Männer hin. »Aber sie werden bald dicker, wenn sie regelmäßige Mahlzeiten und keinen Whisky bekommen. Nicht wahr, Herr Pike?«

»Sicher. Und Sie werden sehen, wie sie aufleben werden. Vielleicht. Denn es ist eine verdammt faule Gesellschaft.«

Ich sah hinauf in die mächtigen Berge aus Segeltuch. Auf unseren Masten waren in allen Richtungen Segel aufgeblüht, aber dennoch setzten die Matrosen unter Befehl Mellaires immer noch dreieckige klüverähnliche Segel zwischen den Masten. Die Langsamkeit und Ungeschicklichkeit der Mannschaft war dabei so groß, dass ich den Steuermann fragte:

»Was würden Sie mit dieser Mannschaft machen, Herr Pike, wenn es jetzt Sturm gäbe und Sie alle Segel gesetzt hätten?«

Er zuckte die Achseln, als ob ich ihn gefragt hätte, was er bei einem Erdbeben in New York tun würde, wenn ihm die Wolkenkratzer auf den Kopf fielen.

»Was wir machen würden?« antwortete Fräulein West an seiner Statt. »Die Segel herunterholen. Oh, das geht schon, Herr Pathurst, mit jeder Mannschaft. Sonst wäre ich schon längst ertrunken.«

»Sicher«, stimmte der Steuermann ihr bei. »Und ich auch.«

»Die Offiziere können reine Wunder vollbringen, selbst mit der schlechtesten Mannschaft«, fügte sie hinzu.

Wieder nickte Pike zustimmend. Unwillkürlich betrachtete ich seine beiden gewaltigen Fäuste, die sich ganz instinktiv ballten.

»Ich erinnere mich, wie wir einmal San Francisco mit einer ganz hoffnungslosen Besatzung verließen«, lachte Fräulein West. »Es war die Lallah Rookh – Sie erinnern sich doch, Herr Pike?«

»Das fünfte Kommando Ihres Vaters«, nickte er. »Erlitt später Schiffbruch an der Westküste. Lief bei dem großen Erdbeben auf.«

»Ja, das Schiff meine ich. Unsere Mannschaft schien damals nur aus Kuhjungen, Maurern und Landstreichern zu bestehen. Kaum hatte der Schlepper losgeworfen, begann es zu wehen. Da vollbrachten unsere Steuermänner aber reine Wunder ... Erinnern Sie sich an Silas Harding?«

»Ob ich mich erinnere!« rief Pike begeistert. »Das war ein Mann. Aber er muss schon alt gewesen sein!«

»Ja«, bestätigte sie. »Und ein furchtbarer Mann war er.« Sie wandte sich an mich. »Er war unser Steuermann. Die Männer waren alle seekrank und lauter unbefahrene Leute. Aber Harding kriegte doch die Segel herunter. Einer von den Grünlingen, ein Landstreicher – er hatte Herrn Harding offenbar schon von der richtigen Seite kennengelernt –, fiel von der Großuntermarsrahe. Glücklicherweise fiel er ins Großsegel, überschlug sich und landete an Deck auf den Füßen, ohne dass ihm etwas passiert war, aber zu seinem Pech direkt vor Harding. Ich weiß nicht, wer erstaunter war, aber ich glaube fast, Harding, denn er stand wie versteinert da – er hatte natürlich erwartet, den Mann zerschmettert zu sehen. Dem Mann aber erging es anders – er warf nur einen Blick auf Harding, dann sprang er wie ein Wilder in die Takelung und kletterte schleunigst wieder zu seiner Rahe hinauf.«

Fräulein West und Pike lachten so herzlich wie über einen guten Witz. Daß eine Dame und noch dazu eine so entzückende wie Fräulein West solche Dinge kannte und in diese Seite des Seemannslebens so tief eingeweiht war, gefiel mir nicht recht. Es bedeutete eine Verhärtung des Feinsten in ihrem Charakter – und das behagte mir gar nicht.

Ich betrachtete sie wieder, und wieder sah ich, wie fein ihre Haut war. Das Haar war dunkler als ihre Augenbrauen, die gerade und ziemlich niedrig über den mandelförmigen Augen lagen. Die Iris war grau, von einem warmen Grau, und ihr Blick war ruhig und fest, klug und lebhaft. Wenn man ihr Gesicht als Ganzes betrachtete, war das Bemerkenswerteste daran vielleicht der Ausdruck von tiefer Ruhe. Sie schien immer im Gleichgewicht, im Frieden mit sich selbst und der Welt zu sein. Beim Lächeln zeigte sie nur selten ihre Zähne, denn sie schien eigentlich nur mit den Augen zu lächeln. Wenn sie aber lachte, sah man die weißen Zähne, starke, gesunde, normale Zähne. Schön würde ich sie wohl nicht genannt haben, aber sie besaß vieles von dem, was eine Frau zu einer Schönheit macht.

»Fräulein West hat soeben den Wetterpropheten gespielt – «, sagte ich zu dem Steuermann. »Jetzt möchte ich gern wissen, was Sie vom Wetter denken?«

Pike ließ seinen Blick über die leise wogende Fläche des Meeres und über den Himmel schweifen. Einen Augenblick studierte er noch genau See und Himmel. »Bei dem hohen Barometerstand sollte ich fast meinen, dass wir eine leichte Kühlte aus Nordost bekommen werden ... oder der Wind flaut ab, was eigentlich das Wahrscheinlichste ist.«

Fräulein West warf mir einen triumphierenden Blick zu, hielt sich dann aber plötzlich am Bogen fest. Die Elsinore wurde durch eine außergewöhnlich hohe Dünung gehoben, um gleich darauf wieder ins Wellental zu sinken. Dann schlingerte das Schiff unter donnerähnlichem Knattern der Segel nach Lee.

»Der Wind stillt schon, er läuft Schulen«, sagte Fräulein West, mit einem Anflug von Ärger. »Und wenn es so weitergeht, muss ich in wenigen Minuten ins Bett kriechen.«

Sie lehnte mein Mitgefühl ab.

»Machen Sie sich meinetwegen keine Sorgen, Herr Pathurst ... Die Seekrankheit ist scheußlich und unappetitlich; aber im übrigen will ich lieber seekrank sein als Hitzpickel haben.«

Die Männer an Deck schienen wieder eine Dummheit begangen zu haben, nach der erhobenen Stimme Mellaires zu schließen. Ein Teil der Mannschaft trug in ihren Gesichtern deutliche Spuren von Schlägen – besonders einer von ihnen hatte ein so geschwollenes Auge, dass er es nicht einmal öffnen konnte.

»Es sieht aus, als ob er in der Dunkelheit gegen eine Deckstütze gelaufen wäre«, sagte ich.

Sehr beredt – aber auch ganz unwillkürlich und unbewußt – war der schnelle Blick, den Fräulein West auf die riesigen Fäuste des Steuermanns warf, deren Knöchel ganz frische Hautabschürfungen trugen. Dieser Blick gab mir einen tiefen Stich ins Herz: Sie wusste Bescheid.

Meuterei auf der Elsinore

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