Читать книгу Online mit mir selbst - Jacqueline Draheim-Frank - Страница 10
ОглавлениеInfoteil: Der achtgliedrige Pfad
Das Yogasutra von Patanjali43 ist eine Sammlung von Sutren. Sutren sind Merksätze beziehungsweise Leitfäden.
Der indische Gelehrte Patanjali formulierte das ihm zugängliche gesamte Yogawissen in seinem Werk. Man schätzt, dass der Text um die zweitausend Jahre alt ist. In vier Kapiteln enthält er knapp hundertfünfundneunzig Sutren.
Ein Teil des Buches erklärt den achtgliedrigen Yogaweg. Du denkst vielleicht, dass Yoga nur aus den Übungen auf der Gummimatte, den Asanas, besteht, aber so ist das nicht. Die acht Stufen weisen folgende Elemente auf:
1. Yama – die ethischen Gebote,
2. Niyama – die Haltung gegenüber sich selbst,
3. Asana – die körperliche Praxis,
4. Pranayama – die Atmung,
5. Pratyahara – das Zurückziehen der Sinne,
6. Dharana – die Konzentration auf eine Sache,
7. Dhyana – die Meditation und
8. Samadhi – die Erleuchtung oder Glückseligkeit.44
Der erste Punkt, Yama, wird unterteilt in:
Ahimsa (Gewaltlosigkeit),
Satya (authentisches Leben und Handeln),
Asteya (Neidlosigkeit),
Brahmacharya (nichts begehren, was anderen gehört),
Aparigraha (Schlichtheit und Beschränkung auf das, was man braucht und was einem zusteht).
Der zweite Punkt, Niyama, wird unterteilt in:
Sauca (Sauberkeit, körperliche und geistige Reinheit),
Santosha (Zufriedenheit),
Tapas (Disziplin),
Svadhyaya (Selbstreflexion, Studium der Lehren, Lernen),
Ishvara Pranidhana (Hingabe an etwas Größeres, Vertrauen in den Fluss des Lebens).
Die acht Glieder solltest du nicht als aufeinanderfolgende Stufen interpretieren. Yama und Niyama zeigen eine zu lebende Grundhaltung. Asana, Pranayama und Pratyahara bilden Übungen mit dem Körper. Dharana und Dhyana sind letztendlich Voraussetzungen, um in Samadhi zu finden.
Der Plan
„Boah, mich kotzt das Geknutsche von Tom und Linda so an!“, beschwert sich Franzi. „Das hält bestimmt nicht lange“, versuche ich, sie zu trösten.
„Meinst du?“, fragt sie mich hoffnungsvoll.
„Klar!“
„Denkst du, Tom hat bald die Nase voll oder eher Linda? Wer von den beiden macht wohl Schluss?“
Ich blicke Richtung Tom, der wie ein verliebter Dackel seine Linda abschleckt. Nach Nase voll sieht das nicht aus, aber Franzi ist so traurig, ich muss ihr etwas Hoffnung schenken.
„Na, wenn Tom nicht doof ist, wird er merken, dass Linda nur hübsch ist und mehr nicht.“ Das war ja auch nicht gelogen.
„Findest du Linda so richtig hübsch?“, reagiert Franzi fast zickig.
„Na ja, also so ganz objektiv betrachtet – schon, minus ihre doofe Lache allerdings, die ist furchtbar! Aber ja, schon, sie sieht ganz gut aus, so neutral gesehen, auf den ersten Blick, leider, da müssen wir ganz aufrichtig sein.“
Franzi sieht aus wie ein begossener Pudel. „Und minus ihr übertriebener Powackelgang, der ist echt peinlich!“, fällt mir dazu noch ein. „Ja, und minus ihre ganze Schminke!“, fügt Franzi trotzig hinzu.
„Ja, und minus ihr fehlender IQ“, ergänze ich. Franzi und ich drücken uns fest. Franzi laufen Tränen über die Wangen und sie flüstert in mein Ohr: „Danke, dass du da bist, du bist meine beste Freundin.“
„So gern! Und wir finden garantiert noch ganz viele Minusse, wir machen eine Liste, ja?“ Franzi nickt.
Arm in Arm laufen wir an Tom vorbei und ich sage extra laut: „Franzi, echt? Deeer coole Typ, der so Hammer aussieht, hat dich gestern dreimal angerufen? Krass!“ Ich brülle fast, damit es Tom nicht überhören kann. Franzi strahlt, begreift sofort und entgegnet cool: „Ja, ich weiß noch nicht, ob ich mit ihm ins Kino gehe oder doch lieber mit dem Typ aus dem Bus.“
Ha, das hat gesessen! Plötzlich stoppt Tom das Geknutsche und schaut Franzi hinterher, bevor er wieder weiterschleckt.
„Hat er mich angeguckt?“ Cool hat Franzi ihn keines Blickes gewürdigt.
„Ja und wie, richtig hinterhergestarrt hat er. Das wird Linda bestimmt nicht gefallen.“ „Wow, ich wusste es! Er wird es irgendwann begreifen“, strahlt Franzi viel zu optimistisch. Und dann kreischt sie ganz aufgeregt: „Ich hab’ es! Warum bin ich denn nur nicht eher darauf gekommen? Ich brauche einen Fake-Freund, dann wird Tom vielleicht wach und erkennt, dass er mich liebt!“ Sie schlägt sich mit der Hand an die Stirn, als wäre es die selbstverständlichste Lösung, die es gibt. „Ach, Franzi, ich glaube, du guckst zu viele Happy-End-Liebesfilme.“
„Nö, ich glaube, du guckst zu wenige! Ist doch auch nicht normal, dass du dich nie verknallst!“, erwidert sie schmollend.
„Na, ich bin froh.
Liebe scheint ja ganz schön kompliziert zu sein.
Aber hey, ich unterstütze dich natürlich. Suchen wir dir einen Fake-Freund. Alles klar.
Oder nicht alles klar. Ich meine – willst du den Fake-Freund einweihen oder gehst du zum Schein echt mit jemandem?“
„Na ja, das kommt auf den Typen an. Wenn ich ihn gern knutschen mag, dann auch gern real“, lacht Franzi.
„Franzi, echt jetzt?“
„Nee, das wäre fies, ich weiß. Ich brauche einen, der im selben Boot sitzt wie ich, der da freiwillig mitmacht. Lass uns mal überlegen. Wer hätte was davon, eine Fake-Freundin zu haben?“
„Na ja, jeder, der nicht gerade beliebt ist, aber das willst du sicher nicht hören. Guido zum Beispiel, bei dem immer die Arschbacken aus der Jeans raushängen. Oder der kleine Sören mit der süßen Nickelbrille. Die könnten alle etwas Imageaufbau gebrauchen.“
„Oder Eddy!“, rufen wir beide wie aus einem Mund. Eddy ist Lindas Ex-Freund und er trauert ihr schon ein Jahr hinterher. Jeder weiß das, auch Linda, sie genießt das in vollen Zügen. Eddy ist ein gutaussehender Typ, das könnte klappen!
Yogastunde Nummer zwei – total sinnvoll, ist trotzdem langweilig
Wie geplant komme ich erst zwei Minuten vor Stundenbeginn im Studio an, so vermeide ich peinliche Stille oder krampfige Gespräche. Die anderen Mädchen sitzen schon auf ihren Matten. Die meisten von denen scheinen sich gut zu kennen. Puh, irgendwie doof, dass ich alleine da hingehen muss. Franzi hat sonntags immer Hockey, sonst wäre sie ja mitgekommen. Aber egal, ist eben so, muss ich durch, hilft ja nix. Ich schnappe mir eine Matte, einen Block, eine Decke und einen Gurt – und schon geht es los. Komisch, ich bin immer noch ein bisschen aufgeregt. Jacque beginnt: „Okay, Mädels, heute haben wir vor allem das Thema Rücken im Angebot. Ich bekam diesbezüglich von zwei Mädchen eine Nachricht. Sie wollten wissen, welche Asanas für den Rücken gesund sind. Also, generell ist Bewegung schon mal absolut wichtig. Unser Körper ist nicht für stundenlanges Sitzen gebaut, dadurch verkürzt sich unsere Körpervorderseite und unsere Körperrückseite wird schlapp. Es gilt also, Strukturen zu kräftigen, aber auch aufzudehnen. Ein ganz wesentlicher Muskel, der an Rückenschmerzen beteiligt ist, ist der Musculus psoas major, der große Lendenmuskel. Sehr oberflächlich dargestellt verbindet er die Lendenwirbelsäule mit den Oberschenkeln.
Er ist also für unsere aufrechte Haltung verantwortlich.
Wenn früher ein Höhlenbewohner in Gefahr geriet, er zum Beispiel einem Säbelzahntiger gegenüberstand, signalisierte das Gehirn:
Flucht oder Kampf. Es ging um das nackte Überleben.
Der Körper machte sich bereit, zu rennen, oder, wenn der Tiger schon zu nah war, zu kämpfen. Heute löst Stress die gleiche Kettenreaktion in uns aus, der Psoas wird unter anderem durch diese Reaktion angespannt. Wir können nur heutzutage aus stressigen Situationen oft nicht flüchten.
Der Körper verbucht: Stress, der nicht aufgelöst wird. Der Stress legt sich irgendwo im Körper nieder. Ihr bekommt vielleicht Kopfschmerzen, Bauchweh, Nackenschmerzen, was auch immer. Bei vielen ist der Psoas aufgrund des stressigen Alltags konstant unter Anspannung und das führt zu zahlreichen Problemen wie beispielsweise Rücken-, Hüft- und Knieschmerzen. Da der Psoas an das Zwerchfell gekoppelt ist, beeinflusst er auch die Qualität der Atmung. Die Atmung ist ein Kennzeichen unseres Lebens, relevanter geht es gar nicht. Die Verkrampfung des Psoas hat somit großen Einfluss auf unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit, deswegen hole ich ausnahmsweise mal so aus“, erklärt Jacque eindrücklich.
„Und wo genau liegt dieser Muskel? Ich kann mir den so gar nicht vorstellen“, meint ein Mädchen. Sie heißt Anna. Anna ist eine von den Selbstsicheren. Eine von denen, die interessiert Fragen stellen und keine Probleme haben, vor einer großen Gruppe zu sprechen. Ich bin nicht so. Ich bin zwar nicht total schüchtern, aber dennoch mag ich es nicht, mich in einer großen Gruppe aktiv einzubringen und den Blick der anderen Menschen auf mich zu ziehen. Und wie peinlich wäre es, wenn man etwas Dummes sagen würde?
Jacque holt ein Modell der Wirbelsäule hervor, schnappt sich einen Gurt und ahmt den Verlauf dieses Muskels nach. Ich bin eher nicht so an Anatomie interessiert, aber zumindest verstehe ich jetzt, wo dieses Teil liegt und was der Muskel macht.
„Er entspringt auf beiden Seiten der Wirbelsäule, seitlich vom zwölften Brustwirbel aus umspannt er jeden der fünf Lendenwirbel; von dort verläuft er abwärts durch den Unterbauch und das Becken und endet am oberen Ende des Oberschenkelknochens“, zeigt uns Jacque.
„Und was macht man, damit er aufhört, sich anzuspannen?“, will Leonie wissen.
„Es gibt einige Asanas, die den Psoas dehnen, wie zum Beispiel der Baum. Davon machen wir heute einige Übungen. In der taoistischen Tradition wird der Psoas sogar der Sitz der Seele genannt. Das zeigt, wie wichtig er für unser Wohlbefinden ist. Und natürlich ist jede Form von Stress nicht gut, daher ist es wichtig, wenn ihr Techniken findet, um euch zu entspannen. Ich stelle euch im Unterricht immer wieder Entspannungstechniken vor, wie zum Beispiel eine geführte Meditation oder einen Körperscan. Vielleicht findet ihr heraus, was euch von diesen Vorschlägen guttut. Mir persönlich hilft am besten ein tief geführter Atem. Er stimuliert zuverlässig den Parasympathikus und das spüre ich deutlich.“
„Was ist der Parasympathikus?“, schaltet sich Johanna ein.
„Ach, entschuldigt, dass ich so achtlos mit einem Fremdwort um mich schmeiße. Klar, dass ihr das nicht unbedingt wisst. Er ist Teil des vegetativen Nervensystems, man nennt ihn auch Ruhenerv. Er ist wichtig für die Erholung und den Aufbau unserer Körperreserven. Er aktiviert Selbstheilungskräfte und schenkt uns quasi neue Energie. Er steuert den Blutkreislauf und die inneren Organe. Ohne die Aktivität des Parasympathikus würden wir die ganze Zeit auf Hochtouren laufen.
Deswegen ist es total wichtig, auch mal auf dem Sofa zu chillen und tief durchzuatmen.
Sein Gegenspieler ist der Sympathikus, der bei starken Belastungen und Stress eine Leistungssteigerung des Körpers bewirkt“, informiert uns Jacque.
„Schön und gut, aber muss man nicht nur ganz simpel die Rückenmuskeln trainieren, wenn man keine Rückenschmerzen haben möchte?“, fragt Sophie etwas forsch. Wahrscheinlich hat sie auch genug von dem langen Vortrag.
„Auf alle Fälle ist das wesentlich. Ein gesunder Rücken hat ganz viele Ansatzstellen, die einbezogen werden müssen. Man sollte auch unbedingt zusätzlich die Bauchmuskeln trainieren. Es geht einerseits um Kräftigung, aber auch um Weite und Mobilität. Aber nicht nur darum, alles beginnt mit einer gesunden Ausrichtung der Wirbelsäule. Und die Basis für einen gesunden Rücken ist die richtige Beckenstellung. Keine Sorge, wir legen gleich los, aber ich zeige euch mal kurz anhand dieses Skeletts, wie die Wirbelsäule gegliedert ist und wie ihre natürliche S-Form aussieht.
Es macht wenig Sinn, wenn ich euch sage, dass ihr euer Kreuzbein in Richtung Fersen verlängern sollt, um nicht zu hohlkreuzig zu werden, wenn ihr gar keine Ahnung habt, wo das Kreuzbein liegt und was ich damit überhaupt meine. Okay?“
Die Mädels nicken eher etwas gelangweilt, aber Jacque ignoriert das einfach. Sie scheint uns unbedingt dieses Wissen eintrichtern zu wollen.
Ich kenne keine Rückenschmerzen und mag ja lieber meinen Bikinibody tunen. Aber okay, jetzt weiß ich genau, wie meine Wirbelsäule aussieht und dass es diesen krassen Wohlfühl-Allround-Muskel gibt. Jetzt hoffe ich nur, dass das nicht so ein Schulunterrichtsambiente bleibt. Aber locker bleiben, denke an das Konzert. Letztendlich muss ich ja nur die sechzig Minuten abhaken, aber mit einem trainierten Knackpo hätte ich wenigstens was davon.
„So, nun habe ich mehr als genug geredet, das war heute mal eine Ausnahme. Wir gehen jetzt in die Praxis über und kümmern uns dabei um den Psoas. Nun wisst ihr aber, warum er so wichtig ist. Vielleicht spüren auch einige von euch gleich Schmerzen bei den Übungen. Das liegt dann höchstwahrscheinlich an einem verkürzten und somit angespannten Psoas. Wenn die Schmerzen nicht pieken oder stechen, sondern sich wie ein guttuender Wohlschmerz anfühlen, dann ist das so gewollt und völlig in Ordnung. Geht aber bitte behutsam mit euch um und meldet euch, wenn es doll wehtut. Wichtig ist, dass es kein piekender, stechender Schmerz ist, zum Beispiel am Knie, dann geht sofort aus der Übung raus“, beendet Jacque endlich ihre viel zu lange Ausführung.
Boah, eins weiß ich nach der Stunde ganz genau: Die Asana Taube ist nicht meins!
Sie tat scheiße weh, auch als Jacque mich mit Decken und Kissen unterstützte, war es immer noch unangenehm. Jacque meinte, ich sollte auch zu Hause Übungen machen, um meine Hüfte zu öffnen. Ich könne sie auch gern nach dem Unterricht noch mal ansprechen. Das lasse ich aber lieber. Ich habe null Bock auf noch mehr Anatomie-Geschwafel. Was auch immer offene Hüften sind: Meine scheinen geschlossen zu sein.
Ich konnte bisher gut damit leben, ich wusste nicht mal was davon.
Wozu braucht man bitte offene Hüften?
Hm, diese Stunde war irgendwie nicht so toll. Öde und schmerzhaft. Aber was komisch ist: Direkt nach den Übungen fühlt es sich anders an, wenn ich laufe. Ich kann es gar nicht richtig beschreiben. Es ist ein bisschen schwebender, fluffiger, müheloser. Ein merkwürdiges Gefühl irgendwie, aber total angenehm, als wäre jeder Schritt leichter.
© alamy
Okay, ich bin dann mal offen für Mums Freund
Mum holt mich ab, sie steht schon vor dem Studio.
„Süße, ist es okay, wenn wir heute direkt nach Hause fahren, ohne essen zu gehen? Ich habe Seine versprochen, noch rumzukommen. Er war jetzt zwei Wochen auf Tour. Ich freue mich so auf ihn. Wir wollten zusammen was kochen.“
„Klar, kein Ding. Warum gehst du eigentlich immer zu ihm?“, wundere ich mich.
„Na ja. Er wohnt echt toll, so direkt auf dem Wasser. Er wohnt auf einem Hausboot. Es ist alles sehr klein, aber total gemütlich. Und ich will ja auch nicht, dass wir dich in unserer Wohnung nerven.“
„Ach, das ist schon okay“, sage ich.
„Weißt du, ich finde es ganz gut so, wenigstens zurzeit. Seine ist mir sehr wichtig und wenn du nicht so Bock auf ihn hast, dann ist es gerade besser so. Er will dich natürlich gerne kennenlernen. Seine ist aber auch supertolerant und hat akzeptiert, dass das noch nicht dein Wunsch ist. Ihr seid die wichtigsten Menschen in meinem Leben und ich mag nichts forcieren. Du wirst mir signalisieren, wenn du Interesse hast, dich diesbezüglich zu öffnen.“ Ihre Stimme zittert ein bisschen.
„Du tust ja fast so, als würde ich ihn überhaupt nicht kennen“, antworte ich etwas verunsichert.
„Na ja, du hast ihm ein paarmal Hallo und Tschüss gesagt, wenn er mich abholte, mehr nicht. Bisher schienst du nicht sehr an ihm interessiert zu sein und ich will ihn dir ja auch nicht aufdrücken. Ich versuche eher, mein Liebesleben von dir fernzuhalten.“
„Also, Details über dein Liebesleben möchte ich wirklich nicht hören.“ Ich verziehe angewidert mein Gesicht und grinse anschließend. „Aber klar kann Seine zu uns kommen. Ich werde mich auch höflich zu euch an den Tisch setzen.“
„Hast du denn Lust, ihn kennenzulernen?“, wiederholt Mum ihre Frage.
„Ist er dir denn so richtig wichtig? Ich meine, denkst du, das wird was Ernstes?“, will ich wissen und weiß dabei nicht, ob ich die Antwort hören mag.
„Ja, das ist es, Felicy, es ist sehr ernst. Er ist mein Seelenverwandter. Ich war mir noch nie bei einem Menschen und in meinen Gefühlen so sicher“, erklärt sie bedeutungsvoll.
„Wow!“ Ich bin kurz sprachlos. Ich schaue sie an und kenne diesen Blick: Es ist ihr sehr wichtig.
„Okay, was auch immer er für dich ist, dann sollte ich ihn wohl treffen“, antworte ich schlagartig.
„Das würde mich total freuen.“ Sie umarmt mich und hat Tränen in den Augen.
Auweia, ich war in letzter Zeit ganz schön auf dem Egotrip.
Ich hatte ja null Ahnung. Alles, was ich über ihn weiß, ist, dass Seine gut singen kann.
Ich habe eine Aufnahme von ihm gehört. Er singt allerdings in so einer No-Name-Band, er ist also nicht berühmt und erfolgreich. Die Musik war allerdings ganz cool, so Café-del-Mar-Ibiza-Style. Ich habe Seine einige Male gesehen und ein paar Floskeln haben wir auch schon gewechselt. Mum und er sind ja nun bestimmt auch schon ein Jahr zusammen. Seine sieht wie ein Indianer aus. Er ist immer braun gebrannt, aber nicht so solariumbraun, sondern wie ein Mann, der immer draußen ist. Er hat halblanges schwarzes Haar. Seines Körper wirkt drahtig und sportlich und seine Augen sind ein Hingucker, sie sind knallgrün. Er hat freundliche, lächelnde Augen und wirkt insgesamt ganz gechillt. Mit dem komme ich sicher klar. Ich schaue Menschen oft in die Augen und meine dann zu erkennen, ob ein Mensch nett ist oder nicht. Das ist so ein Bauchgefühlsding bei mir und bisher lag ich damit immer richtig.
„Seine, ich bin es. Ich sitze noch im Auto und habe die Freisprechanlage an. Felicy sitzt auch im Auto. Du, magst du heute mal zu uns kommen?“, ruft Mum etwas zu laut und aufgekratzt durch die Freisprechanlage.
„Hey Felicy. Klar, ist das denn okay?“, höre ich eine tiefe, warme Stimme fragen.
„Total okay!“, entgegnet Mum euphorisch in den Lautsprecher.
„Cool, freue mich. Wann soll ich denn kommen?“, fragt Seine.
Mum schaut mich an.
„Hey Seine, ich bin es, Felicy.“ Ich finde es komisch, wenn ich stumm zuhöre.
„Hey Felicy, alles gut bei dir?“, will er nun wissen.
„Ja, danke. Also, magst du zum Essen kommen? Wir brauchen noch so eine halbe Stunde und dann sind wir da.“ Ich rede etwas zu hastig, jetzt hat Mum mich mit ihrer Aufregung angesteckt. Es ist komisch, mit ihm zu telefonieren.
„Super, ich muss noch was zusammenpacken und brauche ja auch noch ein Weilchen bis zu euch. Wisst ihr was? Fangt bitte nicht schon an zu kochen, ich bringe einfach was mit. Sagen wir, so in einer knappen Stunde?“
„Super, passt“, antworte ich.
„Cool, ich freue mich echt. Danke, Felicy, eure Einladung weiß ich sehr zu schätzen. Bis später“, tönt es tief durch die Freisprechanlage. Seine Stimme ist echt wow. „Tschüss, freue mich riesig auf dich, Kuss“, verabschiedet sich Mum. Sie hat glühend rote Wangen und sieht echt glücklich aus. Zügiger als sonst fährt sie nun nach Hause und singt alles mit, was das Radio so anbietet. Jetzt bin ich aber auch richtig gespannt auf Seine, hoffentlich wird das kein verkrampfter Abend.