Читать книгу Die Sterne in uns - Jan Corvin Schneyder - Страница 15

IX
JILL

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Endlich umarmten wir uns.

Mir war, als wäre mein Zuhause nach Hause gekommen.

»Hattest du Sorgen, kleine Woodi?«, fragte Jill und strich mir ein Strähnchen aus der Stirn.

Sie grinste herrlich irre vor Glück. Das stand in strengem Kontrast zur sanften Stimme und dieser zärtlichen Geste.

»Wir haben hier ein paar Morde, Terrorismus, eine Verschwörung oder sowas, aber das läuft schon«, sagte ich und zwinkerte.

Natürlich war auch das verrückt und völlig pietätlos, aber Jill war ein schwieriges, großartiges Genie. Normales Verhalten musste in ihrer Gegenwart nicht sein.

Ich musterte sie einen Moment lang.

Ihr war offensichtlich während der kurzen Gefangenschaft nichts zugestoßen. Allerdings wäre es auch sehr ungewöhnlich gewesen, hätte es in der Justiz zu dieser Zeit weit verbreitete Missstände gegeben. Es war längst nicht alles perfekt in unserer Gesellschaft, aber seit dem knapp gescheiterten Putsch der Faschisten übte sich das staatliche Gewaltmonopol doch sehr in Zurückhaltung.

»Ich bin ein freier Vogel?«, fragte sie vergnügt. »Darfst du mich fliegen lassen?«

»Nein, aber ich tue es trotzdem«, sagte ich.

Ich wollte gar nicht erst hineingehen, abwarten, einen Kaffee anbieten oder ähnliches.

Ich wollte gleich an Ort und Stelle Antworten haben.

»Was war, nachdem Jensen dich niedergeschlagen hat?«

Ihr Lächeln verschwand, aber sie blieb ein seltsamer Anblick für jemanden, der sie nicht kannte. Sie sah auf ihre Finger, während sie sprach - und sie sprach sehr schnell.

»Naja, das war ein harter Knockout. Richtig hart. Unnötig gemein. Sah ich nicht kommen. Ich hatte Kopfhörer auf in dem Moment. Gute Musik, da knallt es extrem überraschend. Als ich aufgewacht bin, war Lennox da. Ich hatte ein bisschen Blut am Kopf. Er auch an den Fingern. Naja, er hat nachgesehen. Alles gut. Er sah richtig erschrocken aus. Mir war noch schwindelig. Wie von falschen Pilzen in der Suppe. Unser Annäherungsalarm ging los. Das war komisch, weil Jensen ja schon abgehauen war. Also falls jemand sagt, Jensen hat Lennox ermordet: No way! Der war weg. Lennox hatte ihn abdüsen sehen. Du ja auch. Er dich ja auch. Ach, was erzähl ich dir? Also Lennox rennt los. Wegen des Annäherungsalarms. Dem hier bei uns. Ich rappel mich hoch, steck mir erst mal ne Ziggi an und reib mir den Steiß, weißt du? Wie ich halt so bin. Dann geht der Alarm plötzlich aus, mitten im Heulton. Abgewürgt. Das klingt eigentlich nicht so, wenn man ihn deaktiviert. Dann heult er seine Melodie noch kurz zu Ende. Weißt du ja von den Alarmübungen. Bis die Kaskade kollabiert. Oder so ähnlich. Hast du was zu rauchen?«

Ich schüttelte den Kopf. Drinnen gab es etwas, aber hier draußen nicht. Ich rauchte nur sehr, sehr selten.

»Weiter, Jill. Ich muss alles wissen, bevor die anderen dich in die Finger kriegen!«

Sie nickte.

»Ich also raus in den Korridor. Ich rufe nach Lennox, aber es kommt keine Antwort. Dann Geräusche. Poltern. Ich dachte auch Glas splittern zu hören, aber ich habe keine kaputte Scheibe gefunden. Naja, ich war aber noch nicht weit gekommen, da kamen Sicherheitskräfte der Unyon den Gang rauf und auf mich zu. Fünf oder sechs Typen. Keine Frau. Das hat mich schon mal gestört. Helme mit abgedunkelten Visieren, alle mit diesen Searer-Streitkolben im Arm. Diese Kuschel-Kalaschnikows.«

Sie meinte Searer-Gewehre. Ich gestikulierte, sie solle fortfahren und sich nicht an diesem Detail aufhalten.

»Und dann die Standard-Ansprache. Für mich, Woodi!«

Ich verdrehte die Augen und steckte mir einen Finger in den Mund. Juristisches Gesülze fand ich zum Kotzen.

»Dass Dewie Jill Bekker jetzt verhaftet sei wegen Mordes an Dewie Lennox Torgan und ich das Recht hätte, die Klappe zu halten. Ich war total angepisst - und vor allem geschockt! Lennox war weniger als fünf Minuten weg von mir und schon tot? Ich weiß nicht, wer noch hier drin war, Woodi, ich schwöre es! Da kann entweder einer gekommen sein in den wenigen Minuten nachdem du und Jensen weg waren oder …«

»Oder da war schon längst einer hier, mitten unter uns«, sagte ich eisig.

»Wann auch immer er die Bombe in der Nähe der Rampe platziert und wann auch immer er Andrew ermordet hat. Wir haben irgendeinen fiesen Gegner hier drin gehabt.«

Jill nickte und sah nicht mehr auf ihre Finger oder den vorbeifliegenden Vögeln nach. Jetzt war sie ganz wach, voll da und sah mich direkt an.

»Woodi, ich hab lange gedacht, die Typen von der Unyon hätten Lennox ermordet. Die waren so kurz nach seinem Tod schon bei mir. Aber ich habe vor dem Abflug hierher erzählt bekommen, dass es noch mehr Tote gegeben hat. Andrew. Maryja. Sie sagten mir, dass ich damit vor Gericht gute Karten hätte, weil die anderen ja ermordet wurden, als ich schon verhaftet war.«

Ich schüttelte den Kopf.

»Ich weiß nicht, wie die darauf kommen. Waren das Anwälte?«

»Ne, die Piloten vom Gleiter. Normales Personal.«

»Na dann haben sie vergessen, dass der Todeszeitpunkt von Andrew nicht hundertprozentig klar ist und dass so eine Bombe wie die von Maryja auch im Vorfeld deponiert und programmiert werden kann. Steuerung ist schwierig von weit weg, klar, aber würde ich dich verdächtigen, wärst du noch nicht fein raus. Interessanter wäre die Feststellung, dass die Unyon wirklich raus ist.«

»Hast du wieder einen internen Putsch oder sowas im Verdacht? Das verfolgt dich ein bisschen, hm?«

Ich schüttelte den Kopf.

Politische Unruhen und Putschhandlungen hatte es in den letzten Jahren wirklich einige gegeben, aber das war in Kriegszeiten sicher nicht unnormal. Immerhin hatte die Unyon beinahe einen langjährigen Krieg gegen das Prismonium verloren und in letzter Sekunde eine Invasion durch das Delta Empire abgewendet – durch fremde Hilfe allerdings. Diese beiden externen Gefahren waren für den Moment gebannt und weit weg, und ich fand wirklich, dass sich Gesellschaft, Unyon und Squadronica, beruhigt hatten.

»Ich hatte gar nichts im Verdacht bislang, Jill, zumindest nicht so richtig, aber ich habe schon Sorge, dass mein Auftraggeber mich beauftragt hat, um von sich selbst als Täter abzulenken. Ist zwar weiterhin auch noch möglich, aber alles deutet auf eine fiese Person hin, die mit Jensen gearbeitet hat. Da gibt es wohl so eine Gruppe von Irren, die gern tötet und zerstört.«

»Ich hasse solche Typen«, sagte Jill ernst. »Das ist keine gute Art, seine Meinung zu verkünden. So Leute sagen immer, sie seien die Unterdrückten, sie seien die Revolution, aber die besten Revolutionen gab´s am Ende doch immer eher friedlich. Alles andere wandelt schlechte Gewalt in schlechte Gegengewalt um, nichts weiter.«

Ich nickte, war aber nicht daran interessiert, die Geschichtsstunde zu vertiefen.

Die wichtigsten Puzzlestücke kennen wir noch nicht, da bin ich sicher. Es ist viel zu früh, über das große Ganze nachzudenken.

Ich bemerkte, dass Jill auf eine Erwiderung wartete.

»Wir reden beide von der Unyon als möglichem Bösewicht, als wären wir nicht selbst die Unyon. Wir sollten das nicht vergessen. Wir sind Offiziere der Squadronica Terrensis, ihrer wichtigsten Exekutive. Wenn andere Einheiten aufkreuzen, können wir nicht wie von einer fremden Macht sprechen. Die haben auch nur ihren Job gemacht.«

Jill nickte, sagte aber nichts.

Genug geschauspielert. Jetzt ist der Moment, dir die Sache um die Ohren zu hauen.

»Jill, ich weiß, dass der Doc dich untersucht hat nach dem Niederschlag durch Jensen. Da lebte Lennox noch. Wieso fehlt das in deiner Geschichte? Bei dir rennt Lennox, direkt nachdem er dir geholfen hat, wegen des angebliches Alarmes weg, wird ermordet, und dann kommen schon die Sicherheitskräfte der ST. Erklär mir das mal, am besten sofort und bitte überzeugend!«

Jill verzog den Mund und riss die Augen auf. Es sah weniger verrückt aus als sonst, sondern ehrlich schockiert.

»Du glaubst, ich war das?«, fragte sie mit sehr leiser, brüchiger Stimme. »Du traust mir das zu? Das alles?«

Mädchen, du bist meine beste Freundin seit zwei Jahren, aber ich hab leider gelernt, dass alles möglich ist.

Ihre Augen verengten sich, ihr Mund begradigte sich. Sie sah nun sehr seriös und ernst aus, kein bisschen verrückt.

»Ich vermute, dich haben viele Leute ganz schlimm durcheinandergebracht, Vanessa Woodman. Ich ermorde keine Kameraden. Ich ermorde überhaupt niemanden. Der Doc erzählt Blödsinn. Ich hoffe, er ist nur dement! Es war genau, wie ich es dir sagte. Lennox fand mich. Ich brauchte keinen Arzt. Und selbst wenn ich einen gebraucht hätte, war es fünf Minuten später schon egal.«

Der Doc sollte wissen, ob er eine Person wegen einer Kopfverletzung untersucht hat oder nicht. Eigentlich. Wieso sollte er lügen? Seine Fehlinformation, wenn es eine war, sorgte ja nicht mal für Jills Verhaftung. Sie ist bedeutungslos, außer dass sie mich verwirrt. Oder ich bin blind. Aber klar, ich könnte etwas missverstanden haben.

Jill wartete auf meine Erwiderung.

Letztlich fiel sie mir leicht.

Warum einem alten Mann mehr glauben als einer jungen Frau, die man viel besser kannte? Jeder Mensch konnte lügen. Ich entschied mich dafür, einer Frau zu glauben. Nicht weil Frauen bessere Menschen sind – sind sie meiner Erfahrung nach nämlich nicht, schon gar nicht pauschal – sondern weil Jill meine Freundin war, der Doc nur ein Bekannter mit Status. Veteran und Arzt. Der Status Mann war kein Status mehr. Egal, was dahintersteckte, ich glaubte Jills Version.

Und vielleicht habe ich mich nur verhört. Ich mache nicht selten Fehler.

»Mir genügt das. Ich beantrage deine Wiedereinsetzung in den Dienst unter Vorbehalt. Ich denke, dass die das Verfahren bald einstellen. Spätestens, wenn wir Spuren oder Beweise finden, wer der eigentliche Täter ist. Und das ist sowieso unser wichtigster Job. Komm mit!«

Ich nickte in Richtung Gebäude und ging los.

Jill schwieg ungewöhnlich lange.

Ich vermute, sie wägte ab, ob sie sich dafür bedanken sollte, dass ich ihr glaubte. Aber wenn sie die Wahrheit gesagt hatte, wäre ein Dank ja nicht nötig gewesen. Ich legte mir das als weitere Bestätigung aus.

Schließlich fragte sie nach den anderen Teammitgliedern.

Wir waren in der Halle vor Torgans Büro.

Als ich Flinks und Noonas Namen nannte, blieb sie überrascht stehen.

»Stalev Flink Garrett und Stalev Noona Striker? Das sind doch die aus deinen Abenteuergeschichten! Noona kenne ich selbst ein bisschen, Garrett habe ich in Berichten gesehen. Du bringst mich in eine richtig beschissene Lage, weißt du das?«

Ich kratze mich an der Nase.

»Wieso? Weil alle Stalev sind und du Dewie?«

»Quatsch, das interessiert mich nicht!«

Sie winkte grinsend ab und flüsterte mir ins Ohr: »Das Problem ist: Ich finde die beiden extrem heiß und weiß nicht, mit wem ich …«

»Jill!«

Ich schubste sie, und sie begann zu gackern.

Ich schüttelte tadelnd den Kopf.

»Für eine Lesbe bist du jetzt aber ziemlich bi!«

»Aber ich bin ja auch wirklich ein bisschen bi«, antwortete sie mit kindlicher Fröhlichkeit.

»Hab ich dir eben nur noch nicht so klar gesagt, Woodi.«

Ich schüttelte erneut den Kopf. Zwischen ihr und mir gab es manchmal so ein gewisses Knistern, aber sie sprach oft anzüglich über andere Menschen, meist über Frauen. Das passte nicht ganz zu der Realität, die ich erlebt hatte. Seit ich sie kannte, hatte sie keine Affären oder Beziehungen gehabt, nicht mal ein Date. Wir waren eng befreundet, sie hätte es mir garantiert erzählt. Angeblich war sie aber früher, also vor Beginn unserer Zusammenarbeit, sexuell sehr aktiv gewesen. Trotz aller Zuneigung zu ihr und ihrer offenen Art wollte ich hier trotzdem eine ernsthafte, professionelle Mission haben, keine Mischung aus Sauferei und Orgie.

Manchmal kam der Offizier in mir durch.

Er hatte es aber verdammt schwer gegen den Rest in mir.

Als ich das dachte, so hübsch streng und vorbildlich, knackte etwas in meinen Ohren.

Was denk ich denn da?

Wahrscheinlich knackte nicht wirklich etwas. Ein Schalter im Hirn war gekippt und ich bildete mir nur ein, das hören zu können.

Ich trank und flirtete ja selber gern, also früher! Oder wenn ich nicht ganz ich selbst war. Als ich selbst, als mein wirkliches Selbst, flirtete ich nämlich gar nicht. Aber für einen Moment setzte sich ein Bild in meinen Kopf fest, das nicht abstoßend war, obwohl es das vielleicht hätte sein sollen.

Noona, Flink, Jill und ich … wir sind alle nackt, und dann kommt Stan in Uniform durch eine leuchtende Tür und schüttelt mit ironischem Gesichtsausdruck langsam den Kopf wie ein tadelnder Vater. Und er sagt, dass er nur mich will und …

»Woodi?«

Jill stupste mich an.

Vorbei der schöne Gedanke! Zum Glück!

Ich bohrte mir mit einem Finger im Ohr herum und schüttelte lächelnd den Kopf. Der Gedanke war zu seltsam und zu intensiv gewesen, um ihn per Wimpernschlag loswerden zu können.

»Jaja, äh, also lernen wir uns alle kennen und gehen dann schnell an die Arbeit. Die beiden haben schon angefangen, aber du kennst die Anlage besser. Mal sehen, was wir noch so alles finden.«

Sie nickte, beäugte mich aber skeptisch, als wir weitergingen. Sie merkte mir an, dass irgendetwas in mir in Bewegung geraten war - nicht durch die Anschläge und Morde, sondern durch Flink und Noona.

Natürlich erinnerten sie mich an Stan, an früher, an den Weltraum. Aber das sollte ja auch so sein! Ich wollte eine Mission wie früher. Ich wollte alles durchziehen, aufklären, überleben – und schnell sollte es gehen – damit danach alles wieder ruhig und genau wie vorher werden konnte.

Keine galaktische Ekstase, nur eine winzig kleine Supernova.

Die Sterne in uns

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