Читать книгу Die Sterne in uns - Jan Corvin Schneyder - Страница 9
III
ALLEIN
ОглавлениеVon Galway fuhr ich erst sehr viel später wieder fort. Ich hatte meinen Magen beruhigt und in dem Café, das zum Glück eine Toilette zu bieten hatte, noch etwas zu Mittag gegessen. Danach hatte ich wieder am Cockpit des Gleiters gelehnt und den Krater angestarrt. Mich rief aber auch dann noch nichts heim, also hatte ich einen Spaziergang am Meer unternommen, um den Kopf frei zu bekommen. Wenigstens ein bisschen. Es hatte gegen die Kopfschmerzen geholfen.
Dangler wollte, dass ich sofort zurückkehrte, ermittelte und reparierte? Schön, dass sie das wollte. Dazu konnte sie mich aber nicht zwingen.
Ich gönnte mir ein paar Stunden, um das Ganze zu verarbeiten. Aktuell wartete eh niemand am Lough Mask auf mich.
Der Tag ging in den Abend über, als ich mit der gemächlichen Rückfahrt begann. Jill war festgenommen worden, Jensen abgehauen, Lennox Torgan … abtransportiert. Ich freute mich nicht auf die Rückkehr, aber ich musste zurück.
Die Dunkelheit kroch über die Hänge der Westküste, wurde aber von sanft grünlich illuminierendem Straßenbelag durchbrochen. Es war angenehm für die Augen und ließ beinahe alle Fahrrisiken des Dunkels verschwinden, aber es war auch unnatürlich und verdrängte die angenehme Ummantelung schwarzer Nacht. Immerhin passte das Grün zu Irland.
Wenn man volltrunken war, konnte man auf Autopilot umstellen. Musste, nicht konnte. Sorry. Er orientierte sich dann unter anderem am pulsierenden Licht der Straße. Meiner Erfahrung nach brachte er einen nicht immer ans gewünschte Ziel, aber er überfuhr zumindest auch niemanden.
Vielleicht hätte ich in Galway einfach was trinken sollen. Da gibt´s guten Whisky. Nein. Ich hab Angst. Wenigstens ein bisschen. Was, wenn der wahre Täter noch dort ist?
Ich war nicht schreckhaft oder ängstlich veranlagt, aber eine verlassene Station, in der am gleichen Tag jemand ermordet worden war, war einfach kein guter Ort.
Ich hätte früher zurückfahren sollen!
Im Hellen!
Mist!
Alles Mögliche ließ sich regeln, ändern, ausdiskutieren, aber ein toter Lennox war ein toter Lennox. Ich wusste nicht, warum Jensen scheinbar überflüssigerweise Jill ausgeknockt hatte. Vielleicht log sie doch an irgendeiner Stelle ihrer Geschichte. Aber dann sollte sie Torgan aufgrund meines Befehls, sie festzunehmen, ermordet haben?
JILL? Niemals! Sie hätte sich grinsend und kopfschüttelnd festnehmen lassen, anstatt so etwas zu tun.
Sie war eine verrückte, lesbische Wissenschaftlerin, die auf Popmusik und Fast Food stand – und die zudem absolut genial war. Ihre Verrücktheit war aber keine Verantwortungslosigkeit anderem Leben gegenüber. Manchmal dem eigenen, aber nicht dem anderer Wesen, egal ob Alien oder Maus. Jill würde, selbst für einen politischen Verrat oder eine Intrige, keinen harmlosen, unschuldigen Menschen ermorden. In was sollte sie sich verwickeln lassen, wofür sie Lennox töten würde?
I don´t fucking believe it! Nicht Jill!
Ich diktierte dem KomSystem des Gleiters meine Nachrichten an Noona Striker und Flink Garrett.
Ohne weiteres Korrekturlesen schickte ich sie direkt ab. Ich wollte es aus den Füßen haben, dieses Kommunikations-Zeug. Sprach- und Textnachrichten nervten mich meistens ziemlich an.
Noona und Flink waren noch irreal, noch weit weg für mich. Der Sinn stand mir nur ganz dringend nach Jill Bekker. Ich empfand manchmal etwas für sie, das ein wenig über Freundschaft hinausging. Jetzt fühlte ich nichts Romantisches, aber ein starkes Bedürfnis, sie in Sicherheit zu wissen und sie bei mir zu haben, damit auch ich mich sicherer fühlen konnte.
Als ich an der Rampe der Basis ankam, war es vollständig dunkel. Die gesamte Anlage war schwarz wie der Himmel darüber.
Von der vierköpfigen Stammbesatzung war nur ich übrig, dazu gab es drei sehr junge Dewies, die ich üblicherweise nur zu Wach- und Aushilfsdienten aus Donegal an der Nordküste kommen ließ. Keiner von ihnen war heute angefordert worden. Laut Plan hätten Jill und Lennox Nachtdienst gehabt, also jeder von ihnen je fünf Stunden. Die Zivilisten, die tagsüber ab und an um uns herumschwirrten, durfte ich nicht in die Kommandozentrale setzen. Sie belieferten uns, führten Reparaturen aus, die Zivilisten besser durchführen konnten als wir, und so weiter. An der Überwachung militärischer Anlagen waren sie aber nicht zu beteiligen, deswegen war auch nachts nie einer von ihnen da. In der unmittelbaren Nähe der Anlage wohnte ohnehin niemand.
Die übliche äußere Sicherheitsprozedur der Anlage funktionierte. Mein Gleiter wurde tendriert - das heißt gescannt - und ich wäre ohne Codes nicht bis zur Rampe gekommen. Einen Menschen hatte ich jedoch nicht gesehen oder gesprochen, während diese Dinge abliefen. Das machte alles das System.
Bei einer Nachtwache stand auch nie ein Mensch mit Waffe an irgendeinem Tor. Das lief von der Kommandozentrale her, alles technisch.
Dabei mussten die Leute von Commodore Dangler oder vom Geheimdienst heute hier gewesen sein, um Jill zu verhaften. Oder etwa nicht? Diese Info fehlte mir, wie ich feststellte.
Sie haben Lennox´ Leiche doch wohl abtransportiert, oder? Wo war denn der Tatort? Verflucht! Ich hätte fragen sollen!
Jetzt gefiel mir die nächtliche Basis noch weniger.
An seinem üblichen Arbeitsplatz? Spuren? Blut?
Leer, leblos und dunkelgrau wurde ich erwartet.
Die Sonne über dem Ozean vor Galway schien endlos weit entfernt, dabei war sie nur zwei Stunden zuvor über mein nachdenkliches Gesicht gewandert.
Etwas in mir schrie laut, ich solle nicht hineingehen.
Musste ich aber.
Irgendwie.
Außerdem war es albern, sich vor der Dunkelheit zu fürchten, wenn man mehr oder weniger aus dem Weltraum kam.
Wenn ich jemals ein Stern war, dann war ich niedergegangen. Aber ein Stern fürchtet doch die Weite nicht, die Kälte oder die Stille.
Ich würde nun einfach selbst die Nachtschicht übernehmen, als wäre ich ohnehin damit dran. Ich würde mich endlich detailliert darüber informieren, was von allen Geschützen in meinem Zuständigkeitsbereich übriggeblieben war. Dazu waren keine Meldungen in meinen Account im Gleiter angekommen.
Merkwürdig.
Der konnte doch nicht schon wieder gehackt worden sein. In Galway hatte ich ihn neu codiert, außerdem war Jensen sicher weit weg und hatte wohl kaum noch Interesse an der Anlage hier.
Oder daran meinen Zorn zu spüren!
Eigentlich hätten mir allerhand Leute schreiben sollen.
Die Kommunikation muss zwischenzeitlich abgeriegelt worden sein. Durch das Command oder den Geheimdienst. Hoffentlich sind die Nachrichten an Flink und Noona rausgegangen.
Ich passierte die Rampe und ließ mich von meiner Pflicht verschlucken.
Den Gleiter in der Halle abzustellen, fühlte sich okay an. Die Lampen an der Decke schalteten sich, Reihe für Reihe mit leichter Verzögerung, klackend ein. Ihr Licht fiel auf Container, Kanister, Räder und Fahrzeuge.
Eigentlich wie immer.
Nicht eigentlich.
Wie immer.
Alles ist wie immer!
Ich ging über den lieblosen Betonboden, der mich bis heute nie gestört hatte. An diesem Abend jedoch sah ich jeden Ölspritzer, jedes Quantum verschmierten Hydraulikgels, jeden Krümel und jeden Fussel.
Es roch nach Öl und Desinfektionsmitteln.
Ich hörte nur meine Schritte, besser gesagt: ein knautschiges Quietschen.
Lederstiefel ohne Absätze sind ziemlich leise.
Es erklang weder ein Piepen noch ein Summen irgendwelcher Relais oder Displays.
Nur die Schritte und ihr Quietschen.
Ich blieb mitten in der Halle stehen und ging nicht weiter. Zu meiner Linken lag der Aufgang zum Korridor. Davor war der Glaskasten im Weg, der Lennox Torgans Büro gewesen war.
Ich drehte mich drei Mal komplett um die eigene Achse, doch jede Ecke blieb still und es war auch alles recht gut ausgeleuchtet.
Wer konnte noch hier herein? Jensens Codes mussten längst gelöscht worden sein, oder? Durch wen?
Die drei Dewies aus Donegal fielen mir wieder ein.
Sie hatten Codes.
Ich ging noch nicht in den Korridor. Mir machten die beiden Etagen mit ihren langen Fluren aktuell ein wenig Sorge.
Ich hatte auf Raumschiffen furchtbare Dinge in schrecklichen Korridoren erlebt, aber hier in diesem verschissenen Gebäude war ich der Chef und verdammt einsam. Mit Fünfundsiebzig wäre ich vielleicht abgezockter gewesen, aber in meinem Alter trotz allem eben noch nicht.
Angst gehört zum Menschsein dazu.
Solange sie nicht bestimmt, was für ein Mensch wir sind, ist das okay.