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Der ältere Hinduismus
ОглавлениеNach diesen Einleitungen wirst Du zweifellos froh darüber sein, zu einem Thema zu kommen, das noch komplizierter ist. Was ist Hinduismus? Die indische Regierung machte sich die Sache leicht und definierte Hinduismus als all jene Religionen, die in Indien entwickelt wurden. Dies beinhaltet Veda, Buddhismus, Jaina, die Anhänger von Śiva, Viṣṇu, Brahmā und Śakti, Stammesreligionen, Dorfkulte und die Sikhs, die vehement gegen diese Einordnung protestieren. Das Wort ‘Hindu’ kommt aus Persien, es bezeichnet einen Eingeborenen des Landes am Indus. Der Begriff begann eine religiöse Bedeutung zu bekommen, als die Moslems im achten Jahrhundert im Industal zu siedeln begannen, und wurde populär, als sie das nördliche Indien im 13. Jahrhundert besetzten. Sie nutzten den Begriff, um damit alle Arten von Nicht-Moslems zu bezeichnen. Hindu war also zu Anfang kein spezifisch religiöser Begriff, sondern eher ein Schimpfwort. Die Engländer formten den modernen Begriff ‘Hinduismus’ in der falschen Annahme, ganz Indien würde einer einzigen Religion anhängen. In ihren Augen gab es eine Hauptreligion, die in zahlreiche Sekten unterteilt war. Wie viele Europäer konnten sie sich nicht vorstellen, dass so viele Religionen in relativer Toleranz miteinander existieren konnten. Die Inder neigen dazu, von ihrer Religion als einem Teil von Dharma zu sprechen, d.h. Ewiges Gesetz, Pflicht, Richtigkeit, Wahrheit, Ordnung, die den Platz und die spirituelle Entwicklung jedes Menschen definiert. Wenn ein besonderes Wort für ‚Religion‘ gebraucht wird, sagen sie gerne Devabhakti (Liebe/Hingabe zu den Göttern) dazu. Wenn wir zum frühen Hinduismus kommen, stoßen wir auf ein so breites Feld von Studien, dass ich nur empfehlen kann, selbst zu recherchieren. Es gab so viele Entwicklungen zwischen, sagen wir, 500 vor und 500 nach der Zeitenwende, dass ein einziges Leben nicht ausreichen würde, sie alle zu untersuchen. Ich beschränke mich deshalb auf eine Kurzzusammenfassung einiger größerer Strömungen und hoffe, dass die Götter des Lernens und der gelehrten Genauigkeit mir die Übervereinfachung vergeben werden.
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Unbekannte Göttinnen
Oben: Unbekannte Göttin, Terrakotta, 2. Jahrhundert v.u.Z., Bangarh, Bengalen, 15 cm hoch.
Unten: Unbekannte Göttin, Terrakotta, ca. 150 v.u.Z., Mathura
Wie Du gesehen hast, ist Hinduismus weder ein spezifischer Begriff noch war er ein Konzept, dessen sich die Menschen jener Zeit bewusst waren. Dass sich etwas Neues entwickelte, entzog sich ihrer Aufmerksamkeit. Die Entwicklung der spirituellen Konzepte fand allmählich und ohne radikale Schnitte statt. Die Lehren der Vergangenheit wurden nie verworfen, sie wurden einfach von neuen Interpretationen und Bräuchen überdeckt. Die heiligen Schriften des Altertums blieben heilig, wie sie bis zum heutigen Tage heilig geblieben sind, auch wenn sie als eine ältere Version der Wahrheit immer wieder uminterpretiert werden mussten.
Die Jahrhunderte, die in diesem Abschnitt behandelt wurden, sahen viele politische Veränderungen auf dem Subkontinent. An dieser Stelle will ich nur den Aufstieg der neuen Großkönigreiche erwähnen, die Einführung der Schrift unter Kaiser Aśoka (selbst ein Buddhist), die sog. Eroberung Indiens durch Alexander den Großen (ein peinliches Ereignis von so geringer Bedeutung, dass indische Geschichtsschreiber sich kaum darum kümmerten, es zu erwähnen) und den Aufstieg der griechisch-indischen Dynastien, die einen so enormen Einfluss auf die Kunst und Bildhauerei hatten. In dieser Epoche wurde Indien zu einem Wunderland, welches die Europäer faszinierte. Griechische und römische Geschichtsschreiber begannen, seltsame Geschichten aus dem Osten aufzuzeichnen, wo Riesenameisen Gold sammelten, Einhörner gediehen und alte Menschen sich selbst verbrannten. Der Handel begann, und bald war Indien mit den ökonomischen Netzwerken des Römischen Imperiums verbunden. Die Reise führte teilweise über Land per Karawane durch Ägypten und Arabien und teilweise übers Meer, sie war lang, gefährlich und entbehrungsreich, aber sie war ausgesprochen einträglich und führte zur Etablierung ägyptischer und europäischer Seefahrergemeinschaften in Nordwestindien. Im Jahre 25 v.u.Z. fuhren allein von Myos-Hormos in Ägypten 120 Schiffe nach Indien. Unter den ersten Cäsaren brachte der Indienhandel enorme Gewinne. Der indische Markt war höchst interessiert an Metallen, an Purpur, Chemikalien und Wein, während die europäischen Märkte so hungrig nach indischen Gewürzen, Räucherwerk, Elfenbein, Edelhölzern und Luxusgütern waren, dass jedes Jahr eine Menge römisches Geld nach Indien ging, wo es blieb. In manchen Distrikten wurde es zur wertvollsten Währung. Schon bald wurden Ideen ausgetauscht, und so war es auch mit der Religion: Siehe nur die Einführung der ägyptischen Göttin Isis, der Schutzherrin der Seefahrer im Römischen Imperium, in Indien, wo sie die einzige verschleierte Göttin des Pantheons wurde (Mogg Morgan bespricht das faszinierende Thema in seinem bisher unveröffentlichten Werk Isis in Indien).
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Göttliche Köpfe
Oben: Kopf von Pārvatī oder Umā, Terrakotta in Gupta-Stil, 5. Jahrhundert.
Śiva-Tempel von Ahiccattrā.
Unten Kopf von Śiva, Terrakotta in Gupta-Stil, 5. Jahrhundert.
Śiva-Tempel von Ahiccattrā.
Auf eine ähnliche Art kam Indien zur mesopotamischen Astrologie, wenn auch in einer griechischen Form, und passte sie an die eigenen Bedürfnisse an. Pythagoras reiste, soweit dies rekonstruiert werden kann, durch Mesopotamien, wo er mit anspruchsvoller Mathematik und Musiktheorie vertraut gemacht wurde, die dort vor 1500 Jahren entwickelt wurde, und erfuhr wahrscheinlich in Indien von Wiedergeburt und Vegetarismus. Bei seiner Rückkehr gründete er seine eigene philosophische Schule, die Jahrhunderte später eine echte Konkurrenz zum jungen Christentum darstellte. Ein ähnliches Ausmaß an Handel und kulturellem Austausch fand mit den Ländern östlich von Indien statt, hauptsächlich mit China. Hinduistische Religionen wurden zwischen dem 2. Jahrhundert v.u.Z. und dem 6. Jahrhundert auch in die Länder Südostasiens exportiert. In Indien begannen Autoren nicht nur, über 200 neue Upaniṣaden zu produzieren, sondern auch eine Flut von Gesetzestexten, Poesie und schließlich zwei gewaltige epische Dichtungen, das Mahābhārata in 100.000 Doppelversen und das etwas kürzere Rāmāvaṇa.
Oberflächlich gesehen befassen sich beide Epen mit Heldentum. Ersteres ist ein ausgedehnter Bericht über die Schlachten und Konflikte zweier Zweige einer königlichen Familie, unter deren Mitgliedern viele inkarnierte Gottheiten waren. Das zweite, jüngere und kürzere Stück, legt das Leben des Rāma (‘Dunkler’, ‘Freude’, ‘Lust’ – einer Inkarnation von Viṣṇu) dar, seine Hochzeit mit Sīta (Ackerfurche), ihre Entführung durch einen Dämon und ihre Errettung. Diese Werke entwickelten sich über Jahrhunderte hinweg und erreichten schließlich enzyklopädische Ausmaße. Keine anderen Werke hatten einen so tiefgehenden Einfluss auf das indische Denken. Und das zu Recht – in der ganzen epischen Weltliteratur stehen beide Werke als unerreichbare Spitzenleistungen da. Bis zum heutigen Tag rezitieren Priester und Geschichtenerzähler Episoden aus diesen Epen, und da dies im archaischen Saṁskṛta geschieht, und obwohl meisten der Zuhörer kaum mehr als die Namen und ein paar Worte hier und da verstehen, sind diese Ereignisse nicht nur populär, sondern heilig. Als das Mahābhārata als endlose Serie im Fernsehen gezeigt wurde, dekorierten fromme Hindus ihre Fernseher mit Blumen und verbrannten Räucherwerk. An diesen Geschichten teilzuhaben, bedeutet, Verdienst und Segen zu erringen und Erlösung von vergangenen Sünden zu finden. Ein weiteres solches Feld der literarischen Evolution waren die (ursprünglich) achtzehn Purānas (‘Uraltes’, ‘Mythe’), in denen ein enormes Ausmaß an Mythologie, Ritualen, Hymnen, wissenschaftlichen Diskursen, Geografie, Kosmologie, Genealogien und alles, was ihre Autoren faszinierte, niedergeschrieben ist. Diese Werke können als Enzyklopädien betrachtet werden. Manche waren einzelnen Gottheiten gewidmet; andere versuchten, die Spannungen zwischen den heranwachsenden Kulten von Śiva und Viṣṇu zu verringern, indem sie nett zu allen waren. All diese Literatur ist komplex, stilistisch ausgefeilt und voller Widersprüche. Das hat die Inder nie besonders gestört: Es gab niemals ein einziges Dogma für irgendetwas.