Читать книгу Kālī Kaula - Jan Fries - Страница 34
Tieropfer
ОглавлениеTiere zu religiösen Zwecken zu töten, ist eine der ältesten Ausdrucksformen der menschlichen Verehrungspraxis. Wann immer wir Menschen bei der Opferung beobachten, stellen wir fest, dass das Opfer etwas Wertvolles ist. Das Opfer ist ein Mittel, um ‘Danke!’ zu sagen, für eine Gunst, die man bekommen hat oder eine Bitte um eine Gunst, die man bekommen möchte. Menschen sind Tiere, die Geschenke machen. Wir geben einander, und wenn wir uns der spirituellen Welt nähern, dann geht das Geben und Nehmen weiter. Zu jeder Zeit war ein Tier ein höchst wertvolles Geschenk. Denk an die Ārya, die Indien um vielleicht 1500 v.u.Z. eroberten. Diese Migranten waren Züchter von Rindern, Schafen und Pferden, und für sie war die Opferung eines Pferdes das größte Geschenk, das man überhaupt machen konnte. Das Pferdeopfer, oft durchgeführt und manchmal als Anlass benutzt, um Krieg gegen andere Länder zu führen, wurde in der upaniṣadischen Epoche zu einer eher philosophischen Angelegenheit. Diese Innovation erscheint gegen Ende der vedischen Periode, ganz am Anfang der BāUp. Hier ist die ganze Welt das heilige Ross: der Morgen sein Haupt, die Sonne sein Auge, der Wind sein Atem, der Mund das heilige Feuer, das Jahr der Körper, der Himmel der Rücken, der Luftraum der Leib, die Hufe die Erde, die Jahreszeiten die Beine, Tag und Nacht die Füße, die Knochen die Sterne, das Fleisch die Wolken, Leber und Lunge die Berge und so weiter. Wenn dieses Pferd sich schüttelt, donnert es, wenn es uriniert, fällt Regen, und jede Stimme ist sein Ruf. Aus dem Pferd, das ursprünglich vor allem die Sonne darstellte, war eine Manifestation des kosmischen Allselbst geworden. Und nachdem das vedische Pferdeopfer zu einer Meditation und Erfahrung der universalen Kontinuität gediehen war, leitet die BāUp ganz zwanglos eine Schöpfungsgeschichte ein. Solche Transformationen tauchen mit großer Regelmäßigkeit in der indischen Religion auf; ein materielles Geschenk wird zu einem spirituellen umgedeutet. Dieser Trend geht vom Groben zum Feineren. In der brahmanischen Gesellschaft kam das Töten von Tieren schließlich aus der Mode, und bis zum heutigen Tag zieht es die Mehrheit der Brahmanen vor, ein streng vegetarisches Leben zu führen und keinen Alkohol zu trinken. Weil Menschen sind, wie sie sind, wurden diese rigiden religiösen Vorschriften niemals von allen befolgt. Obwohl die religiösen Gesetze in diesen Angelegenheiten streng sind, ziehen es manche Brahmanen vor, sie zu ignorieren, und da ihre Gesellschaftsklasse (theoretisch) die höchste ist, konnten sie sich am leichtesten solchen Luxus wie Fleisch und Alkohol leisten und diejenigen verhöhnen, die es wagten, sie zu kritisieren. Andererseits gab es immer eine große Anzahl von Leuten niederer Klasse, die es vorzogen, Vegetarier zu werden, obwohl die religiösen Gesetze ihnen erlaubten, sich von jeder unreinen Substanz zu ernähren, die ihnen in den Weg kam, da dies sicher ihr Karman verbessern würde.
In Indien sind die meisten Fleisch essenden und Blut trinkenden Gottheiten weiblich. Diese Gottheiten sind oft gefährlich. Wo die Religion von den Brahmanen kontrolliert wird, also in den zivilisierten Teilen des Landes, in der Nähe von Städten und Regierungsinstitutionen, wurden diese blutdurstigen Gottheiten oft auf eine höchst symbolische vegetarische Diät gesetzt. Ich habe gesehen, wie Durgā riesige Kürbisse statt des traditionellen Stiers geopfert wurden. In den Randbereichen der brahmanischen Welt, unter Stammesvolk und Außenseitern, wurden solche Ersatzopfer nicht immer akzeptiert. Viele blutdurstige Göttinnen wurden mit einer kleinen Schwester ausgestattet. Während die akzeptable Göttin in ihrem Schrein vom örtlichen Brahmanen ein großzügiges Opfer von Gemüse und Blumen bekam, erhielt die kleine Schwester in ihrem abgelegenen Schrein ihr Blutopfer von einem inoffiziellen Priester aus einer niederen Klasse.
An diesem Punkt muss ich hinzufügen, dass ein Blutopfer in Indien nicht so brutal ist, wie die meisten Westler glauben. Sofern die Dinge nicht völlig entartet sind oder ein Tempel einen Massenvernichtungsrekord aufstellen will, werden Tiere nicht im Großaufgebot geschlachtet. Normalerweise werden nur Ziegenböcke geopfert. Sie werden mit Vorsicht und Bedacht zum Altar gebracht, sie werden mit Freundlichkeit behandelt und mit Mantren und Gebeten beruhigt. Ein unwilliges Tier zu opfern, ist ein Verbrechen. Der Ziegenbock wird genau beobachtet; wenn er Zeichen von Furcht oder Widerwillen zeigt, ist er als Opfer ungeeignet. Dahinter steht der Glaube, dass ein Tier eine bessere Stufe im nächsten Leben erlangen kann, wenn es selbst erlaubt, einer Gottheit geopfert zu werden. In diesem Weltbild ist das Töten ist ein freundlicher Akt, der die Seele des Tieres befreit und verbessert und ihr ermöglicht, als menschliches Wesen wiedergeboren zu werden. Wenn das gekrümmte Messer fällt, dann fällt es schnell und das Tier stirbt rasch. Der Tod kommt mit einem einzigen sauberen Hieb. Die Opferung hört an dieser Stelle nicht auf. Die Gottheit erhält den Ziegenbock, üblicherweise durch einen Priester. Dabei nimmt die Gottheit die spirituelle Energie des Opfers auf und durchtränkt den Kadaver mit göttlicher Kraft. Der tote Körper des Tieres wird zum Prasāda (Reinheit, Anmut, Gnade, geistige Ruhe). Das meiste davon wird den Anbetern zurückgegeben, die es nun essen können. Der Ziegenbock wird oft auf einem offenen Feuer neben dem Schrein gegrillt, und die Opferung endet mit einer fröhlichen Mahlzeit für die ganze Familie. Da Indien ein armes Land ist, ist dieses Mahl oft wesentlich besser als das, was die Leute ansonsten zum Leben haben. Es ist seltsam, dass sich so viele Menschen im Westen vom Gedanken an solche Opferungen abgestoßen fühlen. Nirgendwo werden Tiere unter solch geisteskranken Bedingungen aufgezogen, gemästet und geschlachtet wie in der fleischhungrigen industriellen Welt. Der indische Ziegenbock hat ein richtiges Leben gelebt und wird sanft von einer Welt in die andere geschickt. Das Schwein, die Kuh oder das Huhn der industriellen Welt hat nie das Tageslicht gesehen und verbringt seine jämmerliche Existenz eingepfercht zwischen Beton und Metall, gefüttert mit Abfällen, Hormonen und Antibiotika, bevor es mit der ganzen Gleichgültigkeit eines Fließbandes geschlachtet wird.
Bild 23
Hyänentraum.
Hier eine kleine Meditation über Tieropfer. Stell Dir einen Ritus vor, in dem eine Ziege geschlachtet wird. Verwende eine Beobachterperspektive, sieh es also wie ein außenstehender Beobachter. Nun geh hinein. Sieh das Ritual durch die Augen der Verehrenden. Sieh es durch die Augen des Schlächters. Sieh es durch die Augen der Ziege. Und schließlich sieh es durch die Augen der Gottheit. Was hast Du gelernt?
Wir haben bei Tieropfern mindestens drei Bedeutungsebenen: Das eigentliche Tieropfer, das symbolische Tieropfer (denk an den Kürbis) und das spirituelle Opfer, das Gebrauch von Symbolen der Tieropferung macht, um eine insgesamt tiefere Bedeutungsebene zu vermitteln. Wenn tantrische Texte von Tieropfern sprechen, dann haben sie oft die dritte Variante im Sinne. In ihrer Sprache der Tiersymbolik begegnen wir den Sechs Feinden oder Lastern, die der Gottheit geopfert werden müssen. Du kennst sie sehr gut, denn die Sechs Feinde haben Dich und alle Deine Bekannten ihr Leben lang begleitet. Darf ich vorstellen? Die Katze ist Gier, das Kamel ist Neid, das Schaf ist Wahn und Dummheit, der Büffel ist Wut, die Ziege ist grobe Lust, und der Mensch ist Stolz und Arroganz. Alle sechs sind angemessene Opfer für die dunkle Göttin, die immer wieder gebracht werden müssen.