Читать книгу Mitternachts-Thriller Sammelband 4001 - Vier Romane um Liebe und Geheimnis Juli 2019 - Jan Gardemann - Страница 20
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Kaum einem mundete an diesem Morgen das opulente Frühstück, das Charles servierte. Unter den Gästen herrschte eine gereizte Nervosität. Allerhand wohl mehr oder minder haltlose Spekulationen machten die Runde.
Ich erfuhr, dass die Tote – Jennifer Kelvin – Vertreterin eines Kabelsenders war und versuchen wollte, Robert Clayton für einen Auftritt in einer Talk Show zu gewinnen.
Die Polizei tauchte mit mehreren Dienstfahrzeugen auf. Bald wimmelte es nur so von uniformierten Beamten und Spurensicherern.
Ein Inspektor Jellings leitete die Aktion.
Nacheinander wurden die Personalien aller Gäste aufgenommen, wozu sie den Vormittag über im Frühstücksalon ausharren mussten. Die anschließenden Befragungen waren ziemlich langwierig und schienen auch nicht sehr ergiebig zu sein. Es war ein rätselhafter Fall. Das Rätsel bestand für die Polizei vor allem darin, wie der Täter in Miss Kelvins Zimmer gelangt sein konnte, wenn dieses von innen verschlossen gewesen war.
Und für Letzteres gab es ja mehrere Zeugen.
Bis zum Nachmittag waren die meisten der Gäste auch schon abgereist. Einer nach dem anderen packte seine Sachen und fuhr davon oder ließ sich ein Taxi rufen ...
Schließlich – nachdem alle Spuren gesichert waren – verschwanden auch die Polizeiwagen.
Robert stand auf dem Portal und sah ihnen nach.
Ein dünnes Lächeln spielte um seine Lippen, als er mich sah.
"Nun, wann werden Sie aufbrechen, Patricia?"
"Wollen Sie mich loswerden, Robert?"
Er schüttelte den Kopf.
"Keineswegs! Meinetwegen können Sie so lange bleiben, wie Sie wollen. Aber außer dem Personal ist kaum noch jemand hier ..."
"Warum?"
Er zuckte die Schultern.
"Sie haben Furcht. Und ich kann es Ihnen nicht einmal verdenken ..."
Er fasste mich bei den Schultern und sein Blick wurde sehr ernst. "Patricia ..."
"Robert?"
Ich war etwas verwirrt.
"Patricia, Sie müssen Gilford Castle verlassen ..."
"Aber ..."
"Sie haben doch den Fluch gehört! Sie haben Joanne gesehen ..."
"So wie wir alle!"
"Jeder ist in Gefahr, der sich in diesen Mauern aufhält. Jeder, Patricia!" Er atmete tief durch und ließ mich wieder durch. Er strich sich mit einer fahrigen Geste durch das Haar.
"Und Sie, Robert?"
"Ich?", sagte er. "Ich glaube nicht, dass ich vor dieser Erscheinung fliehen könnte ... Ich nicht, Patricia!"
Ich berührte ihn leicht bei der Schulter. Ich konnte die Verzweiflung spüren, die ihn quälte. Sie war keineswegs gespielt. Er sah zunächst in die Ferne, Richtung Mornsley Castle. Dann wandte er sich mir zu.
Wir schwiegen, aber dieses Schweigen verband uns in jenem Moment stärker, als viele Worte es vermocht hätten.
Er schluckte.
Und ich auch.
Seine Arme berührten meine Schultern und ich fühlte, wie ein wohliger Schauer meinen ganzen Körper zu durchfließen schien. Wieder spürte ich diese eigentümliche, geradezu elektrisierende Spannung, die zwischen uns herrschte. Unsere Lippen näherten sich. Langsam, aber unaufhaltsam. Bevor sie sich berührten, zögerten wir beide in derselben Sekunde für die Dauer eines Gedankens.
Dann küssten wir uns vorsichtig, dann etwas fordernder, atemloser ...
Anschließend legte ich den Kopf an seine Schulter, und er drückte mich an sich.
"Ich bin froh, dass du da bist, Patricia", sagte er dann.
"Und ich bin froh, dich getroffen zu haben, Robert ..."
Eine knarzende Stimme ließ uns beide herumwirbeln. Es war Myers, der Vertreter der Plattenfirma, der als einer der wenigen Gäste nicht daran zu denken schien, Gilford Castle zu verlassen.
"Robert, ich muss mit Ihnen reden ..."
"Was ist?", fragte Robert.
Myers wandte mir einen abschätzigen Blick zu, der nicht allzu schwer zu deuten war. Meine Anwesenheit störte ihn.
"Mit Ihnen allein, Robert! Es muss ja nicht immer gleich die Presse dabei sein!"
"Ich verstehe schon", sagte ich. Ich sah Robert an und sagte dann: "Wir sehen uns sicher später noch ..."
"Sicher ..."
Ich ging zum Haupteingang und hörte noch, wie Myers sagte: "Es wird Schwierigkeiten geben, Robert! Sie werden den Rest Ihres guten Rufs ruinieren, wenn Sie jetzt wegen dieser Mordgeschichte in die Schlagzeilen kommen!"
"Aber ..."
"Eine Angestellte unserer Firma ist in Ihrem Haus gestorben, Robert! Das hat was ... Und die Presse wird es ausschlachten, da können Sie Gift drauf nehmen! Und ich glaube nicht, dass Ihnen das gefallen wird ... Außerdem glaube ich kaum, dass dieser Inspektor das letzte Mal hier auf Gilford Castle war ... Er wird wiederkommen und seine Fragen stellen. Unangenehme Fragen. Und soll ich Ihnen sagen, wovon er insgeheim träumt?"
"Sie werden es mir sicher sagen, Mr. Myers!", erwiderte Robert leicht genervt.
"Davon, einen immerhin noch einigermaßen prominenten Zeitgenossen wie Sie wegen Mordes vor den Richter zu zerren! Jedenfalls war das mein Eindruck ... Es kann eng werden, Robert! Und deswegen möchte ich, dass Sie entsprechende Maßnahmen ergreifen ..."
Den Rest konnte ich nicht mehr verstehen, da der Butler gerade lautstark eines der Hausmädchen zurechtwies. Die beiden kamen die Treppe hinunter, und als sie mich sahen, verstummten sie einen Moment. Ich ging an ihnen vorbei in den Salon. Und dort traf ich Ted McRory, den Schlagzeuger.
Er saß wie ein Häufchen Elend in einem der zierlichen Sessel, bei denen es sich mit Sicherheit um Antiquitäten handelte.
Er sah noch bleicher aus als am vorhergehenden Abend.
Die Befragung durch die Polizei hatte ihm wohl ziemlich zugesetzt.
Er blickte kurz auf.
"Haben Sie Miss Kelvin gekannt?", fragte ich ihn.
Er lachte heiser. "Hören Sie damit auf! Was glauben Sie, wie oft dieser Inspektor mich das gefragt hat. Natürlich habe ich sie gekannt! Nicht gut, eher flüchtig sogar. Aber ich wusste ihren Namen und kannte jeden ihrer dämlichen Witze! Ab und zu habe ich sogar darüber gelacht!"
Ich sah ihn an und schwieg.
Er atmete tief durch und erhob sich aus dem Sessel. McRory schien im Moment ziemlich aggressiv zu sein, und ich überlegte, ob es nicht besser war, ihn ein anderes Mal zu befragen.
"Sie sind noch hier?", fragte er dann. "Wo doch jetzt alle zusehen, dass sie diese Burg verlassen ... Aus welche Gründen auch immer!"
"Sie sind doch auch noch hier!", erwiderte ich gelassen.
Er drehte sich zu mir herum.
"Ich habe das Privileg, seit einiger Zeit hier zu wohnen mit kleinen Unterbrechungen."
"Haben Sie seit Ihrer Zeit in Roberts Band nicht wieder Musik gemacht?"
Er machte eine wegwerfende Geste. "Ein trauriges Kapitel", murmelte er. "Legen wir den Mantel des Schweigens darüber ..."
Das war mir recht.
Aber es gab da noch etwas anderes, das ich unbedingt wissen musste.
"Dieses Ritual, das sie da gestern angewandt haben ..."
Er bewegte ruckartig den Kopf.
"Was ist damit?", fauchte er. In seinen Augen flackerte es unruhig auf. Ein Muskel zuckte nervös in seinem bleichen Gesicht.
"Es stammt aus einem bestimmten Buch ..."
"Ach, Sie kennen sich aus?"
Sein Tonfall gefiel mir nicht.
Er klang abweisend und gereizt. Sein Atem beschleunigte sich. Offenbar hatte ich an etwas gerührt, was ihn in seinem Innersten traf.
"Es gibt nicht viele Exemplare von Hermann von Schlichtens 'Absonderlichen Kulten'!", stellte ich fest.
Er sah mich an, schien einen Augenblick zu überlegen, wie er darauf reagieren sollte.
Dann hob er die Augenbrauen.
"Sehen Sie, ich habe in London ein paar Freunde, bei denen ich auch eine Weile gelebt habe ... Na ja, die standen auf so ein Zeug. Schwarze Messen und Beschwörungsriten, Pendel und Glaskugeln ... Mein Gott, ich habe nur halb daran geglaubt. Es war eine Art Spielerei, mehr nicht ... Wir haben auch dieses Ritual einmal durchgeführt und hörten daraufhin ein leises Gemurmel ..." Sein Lachen war heiser, wirkte verlegen und ziemlich unsicher. Mit einer fahrigen Geste strich er sich das schwarz gefärbte Haar zurück. "Kein Mensch wusste, woher dieses Gemurmel kam. Vielleicht gab es eine ganz natürliche Erklärung, vielleicht auch nicht ..."
"Und gestern?"
"Da hatte ich getrunken ..."
"Das war nicht zu übersehen!"
"Mein Gott, es sollte ein Gag sein! Ich hatte keine Ahnung von dem, was dann geschah ... Und ich weiß auch jetzt noch nicht, was wir da wirklich gesehen haben ..."
Sein Blick sagte mir, dass er Angst hatte.
Er war zutiefst entsetzt über das, was er bewirkt hatte.
"Glauben Sie, dass die Toten leben?", fragte er dann, nach einer längeren Pause. "Glauben Sie, dass sie als Schatten in einer verborgenen Dimension existieren, uns zwar ständig umgeben, aber normalerweise durch eine unsichtbare Wand von uns getrennt sind? Eine Wand, die mit Hilfe mächtiger Rituale durchdrungen werden kann ..."
Ich zuckte die Schultern.
"Ich weiß es nicht", sagte ich. "Aber ich glaube, dass wir für ein abschließendes Urteil noch viel zu wenig über diese Dinge wissen ..."
Er sah mich an. Nachdenklich wirkte er, sehr nachdenklich.
Ich sagte nichts davon, dass ich bereits mehrere solcher übersinnlicher Erlebnisse hinter mir hatte, die allesamt darauf hindeuteten, dass es genau so war, wie McRory vermutete ...
Aber im Moment ging es mir keineswegs um irgendwelche metaphysischen Spekulationen.
Ich spürte eine Gefahr. Sie hing wie ein düsterer Schatten über Gilford Castle. Ein Mensch war bereits gestorben, und ich hatte das Gefühl, etwas tun zu müssen, damit nicht noch mehr Unheil geschah ...
McRorys Gesicht bekam jetzt einen leicht irren Zug. Seine Augen traten dermaßen hervor, dass es einem Angst machen konnte. Die dicke Ader an seinem Hals pulsierte.
Die Lippen wurden zu einem dünnen Strich.
Sie öffneten sich halb.
Er schien etwas sagen zu wollen, aber noch mit sich zu ringen ...
"Es war diese Joanne, die die Tante von der Plattenfirma umgebracht hat ... Ich kann es nicht beweisen und wenn ich dem Inspektor auch nur ein Sterbenswörtchen darüber sagen würde, könnte ich mich eine halbe Stunde später vermutlich in einer psychiatrischen Anstalt zur neurologischen Begutachtung wiederfinden ..." Er ballte die Fäuste. Sein bleich gepudertes Gesicht, das durch die schwarz gefärbten Haare noch leichenhafter wirkte, wurde zu einer Maske puren Entsetzens.
"Ich weiß es einfach ...", murmelte er. "Auch wenn Sie mich für verrückt halten."
Er senkte den Blick.
Und dann ging er, ohne noch ein Wort zu sagen oder mich anzusehen an mir vorbei.
Er hatte die Tür fast erreicht, da rief ich ihm nach: "Mr. McRory, ich halte Sie keineswegs für verrückt!"
Er blieb einen Augenblick stehen, drehte sich aber nicht um.
Er antwortete auch nichts.
Einen tiefen Atemzug später riss er die Tür auf, ging mit schnellen Schritten hinaus und ließ sie dann hinter sich zuknallen.