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Sven

Kaffee und Zigaretten, ein Frühstück für Sieger, fand Sven, dazu eine ungesunde Dosis von dem, was er Bügelfernsehen nannte, oder laute Musik. Er lungerte noch eine Weile auf dem Sofa herum und machte sich dann an die Auswertung des Materials seiner letzten Nächte. Er überspielte den Inhalt der Speicherkarten auf eine verschlüsselte Festplatte und löschte und formatierte danach die Karten mit einem speziellen Programm mehrfach. „Keine Beweise hinterlassen“, sagte er zu sich selbst und sichtete die Bilder. Wie üblich waren fast alle davon Müll, zeigten dasselbe oder nichts Interessantes und konnten sofort gelöscht werden. Ein paar andere betrachtete er etwas länger, studierte die Personen, die zu sehen waren und versuchte sich vorzustellen, was in dieser Situation gesprochen und getan worden war. Er behielt alle Bilder, auf denen Gesichter zu erkennen waren, und archivierte sie, sortiert nach Datum und Zeit. Sein eigentliches Kapital aber waren die Nummernschilder der Autos, der geparkten Wagen. Manchmal hatte er Pech und die Wagen parkten quer zu seiner Kamera, so dass er zwar die Marke und die Farbe erkennen konnte, aber ohne einen stichhaltigen Beweis waren solche Aufnahmen wertlos. Er löschte diese jedoch trotzdem nicht, es konnte sein, dass er irgendwann einmal eine Serie zusammenstellen musste, die Bilder von verschiedenen Tagen enthielt, und da konnten ihm die allein gesehen wertlosen Fotos noch nützlich sein.

Sven arbeitete schnell und konzentriert, er rauchte eine Zigarette nach der nächsten, schüttete Unmengen von Kaffee in sich hinein, sein Finger zitterte bei jedem Bild über dem Knopf, der über Löschen oder Behalten entscheiden würde. Wie gebannt starrte er auf die Fotos, kroch fast in den Bildschirm, im Hintergrund plärrte Musik. Es dauerte trotz seines trainierten Auges, das alle wichtigen Details auf den Bildern sofort zu erfassen vermochte, fast zwei Stunden, bis er die Beute der letzten Tage gesichtet hatte. Er bereinigte die gelöschten Dateien endgültig, lehnte sich zurück und lächelte zufrieden. Das konzentrierte Arbeiten hatte ihn erschöpft, er hing zusammengesackt auf seinem Stuhl und überlegte, ob er sich einen Schluck genehmigen sollte. Sein Blick wanderte zur offenen Küche und in Richtung des Schranks mit den Flaschen. Er schürzte die Lippen, stand auf und schlenderte zur Bar, so als würde er nichts Böses im Schilde führen. Er nahm sich einen Schwenker vom Regal, zeigte eine Zeit lang mit dem ausgestreckten Zeigefinger zwischen den Flaschen hin und her wie bei einem Abzählreim und entschied sich dann für eine scharfe, bernsteinfarbene Flüssigkeit, die nur Sekunden später angenehm brennend und wärmend durch seine Kehle rann.

Er konnte zufrieden sein, machte sich aber Gedanken über seine Ausrüstung. Über kurz oder lang würde er seine Kamera wetterfest verpacken müssen, daher schrieb er eine Notiz als Erinnerung, sich über Gehäuse zu informieren, die für Unterwasser-Fotografie gebaut wurden. Damit käme er zwar auch nicht gegen den Frost an, aber zumindest wäre die Kamera noch besser gegen Feuchtigkeit geschützt. Auch wenn das jetzige Modell als „wasserdicht“ verkauft wurde, hieß das oft nur „geschützt gegen Spritzwasser“, und daher war es vielleicht besser, auf Nummer sicher zu gehen, um sich kein Geschäft durch die Finger gleiten zu lassen. Er dachte zurück an ein paar exzellente Fotos, die die Kamera letzte Nacht gemacht hatte, und die die Gesichter der Fahrer sowie die Kennzeichen ihrer Autos zeigten. Eins davon war ein Cabrio, offenbar mit Sonderausstattung und einem auswärtigen Kennzeichen, also genau das, wonach er am meisten suchte. Sven grinste breit, prostete sich selbst zu und goss sich einen weiteren Schluck des flüssigen Feuers in den Rachen.

„Gut, gut“, sagte er sich, „weiter geht’s“. Er setzte sich an den Schreibtisch, nahm sein Telefon und wählte eine Nummer. Keine der Nummern seiner Kontakte waren irgendwo notiert oder in seinem Telefon gespeichert, lediglich in den Untiefen seiner verschlüsselten Festplatte versteckte sich eine Datei mit den Kontaktdaten, die so wichtig waren und ohne die er seine Geschäfte niemals so erfolgreich würde ausführen können.

Der Anruf galt Elmar, einem ehemaligen Polizisten, der als Rentner immer noch gute Kontakte zu seinen Ex-Kollegen hatte, und sich etwas dazuverdienen wollte. Er meldete sich nach kurzer Zeit und nahm von Sven eine Liste mit Autokennzeichen entgegen.

„Und, was hast du für mich?“, fragte er und tippte kurz darauf einige Namen und Adressen in seinen Computer. Bei vielen schüttelte er den Kopf, bei einigen runzelte er die Stirn, bei anderen nickte er allerdings wissend, und seine Laune hob sich mit jedem dieser Einträge.

„Danke, Elmar, ich glaube, da sind ein paar Kandidaten dabei“, sagte er. „Bist du am Wochenende in der Stadt?“

Elmar verneinte, und sie verabredeten sich für die nächste Woche, um das zu erledigen, was sie die Bürokratie nannten und mit dem Austausch von Zahlungsmitteln zu tun hatte.

Er dankte Elmar nochmals, legte auf und ließ sich die gerade erhaltenen Adressen im Internet auf Stadtplänen anzeigen. Er studierte Satellitenbilder und sichtete die Listen der Grundstücke, deren Preise und Bebauungspläne der Stadt. Diese Information zusammen mit dem Typ des Autos, das er fotografiert hatte, gab ihm einen ziemlich guten Eindruck von der Zahlungsfähigkeit seines vielleicht zukünftigen Kunden. Billige Autos und schlechte Wohngegenden führten zum sofortigen Ausschluss des Datensatzes, den er aber weiterhin gespeichert ließ, damit er seine Recherchen bei Wiederholungstätern nicht immer wieder von Neuem beginnen musste. Immerhin blieben ihm dieses Mal drei Adressen, die er genauer recherchieren musste. Alle drei lagen zudem noch in weit entfernten Städten, was ihm lieb war, da er so nicht befürchten musste, dass seine Kunden den Ort ihrer Schande noch einmal aufsuchten, um ihm zum Beispiel aufzulauern oder in einer Art und Weise Krach zu schlagen, die dem Fortbestand seiner Geschäfte abträglich sein konnte.

Als Nächstes rief er seine Spürhunde an, die sich Rudi und Kimme nannten, die er aber aus verständlichen Gründen noch nie persönlich getroffen hatte. Er überwies ihnen ihr Honorar stets zuverlässig und pünktlich, und sie kreuzten dafür quer durchs Land, um lohnenswerte Opfer auszumachen. Ihnen gegenüber trat Sven als Wirtschaftsprüfer auf, der Steuerflüchtlingen und -betrügern auf der Spur war und die Dienste der Detektive benötigte, um weitere Informationen zu erhalten, die für seine Auftraggeber (angeblich multinationale Konzerne und andere, wichtig klingende Drahtzieher im Hintergrund) von Bedeutung sein konnten.

„Was habt ihr für mich?“, brüllte er in den Hörer, da seine Schnüffler sich gerade offensichtlich irgendwo befanden, wo der Empfang nicht besonders gut war. Sven hörte Motorengeräusche im Hintergrund und hatte arge Schwierigkeiten, durch die ständigen Aussetzer überhaupt etwas zu verstehen. „Was ist mit dem Kerl mit dem Jaguar? Nichts? Ok, bleibt dran. Was? Ja, ich höre. Was? Ja. Ok. Sag noch mal die Straße. Ok, hab ich. Hör mal, die Verbindung bricht ständig ab, schickt mir einfach die Berichte per Mail, sobald ihr alles zusammen habt, ok? Ok? Hallo? Ok, ich melde mich wieder, macht’s gut.“

„Puh, das war anstrengend“, meinte er zu sich selbst und übertrug die spärlichen Informationen, die er erhalten hatte, in seinen Computer. Er holte sich noch einen Drink und setzte sich wieder vor den Bildschirm. Er nahm einen Schluck und ließ die Flüssigkeit über seine Zunge rollen. Er stand auf, kippte ein Fenster und setzte sich wieder. Dabei dachte er die ganze Zeit angestrengt nach und starrte jetzt auf den Namen und die Adresse eines Eintrags, den er zwar mit der Farbe für „sehr lohnenswert“ gekennzeichnet hatte, die aber leider auch in seiner Stadt lag. Kimme hatte ihm gerade noch ein paar Details durchgegeben, und soweit Sven ihn verstanden hatte, konnte das wirklich ein einträgliches Geschäft werden, wäre darüber hinaus aber ein Anlass, seine Prinzipien zu brechen. Zwar wohnte das Opfer in seiner Stadt, war dafür aber verheiratet, hatte drei Kinder und stand quasi im Zentrum des öffentlichen Lebens der Stadt. Wenn so einer nicht zahlte, dann niemand. „Wenn der eine Welle macht, fresse ich einen Besen“, dachte Sven bei sich und leerte das Glas. Er würde den endgültigen Bericht abwarten, aber hier schien sich etwas Großes anzubahnen, so dass ihn trotz des Getränks, das ihm die Kehle wärmte, fröstelte. Er würde jetzt keine Entscheidung treffen, aber die Sache schien wirklich verlockend, wenn nicht sogar todsicher.

Sven machte sich Frühstück und lief kauend durch seine Wohnung. Er sah aus dem Fenster auf den Park und die Stadt, die dahinter lag. Seine Geschäfte waren einträglich gewesen, und so hatte er sich im letzten Jahr diese Wohnung mit Dachterrasse gekauft, die in einem alten Kasernengebäude lag, das von Grund auf saniert worden war. Seine Nachbarn waren ähnliche Gestalten wie er, wohlhabend, dabei aber stets bedacht, es nicht zu sehr zu zeigen. Es gab einen Hausmeisterservice, einmal in der Woche kamen zwei freundliche, fleißige und dabei auch noch verschwiegene Putzkräfte ins Haus, das Gelände wurde von einer Art Wachservice patrouilliert, und wenn jemand klingelte, konnte dieser vorher über einen Bildschirm in Augenschein genommen werden. Sven hatte der Ausblick sofort gefallen, seine Wohnung lag im fünften Stock, über ihm kam nichts mehr, niemand konnte auf seine Terrasse oder in seine Zimmer blicken, die Ausstattung war protzig, dabei aber noch gediegen. Er hatte die Altbauwohnungen satt und wollte endlich ein wenig Komfort, ein modernes Bad, eine Klimaanlage und automatische Jalousien vor den Fenstern. Seine Nachbarn kannte er kaum, bis auf wenige Ausnahmen arbeiteten sie viel oder verschanzten sich, so wie er, die meiste Zeit in ihren Wohnungen, was Sven nur recht war. Er dachte: Wer sich eine Wohnung dieser Art leistete, der war bestimmt ein blöder Yuppie, ein geldfixierter Idiot, der über nichts anderes reden konnte und sich seinen Wein vom Winzer aus Spanien persönlich auf dem silbernen Tablett zur Verkostung ins Haus bringen ließ. Mit solchen Trotteln wollte er nichts zu tun haben, auch wenn er mit ihnen unter einem Dach wohnte. Sven ging immer noch in die alten Kneipen, kaufte nach wie vor in den billigen Supermärkten und trug von Zeit zu Zeit Klamotten, die er schon jahrelang in seinem Schrank hatte und denen man das auch ansah. Aber es bereitete ihm eine geradezu diebische Freude, die Blicke der anderen zu spüren, sobald er die Treppe hochkam oder aus dem Aufzug stieg, und seine Nachbarn in diesem Moment überlegen mussten, ob sie nicht lieber den Wachdienst informieren sollten. Er grüßte dann immer besonders freundlich, nannte sein Gegenüber beim Namen (sofern er ihn kannte) und lachte sich innerlich kaputt über diese Spinner mit ihren lächerlichen Statussymbolen. „Wenn die wüssten“, dachte er. „Die Hälfte von euch Arschgeigen habe ich bestimmt auch schon fotografiert.“ Und er ließ seine Tür laut ins Schloss krachen.

Ein weiterer Anruf stand noch an, und dazu benutzte Sven ein anderes Telefon, für das er sich eine Prepaid-Karte besorgt hatte, damit die gewählte Nummer im Falle eines Falles nicht mit ihm in Verbindung gebracht werden konnte. Bei der Nummer handelte es sich um die einer Briefkastenfirma in Tschechien, die er durch einen Strohmann hatte eröffnen lassen und zu der ein Konto gehörte, auf das die Gelder flossen, die ihm seine Kunden so wenig bereitwillig übereigneten. Bisher hatte keiner seiner Kunden Stress gemacht, es hatte den ein oder anderen gegeben, der sich zunächst etwas geziert hatte, aber die Erwähnung seiner künftigen Popularität, die er zweifellos genießen würde, sobald seine Fotos erst einmal im Schaukasten der Kirchengemeinde hingen, hatte bisher noch jeden überzeugt. Das Konto im Ausland war nur eine weitere Vorsichtsmaßnahme, deretwegen sich Sven bereits mehr als einmal gefragt hatte, ob er eigentlich paranoid sei oder ob er sich noch im Bereich geistiger Gesundheit aufhielt. Aber die Gedanken an glühende Eisen und herausgerissene Fingernägel hatten ihn schnell eines Besseren belehrt, dabei wäre bestimmt jeder schwach geworden und hätte sich noch eine weitere Hürde, eine zusätzliche Schutzmauer ausgedacht, um zu verhindern, dass diese grausamen Bilder Wirklichkeit wurden.

„Irgendwelche Überweisungen?“, fragte er jetzt in den Hörer. „Gut, sonst noch etwas? Ok, danke, ich melde mich in ein paar Tagen wieder.“ Das Telefon erschien Sven immer noch sicherer als die Überprüfung seines Kontos über das Internet. Die Berichte über Überwachungen, Ausspähungen und die Speicherung von Verbindungsdaten auf Vorrat hatten ihm einen gehörigen Schrecken eingejagt, und da er nicht genügend technisches Wissen besaß, um sich in diesem Medium ausreichend zu schützen, musste er eben auf das Telefon ausweichen. „Man kann ja nicht in allen Bereichen ganz vorne mitmischen“, war seine Weisheit zu diesem Thema.

Er vermerkte die Zahlungseingänge und verglich die Daten seiner Forderungen bis zum Eingang der Beträge. Einige waren sehr schnell bereit gewesen, sich von ihrem Geld zu trennen, überlegte er und nahm sich vor, über eine Preiserhöhung nachzudenken. Wenn seine Kunden so schnell zahlten, waren seine Gebühren vielleicht einfach zu niedrig.

Unmenschen

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