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2. Definitionen und methodische Vorüberlegung 2.1 Die Postmoderne innerhalb der Moderne

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Der Begriff der Postmoderne wird in verschiedenen Kontexten aufgegriffen und findet sich dort eher unspezifisch gebraucht. Konnotiert ist er zumeist mit den Stichworten Unübersichtlichkeit, Beliebigkeit oder mit dem vielzitierten „anything goes“.11

Um derartige Begriffsdiffusionen zu vermeiden, soll daher von vorneherein klar beschrieben werden, in welchem Sinn der Begriff der Postmoderne im Rahmen dieser Studie Verwendung findet. Dabei ist es weder möglich noch nötig, seine philosophische Diskussion umfassend zu referieren bzw. weiterzuführen, noch das praktische, vielseitige Bedeutungsspektrum dieses Begriffes zu diskutieren. Ebenfalls muss eine theologische Aufarbeitung andernorts geleistet werden. Praktisch-theologisch relevant werden philosophische Begriffe wie die Postmoderne allerdings, wenn sie eine gesellschaftliche Realität beschreiben bzw. zu erklären helfen.12

Der deutsche Postmoderne-Theoretiker Wolfgang Welsch bietet im Anschluss an den französischen Philosophen Jean-Francois Lyotard, der bereits 1979 den Begriff der Postmoderne in die Diskussion einführte, eine passende Einordnung.13 Dieser soll hier gefolgt werden.

Welsch definiert zunächst das Zueinander der verschiedenen Begriffe:

„[…] [D]ie Postmoderne setzt sich zwar entschieden von der Neuzeit, sehr viel weniger hingegen von der eigentlichen Moderne ab. Nach-neuzeitlich ist sie gewiß, nach-modern aber kaum, sondern eher radikal-modern. […] Es gilt, zwischen neuzeitlicher Moderne und radikaler Moderne zu unterscheiden. Die erstere setzt die Neuzeit fort, an die letztere knüpft die Postmoderne an.“14

Die Postmoderne ist also anders, als es der Begriff suggeriert, nicht eine Nachmoderne, sondern versteht sich als ausdrücklicher Teil der Moderne.15 Auch wenn dies in deutlicher Radikalisierung des Moderne-Ansatzes erfolgt.

Welsch macht im Folgenden anschaulich, in welchem Verhältnis die von ihm aufgegriffenen Begrifflichkeiten zueinander stehen. Dabei wird deren reflexe Wirkung auf gesellschaftliche Prozesse greifbar. Er beschreibt vier Konkretionsweisen der Moderne: Die Neuzeit, die neuzeitliche Moderne, die Moderne des 20. Jahrhunderts und die Postmoderne. Um seine Konzeption der postmodernen Moderne genauerhin zu verstehen, seien diese vier Formen in Gestalt kurzer Skizzen referiert.

Die Neuzeit beschreibt Welsch weniger mithilfe begriffsgeschichtlicher Einschnitte, als mit philosophischen Konzeptionen. Für ihn setzt die Neuzeit philosophisch dort ein, wo eine dezidierte Zäsur zu allem Vorausgegangenen gesehen und fortgeschrieben wird. Dies ist für Hegel evident mit Descartes gegeben: Für Hegel beginnt mit Descartes das Prinzip der Selbstgewissheit, ein Prinzip des von sich ausgehenden Denkens und damit eine Linie, die zielgerichtet zum hegelschen Idealismus führt. Aus heutiger Sicht beginnt zudem mit Descartes die exakte Wissenschaft, die mathesis universalis und damit die wissenschaftlich-technische Zivilisation. Insbesondere sind es jedoch zwei formale Charaktereigenschaften, die das neuzeitliche Denken identifizierbar machen: Einmal der Pathos des radikalen Neuanfangs und zugleich ein als absolut intendierter Anspruch auf Universalität. Ersteres wird in einer Mentalität greifbar, dass man Altes nicht verbessern, sondern nur radikal ersetzen, es also ausschließlich praktisch neu entwerfen kann. Das überlieferte Wissen ist daher im Ganzen falsch und nur durch einen radikalen Neuanfang zu überwinden. Später wird das Werk Descartes’ selber als „Neustiftung der Philosophie“ gerühmt, wenn es bei ihm auch nur um eine Neuerrichtung der Wissenschaft ging.16

Der Anspruch auf Universalität folgt nun logisch aus dem Pathos des radikalen Neuanfangs. Denn wenn nichts Altes mehr fortzuführen ist, muss konsequent alles von Neuem beginnen. So wird die mathesis universalis fortan zur universalen Grundlage des Wissenschaftskanons, welche gleichzeitig die alten fachlichen Besonderheiten anderer Wissensgebiete einebnet. Für den Fortgang dieses Prozesses lässt sich insgesamt zeigen, dass die Neuzeit ebenso, wie sie radikal neu ansetzt, auch „unerbittlich vereinheitlichend, universalisierend, totalisierend“ geprägt ist.17

Die neuzeitliche Moderne versteht Welsch in all jenen Bewegungen verwirklicht, welche in unterschiedlichen Konzeptionen als Infragestellungen dieses Konzeptes für eine Selbststeigerung des neuzeitlichen Modells stehen. Damit erweisen sich nach Welsch solche Oppositionsbewegungen allesamt selber als neuzeitlich. Denn sie reproduzieren nichts weniger als „die neuzeit-typischen Charakteristika des Neuanfangs, der Radikalität, der Ausschließlichkeit und Universalität.“18 Daher ist auch der neue, oppositionelle Weg stets der einzige und ausschließliche: Pluralität und Partikularität sind selbstredend solchen Bewegungen zutiefst fremd.

Ebendiese Werte der Pluralität und Partikularität werden jedoch innerhalb der Moderne des 20. Jahrhunderts denkbar und sogar verbindlich. Wissenschaftstheoretisch wird der Abschied von holistischen Konzepten praktiziert: es gibt keinen Zugriff mehr auf ein Ganzes und alle Erkenntnis erweist sich damit als begrenzt. Wirklichkeit folgt nicht mehr einem Modell, sondern vielen; sie ist daher konflikthaft geladen und zeigt ihre Einheitlichkeit lediglich noch in spezifischen Dimensionen. Dies führt zu einer „Mutation im Kern der Neuzeit“:19 Pluralität, Diskontinuität und Partikularität, vorher undenkbare Elemente des wissenschaftlichen Diskurses, halten nun Einzug in das wissenschaftlich-mentale Bewusstsein des 20.

Jahrhunderts. So wird Partikularität durch Pluralität abgelöst, und zeitgleich werden Monopolismus und Universalität aus der wissenschaftlichen Debatte als unbrauchbare Instrumente verabschiedet. Es kommt zu einem Bewusstsein einer Wissenschaft, die mithilfe verschiedener Schulen, Modelle und Methoden operiert. Hier schon scheint eine Konkurrenz der Paradigmen auf, welche jedoch noch keinen Ausschluss genereller, allgemein gültiger Theorien bedeutet. Diese haben es jetzt nur schwerer als früher, widersprechen der grundsätzlichen Pluralität jedoch nicht. Diese Vorgänge finden sich nun beispielsweise zeitgleich in der Kunst aufgegriffen, welche in Gestalt eines Stilpluralismus zur Kollage mehrerer heterogener Paradigmen innerhalb eines Kunstwerks fähig wird.

Die Philosophie hat diese Pluralismusfähigkeit der Moderne erst relativ spät wahrgenommen. Die postmoderne Philosophie versteht sich daher als die „entschiedene Praxis und theoretische Reflexion des Pluralismus, der die Grundverfassung unserer Moderne […] ausmacht.“20

Diese Postmoderne lässt sich nun im Anschluss daran mit Lyotard anschaulich erklären. Die Grundthese seines Werkes „Das Postmoderne Wissen“ ist als die Verabschiedung der Meta-Erzählungen zu beschreiben.21 Die großen Geschichtsphilosophien vom Leben des Geistes nach Hegel (also dezidiert neuzeitliche Konzepte) oder von der Emanzipation des Menschen nach Marx sind an ihr Ende gekommen. Ebenso die Erzählung der Neuzeit von einer mathesis universalis. Die neue Wissenschaft steht vor der Heterogenität einer Welt, deren Diskurse als schier unvereinbare Sprachspiele in ihrer Autonomie und Irreduzibilität anerkannt und befördert werden müssen. Der Postmodernismus verteidigt diese Heterogenität der Lebens-, Sinn- und Alltagswelten und tritt damit aller Totalisierung philosophischer, ökonomischer und technologischer Art entgegen. Die postmoderne Philosophie versteht sich als eine konsequente Philosophie der Pluralität.

Welsch resümiert:

„Postmoderne besagt gerade nicht Novismus, sondern Pluralismus. Und dieser Pluralismus hat gewiß seine antiken, mittelalterlichen und neuzeitlichen Vorformen. Neu ist nur erstens, daß er jetzt dominant und obligat wird – und das unterscheidet die Postmoderne noch von der Moderne des 20. Jahrhunderts, wo der Pluralismus erst sektoriell verbindlich geworden war, während er es jetzt in der ganzen Breite der Kultur und des Lebens wird. Und neu ist zweitens, daß die postmoderne Pluralität radikaler ist als jede vorherige, so radikal nämlich, daß sie nicht mehr durch Gegenmotive aufgefangen und überboten werden kann, sondern jetzt konsequenterweise zur Grundverfassung werden muß.“22

Universell gültig ist postmodern folglich die Pluralität, die ihr sektorielles Dasein aufgegeben hat und zum nunmehr prägenden Strukturmerkmal postmodernen Denkens geworden ist. In der Folge finden sich Motive, die zuvor längst unter anderen vorhanden waren, in der Postmoderne hingegen deutlich radikalisiert auftreten und auf diese Weise zu allgemein bestimmender Wirkung gelangen. Somit ist der Postmoderne ein völlig anderes Geschichts- bzw. Traditionsbewusstsein immanent, als es die vorangegangenen Moderne-Konzeptionen kannten:

„Sie [die Postmoderne] lebt nicht neuzeitlich-modernistisch-progressistisch, sondern sieht der gegenwärtigen Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen ins Auge und prüft und begrüßt Vorgängerschaft ohne Geschichtsscheu.“23

Damit ist also ein entscheidender Unterschied zwischen den vorherigen Moderne-Formen und der Postmoderne benannt: Sie entledigt sich dezidiert der Verbindung von Ausschließlichkeit und Überholung. Pluralität und Differenz werden zur Grundlage heterogener, also in sich völlig abgeschlossener Denksysteme, welche unten präziser als Paradigmen beschrieben werden.

Somit wird insgesamt verstehbar, dass sich die Postmoderne nicht als die Nachmoderne der Moderne des 20. Jahrhunderts versteht, sondern diese vielmehr in ihren bereits pluralen Ansätzen vertiefend radikalisiert. Post-modern ist sie jedoch sehr wohl bezüglich der beschriebenen Neuzeit. Nur in radikaler Absetzung von ihr und ihren Nachfolgeformen ist die Postmoderne zu definieren:

„Die Postmoderne ist eine Moderne, die nicht mehr den Auflagen der Neuzeit folgt, sondern die des 20. Jahrhunderts einlöst.“24

Diese Radikalisierungen der modernen Pluralitätsformen des 20. Jahrhunderts sollen den Postmoderne-Begriff charakterisieren, wie er dieser Studie zugrunde liegt. Konkret wird er durch die Vielzahl diverser Paradigmen. Diese charaktergebende Eigenschaft soll im Folgenden genauerhin erläutert und plastisch werden.

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