Читать книгу Das andere Volk Gottes - Jan Loffeld - Страница 13
2.2 Postmodern kennzeichnend: Ein Pluralismus von Paradigmen
ОглавлениеWelsch erfasst innerhalb zwei Phasen der Entwicklung, die jenen der Moderne des 20. Jahrhunderts zur Postmoderne hin durchaus parallel sind: In einem ersten Schritt kommt es zur Ausdifferenzierung in verschiedene Rationalitätstypen. Hieran schließt sich postmodern eine weitere Scheidung in plurale Paradigmen an. Diesen Vorgang nennt Welsch Paradigmenpluralisierung und zeigt, dass die vorherigen, verschiedenen (noch ansatzweise harmonisierbaren) Rationalitätstypen nicht mehr existieren, „sondern daß das einzige, was es hier wirklich gibt, die Paradigmen sind.“25 Sie übernehmen die Funktion der Rationalitätstypen, indem sie nun einen ausschließlichen Gegenstandsbereich wie auch die Konstitutions- und Verbindungsregeln der Gegenstände zu definieren vermögen.
Ein Paradigma definiert Welsch mit Thomas Kuhn und zugleich in Abgrenzung von ihm.26 Zum einen stimmt Welsch Kuhn zu, wenn dieser Paradigmen als ganze Konstellationen von Meinungen, Methoden und Werten im Sinne einer „diszipilinären Matrix“ beschreibt, andererseits modifiziert er Kuhns Paradigmenbegriff weiter.27 Insbesondere unterstreicht Welsch dabei die Gleichzeitigkeit und damit das Nebeneinander von Paradigmen innerhalb derselben Disziplin. In solcher Simultaneität sieht er – neben weiteren Aspekten – das ausschlagebende Charakteristikum des Paradigmas benannt:
„Innerhalb dessen, was man Wissenschaft oder Kunst oder Philosophie nennt, existieren jeweils verschiedene Gruppen, die durch den Gebrauch unterschiedlicher Paradigmen definiert sind.“28
Die einzelnen Paradigmen verhalten sich also heterogen zueinander, da sie
„[…] keineswegs bloß Versionen oder Varianten eines jeweiligen Rationalitätstyps sind; ihre Unterschiede gehen bis an die Substanz, betreffen Basis-definitionen und erstrecken sich auf sämtliche Dimensionen des jeweiligen Rationalitätstyps. Die Paradigmen vertreten je eigene Axiomatiken. Daher sind [sie] […] hinsichtlich der zu verfolgenden Methoden, Ziele und Kriterien, also hinsichtlich der gesamten kategorialen Struktur des betreffenden Rationalitätstyps hochgradig verschieden und nicht mehr auf einen Nenner zu bringen.“29
Von daher sind Konflikte zwischen den Paradigmen vorprogrammiert und wesentliche Kontroversen in der Postmoderne als Paradigmenkonflikte zu identifizieren. Sie durch Toleranzforderungen oder Versöhnungsversuche harmonisieren zu wollen, wird ihrer Eigenheit nicht gerecht, sondern beraubt sie ihrer sie konstituierenden, heterogenen Identität. Daher ist der Konflikt der Sachaussagen, Methoden, Ziele und Kriterien einem postmodernen Paradigmenpluralismus inhärent. Er ist also nicht die Frage guten oder bösen Willens bzw. Umgangs, sondern Konsequenz der sich gerade in jeglicher Unvereinbarkeit zeigenden Eigenart eines Paradigmenpluralismus. Daher sind „Dissense wirklich radikal, gehen an die Wurzel, betreffen noch jede Grundlage“.30 Sie sind der zu erwartende Normalfall.
Wesentlich ist in diesen paradigmenpluralen Zusammenhängen daher die Fähigkeit zur Pluralitätskompetenz. Sie meint die Möglichkeit, unterschiedliche Paradigmen und ihre Kriterien erkennen und zuordnen zu können. Darin ist die Unverrechenbarkeit und Anstößigkeit heterogener Paradigmen folglich zu erkennen und als solche zu akzeptieren. Solche Pluralitätskompetenz benennt Welsch als die „conditio sine qua non wissenschaftlichen Arbeitens“.31 Zugleich stellt sich angesichts dieses paradigmenpluralen Befunds, der zur Signatur einer postmodern werdenden Kultur gehört, die wesentliche Frage nach Kommunikations- bzw. inhaltlichen Übergangsmöglichkeiten zwischen den Paradigmen.32 Diese Frage ist nun im Rahmen der Vorklärungen dieser Studie zentral zu artikulieren, da sie den Hintergrund für die innere Logik unserer Ausarbeitung anzeigt. Sie wird wiederum mit Wolfgang Welsch und seinem Konzept der transversalen Vernunft aufgenommen.