Читать книгу Satzinterpretationsstrategien mehr- und einsprachiger Kinder im Deutschen - Jana Gamper - Страница 8

1.1 Ziele und Fragestellungen

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Im Fokus der vorliegenden Arbeit stehen vier Fragestellungen. Erstens soll geklärt werden, welche grammatischen und semantischen cues (Wortstellung, Kasusmarker, Belebtheit) mehr- sowie einsprachige Kinder des Deutschen im Grundschulalter nutzen, um semantische Relationen in transitiven Sätzen zu determinieren. Geklärt werden soll dabei auch, ob und in welche Relation die genannten Mittel zueinander gesetzt werden und welche unterschiedlichen Strategien Kinder nutzen, um Sätze zu interpretieren. Zweitens soll ermittelt werden, ob sich die Gewichtung dieser Mittel verändert und wovon eine potentielle cue strength-Modifikation abhängig ist. Drittens – und dies ist zugleich auch die wichtigste Fragestellung – soll geklärt werden, ob typologisch divergierende Ausgangssprachen die Gewichtung von cues in der L2 beeinflussen beziehungsweise determinieren. Ein weiteres zentrales Ziel der Arbeit ist es, zu überprüfen, ob und welche spezifischen Artikelformen des Deutschen mit spezifischen Informationen verknüpft werden. Die Annahme hierbei ist, dass einzelne Artikelformen prototypische Funktionen erfüllen. Die Modifikation der cue strength könnte dabei ein Resultat dieser auf einzelne Artikelformen im Kasusparadigma bezogenen Form-Funktions-Relationen sein.

Die Beantwortung der Fragen erfolgt auf der Basis eines empirischen experimentellen Designs, in dem grammatische (Wortstellung, Kasusmarker) und semantische (Belebtheit) cues koalieren und konkurrieren. Methodisch orientiert sich das Testdesign an den Prinzipien des Competition Models (CM), was deshalb ausgewählt wurde, weil es neben grundlegenden funktionalsprachlichen Prinzipien auch kognitive Mechanismen bei der Sprachverarbeitung und der sprachlichen Entwicklung berücksichtigt und darüber hinaus ermöglicht, einzelne cues und ihre Relevanz für Satzverarbeitungsstrategien systematisch zu überprüfen. Das Modell umfasst die These, dass sprachliche Formen um die Kennzeichnung semantischer Relationen konkurrieren können. Das entwickelte Testdesign orientiert sich an dieser Konkurrenzthese und schafft Satzkontexte, in denen die drei Variablen Wortstellung, Kasusmarker und Belebtheit sowohl zugunsten einer spezifischen semantischen Rolle in transitiven Bedingungen koalieren als auch konkurrieren. Die systematische Korrelation dieser Bedingungen ermöglicht es, gruppen- und sprecherspezifische cue strengths zu erfassen.

Das Testdesign ist als forced choice-Aufgabe konzipiert, bei der die Probanden in transitiven Sätzen ein Agens auswählen mussten. Zu den Probanden gehörten Kinder im Alter von durchschnittlich 9;6 Jahren, die sich in Hinblick auf ihr sprachliches Profil unterschieden. Zwei Gruppen waren mehrsprachig, wobei bei einer die Ausgangssprache Niederländisch und bei der anderen Russisch war. Die dritte Gruppe bildeten gleichaltrige monolingual deutschsprachige Kinder. Hinzu kam eine vierte monolinguale Gruppe, die aus erwachsenen Sprechern des Deutschen bestand. Die beiden monolingualen Testgruppen dienten als Kontrollgruppen. Um auch potentielle entwicklungsbedingte Effekte abzudecken, wurden die drei Kindergruppen in Hinblick auf den Sprachstand im Deutschen gematcht. Bei der Auswertung der Testergebnisse wurden damit neben grammatischen und semantischen auch unterschiedliche lernerspezifische Variablen berücksichtigt.

Theoretisch ist die Arbeit in der kognitiv-funktionalen und gebrauchsbasierten Linguistik sowie einer konstruktivistisch-empirischen Sprachentwicklungssperspektive verankert. Die aufgeworfenen Fragestellungen werden deshalb vor dem Hintergrund der Grundannahmen verhandelt, dass sprachliches Wissen im Allgemeinen und cue strength im Besonderen im Sinne eines emergenzorientierten Ansatzes kontinuierlich modifiziert wird. Die Gewichtung von cues bildet dabei eine lernerspezifische kognitive Repräsentation der jeweiligen Form-Funktions-Relationen ab. Die Arbeit setzt deshalb an der Schnittstelle zwischen Satzverarbeitungsstrategien und sprachlicher Emergenz an.1

Die empirische Aufarbeitung form-funktionsspezifischen Wissens im Deutschen möchte somit eine relativ große Forschungslücke in Bezug auf mehrsprachige sowie insbesondere kindliche Sprecher schließen. Die bisherigen Erkenntnisse zu cue strength bei der Satzinterpretation beziehen sich nämlich vor allem auf einsprachige Sprecher und zeigen, dass die Gewichtung von cues einem kontinuierlichen Modifikationsprozess unterliegt. Mehrsprachig aufwachsende Kinder sowie damit einhergehende potentielle mapping-Transferphänomene im Deutschen standen bisher nicht im Fokus. Damit soll erfasst werden, welche Strategien Kinder mit unterschiedlichen sprachlichen Profilen bei der Satzinterpretation im Deutschen gebrauchen.

Satzinterpretationsstrategien mehr- und einsprachiger Kinder im Deutschen

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