Читать книгу Auf den Rucksack fertig los! - Jana Ludwig - Страница 4

Tag Eins - Oder auch: Kennt Ihr jemanden, der jemanden kennt, der in einem roten Hop-on-Hop-off-Bus entführt worden ist?

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Frisch und ausgeruht starten wir in den Tag. Mein immer noch hungriger Liebster drängt sofort zum Frühstück. Dort erwartet uns schon ein mürrisches Gesicht aus der offenen Küche und fragt, was wir essen wollen. Es gibt entweder Rührei oder Cornflakes. Es kommt zum ersten Problem des Tages: Dima möchte Beides! Nachdem die Köchin eingesehen hat, dass mit einem russischen Hüngerchen nicht zu spaßen ist, bekommt er seine doppelte Frühstücksportion. Derweil bin ich gespannt, wie es hier die nächsten drei Tage weitergehen wird mit dem Frühstücksproblem.

Wir beschließen eine Runde auf der Panama Promenade zu flanieren. Direkt am Wasser mit Skyline im Rücken, spazieren wir unter Palmen den kilometerlangen Fußgängerweg entlang. Überall blühen bunte, farbenprächtige Blumen, das Gras ist gemäht und alles ist sehr gepflegt. Es gibt viele Sportplätze, Basketballkörbe und Spielplätze. Nur Menschen sehen wir nicht – keinen einzigen weit und breit. Was ist denn los? Wo sind sie denn alle? Haben wir irgendetwas verpasst, einen Katastrophenalarm oder so? Nach wenigen Minuten fällt es uns wie Schuppen von den Augen beziehungsweise merken wir es an den bereits nassen Shirts – es sind vierzig Grad im Schatten, die Luftfeuchtigkeit ist bei gefühlten hundert Prozent und kein normaler Mensch würde bei dem Wetter auf die Idee kommen irgendeine Strandpromenade entlang zu flanieren. Kein Einheimischer und auch kein Tourist haben sich an diesem späten Vormittag auf die Straße gewagt. Wir ziehen dennoch weiter, zu groß ist die Neugier auf Panama City. Natürlich haben wir auch kein Wasser dabei und da ja niemand hier unterwegs ist, gibt es auch keins zu kaufen. Wäre ja auch zu intelligent gewesen, eine Flasche einzupacken. Nach zehn Minuten spüren wir völlige Erschöpfung, nach zwanzig geht nichts mehr. Wir haben Durst und die Strandpromenade erscheint uns auf einmal endlos. Die Sonne brennt und wir sind komplett durchgeweicht. Es ist Anfang Dezember und ironischerweise passieren wir einige bunt behängte, leuchtende und riesige grüne Weihnachtsbäume aus Plastik. Das lässt die ganze Situation dann doch irgendwie witzig erscheinen. Den Durst lindert es aber nicht - zum Glück gibt es keinen Glühwein. Wie eine Fata Morgana taucht plötzlich der Mercado de Marisco vor uns auf – der Fischmarkt von Panama City. Hin- und Hergerissen vom Fischgeruch, der sich zwischen unglaublich lecker und kurz vorm Erbrechen bewegt, betreten wir die große Halle. Ich sehe nichts anderes als den Wasserverkäufer mit seiner kostbaren Ware und kaufe ihm schnell zwei Liter ab. Nachdem ich meinen Durst gestillt habe, drehe ich mich um und sehe wie Dima sich schon den ersten rohen Fisch einverleibt. Das heißt in allen Ländern Süd- und Lateinamerikas Céviche und ist Fisch oder Meeresgetier (Oktopus, Scampi oder Muscheln) in Limettensaft, Chili und Zwiebeln mariniert. Eine wahnsinnig leckere Spezialität, die wir auch schon das ein oder andere Mal beim Peruaner in Berlin gegessen haben. Ja richtig in Berlin, wo das Gesundheitsamt regelmäßig Kontrollen durchführt und die Kühlkette im Normalfall gut funktioniert. Daran scheint Dima jedoch nicht zu denken während er genüsslich den rohen Fisch aus einem Plastikbecher löffelt. Den Durst scheint er vergessen zu haben – den Geruch um uns herum anscheinend auch. Panisch erörtere ich ihm die akute Salmonellengefahr, doch mit dem Essen in der Hand hört er gar nichts. Mit einem glücklichen Gesichtsausdruck lässt er sich seine Errungenschaft schmecken. Gut, dann bleibt mir nichts Anderes übrig als auch zu probieren – wenn es nur einem von uns schlecht geht ist ja auch doof. OHHHH und es schmeckt himmlisch: Saurer Geschmack vermischt mit Chili und frischem Fisch (hoffe ich zumindest) verzaubern unsere Geschmacksnerven. Erfrischend und kühlend ist der Céviche eine wahre Geschmacksexplosion. Mit dem Fisch im Bauch, die Reserven mit Wasser aufgefüllt sieht die Welt schon wieder ganz anders aus und wir sind bereit wieder in die Hitze hinaus zu ziehen. Am Hafen beobachten wir die vielen Pelikane, die immer wieder versuchen den Fischern die Beute abzujagen. Das laute Gekrächze der Vögel und das Geschrei der Fischer werden von lateinamerikanischer Musik untermalt, die aus alten Radios aus allen Richtungen dröhnt. In kleinen Fischerbooten aus Holz bringen die Fischer ihre Waren zum Markt, während sich die an Land gebliebenen an den farbenfrohen Ständen mit Lebensmitteln eindecken oder sich in den kleinen Cafés mit kalten Getränken erfrischen. Der Hafen von Panama City ist lebhaft und laut und steht im völligen Widerspruch zu der dahinter auftauchenden Skyline. Die Kombination aus stahlglänzender Moderne und einfachem Leben ist beeindruckend und bunt. Es scheinen keine weiteren Touristen unterwegs zu sein – zumindest nicht hier am Hafen. Zwei Gringos allein unter Latinos, die völlig durchnässt das quirlige Treiben bestaunen. Gringo ist ein südamerikanisches Wort, welches von den Einheimischen für einen hellhäutigen Menschen benutzt wird. Wir zwei Bleichgesichter sind schnell identifiziert.

Uns zieht es ins alte Zentrum von Panama City und ich möchte gerne ins Kanalmuseum um ein wenig in den Genuss einer Klimaanlage zu kommen und was über den berühmten Panamakanal zu lernen. Nur schade, dass heute Montag ist und das Museum geschlossen ist.

Noch nachdenkend, wie es weiter im Tagesablauf geht, sehen wir sie. Irgendwo mussten sie sich ja verstecken: Touristengruppen, sonnenverbrannte, helläugige Menschen mit großen Panamahüten, alle im Partnerlook, in grauen Allwetterhosen und in Wanderstiefeln. Wie Ameisen scharen sie sich um die Souvenirstände und strömen in die Geschenkeläden, um Hüte, Schmuck, T-Shirts, Magnete und andere Mitbringsel einzukaufen. Stöhnend und schnaufend, klagend über die unerträgliche Hitze probieren sie Hüte auf und bunte T-Shirts an. Schnell suchen wir das Weite und verstecken uns in einem kleinen Café, um über den weiteren Tag zu beratschlagen. Da wir nicht allzu viel Zeit in Panama City haben, und dennoch so viel wie möglich sehen wollen, lassen wir uns dazu hinreißen einen Hop-on-Hop-off-Bus zu nehmen. Auch wenn wir Gefahr laufen dem Tross da draußen wieder über den Weg zu laufen, recherchieren wir die Abfahrtszeiten der Busse. In nur zwanzig Minuten soll schon einer abfahren - Startpunkt Multiplaza. Schnell bezahlen wir die Rechnung und nehmen ein Taxi. Da ich ja alle Regeln und Gefahrenquellen auswendig gelernt habe, suchen wir uns eins mit dem obligatorischen weiß-roten Streifen und handeln den Fahrpreis aus, weil es keine Taxameter gibt. Als alles zu meiner Zufriedenheit erfüllt ist, geht es los. Obwohl das Auto gefühlt dreißig Jahre alt ist, rast unser Fahrer hupend und rufend durch die Stadt. Fünf Minuten vor Abfahrt des Busses kommen wir am vermeintlichen Ziel an und sehen „Nichts“: keine Haltestelle und keinen roten Bus. Wir beraten uns mit dem Fahrer, soweit das mit unseren hervorragenden Spanischkenntnissen möglich ist und stellen fest, dass wir nicht zum Multiplaza, sondern zum Multicentro müssen. Wir beglückwünschen uns zu unseren hervorragenden Lesekenntnissen und die rasante Taxifahrt geht weiter. Ich drücke mich einfach in meinen Sitz und hoffe, dass wir sowohl lebend aus dem Taxi wieder rauskommen als auch nicht entführt werden (man hört und liest ja immer weiß Gott was alles). Die unterdrückte deutsche Paranoia lässt grüßen. Aber tatsächlich kommen wir am richtigen Platz an, wo schon der rot angezogene Ticketverkäufer mit seinen Stadtplänen und den Tickets steht. Wir rennen los, als würde es um unser Leben gehen. Hektisch und drängend kaufen wir die Billets um dann pünktlich an der Haltestelle zu stehen und auf den Bus zu warten. „Tranquiiiiiilllllo („ganz ruhig“), der kommt erst in circa zwanzig Minuten“, lässt uns das rote Männchen wissen. Völlig verstört gucken wir uns an und lachen los – wir müssen definitiv den Drill aus uns rausbekommen. Dreißig Minuten später ist dann auch der Bus da und wir holpern los (anders kann man das leider nicht nennen). Als er nach einer Weile in eine abgelegene Straße einbiegt und vor einer großen Lagerhalle anhält, kommen meine Entführungsängste wieder hoch. Panisch schaue ich mich um und beobachte die Reaktion der anderen Leute im Bus, aber denen scheint das alles ziemlich egal zu sein. Ich überlege, ob es schon mal Entführungen von diesen Hop-on-Hop-off-Bussen gegeben hat, kann mich aber nicht erinnern der gleichen jemals gelesen zu haben. Falls jemand damit Erfahrungen gemacht hat, will ich es jetzt auch nicht mehr wissen. Dima liest meine Gedanken und meint ich solle nicht lächerlich sein. Ich frage mich, ob er Recht hat oder zu wenig Reiseführer und Nachrichten liest. Nach ein paar Minuten unruhigem Hin- und Her rutschen auf meinem Plastiksitz (an dem sich meine nackigen Beine schon ganz festgesaugt haben), dröhnt die Ansage aus dem Lautsprecher: „Bitte in den anderen Bus steigen - Dieser Bus muss repariert werden“. Gesagt, getan, weiter geht die Fahrt. OK, vielleicht habe ich doch wieder etwas überreagiert. Anscheinend gab es und wird es keine Entführung von roten Doppeldeckerbussen geben.

Die Erklärungen aus den Lautsprechern sind weder auf Spanisch noch auf Englisch zu verstehen – egal, wir gucken einfach ein bisschen aus dem Bus. Am Endziel angekommen steigen wir aus und stehen nun direkt am berühmten Panamakanal an der Miraflores Schleuse, den wir nur aus dem Fernseher und aus Erzählungen kennen. Ich kann es kaum fassen, dass ich hier bin. Da der aber ziemlich klein aussieht, vergewissere ich mich mehrfach bei Dima, ob das auch wirklich DER Panamakanal ist. Ja, scheint der Fall zu sein. Wir schauen wie ein Schiff hinein fährt und ich muss zugeben, dass es schon beeindruckend ist, wie so ein riesiger Frachter in diese kleine Schleuse passt. Wenn ich an meine Parkkünste denke, scheint mir was ich dort sehe fast unmöglich. Doch es funktioniert, und mit Hilfe von Schleppern schafft es der Kapitän das Monstrum durch die winzige Öffnung zu bugsieren. Nachdem wir uns auch das dazugehörige Museum angeschaut haben, welches sehr interessant und lohnenswert ist, fahren wir mit dem roten Bus wieder ab. Im Zentrum angekommen, haben wir Hunger. Es startet eine Diskussion, die uns von nun an die nächsten Wochen begleiten wird. Was essen wir? Ich, paranoid und ständig auf die Gefahr vor Bakterien, Salmonellen und anderen Krankheiten lauernd und Dima, der alles essen will, was ihm über den Weg läuft. Wir entscheiden uns für die Calle Uruguay, die auch als Restaurant und Barmeile im Reiseführer angepriesen wird. Was wir aber vor Ort finden, sind jede Menge Burgerläden, Fast-Food-Ketten, Irish Pubs und American Diners. Alles weniger lateinamerikanisch. Da der Hunger jedoch größer ist, als die Lust sich auf die Suche nach etwas Authentischerem zu begeben, entscheiden wir uns für das am wenigsten touristisch aussehende Restaurant – ein Arabisches. Das Essen ist lecker, aber teuer. Ich schiebe alle rohen, salatähnlichen Sachen von meinem Teller, während Dima natürlich nichts liegen lässt. Ich bin gespannt, wie lange sein Bauch das aushält oder ich es schaffe meine Prinzipien auch bei ihm durchzusetzen. Wir essen Vorspeise, Hauptgericht, Nachspeise, trinken ordentlich Wein und beenden das Essen mit einem Espresso. Zum Schluss diskutieren wir, dass wir uns so ein Essen nicht täglich zwei Monate lang leisten können. Diese Diskussion hört sich ungefähr so an:

Jana: „Baby, das können wir uns aber nicht jeden Abend leisten. Dann sind wir nach zwei Wochen pleite.“

Dima: „Aber dafür haben wir doch fast das ganze Jahr gespart, dass wir es uns jetzt richtig gut gehen lassen können.“

Jana: „Ja, aber wir haben auch ein Budget aufgestellt, und ein tägliches Drei-Gänge-Menü ist darin nicht enthalten.

Dima: „Ja, aber dafür übernachten wir doch in günstigen Hostels.“

Jana: „Das haben wir auch so im Budget kalkuliert.“

Na das kann ja heiter werden – Berater argumentiert mit Finanzabteilung. Ich sehe uns schon Gläser spülen, irgendwo in Bolivien.

Erkenntnisse des Tages: Russischer Drill und deutsche Pünktlichkeit müssen definitiv abgelegt werden. Maulige, Partnerlook tragende Rentner gibt es überall. Salat ist böse, böser als roher Fisch in Limettensaft.

Auf den Rucksack fertig los!

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