Читать книгу Die blutige Windrose - Janina Nikoleiski - Страница 6
Kapitel 3
ОглавлениеWie vermutet, stimmte etwas mit dem Fußboden, der hinter der Mauer aufgetaucht war, nicht. Während Cassandra frische Brötchen und Erfrischungsgetränke besorgte, fing ich an, das Parkett auf zu nehmen. Das war nicht weiter schwer, da alles lose auf dem Untergrund lag.
Darunter kam weiteres Holz zum Vorschein, aber ein helleres. Es schien eine Platte zu sein. Ich klopfte auf der Platte herum und bemerkte, dass darunter ein weiterer Hohlraum sein musste.
Ich hörte das Auto vorfahren, stand auf und klopfte mir den grauen Staub aus der Arbeitshose, um die Getränke aus dem Wagen zu holen, damit Cassandra nicht die schweren Kisten schleppen musste.
Dieses Haus war mir ein Rätsel. Ein ziemlich unheimliches noch dazu.
Die Brötchen waren back frisch und noch herrlich warm, so dass wir uns entschieden, erst zu frühstücken.
Gestärkt und neugierig, was wir heute noch entdecken würden, machten wir uns gemeinsam wieder an die Arbeit. „Was denkst du, was uns hier noch erwartet? Ich meine, wir konnten den Dachboden noch nicht betreten. Wer weiß, was Tante Meredith nach oben geschafft hat, bevor sie starb. Und dann noch, was Onkel Fred alles in Kisten einfach auf den Boden gestellt hatte, weil er nicht wusste, wohin damit, als er die Möbel ausräumte. Leider habe ich gar keine Erinnerungen an dieses Haus, oder an meine Tante. Meine Eltern sprachen auch nie über sie. Als ich erfuhr, dass ich ihre Erbin bin, fiel ich aus allen Wolken“, sie schauderte bei dem Gedanken daran.
„Ja, aber dennoch wolltest du dieses Haus unter allen Umständen behalten und renovieren. Und bisher hatten wir doch eine Menge Spaß, oder nicht? Wenn ich dich an die Wasserschlacht beim Putzen der Badewanne erinnern darf“, versuchte ich sie von ihren schlechten Gedanken abzulenken. Es schien zu funktionieren, denn plötzlich ergriff sie ein langes, schmales Stück des losen Fußbodens, das hinter ihr gelegen hatte, und hielt es mir entgegen, wie ein Schwert im Kampf.
„Lust auf eine Revanche?“ Es funkelte schelmisch in ihren Augen. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen.
Es war ein ausgeglichener Kampf, bis wir in den Garten kamen und ich rückwärts über kleines Gebüsch fiel. Ohne den Triumph des Sieges aus zu kosten, ließ sie sich neben mir ins Gras fallen und bekam einen für sie so typischen Lachanfall.
„Dein Gesicht war so irre witzig, als du gefallen bist!“, japste sie.
„Ha ha, sehr lustig.“ Ich tat, als würde ich schmollen, aber das verlieh ihrem Lachen nur noch mehr Schwung.
So lagen wir noch einen Augenblick nebeneinander auf dem Rasen und ließen uns ein bisschen von der Sonne bescheinen. Die Luft war wunderbar warm und erfüllt von dem Duft der Vielzahl bunter Blumen, die in unförmigen Beeten in dem großen Garten gediehen. Der Himmel war strahlend blau und nur ein paar kleine Wölkchen waren zu sehen.
Das war doch für meinen Urlaub genau das richtige Wetter. Cassandras Atem beruhigte sich und wir hätten noch eine Ewigkeit so weiter daliegen können.
„Wir sollten weiter machen, ich will wissen, was unter diesem Boden steckt!“ Mit diesen Worten weckte ich auch ihre Neugier aufs Neue, und wir machten uns wieder ans Holz.
Es war noch viel mehr Parkett lose, als vorerst vermutet, aber nach etwa 3 Quadratmetern merkte ich, wie sich ein Teil der Platte bewegte, wenn ich mich drauf kniete.
Nachdem ich eine Taschenlampe geholt hatte, entdeckte ich eine Fuge, die ich mit den Fingern nach zu zeichnen begann. Als ich wieder am Ausgangspunkt ankam und der Staub grob beseitigt war, nahm ich die Umrisse eines geschlossenen Halbkreises wahr. In der Hälfte des Halbkreises war eine kleine Kerbe in den Rand geritzt worden. Wenn man dort etwas hinein stemmte, würde man die Platte vielleicht heben können, denn ich sah keine Spuren einer Befestigung.
„Was ist das?“, fragte Cassandra, die den Halbkreis nachdenklich betrachtete.
„Lass uns versuchen die Platte anzuheben und herausfinden, was sich darunter versteckt“, entgegnete ich, während ich nach etwas suchte, um eine Hebelwirkung erzielen zu können.
„Hier, die Brechstange! Das sollte funktionieren, oder?“, fragte sie und hielt mir das Eisen hin.
„Ja, könnte klappen. Geh mal bitte einen Schritt zur Seite.“, bat ich, setzte die Brechstange bei der Kerbe an und hebelte. „Wäre doch gelacht, wenn wir das nicht öffnen könnten.“
Mit einem Knarzen schwang die Platte auf und wirbelte eine graue Staubwolke auf, als sie auf der anderen Seite dumpf im Staub aufschlug. Ein muffiger Geruch machte sich breit, und wir hatten es eilig, die Fenster und Türen weit zu öffnen, um frische Luft ein zu lassen.
„Was zu Hölle ist das? Das riecht so, als wäre es ewig nicht geöffnet worden“, stieß Cassandra angewidert hervor und hielt sich die Nase zu.
„So war das höchst wahrscheinlich auch gedacht. Wer sonst baut einen Fußboden und eine weitere Mauer so ein, damit dieses Loch unentdeckt bleibt? Ich befürchte, hier wurde absichtlich etwas versteckt“ vermutete ich.
„Was sich wohl darunter verbirgt? Ich bin mir nicht sicher, ob ich es wirklich wissen will. Irgendwie ist das ziemlich unheimlich“, murmelte die Frau, die sich sonst immer als Erste ins Abenteuer stürzte.
„Lass es uns herausfinden! Aber vorher stellen wir die Strahler und Kabeltrommeln bereit. Es scheint tief hinunter zu gehen, und irgendetwas sagt mir, dass es da unten keinen elektrischen Strom geben wird“, mutmaßte ich nach einem Blick mit der Taschenlampe in das Loch.
„Und die Leiter sollten wir nicht vergessen.“
Die ausziehbare Aluleiter, die wir für Arbeiten an der Regenrinne am Dach im Garten deponiert hatten, ließ sich auf eine Höhe von etwa 4,60 Metern ausziehen. Langsam ließen wir die Leiter in das Loch hinab gleiten, bis wir einen Widerstand spürten. Die Leiter rastete in die Sicherung ein und war nun stabil genug, um uns zu tragen. Sie ragte kaum noch 20 cm aus dem Loch hervor, was darauf schließen ließ, dass es ziemlich tief hinab ging.
Wir beschlossen, dass ich mit der Taschenlampe zuerst ein Stück hinabsteigen würde, um zu sehen, was uns erwartete und dann die Kabeltrommeln und Strahler entgegen zu nehmen. Cassandra sollte dann nachkommen, wenn ich unten ein bisschen Licht geschaffen hatte.
Mir lief es eiskalt den Rücken runter, bei dem Gedanken, was wir dort unten entdecken würden.
Nachdem Cassandra noch ihren Willen durchgesetzt hatte, mich mit einem Kletterseil auszustatten, das wir an dem steinernen Teil des Treppengeländers befestigten, wagte ich den ersten vorsichtigen Blick in die Dunkelheit. Sprosse für Sprosse stieg ich langsam hinab, um nicht den Halt zu verlieren. Offengestanden war ich aber auch nicht sonderlich scharf darauf, zu schnell ins Ungewisse zu springen.
Ein letzter Blick zu Cassandra, die ziemlich hilflos im Staub am Rand des Lochs kniete, und nichts mit sich anzufangen wusste, und ich war mit der nächsten Sprosse komplett von Dunkelheit umgeben.
Mit der angeschalteten Taschenlampe in der einen Hand und mit der anderen fest die Leiter umklammert, beschloss ich mich ein erstes Mal umzusehen. Nur gab es nicht sehr viel zu sehen. Die Dunkelheit schien wie ein samtiger Schleier und so dicht, dass ich nur ein paar Meter weit leuchten konnte. Winzige Staubpartikel schimmerten und tanzten im Strahl der LED´s meiner Lampe.
Die Decke wurde ganz in der Nähe von einer Säule gestützt. Eine weitere Sprosse in die Tiefe und ich bemerkte, dass die Decke gebogen war, wie in den gewölbeartigen Weinkellern, die ich mit meinen Eltern immer besuchte.
So sehr ich mich auch bemühte und die Augen zusammenkniff, konnte ich keine Wand entdecken, die mir ein Ende des Raumes zeigen würde. Es war wirklich stockfinster und furchtbar staubig.
Ich beschloss, jetzt bis auf den Boden hinabzusteigen, da ich auf diesen Zwischenhöhen nicht viel mehr sehen konnte, als von oben.
Wieder festen Boden unter den Füßen zu haben war ein gutes Gefühl, wenn da nur die Dunkelheit nicht gewesen wäre.
Ohne mich zunächst mit dem schwachen Strahl meiner Taschenlampe umzusehen, stieg ich die Leiter wieder ein Stück hinauf und bat Cassandra mir eine Kabeltrommel zu geben. Als ich diese sicher am Boden aufgestellt hatte, bekam ich von oben auch schon den ersten Halogenstrahler gereicht. Den wollte ich als erstes anschließen, um mehr Licht für die nächsten Schritte zu haben.
Das neue Licht war so hell, dass ich die Augen im ersten Augenblick zusammen kneifen und sie langsam an die Helligkeit gewöhnen musste. Was ich dann sah, ließ mir den Atem stocken.
Es einen Kellerraum zu nennen, war schlichtweg untertrieben. Es glich eher einer Halle, mit mehreren Säulen und die Größe war trotz des Lichts noch nicht richtig ein zu schätzen. Wir brauchten noch mehr Licht und Cassandra musste schnell herunter kommen und das alles bestaunen.
Dank eine weiteren Kabeltrommel und fünf Strahlern war der Raum nun gut ausgeleuchtet und ich ließ sie herunter kommen.
Der Anblick der sich uns bot war einfach nur beeindruckend. Niemals hätten wir etwas derartig Großes unter dem Haus erwartet. Keiner traute sich auch nur einen Ton zu sagen. So waren nur unsere Schritte zu hören, die scheinbar ins Endlose hallten, während wir uns umsahen.
Die Säulen, sechs Stück an der Zahl, waren eckig und aus roten Ziegelsteinen in einem Abstand von etwa 4 Metern gemauert worden.
Die Decke schätzten wir auf eine Höhe von etwa 4,40 Metern, da die Leiter gerade gereicht hatte. Die Konstruktion erinnerte, jetzt komplett gesehen, ein bisschen an die einer Kirche. Weiß gestrichen und mit fast schwarzen Holzbalken durchzogen, war sie beeindruckend und schön anzusehen.
Die Wände waren edel mit dunklem Holz vertäfelt worden. In unregelmäßigen Abständen waren große Gemälde angelehnt, die wahrscheinlich mal aufgehängt gewesen waren. Was sich auf den Gemälden abgebildet war, konnten wir nicht erkennen, da sie alle mit riesigen Tüchern aus weißen Leinen, so schien es mir, abgedeckt waren. Irgendwer hatte sie gegen den Staub der Zeit schützen wollen. Und allem Anschein nach war eine Menge Zeit vergangen, denn wo man auch hinblickte, lagen dicke Schichten von Staub. Unsere Turnschuhe hinterließen eine Spur auf dem Fußboden, dessen Farbe gar nicht richtig zu erkennen war.
In einer Ecke des Raumes waren offensichtlich Möbelstücke, ebenfalls unter Tüchern verborgen, zusammengestellt worden. Als wir eine der Decken herunter zogen und Cassandra durch den aufgewirbelten Staub einen Niesanfall bescherten, beförderten wir eine gewaltige, fast schokoladenbraune Ledercouch ans Licht. Mit angelaufenen Messingnieten und einer sehr hohen Rückenlehne nicht mehr ganz zeitgemäß, aber sicherlich sehr gemütlich.
Etwas, ebenfalls sorgfältig Abgedecktes, erweckte meine Neugier. Es war sehr groß und langgezogen. Gemeinsam schafften wir es, eines der Tücher zu entfernen. Es stellte sich als eine messingfarbene Wendeltreppe heraus, die sicherlich anstelle einer Leiter für den Auf- und Abstieg benutzt worden war.
Noch ein Indiz dafür, dass dieser Raum verborgen bleiben sollte. Wer würde sich sonst die Mühe machen, extra die Treppe ab zu bauen? Ansonsten gab es nur eine Menge Platz und Staub soweit das Auge reichte.
Ein Blick in Cassandras Gesicht reichte um mir zu bestätigen, dass sie keine Ahnung hatte, was sie davon halten sollte. Wir hatten keine vernünftige Erklärung, warum sich dieser Raum unter dem kleinen Haus befand und warum man ihn so sehr versucht hatte, ihn zu verstecken.
„Wer baut so etwas bitte unter der Erde und macht dann den einzigen Zugang einfach dicht? Wieso sollte dieser Raum versteckt bleiben? Das macht doch keinen Sinn!“ Cassandra stocherte wahllos in ihren gebratenen Nudeln mit Ente herum, die wir uns am Abend vom Chinesen zu mir nach Hause liefern ließen.
„Vielleicht sollten wir mal im Internet recherchieren, was es damit auf sich haben könnte. Der Raum ist vielleicht schon vor dem Haus gebaut worden. Auch wenn es schon sehr alt ist, glaube ich, dass der Raum noch viel älter ist. Wenn wir herausbekommen, was vorher auf dem Grundstück stand, werden wir vielleicht ein bisschen schlauer“, schlug ich vor. „Was hast du nun damit vor? Ich meine, mal ganz abgesehen davon, was wir darüber herausfinden.“
„Für einen Partykeller ist es vielleicht ein bisschen protzig“, kicherte sie. „Ehrlich, ich habe nicht die geringste Ahnung. Der Grundriss hat wahrscheinlich mehr Quadratmeter als mein ganzes Haus gesamt. Denkst du, wir bekommen die Treppe wieder aufgestellt? Vielleicht sollten wir uns auch die Gemälde anschauen. Es könnte Hinweise verbergen, was dort vor langer Zeit stattgefunden hat. Und wie sollen wir um Gotteswillen den Staub da raus bekommen?“ Sie ließ die Gabel auf dem Teller fallen und stütze den Kopf auf die Fäuste. Wir waren beide völlig Ahnungslos. Wer hätte auch mit so einem Fund gerechnet?
Für den Abend ließen wir es gut sein. Zwar stellten wir noch ein paar Grübeleien an, aber da es ein langer Tag gewesen war, entschlossen wir bald ins Bett zu gehen. Morgen würden wir vielleicht schon schlauer sein.
Nach dem üblichen Frühstück in meiner Wohnung, machten wir uns auf den Weg zurück ins Haus um die Geschichte des gefundenen „Kellers“ zu erfahren. Beide waren wir ziemlich aufgeregt, denn keiner wusste, was uns heute erwartete.
Zuallererst waren wir uns einig, dass wir den Raum weiter untersuchen wollten. Wir brauchten schließlich Informationen, was es mit dem versteckten Raum auf sich hatte.
Nachdem unten wieder das Licht angeschaltet war, stiegen wir hinunter, und machten uns an das erste Gemälde, das uns am nächsten stand.
Es musste an die zwei Meter hoch sein und etwa 2,50 Meter lang. Als wir das Tuch abnahmen, zeigte sich uns ein sagenhafter Ausblick auf Weinberge. Es war so überraschend detailreich und real gezeichnet, dass wir die Leinwand berühren mussten, um uns zu versichern, dass es kein Druck von einem Foto war. Es war kein Name oder eine Widmung zu entdecken, der von der Identität des Schöpfers verriet.
Auch die anderen Gemälde zeigten Landschaften. Immer unterschiedliche und immer auf ihre Art und Weise beeindruckend. Es wurden Berge gezeigt und auch das Meer mit windgezeichneten Klippen einer Küste, eine Allee mit Bäumen, die bereits herbstliche Brauntöne trugen und eine winterliche Landschaft.
Es schien, als hätte jemand versucht, diesem unterirdischen Raum Fenster zu verleihen. Keines der wundervollen Bilder ließ auf seine Herkunft schließen.
Ein Bild gefiel Cassandra besonders. Es zeigte einen Sonnenaufgang. Wie bei einem echten Sonnenaufgang flammten verschiedene Rot-, Gelb- und Goldtöne auf. Hätten wir es nicht besser gewusst, nämlich dass wir uns gut vier Meter unter der Erde befanden, hätte man ihn für echt halten können. Dieses war das größte und zugleich beeindruckendste aller Gemälde. Wie alle anderen auch, hatte es einen fein verzierten, goldenen Rahmen.
An den Wänden fanden wir sehr große Ösen und Haken, die sicherlich der Aufhängung der mächtigen Gemälde dienten. Verwirrend waren andere Halterungen in regelmäßigen Abständen in der Wand verankert. Nach genauerer Betrachtung kamen Cassandra und ich überein, dass es sich um Halterungen für Fackeln handeln musste. Hier gab es keine Lampen und keinen elektrischen Strom. Also war das sehr naheliegend.
Nachdem alle sechs Gemälde abgedeckt waren, machten wir uns an die Treppe. Wie sich herausstellte, war sie in drei Teile aufgeteilt worden, so dass man sie leichter bewegen konnte. Im Boden unter dem Übergang ins Haus waren Löcher, in die die Bolzen für die Treppe geschlagen werden mussten. Wir machten es uns zur Tagesaufgabe, die Treppe fertig zu stellen.
Wie sich herausstellte, keine allzu leichte Aufgabe, aber wir wollten uns keine Hilfe bei den Jungs aus der WG holen. Bisher schien niemand außer uns von diesem Versteck zu wissen und so sollte es auch vorerst bleiben, bis wir mehr Informationen darüber hatten.
Das erste Element der Treppe war das größte und schwerste. Dank der runden Form und stabilen Konstruktion, konnten wir es einfach quer durch den Raum rollen. Die schweren Bolzen und Schrauben waren mit unter den Tüchern verborgen gewesen.
Das Aufstellen gestaltete sich etwas schwierig, aber mit einem Seilzug konnten wir die Treppe schließlich aufrichten. Nachdem die acht Bolzen in den dafür vorgesehenen Löchern verankert waren, war die Konstruktion bereits stabil genug, damit wir bis zur höchsten Stufe in etwa 2 Metern steigen konnten.
Das war auch nötig, um das zweite und dritte Element, die deutlich leichter zu tragen waren, hinauf zu schaffen und mit sehr großen Schrauben zu verbinden. An der Decke wurde die Treppe ebenfalls noch befestigt und nun war sie gesichert. Kein wackeliger Aufstieg auf der Leiter mehr, das war ja immerhin schon mal etwas.
Als die gesamte Treppe aufgebaut war, konnte man sehen, dass im Geländer ein verschlungenes Muster wie Efeuranken verarbeitet war. Es war kein Übergang zwischen den einzelnen Elementen mehr zu sehen.
Sehr verspielt waren an manchen Stellen kleine Schmetterlinge eingebettet, auf deren Flügel bunte Edelsteine zu sehen waren, die im Licht funkelten. Fast schien es, als würden die Schmetterlinge die Flügel bewegen.
Cassandra riss mich aus den Gedanken. Sie kniete mit einem Fetzen Leinen, den sie aus den Tüchern gerissen und ausgeschüttelt hatte und einer Flasche Mineralwasser so ziemlich in der Mitte des Raumes, soweit ich es erkennen konnte.
„Sieh mal, hier ist etwas in den Boden eingelassen worden. Weißt du was das ist?“, fragte sie ganz aufgeregt.
„Soweit ich das jetzt ohne den Staub sehen kann, sieht es aus wie eine Windrose. Schau hier“, ich zeigte auf eine der Spitzen, die sie schon gereinigt hatte. „da ist ein großes rotes W. Ich bin mir ziemlich sicher, wenn wir alles gereinigt haben, finden wir drei weitere Spitzen mit den Buchstaben N, S und O. Diese Windrose ist wunderschön. Sieh mal, hier sind sogar Kreise aus Gold mit eingebettet worden.“
Jetzt, wo der Boden stellenweise vom Staub befreit war, sah man erst dessen richtige Farbe. Der eigentliche Boden war aus schwarzen Granitplatten, die auf Hochglanz poliert worden waren. Die Windrose wurde farblich durch grauen und weißen Granit abgehoben. Die Buchstaben prangten in einem satten Rot an den Spitzen. Alles war so passgenau gearbeitet worden, dass es schien, als wäre es nicht aus einzelnen Teilen, sondern aus einer Fläche gefertigt worden. Da hatte jemand sein Handwerk beherrscht.
Nach der Anstrengung der Treppe wollten wir uns kurz an die frische Luft setzen und verschnaufen. Es hatte besser geklappt, als wir dachten und wir lagen gut in der Zeit. Es war gerade erst 18 Uhr. Nach einem guten Kaffee würden wir noch die Möbel abdecken. Wir waren viel zu neugierig, als dass wir einfach hätten aufhören können.
„Wer immer das gebaut hat, er hatte eine Menge Geld, oder? Allein diese Gemälde müssen ein Vermögen wert sein. Wenn ich sie nicht selbst gefühlt hätte, würde ich sie für Drucke von Fotografien halten. Wer sie wohl gezeichnet hat? Was machen wir nur damit? Vielleicht sollten wir deinen Eltern doch endlich den Gefallen tun und endlich eine Zweier-WG gründen. Genug Platz hätten wir jetzt auf jeden Fall“, träumte sie laut vor sich hin.
„Wir kümmern uns noch um die Schränke. Vielleicht enthalten sie Unterlagen mit Hinweisen darauf, wer das alles erbaut hat und zu welchem Zweck. Andernfalls machen wir uns wirklich daran, im Internet zu schauen. Eine Alternative wäre noch das Stadtarchiv. Dort werden Karten und Schriftstücke aus sehr alten Zeiten aufbewahrt.“ Ich nahm einen weiteren Schluck aus der Tasse mit meinem Lieblingsheißgetränk. „Und deine größte Sorge war gestern beim Frühstück noch der Dachboden! Ich wusste ja, dass hier irgendetwas merkwürdig ist, in deinem Hexenhäuschen“, versuchte ich sie wieder einmal aufzuziehen. Doch Cassandra war zu sehr in ihren Gedanken vertieft, als dass sie mich hätte bemerken können. Wie sie so dasaß und sich auf die Nasenspitze tippte, war sie wieder ganz sie selbst.
„Ben, lass uns morgen die Möbel untersuchen. Wie wäre es, wenn wir den Grill von deinem Balkon holen, ein paar Steaks und frisches Brot besorgen und den Abend im Garten verbringen? Hinter dem Pavillon habe ich einen Feuerkorb gefunden. Was hältst du davon? Nach dem Aufbau der Treppe haben wir uns das doch redlich verdient! Außerdem hast du Urlaub und ich bekomme ja schon fast ein schlechtes Gewissen, weil du hier die ganze Zeit mit mir schuftest.“ Sie strahlte mich an, mit einem Lachen, von dem sie ganz genau wusste, dass ich nicht nein sagen können würde.
„Ja, das könnte mir gefallen“, erwiderte ich zögerlich, als könnte ich mich nicht so recht entscheiden. Ich liebte es sie zu ärgern. „Aber nur wenn wir dein leckeres, selbstgemachtes Knoblauchöl holen.“ Sie rollte mit den Augen, als wäre das selbstverständlich. Damit war die Sache beschlossen und wir machten uns schnell auf dem Weg um noch etwas Gutes bei unserer Lieblingsschlachterei ergattern zu können.
Der Abend war sehr schön und das Essen hervorragend. Wir konnten bis spät in die Nacht draußen sitzen, weil die Luft mild und die Temperatur angenehm waren. Der Himmel war bewölkt, so dass man nicht viel von den Sternen sehen konnte. Der Feuerkorb brachte Licht und zusätzliche Wärme. Um uns herum, in der Dunkelheit der Büsche, bahnte sich etwas seinen Weg durch den Schatten der Pflanzen. Wahrscheinlich eine Wühlmaus oder ein Igel.
Zum ersten Mal beichtete Cassandra etwas bedrückt, dass ihr die Chaoten in der Wohngemeinschaft fehlen würden. Sie wohnten schließlich seit zwei Jahren zusammen und ohne dieses Haus wäre sie so schnell auch nicht ausgezogen. Es sollte unbedingt eine Einweihungsfeier geben und Christian, Niklas und Dominik sollten dabei sein.
Als Cassandra an meiner Schulter eingeschlafen war, während sie noch irgendwelche Pläne murmelte, wurde es Zeit, zu mir zu fahren und sie in ein Bett zu bringen.
Es war alles sehr aufregend für uns gewesen und daher einfach nur normal, dass es nicht unbemerkt blieb. Auch ich spürte die Müdigkeit und Erschöpfung. Sicherlich waren wir mit den Entdeckungen noch nicht fertig, schließlich waren noch eine Menge Schränke zu untersuchen. Da kam bestimmt noch viel Arbeit auf uns zu.
Auf der Heimfahrt überlegt ich mir, was es mit dieser Heimlichkeit auf sich haben könnte. Noch immer hatte ich dieses unbehagliche Gefühl, wenn ich ans Haus dachte. Irgendwie befürchtete ich, dass da etwas auf uns zu kam, was wir noch nicht erfassen konnten. Was würde das nur sein?
„Hier in diesem Regal sind einige Bücher, von denen ich nicht mal eines kenne. Vielleicht finden wir ein Antiquariat, das sich der Bücher annehmen möchte. Du kannst nicht zufällig Latein, oder?“, stellte Cassandra die eher rhetorische Frage. Sie wusste, dass ich niemals Latein belegt, sondern immer Spanisch gewählt hatte.
„Es sind tatsächlich viele Bücher hier unten. Aber für eine Bibliothek sind es noch zu wenig. Scheinbar habe ich hier Schriftstücke gefunden. Sehr alt, wie es scheint. Sie sind sehr schwer zu lesen. Aber schau mal, hier auf dem Briefkopf! Kommt dir das bekannt vor?“ Ich hielt den gefundenen Briefbogen in der Hand und zeigte ihn ihr. Sie bekam große Augen.
„Das ist ja die gleiche Windrose, wie hier auf dem Boden! Was hat das wohl zu bedeuten? Kannst du entziffern, was in dem Brief geschrieben steht?“, fragte sie nun ganz aufgeregt und strich sich die Locken, die sich wie so oft aus ihrem Zopf gelöst hatten, aus dem Gesicht. „Vielleicht ist es ja der erste richtige Hinweis, was es mit diesem Raum auf sich hat.“
„Leider ist kaum etwas zu erkennen. Die Schrift ist ziemlich stark verblasst. Hier steht etwas von einem Problem, dem sich irgendein Zirkel annehmen soll. Es sei dringend, da es schon zu Todesfällen kam.“ Ich kniff die Augen zusammen um noch etwas erkennen zu können. Aber es funktionierte nicht.
„Was für ein Problem meinen die wohl. Und was für ein Zirkel? Ich meine, wenn es Todesfälle gab, wird es sich ja wohl kaum um eine Studentenverbindung handeln, oder?“, überlegte Cassandra laut und tippte sich wieder mit dem Zeigefinger auf die Nasenspitze. Wenn ich darauf doch bloß nur ansatzweise eine Antwort gehabt hätte.
Mich ließ das mulmige Gefühl nicht los, dass wir es vielleicht gar nicht so genau wissen sollten. Warum sollte man sich sonst solche Mühe machen, dies hier alles zu verstecken?
Plötzlich kam mir noch ein anderer Gedanke. Ein eigenartiger Gedanke.
„Du hast doch erzählt, dass du als Alleinerbin im Testament deiner Tante Meredith genannt wurdest, stimmt´s?“
„Ja, das habe ich dir doch erzählt. Worauf willst du hinaus?“
„Nun ja, was ist, wenn Meredith über all dies Bescheid wusste und sie bewusst dich gewählt hat, um über ein Geheimnis zu wachen?“
„Hätte sie mir nicht Informationen über ein Geheimnis hinterlassen sollen, wenn sie wollte, dass ich es hüte?“
„Vielleicht hatte sie es vor, wurde aber von ihrem Tod überrascht und hatte keine Gelegenheit mehr um dich ein zu weihen.“ Ich überlegte weiter. „Hast du nicht auch erzählt, dass die Möbel aus dem Haus verkauft worden sind, aber alles was sich in ihnen befand auf den Dachboden geschafft wurde? Dein Onkel Fred wusste nicht wohin damit, war dem nicht so?“
„Ja, du hast recht“, stimmte sie zu. „Meinst du etwa, wir finden dort oben eine Erklärung?“
„Einen Versuch wäre es wert. Denn das was wir hier finden, ist nicht mehr richtig zu lesen und wirft mehr Fragen auf, als wir beantwortet bekommen.“
„Dann heißt es nur noch warten, dass die Handwerker in der nächsten Woche schnell die Treppe zum Boden einbauen, damit wir uns ans stöbern machen können. Ich frage mich allmählich, was das alles soll. Und was Meredith mit der ganzen Sache zu tun hatte.“
„Richtig und so lange versuchen wir hier unten unsere Neugierde weiter zu stillen. Lass uns alles, auf dem eine Windrose abgebildet ist, in einen Karton schaffen und mit nach oben nehmen. Dort können wir weiter suchen.“ Sie nickte.
„Das wird das Beste sein. Wollen wir heute noch mal bei deinen Eltern vorbei schauen? Nicht, dass sie sich noch beschweren, das sie dich nicht mehr zu Gesicht bekommen, weil ich dich hier so einspanne.“
„Das würden sie niemals tun und das weißt du. Aber die Idee ist trotzdem gut. Ich rufe sie gleich an.“