Читать книгу Die blutige Windrose - Janina Nikoleiski - Страница 7
Kapitel 4
ОглавлениеWie immer freuten sich Ma und Pa sehr uns zu sehen. Nachdem die Papiere mit einer Windrose drauf ins Haus geschafft und Cassandra und ich frisch geduscht waren, befanden wir uns endlich im Wohnzimmer meiner Eltern.
Das Essen war noch nicht fertig, daher war noch Zeit für eine Runde Monopoly. Im Grunde war es schon Tradition in unserer Familie, dass wenn genug Zeit war, wir Monopoly spielten. Da Cassandra, schon immer meine beste Freundin, viel Zeit bei uns verbrachte, war sie bestens mit dem Spiel und dessen Regeln vertraut. Wie immer durfte sie die Bank übernehmen.
Für alle gab es Wein, nur ich trank Limonade, da ich ja noch fahren musste. Aus der Küche zog schon ein köstlicher Duft zu uns hinüber ins Wohnzimmer. Heute gab es Ma´s Lasagne, eines von Cassandras Lieblingsessen.
„Richard, du bist auf meiner Straße gelandet! Wie gut, dass ich gerade noch ein Hotel darauf gebaut habe! Das macht 1.600,- Dollar mein Lieber!“, freute sich meine Mutter gerade, als in der Küche plötzlich eine Eieruhr laut schellte.
„Oh, das ging aber schnell. Los, alle Hände waschen und ab an den Tisch mit euch, das Essen ist fertig! Das Spiel können wir ja auch noch danach beenden“, scheuchte meine Mutter uns auf.
Als wir ins Esszimmer kamen, standen schon zwei dampfende Auflaufformen auf dem Tisch und wir konnten es kaum erwarten, endlich zu essen. Eine bessere Lasagne, als die meiner Mutter, gab es einfach nicht, wie das Schweigen beim Essen nur zu bestätigen schien.
Wie immer hatte Evelyn viel zu viel gekocht, natürlich in der Absicht uns wieder die Reste mit zu geben.
„Ma, was würden wir ohne dich nur machen“, sagte ich und gab ihr einen Kuss auf die rosige Wange. Das freute sie immer sehr. Wenn sie uns nur bekochen konnte, war sie schon glücklich. Gerade nachdem ich ausgezogen war und für mich selbst sorgte, nutzte sie jede Gelegenheit, mich fast zu mästen.
„Jetzt machen wir uns aber wieder ans Spiel, oder was meint ihr?“, rief Pa, der ganz klar hoffte, dass er gewann. Aber da hatte er die Rechnung ohne Cassandra gemacht. Sie gewann das Spiel haushoch und ich zog sie wie so oft damit auf, dass sie sich wohl kleine unbemerkte Kredite aus der Bank gönnte.
„Ben hör sofort auf damit, Cassandra zu ärgern! Oder es gibt keinen Nachtisch für dich!“, zwinkerte Ma uns zu. Wie auf Stichwort kam ein der Duft der kleinen Schokoladentörtchen aus der Küche. Die mit flüssiger Schokolade in der Mitte. Man konnte meine Mutter einfach nur lieben.
Der Nachtisch, serviert mit selbstgemachtem Vanilleeis, war ein Traum. Die Eismaschine, die Cassandra und ich meiner Mutter geschenkt hatten, zahlte sich immer wieder aus. Sie hat uns schon die tollsten Eiskreationen gemacht. Ich mochte am liebsten ihr Zitrone-Basilikum Eis.
Insgesamt war es einfach mal wieder ein schöner Nachmittag mit der Familie. Ich wusste, wie sehr meine Eltern solche Tage liebten und dass sie ihnen viel zu selten waren. Ganz besonders, wenn wir zu viert zusammen kamen.
Als wir 16 Jahre alt waren, hatten meine Eltern die Hoffnung gehegt, aus Cassandra und mir würde ein Paar werden. Aber es war schon immer nur eine geschwisterliche Liebe zwischen uns. Eine tiefe Freundschaft, die niemals zu einer Beziehung dieser Art werden würde.
Heute sahen sie Cassandra als Tochter an und haben sich damit abgefunden, dass es auch so bleiben würde. Dennoch fragte mein Vater mich oft, wenn wir mal unter uns waren, wie es mit mir und den Frauen stand. So auch heute wieder. Nachdem wir gemeinsam den Tisch abgeräumt hatten und die Frauen uns aus der Küche schoben, damit sie ihre Ruhe hatten, setzten wir uns in die gemütlichen Fernsehersessel und unterhielten uns.
„Na Ben, gibt es ein interessantes Mädchen in deinem Leben?“
„Pa, offen gestanden, nein. Ich habe mich mit einer Studentin getroffen, aber das ist nichts Ernstes. Sie ist in einen Anderen verliebt, was sie mir erst später erzählte.“
„Mach dir keine Gedanken mein Sohn. Das wird schon. Wenigstens stürzt du dich nicht in ein Unglück nach dem anderen.“
„Ja, es kann ja nicht jeder so ein Glück haben wie du und Ma“, erklärte ich meinem Vater. Er lachte sein bellendes Lachen und sein Bauch zuckte mächtig. In den letzten Jahren hatte Pa einen kleinen Bauch bekommen. So wie meine Mutter kochte auch kein Wunder.
„Evelyn hat uns wieder von allem reichlich eingepackt“, berichtete Cassandra, als sie sich mit einem weiteren Glas Wein zu uns gesellte. Die Küche war also aufgeräumt und nun kam der ruhige Teil des Abends mit Gesprächen und Diskussionen, die wie das Spielen üblich waren. Es ging um Sport, Politik, Musik und alles was uns noch so einfiel. Ein herrlich normaler Abend.
Erst spät verabschiedeten wir uns. Vater, leicht angeheitert und mit rosigen Wangen vom Wein, umarmte uns ein paarmal öfter als sonst, und Ma hatte neben den Resten vom Abendessen noch heimlich ein paar Dinge aus der Gefriertruhe mit in die Tasche geschmuggelt, wie wir bei mir zu Hause feststellten. Hatte sie es also doch noch geschafft.
Satt und müde setzten wir uns noch einen Augenblick ins Wohnzimmer auf die Couch, bevor wir dann den Weg ins Bett fanden.
Mit allem, was wir zum Reinigen des Fußbodens brauchten bewaffnet, machten wir uns am nächsten Tag daran, wenigsten den größten Staub endlich zu beseitigen.
Als erstes jedoch wollte ich noch ein wenig in den Büchern stöbern. Es gab so viele große Schränke, in denen wir noch nicht nachgeschaut hatten, was sie verbargen.
Da Cassandra von der Windrose fasziniert war, fing sie mitten im Raum mit dem Wischen an. Sie wollte die ganze Rose frei machen und bewundern. Gerade hatte ich das zweite Buch in der Hand, dessen Ledereinband nicht lesbar war, als ich von Cassandra ein Fluchen wahrnahm.
„Mist verdammter! Hab ich doch tatsächlich einen Splitter in der Hand! Blöder Holzstiel. Ben, hilfst du mir bitte mal? Vom Wischwasser sind meine Hände ganz aufgeweicht.“
Ich hastete zu ihr, um zu sehen, wie groß und tief der Splitter war. Tatsächlich war er gut zwei Zentimeter lang und steckte bis auf wenige Millimeter unter ihrer Haut. Das würde sicherlich wehtun, dachte ich mir. Schnell machte ich mich dran, das Stück Holz aus der Hand meiner Freundin zu ziehen. Das erwies sich als gar nicht so leicht und ich brauchte mehr als einen Anlauf.
„Aua!“, zischte Cassandra zwischen den Zähnen hervor. Ich wusste, dass sie sich bemühte tapfer zu sein, aber ich hatte keinen Zweifel, dass das hier wirklich schmerzhaft war. Endlich glückte es mir, mit zittrigen Fingern den Splitter zu ziehen.
Noch bevor wir untersuchen konnten, ob etwas in der Wunde zurückgeblieben war, quoll schon hellrotes Blut daraus hervor. Schnell zog ich mein T-Shirt aus und wir versuchten die Blutung gerade mit meinem T-Shirt zu stillen, als etwas von dem Blut auf den Boden tropfte. Der Aufprall der Blutstropfen schienen durch den ganzen Raum zu hallen. Aber etwas noch viel Verwirrenderes geschah.
Wir konnten unseren Augen nicht trauen, denn auf dem Boden ging etwas Merkwürdiges vor sich.
Der Staub, der sich in wer weiß wie vielen Jahrzehnten im ganzen Raum auf den Boden gelegt hatte, wehte wie von einem starken Wind angetrieben hinauf an die Decke der Halle, durch das Loch hinaus und hinterließ nichts als den blanken, auf Hochglanz polierten Boden. Es war, als hätte nie auch nur ein winziges Staubkorn den Boden jemals berührt.
Als wäre das nicht schon merkwürdig genug gewesen, nahmen wir plötzlich eine Bewegung auf dem Fußboden wahr. Die zwei goldenen Kreise in der Windrose, der Innere etwa doppelt so dick wie der Äußere, fingen langsam an sich in entgegengesetzte Richtungen zu drehen.
Ich spürte nur Cassandras Hand, die sich in meine schob, aber keiner von uns beiden war dazu in der Lage etwas zu sagen.
Schnell zog ich sie von der Rose herunter. Gespannt beobachteten wir, wie das Drehen immer und immer schneller wurde.
Plötzlich fand Cassandra ihre Stimme wieder.
„Wenn ich gewusst hätte, dass ein einziger Tropfen Blut reichen, um den ganzen Staub zu entfernen, hätten wir uns die Mühe mit dem Wischen sparen können“, versuchte sie mit zittriger Stimme zu witzeln. „Aber mal im Ernst, was geht hier vor sich?“ Ich konnte einfach nichts erwidern, selbst wenn ich irgendetwas dazu zu sagen gehabt hätte.
Die Bewegungen im Boden hörten nicht auf und, was sehr merkwürdig war, es war nichts zu hören. Jeden Augenblick erwartete ich etwas zu hören, ein schleifendes Geräusch, nur ein kleiner Laut, der von der rasend schnellen Drehung der Goldringe zeugte. Aber nichts.
Wir wollten gerade die Treppe hinauf flüchten, als wir sahen, wie die Ringe golden zu leuchten begannen. Dieses Leuchten breitete sich von der Mitte bis in die großen steinernen Spitzen der Windrose aus, bis es die Buchstaben N, S, W und O erreichte, die daraufhin ebenfalls zu leuchten begannen.
Wie gebannt beobachteten wir die unheimlichen und zugleich doch so schönen Geschehnisse. Es klang absurd, aber auf eine Art und Weise war das was da passierte wirklich schön. Bis zu dem Augenblick, an dem sich mir der Magen zusammen zog.
Die in rotem Granit dargestellten Buchstaben schienen nun förmlich zu glühen, als plötzlich eine dunkelrote kochende Flüssigkeit aus ihnen zu quellen beging.
Das war genug des Guten.
Mit einem spitzen Aufschrei Cassandras, deren Hand sich feucht in meiner anfühlte, rissen wir unsere Blicke von der schaurigen Szenerie los und hetzten die Treppe hinauf.
Oben angekommen schmissen wir die Platte, die das Loch nach unten verschlossen hatte, kräftig zu und stellten alles was uns schwer genug erschien und in unserer Reichweite war, darauf. Was auch immer da unten passierte, wir wollten es nicht hier im Haus haben. Wir stürzten zu dem Transporter, der immer noch auf dem Parkplatz des Hauses stand und fuhren so schnell es das Tempolimit erlaubte zu meiner Wohnung.
Erst als wir bei mir ankamen, beide zitternd und mit weit aufgerissenen Augen, bemerkten wir, dass wir nichts mehr gesagt hatten, seit wir die goldene Wendeltreppe hoch gerannt waren. Selbst jetzt war keinem von uns danach auch nur einen Ton zu sagen. Wortlos holte ich alles für Wunddesinfektion und einen Mullverband aus meinem spärlich ausgestatteten Medizinschrank im Bad, um mich um Cassandras Hand zu kümmern.
Als das mit zitternden Fingern erledigt war, machte ich uns einen Kaffee. Vielleicht würde uns der ein bisschen beruhigen. Ein wenig Normalität zurückbringen.
Der Kaffee, heiß und kräftig, schien tatsächlich ein wenig zu helfen. Unser Atem normalisierte sich und langsam ließ auch das Zittern nach.
Nachdem ich uns noch ein weiteres Mal Kaffee einschenkte, ergriff Cassandra leise das Wort.
„Hast du auch nur die leiseste Idee, was da gerade geschehen ist? Wenn ja, wäre ich dankbar dafür, denn ich bin mir nicht mal sicher, ob wir es tatsächlich gesehen haben!“, flüsterte sie und schaute mich fragend an. Sie hatte dunkle Schatten unter den Augen, als hätte sie nächtelang nicht geschlafen. Ihre Haare waren ganz wirr und der Zopf hatte sich irgendwann auf dem Weg gelöst.
„Glaube mir, wenn ich nur den Funken einer Ahnung hätte, wärst du die Erste, die es erfahren würde. Was auch immer das war, ich bin mir ziemlich sicher, dass wir es gesehen haben“, versuchte ich mit brüchiger Stimme fast mir selbst zu versichern.
„Lass uns überlegen. Die Windrose scheint ja irgendwie wichtig in der ganzen Sache zu sein. Ich meine, es war ja auch auf den Schriftstücken, die du gefunden hast. Weißt du, womit man sie normalerweise in Verbindung bringt?“, fragte Cassandra mich, nachdem wir uns die Dose mit den Schokoküchlein meiner Ma aus der Küche geholt hatten.
Schokolade war schon seit jeher das Heilmittel für uns, wenn früher einer von uns eine schlechte Note mit heimbrachte, oder später gerade in der Zeit nach dem Tod von Cassandras Eltern. Immer wenn uns etwas erschütterte, gab es Schokolade. In welcher Form war egal.
„Das was ich mit einer solchen Windrose in Verbindung bringe, ist ein Kompass. Die hat man schon früh zur Orientierung in der See- und Luftfahrt verwendet. Was es aber weiter damit auf sich hat, weiß ich nicht. Ich hole mal den Laptop. Vielleicht finden wir weitere Informationen im Internet.“
Gesagt, getan. Die Ergebnisse, die uns die Suchmaschine allerdings ausspuckte, waren sehr ernüchternd. Eine Erklärung auf Wikipedia, die dem, was ich über den Kompass wusste, nah kam. Irgendein Reiseveranstalter und viele Seiten, auf denen über die Numerologie geschrieben wurde. Das war im Großen und Ganzen aber nur sehr verwirrend. Die Windrose wurde immer im Zusammenhang mit der Zahl vier oder acht beschrieben. Darin ging es um die 4 Wind- und Himmelsrichtungen, die vier Elemente, Feuer, Wasser, Luft und Erde. Um die acht Menschen, die auf der Arche gerettet worden waren und ein paar Dinge aus dem jüdischen Glauben. Wir konnten aber keinen Bezug auf unsere spezielle Windrose entdecken. Wir waren kein Stück schlauer als vorher.
„Was auch immer dahinter steckt, wir werden es so nicht erfahren. Wenn wir es hier mit etwas geheimen zu tun haben, wäre es nicht mehr sehr geheim, wenn wir es einfach googeln könnten, oder?“ sinnierte Cassandra. Sie blickte mich an und genau in dem Moment fingen wir beide an zu lachen. Keine Ahnung warum wir es taten, aber es war befreiend.
Wir klappten den Laptop zu und wollten für heute nichts mehr von Verschwörungen, oder der Windrose hören.
So beschlossen wir, ein wenig draußen spazieren zu gehen und uns ab zu lenken. Wir machten uns auf den Weg nach Meiendorf, wo ein kleiner Wanderweg war. Hier kamen wir in letzter Zeit öfter mal vorbei. Direkt in diesem kleinen Waldstückchen lag auch ein gern besuchter Hochseilgarten. Da wir uns ablenken wollten, lud ich Cassandra dazu ein, die sofort begeistert von der Idee war.
Schon als Kinder waren wir immer auf Bäume geklettert und hatten uns sogar in einer alten Eiche im Garten meiner Eltern damals ein Baumhaus gebaut. Wenn es im Sommer warm genug gewesen war, durften wir sogar dort übernachten. Vater hatte uns einen Flaschenzug am Baumhaus montiert und Mutter nutze diesen immer dazu, uns ihre frisch gebackenen Leckereien und Limonade hinauf zu schicken. Es war eine herrliche Zeit gewesen.
Wann immer Cassandra mit ihren Eltern Streit gehabt hatte kam sie dort rauf. In einer alten Werkzeugkiste von Pa hatten wir Taschenlampen und Comics aufbewahrt, so dass einem nie langweilig wurde. Waren wir zu zweit dort oben, haben wir uns gerne abends schaurige Geschichten erzählt. Bei dem Gedanken daran musste ich grinsen.
Wir legten unter Aufsicht des Betreibers der Anlage unsere Gurte an und bekamen eine Unterweisung.
Schnell waren wir oben und hatten ausgelassen Spaß. Obwohl es Samstagmittag, etwa 14 Uhr und hervorragendes Wetter war, kam uns keiner in die Quere. Wir waren allein und konnten herumtollen wie kleine Affen.
Der Betreiber der Kletteranlage sah uns belustigt zu. Scheinbar sah er so was nicht sehr oft. Unser eigentliches Ziel, nämlich die schlechten Gedanken an das Häuschen zu vertreiben, war erreicht und wir kamen nach etwa anderthalb Stunden völlig außer Puste endlich wieder auf den Boden.
„Na ihr hattet da oben aber eine Menge Spaß! War lustig euch zuzuschauen. Ich hoffe, ihr kommt mal wieder vorbei.“ sagte uns der Betreiber und half uns dabei aus unseren Gurten.
„Klar, sobald wir es mal wieder schaffen!“ antwortete Cassandra glücklich und mit glänzenden Augen. Schön sie nach dem Schreck wieder so fröhlich zu sehen. „Und was machen wir jetzt?“ Sie war einfach unglaublich.
Wir fuhren nach Wandsbek, einem weiteren Stadtteil von Hamburg, und setzten uns in ein kleines Café. Wir bestellten uns beide einen großen Kaffee und ein bisschen Gebäck.
„So, jetzt mal wieder ernst“, begann Cassandra. „Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Ich meine, das war jetzt nicht einfach nur, dass sich der Boden bewegte. Da kam etwas aus dem Boden gelaufen. Und wenn das nicht nach Blut aussah, weiß ich auch nicht. Das Ganze ist ziemlich beängstigend.“ Ich wusste genau, was sie meinte.
„Ich kann dir nicht sagen, was es war, auch wenn es wirklich nach Blut aussah. Aber ich habe keine Erklärung, woher es kam. Es schien fast, als hätten sich die roten Granit Buchstaben einfach verflüssigt. Was denkst du, werden wir vorfinden, wenn wir wieder hinunter gehen?“
„Eigentlich weiß ich nicht mal, ob ich überhaupt wieder hinunter gehen möchte. Es schien so bedrohlich. Vielleicht ist es das Beste, wir nageln die Platte einfach zu und kleben das Parkett drauf. Sollte das nicht reichen, bauen wir die Mauer wieder auf. Ich habe Angst, Ben.“
„Willst du einfach so tun, als wäre nichts gewesen? Ich habe einen Vorschlag. Wir warten, bis am Montag die Falltreppe zum Boden eingebaut ist. Falls wir da oben nichts finden, was vielleicht eine Erklärung liefern könnte, werde ich dir eigenhändig den Boden dichtnageln, wenn du drauf bestehst. Aber wenn du in diesem Haus wohnst, müssen wir wissen, was es damit auf sich hat. Ich habe sonst einfach kein gutes Gefühl bei der Sache.“ Cassandra wusste, dass sie dem nichts mehr entgegensetzen konnte. Es war das Sinnvollste und Beste. Und bis Montag war es nicht mehr lang.
Morgen würden wir mit den Jungs aus der WG etwas machen. Sicherlich hatten sie eine Idee, was wir machen konnten.
Nach einem Anruf bei ihren Mitbewohnern, hatte Cassandra die Information für mich, dass ich meine Badesachen einpacken, und wir auf die Jungs warten sollten. Ihre würden aus der WG mitgebracht werden. Wir hatten keine Ahnung wo es hingehen sollte und wussten nicht, was wir weiter mitnehmen sollten. Aber nach Aussage von Dominik, würde er sich um alles kümmern. Da war ich mal sehr gespannt.
Wir hatten die Nacht bei mir verbracht, weiter gegrübelt, was wir im Keller beim nächsten Abstieg vorfinden würden, oder welche Geheimnisse auf dem Boden warteten. Wir fingen an, wie damals als Kinder, uns gruselige Geschichten zurecht zu spinnen.
Auch nach dem Aufstehen am nächsten Morgen wurde es nicht besser. Cassandra erklärte mir sie habe geträumt, dass wenn wir das nächste Mal in den Keller gingen, wir einem roten Pool aus Blut entdecken und die Ratten darin herum schwimmen würden.
Zum Glück klingelte es bald und wir wurden aus diesen doch mehr als unwahrscheinlichen Gedanken gerissen. Christian, Niklas und Dominik hatten sehr gute Laune, und entführten uns mit dem alten WV Passat, den sich die drei teilten. Erst als wir fast an der Elbe waren, wusste ich, wohin wir fuhren.
Wir waren schon ein Stück außerhalb von Hamburg. An dieser Stelle waren wir mal zu fünft angeln gewesen und hatten nachts gezeltet. Damals hatten wir ein kleines Lagerfeuer gemacht, den gefangenen Fisch gebraten und zum Nachtisch Marshmallows gegrillt. Es war ein sehr lustiger Abend gewesen.
Als wir den Kofferraum des blauen Kombi´s öffneten, sahen wir, dass er bis zum Rand voll war, mit allem, was ein toller Tag am Strand brauchen konnte. Kühle Getränke, zwei Kühlboxen mit Leckereien, von denen uns Niklas beichtete, dass er sie von meiner Mutter hatte.
„Die Sachen sollten ja auch essbar sein!“, war seine Begründung dafür gewesen. Wir lachten alle herzlich darüber und machten uns daran, den Kofferraum aus zu räumen. Sie hatten wirklich an alles Gedacht. Decken und Handtücher, aufblasbare Wasserbälle, eine Frisbee Scheibe, Badmintonschläger und Federbälle und noch viele andere Dinge, mit denen wir uns die Zeit vertreiben konnten.
„Aber sicherlich habt ihr meine Sonnencreme vergessen!“ rief Cassandra gerade herüber, als sie den Sonnenschirm aufstellte. Sie war immer sehr drauf bedacht ihre Haut zu schützen und das wusste jeder, der mal einen Tag mit ihr in der Sonne verbrachte. Sie hatte eine sehr helle Haut und neigte dazu, schnell einen Sonnenbrand zu bekommen.
Christian lächelte sie an, steckte die Hand in eine der Kühlboxen und zog die gelbe Flasche daraus hervor, in der sich die gewünschte Creme befand.
„Wie könnten wir denn das Wichtigste für einen solchen Tag vergessen? Also wirklich, was denkst du nur von uns?“, fragte er gespielt entrüstet und warf ihr die Flasche hin. Wieder wurde gelacht.
Es war alles aufgebaut und wir zogen uns um, damit wir ein erstes Bad in der Elbe nehmen konnten. Wir hatten hier alles für uns, so dass wir uns ganz ungeniert umziehen konnten. Nur für Cassandra hielten wir die Decken um den Schirm, damit sie sich ihren Bikini anziehen konnte.
Alle waren fertig und Niklas sprang als erster ins Wasser. So schnell er drin war, kam er allerdings auch wieder heraus. Die Temperatur des kühlen Nass war noch nicht so hoch, dass man ein entspanntes Bad nehmen konnte. Dennoch sprangen wir alle wenigstens einmal hinein. Cassandra wurde von den dreien noch mal hinein geschmissen, da sie sich über uns lustig machte, wie wir uns so anstellten und es entbrannte eine gewaltige Wasserschlacht.
Frierend und mit leicht blauen Lippen, aber zufrieden, kamen wir aus dem Wasser und warfen uns unsere Handtücher um. In der Sonne wurde uns schnell wieder warm und wir machten uns über die Leckereien von meiner Ma her. Es war von Keksen und geschnittenem Obst bis zu kleinen Sandwiches alles dabei. Wir freuten uns wie kleine Kinder, als wir ihre Cookies mit bunten Schokolinsen fanden. Die standen bei allen ganz hoch im Kurs.
„Wäre deine Ma nicht deine Ma und nicht verheiratet und so, verzeih mir Ben, alt, würde ich sie heiraten!“, schmatzte Niklas laut vor sich hin. So etwas Leckeres bekamen die drei in der WG selten zu essen. Bei ihnen gab es meist alles, was die Lieferdienste so hergaben. Und wenn mal gekocht wurde, waren es meistens Fertiggerichte, bei denen man nicht viel falsch machen konnte. Hin und wieder kochte ich, was auch immer alle sehr genossen.
Nachdem genug gegessen wurde, unterhielten wir uns noch ein bisschen über das Haus, wobei Cassandra und ich bewusst das Thema mit dem verborgenen Raum übergingen. Uns wurde noch berichtet, wie es mit dem Studium des Einzelnen lief und dann beschlossen wir, ein bisschen zu spielen.
Zu Beginn sollte es ein Beachvolleyball Spiel sein. Allerdings war die Aufteilung in Teams nicht so leicht. Cassandra und ich durften nicht gemeinsam in einem Team spielen, da waren sich die Jungs einig. Schon einmal wurden sie von und beiden ziemlich nieder gemacht, als sie uns herausgefordert hatten.
So stand ich also mit Dominik auf der einen Seite des Feldes, während Christian, Niklas und Cassandra uns gegenüber standen.
Obwohl wir nur zu zweit waren, gewannen wir ein Spiel nach dem anderen.
Unsere Gegner hatten bald keine Lust mehr und so machten wir uns an die Frisbee. So ging es den ganzen Tag. Ein toller Urlaubstag, wenn man bedenkt, was wir erst gestern entdeckt hatten.
So schön der Tag auch war, so schnell war er auch wieder vorüber. Bevor wir bei mir abgesetzt wurden, machten wir noch einen Abstecher bei meinen Eltern, die bereits den Grill angeschürt hatten. Ja, es war alles sehr gut von den Jungs geplant worden.
Der Abend endete damit, dass alle müde und sehr satt bei meinen Eltern im Garten saßen und den Tag nochmal Revue passieren ließen. Was für ein toller Tag. Ich schaffte es wirklich, erst auf der Fahrt nach Hause wieder an die Geschehnisse im Haus zu denken. Sofort bekam ich eine Gänsehaut.
Wir wurden zu Hause abgesetzt und wir gingen nur noch duschen, stellten uns einen Wecker und gingen schlafen. Morgen um halb 9 sollten schon die Handwerker mit der Falltreppe kommen. Je früher die eingebaut wurde, desto schneller würden wir vielleicht hinter die Geheimnisse des Hauses kommen.