Читать книгу Die blutige Windrose - Janina Nikoleiski - Страница 8

Kapitel 5

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Für unser übliches ausgiebiges Frühstück hatten wir heute keine Zeit, also wurden es nur belegte Brote und ein Kaffee im Thermobecher für unterwegs. Wir wollten den Treppenbauer nicht warten lassen.

Heute Nachmittag konnten wir vielleicht schon auf den Boden, um zu sehen, was da alles auf uns wartete. Wir waren fest entschlossen, der Platte vorerst keine Beachtung zu schenken und uns um andere Dinge zu kümmern.

Wir trafen in Volksdorf vor den Handwerkern ein. Es war gut so, denn wir mussten die Fenster öffnen und die Terrassentür aufstoßen, da im ganzen Haus die Luft merkwürdig abgestanden schien.

Auf dem Boden lag schon wieder eine dicke Staubschicht.

„Werden wir diesen verdammten Staub jemals aus dem Haus bekommen? Es ist ja schön, dass man sieht, wo die Ratten entlang laufen, aber so langsam nervt mich das. Es scheint, als wäre der ganze Dreck von unten hier hinauf geweht.“ So ging es eine Weile, dass sie vor sich hin fluchte.

„War ja auch so, erinnerst du dich nicht?“, unterbrach ich sie in ihren Flüchen.

Ich ließ ihr ihren Moment und machte mich an die Unterlagen, die wir unten zusammen gesucht hatten. Es musste doch irgendetwas aus den Papieren hervor gehen. Wenigstens mal ein Datum, oder irgendwas.

Einen Briefumschlag fand ich, auf dem sich ein aufgebrochenes Wachssiegel befand. Wie lange benutzte man keine Siegel dieser Art mehr? Während ich so überlegte, erkannte ich das Muster, welches damals in dem heißen Wachs geprägt wurde. Es war die Windrose. Was war los mit diesem Ding, dass es überall auftauchte?

Die Briefe, die wir entdeckt hatten, waren alle ziemlich verblasst und nicht besonders gut lesbar. Bei einem konnte ich ein Datum erkennen, oder vielmehr das Jahr. Dieses Schreiben kam aus dem Jahr 1938. Soweit ich wusste, wohnte Tante Meredith seit ihrer Geburt hier. Sie ist mit 73 Jahren gestorben. Also ist sie 1940 geboren worden. Cassandra erzählte mir, dass dies die mütterliche Seite der Familie war. Die jüngere Schwester Meredith´ war demnach Cassandras Oma. Viel hatte ich bisher nicht über die Familiengeschichte gehört, da Cassandra auch nicht viel davon wusste. Aber so wie es aussah, würde sie sich mit dem Thema auseinander setzen müssen.

Irgendetwas musste ihre Familie ja mit dieser Windrose zu tun haben.

Ich war so in die Briefe und dem Nachrechnen der Daten vertieft gewesen, dass ich gar nicht bemerkte, dass oben die Arbeiten schon im vollen Gange waren.

Cassandra hielt mir eine Tasse Kaffee vors Gesicht und sah mich fragend an.

„Oder was meinst du?“, fragte sie mich noch mal und zog die rechte Braue hoch.

„Entschuldige, ich habe nicht bemerkt, dass du mit mir geredet hast. Würdest du es bitte wiederholen?“

„Ich habe dich nur gefragt, ob wir uns heute Mittag etwas zum Essen hier her liefern lassen wollen? Ich weiß nicht, wann die da oben fertig sind und ich würde sie ungern mit dem Haus und dem Ding unter dem Wohnzimmer allein lassen“, erklärte sie mir nochmal nachsichtig.

„Ja klar, das ist eine gute Idee. Ich habe übrigens etwas entdeckt, das aus der Zeit stammen muss, kurz bevor deine Großtante Meredith geboren wurde. Zwei Jahre zuvor, um genau zu sein.“

„Halt stopp, das muss ja irgendwann um 1940 gewesen sein!“

„Nicht ganz, in dem Jahr ist Meredith geboren. Der Brief kommt aus dem Jahr 1938.“ Jetzt erwiderte sie nichts mehr. Ich sah ihr an, dass sie nachdachte. Sie tippte sich wie immer dabei mit dem Zeigefinger auf die Nasenspitze.

„Du meinst also, dass meine Familie schon so lange da mit drinsteckt? Das meine Familie tatsächlich mit der Windrose, dem blutenden Fußboden und alle dem was zu tun hat? Denn soweit ich weiß, lebten meine Vorfahren seit etwa Mitte der 20er Jahre hier.“

„Ja, das denke ich. Es sei denn, es ist jemandem gelungen, unentdeckt in den Raum hinab zu steigen, während deine Familie schon hier lebte. Aber wie wahrscheinlich ist das?“, fragte ich sie.

„Nun ja, ich würde sagen, wir müssen dringend auf den Boden. Ich bin mir sicher, dass wir dort die eine oder andere Antwort bekommen werden. Konntest du sonst noch etwas in den Briefen entdecken?“

„Nein, selbst das Datum war nur schwer zu entziffern. Aber schau mal hier, diesen Umschlag entdeckte ich noch zwischen allem. Es hat ein Wachsiegel, in dem wie auf allem eine Windrose geprägt ist. Was auch immer wir herausfinden werden, es wird mit dieser verdammten Rose und den vier Himmelsrichtungen zusammen hängen.“

„Ben, mir ist das alles nicht geheuer“, flüsterte Cassandra.

„Mach dir keine Sorgen, meine Kleine. Wir werden schon herausfinden, was los ist“, versuchte ich nicht nur ihr Mut zu machen. Ich hatte keinen Schimmer, was auf uns zukam.

Die zwei Treppenbauer waren sehr nett und wir bestellten alle zusammen was vom Lieferdienst um die Ecke. Der hatte im Grunde für jeden Geschmack etwas.

Die Arbeiten an der Treppe waren fast abgeschlossen, und nun unterhielten wir uns noch mit den Beiden, wie wir am besten den Boden wieder Instand setzen konnten. Sie hatten gute Tipps, wie man das Parkett mit Schienen richtig einfassen konnte, um die Luke einarbeiten zu können. Wir hatten ihnen nur erzählt, dass wir ein kleines Kellergewölbe unter dem Haus gefunden hatten.

Jedoch waren sie verwundert, dass wir dieses Haus renovierten und nicht abrissen. Für sie war es einfach nur ein altes Haus. Aber sie wussten selbstverständlich nichts von den kleinen Geheimnissen des Hauses. Ich hatte das Gefühl, dass wir nicht mal selbst alle kannten.

Nach dem Essen machten sich alle wieder an die Arbeit. Cassandra und ich machten uns dran, in der Küche die ersten Schränke auf zu bauen, und die Arbeitsplatte einzupassen. Es war im Moment der einzige Raum, in dem wir arbeiten konnten, ohne das Gefühl zu haben, dass wir etwas aufdeckten, was keiner zu Gesicht bekommen sollte.

Die Falltreppe war eingebaut, die Handwerker verabschiedet und die Küche zur Hälfte aufgebaut. Ein guter Schnitt für diesen Tag.

Nachdem alles ein wenig aufgeräumt war, gingen Cassandra und ich gemeinsam, ein bisschen aufgeregt, nach oben und ließen die neue Treppe hinunter. Die beiden Arbeiter hatten gute Arbeit geleistet.

Was uns oben erwartete übertraf alle Vorstellungen. An den Wänden waren bis an die Decke Kartons aufgestapelt worden. An den Schrägen der Decke waren überall die unterschiedlichsten Kisten abgestellt worden. Selbst im Gebälk hatte man Kisten untergebracht.

„Oh nein, es wird Jahre dauern, das alles durch zu sehen!“, stöhnte Cassandra neben mir, als sie einen ersten Blick über den Dachboden schweifen ließ.

„Naja, schau mal“, sagte ich und zeigte auf einen Karton in der Nähe. „Es hat sich jemand die Mühe gemacht, die Kartons zu beschriften. So können wir die mit der Aufschrift >Bettwäsche< oder >Geschirr< auslassen. Das scheinen einige zu sein. Aber es könnten auch noch praktische Dinge für deinen Haushalt drin sein“, versuchte ich sie aufzuheitern. Sie wusste was ich meinte.

Wenn sie in der WG auszog, würde sie das erste Mal allein wohnen. Das bedeutete, dass sie sich komplett neu einrichten müsste. Was einiges war.

„Die Idee ist gut, aber bitte lass uns das machen, wenn wir endlich eine Antwort auf die vielen Fragen gefunden haben. Falls wir nichts finden, machen wir die Luke gar nicht erst wieder auf, sondern machen sie gleich einfach dicht“, bat Cassandra.

„Einverstanden, Chefin!“

„Ben“, sie stupste mich an, während sie das sagte. „Du hast einen Schaden!“ Wir lachten und machten uns jeder an eine Kiste, von der wir hofften, dass sie die Informationen hatten. Wieder wollten wir alles, was eventuell die Windrose trug, in einer gesonderten Box sammeln und unten dann in Ruhe untersuchen.

Bisher hatten wir leider nicht viel gefunden. Nicht, bis ich auf eine alte Holztruhe stieß, in der eine schwere hölzerne Box stand. Auf dieser Box prangte das Zeichen, was wir so vergeblich suchten und zugleich fürchteten. Die Holzbox war sehr schwer und mit einem eisernen Vorhängeschloss gesichert.

„Cassandra! Das musst du dir anschauen! Hier ist vielleicht genau das, was wir gesucht haben!“

Schnell ließ sie ihren eigenen Karton zu Boden fallen und kam zu mir. Unterwegs stieß sie sich noch den Kopf, was sie wieder wie ein Rohrspatz schimpfen ließ. Als sie jedoch in die Truhe blickte, verstummte sie schlagartig und schaute mich mit ihren großen grünen Augen erstaunt an.

„Meinst du etwa...“ Weiter kam sie nicht, denn plötzlich klingelte es unten an der Haustür. „Wer könnte das sein?“, fragte sie und gleich darauf rief sie: „Bin gleich da! Nur einen Augenblick!“ Da alle Fenster geöffnet waren, würde die Person vor der Tür sie sicherlich hören.

Wir beeilten uns nach unten zu kommen. Die Kiste würden wir gleich noch herunterholen können.

An der Tür stand ein Postbote, der sich offenbar nicht sicher war, ob hier tatsächlich jemand lebte. Cassandra brauchte den Nachnamen an der Klingel nicht ändern, da auch sie den Namen >Klix< trug.

In ihrer Familie war es Brauch gewesen, dass bei einer Heirat der Mann den Familiennamen der Frau annahm. Ich wusste, dass ihr Vater einen Doppelnamen angenommen hatte, weil er insgeheim nicht damit einverstanden gewesen war, und sich darüber manchmal noch beschwert hatte.

„Oh hallo! Ich war noch gar nicht drauf gefasst, schon Post an diese Adresse zu bekommen. Noch habe ich mich gar nicht um gemeldet, da wir hier noch renovieren, wissen sie“, erklärte Cassandra ziemlich verdutzt dem Postboten.

„Also, solange Sie Frau Klix sind und dieses Haus Ihnen gehört, hätte ich einmal ein Einschreiben für Sie“, erwiderte er freundlich. „Dann bekomme ich einmal Ihre Unterschrift. Danke, das war´s dann auch schon. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag und noch viel Erfolg bei der Renovierung.“ Mit diesen Worten verabschiedete er sich und ließ uns mit dem Einschreiben zurück.

Ohne wirklich drauf zu achten was sie tat, drehte sie den Brief um ihn zu öffnen.

Abrupt hielt sie inne.

Ihre Augen wurden wieder groß und sie begann zu zittern, als würde sie plötzlich frieren. Ohne ein weiteres Wort hielt sie mir den Brief hin.

Was ich dann sah, ließ mir den Atem stocken.

Es war ein Abbild der Windrose auf die Rückseite des Umschlages gedruckt. Er war adressiert an >Cassandra Klix<.

„Ben, ich will das nicht öffnen! Ich will nichts damit zu tun haben! Die, wer auch immer sie sind, sollen mich in Ruhe lassen!“ Sie rannte im Wohnzimmer auf und ab.

So aufgeregt habe ich sie zuletzt vor der Gerichtsverhandlung gegen den LKW Fahrer, der ihre Eltern in den Tod drängte, gesehen.

Ich ging auf sie zu, nahm ihr den Brief aus der Hand und legte ihn auf die Treppe. Danach zog ich sie an mich heran und nahm sie fest in den Arm. Ich konnte nichts sagen, was sie hätte beruhigen können. Also hielt ich sie einfach fest und strich ihr mit einer Hand übers Haar, bis ihr Atem wieder etwas ruhiger ging.

„Wir gehen jetzt auf den Boden und holen diese blöde Kiste da runter. Wir schauen, was da drin ist, und ob Meredith da für mich eine Information hinterlassen hat. Sollte das der Fall sein, sehen wir weiter. Wenn nicht, nehme ich die Kiste mitsamt des Einschreibens und werde alles im Garten verbrennen.“ Sie klang entschlossen, doch ihre Stimme zitterte ein wenig.

Also taten wir, was sie sagte und holten die Kiste herunter. Sie war sehr schwer und wir schafften sie gerade zu zweit die enge Treppe hinunter.

Unten angekommen, stelle sich mir die Frage, wie wir das Schloss öffnen könnten. Hatte Cassandra vielleicht irgendwo den Schlüssel entdeckt?

Im selben Moment bekam ich aber schon die Antwort von Cassandra selbst. Sie hielt den Bolzenschneider in der Hand, den wir im Bad gefunden hatten, als wir mit der Renovierung anfingen. Jetzt war alles klar. Cassandra war nicht mehr zu scherzen zumute.

Nachdem sie mir das Werkzeug in die Hand legte, ihre zitterten viel zu stark, trennte ich den Bügel vom Schloss und entfernte ihn von der Kiste. Das Öffnen überließ ich jedoch Cassandra.

Sie atmete tief durch und schaute mich an. Sie war nervös, aber ihre Augen blickten mich fest entschlossen an und ich legte ihr den Arm um die Schulter, wollte ihr meine Kraft geben. Nicht, dass ich weniger nervös gewesen wäre, aber ich konnte es ein bisschen besser verbergen.

Sie legte die Hand auf das Holz. Sie versuchte regelmäßiger zu atmen und ein wenig ruhiger zu werden. Dann öffnete sie den Deckel.

Zuerst war nicht viel zu entdecken. Es sah aus, als sei lauter Papier darin. Cassandra machte sich nicht viel Mühe mit dem Inhalt, sondern kippte die Kiste einfach aus und betrachtete dann den Berg, den sie vor sich hatte. Es waren nicht nur Papiere, sondern auch andere Gegenstände. Was mir sofort ins Auge stach, war eine Silberkette mit einem Anhänger, der aus Buntglas zu sein schien. Es war wie überall die bekannte Rose drauf zu sehen.

Plötzlich entdeckte ich einen Briefumschlag, mit einem solchen Siegel, wie ich es gebrochen schon mal entdeckt hatte. Nur mit dem Unterschied, dass dieses hier intakt war.

Sofort war mir klar, was das nur bedeuten konnte. Ich nahm ihn und drehte ihn in der Hand. Es stand Cassandras Name darauf geschrieben. Die Schrift darauf war elegant und sehr klein, aber dennoch gut zu lesen. Das war es, wonach wir suchten, da war ich mir sicher.

„Hier, sieh mal“, sagte ich und reichte ihn ihr. Sie blickte unruhig darauf.

„Kannst du ihn öffnen und vorlesen? Ich glaube, ich bin einfach zu aufgeregt.“ Sie gab ihn mir zurück.

„Aber was, wenn das, was in dem Brief drin steht, nur für dich gedacht ist?“

„Du weißt, ich hatte nie Geheimnisse vor dir. Und das wird jetzt mit diesem Brief nicht anfangen. Bitte?“, fragte sie noch mal.

Ich brach das Wachs und nahm den Brief aus dem Umschlag. Es war schweres Papier, fast wie selbst geschöpft.

„Okay, dann lese ich jetzt vor, ja?“ Ich war mir unsicher. Sie nickte nur. Also begann ich zu lesen:

„Liebste Cassandra,

wenn du dies hier liest, werde ich wahrscheinlich tot sein. Hoffentlich war ich vorher in der Lage, dir diesen Brief direkt zu geben. Andernfalls warst du sehr klug und hast deinen Weg selbst gefunden. Vielleicht hat Ben dir dabei geholfen, sende ihm liebe Grüße.“

An dieser Stelle machte ich halt. Woher konnte sie das wissen? Wir kannten uns doch gar nicht! Ging es denn noch unheimlicher?

„Sicherlich wirst du dich wundern, warum ich das weiß. Leider hatten wir nie den besten Kontakt, aber ich habe immer ein Auge auf dich gehabt. Deine Mutter wusste, was früher oder später, eines Tages passieren würde und wollte nicht, dass ich dir etwas erzählen konnte.

Cassandra, es gibt viele Dinge, von denen du vielleicht mal gehört hast, aber es als Märchen abgetan hast. Dinge über Zauberwesen wie Hexen, Vampire oder Feen. Nun meine Liebe, du wirst im Laufe der Zeit feststellen, dass nicht alles davon Märchen sind. Ganz im Gegenteil. Sehr viele davon sind allgegenwärtig. Was ich dir niemals erzählen konnte und was deine Mutter mit ins Grab genommen hat, ist ein Geheimnis unserer Familie. Wir sind Hexen.“

An diesem Punkt musste ich aufhören. Nicht nur, dass es sich für mich einfach nur absurd anhörte, auch Cassandra reagierte. Sie ließ sich auf den Boden sinken und schaute mich nur an. Sie war kreidebleich geworden und wirkte, als wenn sie gleich in Ohnmacht fallen würde.

Plötzlich sagte sie jedoch: „Hexenhäuschen, oder? Du hattest Recht. Ließ bitte weiter, wenn du kannst.“ Da ich keine Antwort darauf wusste und einfach nur verblüfft über ihre Reaktion war, las ich weiter:

„Wir sind seit Generationen weiße Hexen. Mach dir also bitte keine Gedanken. Du bist eine von den Guten. Eine von den wirklich Guten.

Das hört sich wahrscheinlich alles ein bisschen verwirrend an, aber ich weiß, du wirst es verstehen, es liegt dir im Blut. Du bist eine Klix. Es tut mir sehr leid, dass du es in diesem Brief erfahren musst. Besser wäre es gewesen, du hättest es von einer anderen Klix erfahren. Hättest Fragen stellen können. Aber jetzt erkläre ich dir, was es mit uns auf sich hat.

Wir sind die Hexen, die seit Jahrhunderten einen Pakt bewachen. Wir nennen ihn den Zirkel des Gleichgewichts. Sieh bitte in der Kiste nach, da liegen viele Dokumente, die dir noch mehr darüber erklären. Du kannst uns als die Wächterinnen über diesen Pakt sehen. Wir haben den Zauber gewirkt, der dafür sorgt, dass sich alle Beteiligten daran halten und Nachkommen involviert werden. Immer nur eine Klix zur Zeit, ist im Vollbesitz ihrer Kräfte. Die Kräfte werden von der Mutter zur Tochter weiter gegeben. Aber immer nur auf die Erstgeborene. Du meine Liebe, bist ein Einzelkind, daher hast du diese Kräfte nun. Sollte die Klix, die gerade Wächterin über den Pakt ist, sterben, werden die Kräfte der ältesten, volljährigen Klix geweckt. So kann es also sein, dass durchaus mal eine Generation übersprungen wird, auch wenn die Veranlagungen da sind. Deine Mutter wäre ihrerseits auch die Erstgeborene gewesen, hat aber allem was mit der Magie zu tun hatte, den Rücken zugekehrt.

Was jetzt deine Kräfte genau sind, kann ich dir nicht sagen. Sie variieren von Hexe zu Hexe. Auf jeden Fall kannst du die Elemente beeinflussen: Feuer, Erde, Luft und Wasser. Wir nehmen auch unsere Kräfte aus ihnen. Wie ich schon immer bei dir beobachtet habe, kannst du gut mit Tieren umgehen. Vielleicht ist das eine deiner weiteren Gaben. Oder es ist eine Art empathische Kraft. Das bedeutet, vielleicht hast du die Fähigkeit, die Gefühle und Persönlichkeit eines Wesens zu fühlen und zu verstehen. Du wirst es herausfinden, da bin ich mir sicher. Ich bereue es so, dass wir nie über unser Erbe sprechen konnten. Ich hätte dich gerne in deiner Kraft wachsen sehen.

In dem Pakt von dem ich schrieb, sind vier Wesen eingebunden. Der Pakt ist für das Gleichgewicht unter unseres Gleichen und der Welt der Menschen geschaffen worden.

Viele magische Wesen haben versucht, die Menschen zu benutzen und aus zu nutzen, aber das ist nun nicht mehr möglich. Es ist jetzt so, dass dank des Paktes, die magischen Wesen und die Menschen nebeneinander existieren können. Wichtig ist dabei jedoch, dass die Menschen von dieser anderen Welt nichts erfahren. Sie könnten damit nicht umgehen.

Für diesen Pakt brauchst du vier Wesen. Zwei gut und zwei böse. Du brauchst nicht zu entscheiden, was gut und böse ist. Seit Beginn der Zeit haben sich manche Wesen eben dem Guten, andere dem Bösen zugewendet. Das wirst du ebenfalls in den Unterlagen der Kiste finden.

Die beiden Guten im Pakt sind zum einen der Zentaur Kendrick, halb Mensch, halb Pferd. Schau dir die Aufzeichnungen an, die erklären dir weiteres.

Kendrick ist ein angenehmer und sehr gebildeter Zeitgenosse. Mit ihm kannst du dich gut beraten, wenn du etwas nicht verstehst. Er wird versuchen dir zu helfen. Zentauren werden sehr alt und Kendrick wird dich wahrscheinlich in deinem ganzen Leben begleiten können. Er war mir immer ein treuer Freund.

Zum anderen ist da Leeandra. Sie ist eine Fee. Herzensgut und vielleicht ein bisschen schusselig. Du wirst sie mögen. Sie ist niemals betrübt, das lässt ihr Wesen nicht zu. Sie bereitet einen guten Tee gegen Kummer und immer einen guten Rat. Sie ist in deinem Alter.

Nun zu den Bösen. Vorab eine Erklärung. Auch unter den Bösen gibt es Wesen, die weniger Böse sind. Die, die mit dir in dem Pakt eingebunden sind, sind allein durch ihn schon dem Guten ein wenig näher. Sie sind umgänglicher als viele ihre Artgenossen.

Da wäre eine schwarze Hexe. Sie heißt Porcia. Nicht immer ganz leicht die Liebe. Weiß immer einen Rat, wie man sich an anderen rächen kann und wie man sich andere vom Hals schaffen kann. Ein bisschen eigenartig die alte Dame, aber sie wird sich zusammen reißen. Sie weiß schließlich, wer du bist.

Als letztes wäre da der Vampir Zakary. Er ist ein wenig bissig (verzeih mir das Wortspiel), aber in deiner Umgebung wird ihm der Hunger vergehen. Eine kleine Nebenwirkung des Paktes. Er ist ein kleiner Weiberheld. Also gib gut Acht! Du bist ein hübsches Mädchen.

Wenn du Fragen hast und ich bin mir sicher, das sind einige, kannst du dich gerne mit den Wesen aus dem Pakt in Verbindung setzen. Sie helfen dir nicht nur in der Not und wie schon beschrieben, Kendrick war schon immer auch mein Berater.

Nun zum Haus. Es ist nicht einfach nur das Haus, das man so sieht. Es hat einige, nun ja, nennen wir es Extras. In diesem Haus kann keiner dunkle Magie praktizieren. Fremde Wesen musst du erst freiwillig einlassen, sonst können sie das Haus nicht betreten. Der Wandschrank im Schlafzimmer ist zwar geräumig, hat aber noch eine Hintertür. Wenn du die Kette aus der Kiste anlegst, wirst du sie erkennen und wissen, wie du sie öffnest. In diesem magischen Raum findest du viele Kräuter und Zutaten um kleine, wirksame, weiße Zauber wirken zu können. Sehr praktisch bei Müdigkeit, aber ich habe auch ein paar tolle Rezepte für Wickel gegen Entzündungen und Schwellungen. Findest du im Kochbuch >Modern Kochen<.

Am wichtigsten ist ein Raum, den du nicht einfach betreten kannst. Das ist der Raum, in dem Anderen zurückziehen kannst. Im Haus ist es immer ein bisschen schwierig. Gerade für Zakary, der hat ein bisschen Probleme mit dem Sonnenlicht.

Um diesen Raum betreten zu können, musst du einen Zauber aussprechen, damit die Mauer verschwindet. Unter dem losen Parkett ist eine Luke die sich öffnen lässt. Achtung, da gibt es derzeit keine Treppe. Die haben wir vor langer Zeit abgebaut, damit niemand hinunter kann. Aber wenn du ein bisschen Übung hast, kannst du alles wieder herrichten. Das Wichtigste in diesem unterirdischen Raum ist die Intarsie im Boden. Es ist das Zeichen der Windrose. Wenn Gefahr droht, kannst du dort mit einem Tropfen deines Blutes die Anderen erreichen. Sie werden wissen, was passiert ist. Denn du legst es mit in den Zauber, der damit gewirkt wurde. Du musst dabei nicht viel beachten, nur einen klaren Kopf bewahren.

Nun, ich kann nur hoffen, das alles seinen Weg geht und du herausfindest, was wir sind und welche Aufgabe du hast. Berate dich mit den Vieren, sie werden dir helfen, dich zurecht zu finden. Ben darf davon erfahren. Ihr seid so eng miteinander verbunden, dass er sicherlich begreift, dass es wichtig für dich ist.

Es tut mir leid, dich so ins kalte Wasser zu schubsen. Mir blieb keine Zeit mehr.

Wachse meine liebe Cassandra und wache. Viel Glück.

In Liebe,

Meredith

Ps.: In dem geheimen Raum im Schrank ist ein Safe. Die Kombination besteht aus deinem Geburtstag. Dort ist ein kleines Vermögen. Nutze es zum Aufbau des Hauses und genieße dein Leben.“

Ich endete und wusste nichts zu sagen. Das nahm mir dann Cassandra ab.

„Ein Zauber für die Mauer und wir reißen alles ein und schleppen alles in den Garten. Na ganz toll!“ sagte sie und fing an zu lachen. Was war denn nun los? War sie hysterisch? Nahm sie das alles nicht ernst und hielt ihre Tante für verrückt?

„Cassandra, das war alles sehr viel und ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Aber was auch immer du jetzt denkst, ich bin für dich da“, erklärte ich ihr, in der Hoffnung, sie beruhigen zu können. Wenigstens war sie nun nicht mehr so blass.

Ganz im Gegenteil: Ihre Augen strahlten und sie hatte leicht gerötete Wangen.

„Ben, mach dir keine Sorgen, es ist alles so wie es sein soll! Gib mir mal bitte das Einschreiben rüber. Ich denke, wir sollten es lesen. Diesmal lese ich vor. Nun schau mich nicht so an! Ich bin doch keine Außerirdische! Nur ein bisschen verhexter“, kicherte sie. Ich gab ihr einfach den Brief. Ich war ein bisschen verdattert. Wie nahm sie das alles nur so locker auf?

Sie riss den Umschlag auf und fing an vorzulesen:

„Hallo Cassandra,

ich hoffe, dass ich dich nicht mit meinem Brief überrasche. Hoffentlich hast du schon von deiner Aufgabe gehört und bist nicht davon gelaufen. Meredith sagte, du bist eine sehr kluge, junge Frau.

Wie dem auch sei, den Raum unter deinem Haus scheinst du schon gefunden zu haben, denn du hast einen Ruf ausgesandt, der sehr verwirrend war. Wir nehmen an, es besteht keine Gefahr und es war ein Irrtum. Leeandra und ich werden dich jedoch aufsuchen, da du vielleicht ein bisschen Hilfe brauchen kannst. Leeandra ist in deiner Nähe und wird morgen bei dir eintreffen. Bitte wundere dich nicht. Sie ist, wie sie ist. Du wirst wissen was ich meine, wenn du sie kennen lernst. Ich treffe einen Tag später ein. Zakary und Porcia bleiben erst mal wo sie sind und kommen nach, wenn du es wünscht.

Wir freuen uns sehr, dich kennen zu lernen.

Liebe Grüße,

Kendrick“

Sie faltete vorsichtig den Brief wieder zusammen und schob ihn in den Umschlag zurück.

„Na, das ist doch mal was. Wenigstens habe ich mit meinem Blut jetzt keine Hysterie ausgelöst. Wenn die Beiden allerdings bald hier aufschlagen, müssen wir noch einiges machen. Was meinst du?“ Sie schaute mich fragend an.

„Meinst du das ernst? Oder bist du gerade einfach nur von der Rolle? Also wenn du das alles ernstmeinst, dann klar, lass uns los legen, aber bitte, gib mir Zeit für einen Kaffee. Aber bitte, was denkst du darüber? Ich bin ziemlich durcheinander.“

Ohne ein Wort sprang sie auf und flitzte in die Küche. Einen Moment später kam sie mit zwei Bechern mit heißem, starken Kaffee wieder und deutete mir, mit in den Garten zu kommen. Die Sonne schien hell und es war herrlich warm. Dennoch fröstelte ich. Ich war verwirrt.

Cassandra setzte sich hin, drückte mir einen der Becher in die Hand und klopfte dann neben sich auf die Bank, damit ich mich setzte. „Hör mal, zuerst, ja, es geht mir gut. Deine Verwirrung kann ich verstehen und bitte glaube mir, ich habe keine Ahnung, warum ich das so aufnehme und ruhig bleibe. Irgendwas hat schon klick gemacht, als ich das Holz der Kiste berührte. Ich habe das Gefühl, alles ist nun so, wie es sein soll. Natürlich bin ich voller Fragen, aber die werde ich ja bald klären können. Was mir wichtig ist, wie das alles auf dich wirkt. Glaubst du, du kommst damit klar? Ich würde dich gerne weiterhin meinen besten Freund nennen. Du bist ein Teil von mir. Wenn ich dich nicht habe, dann ist alles nicht mehr so klar. Das wäre ziemlich einsam.“

Ich schaute sie an. Konnte es wirklich wahr sein? Das Mädchen, das gerade von seinen magischen Kräften und einer Welt mit Wesen wie Zentauren erfahren hatte, machte sich um mich Sorgen! Sie sah mich wirklich besorgt an, wie sie da neben mir saß und ihren Kaffee trank.

Aber das was ich gerade selbst gelesen und gehört hatte, war nicht normal. Da war die Rede von Feen und Zentauren! Würde ich das jemals begreifen können? Ich hoffte es doch sehr, denn bald würden diese Wesen scheinbar hier eintreffen. Was auch immer dabei geschah, ich konnte Cassandra damit auf keinen Fall allein lassen, auch wenn sie mit den neuen Erkenntnissen scheinbar keine Probleme hatte.

„Na hör mal“, sagte ich fest zu ihr. „Wenn nicht ich bei dir bleibe, wer denn dann? Irgendwer muss in dem ganzen Haufen Magie doch normal bleiben. Da wäre ja auch immer noch der Schürzenjäger Zakary, dem ich zur Not noch auf die Finger klopfen muss.“ Wir sahen uns in die Augen und fingen so herzhaft an zu lachen, dass ich mir meinen Kaffee über die Hose kippte.

Die blutige Windrose

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