Читать книгу Rabengesang - Janine Senkel (geb. Günther) - Страница 8

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Verschwitzt wachte Shania am nächsten Morgen auf.

Schnell verdrängte sie die Gedanken an den Traum. Sie konnte es nicht gebrauchen, dass ihr diese Vorstellungen im Kopf rumschwirrten, wenn sie sich nachher mit Raven traf.

Sie ging zum Kleiderschrank und öffnete die silberfarbenen Schiebetüren. Was sollte sie bloß anziehen? Sie zog einen schwarzen Minirock hervor. Nein. Viel zu aufreizend.

Jeans? Zu langweilig. Sie holte einen langen Rock heraus und warf ihn auf das nebenstehende Bett. Sie wollte schließlich nicht ausschauen wie ein prüdes Mädchen.

Eine halbe Stunde später waren all ihre Klamotten auf dem Bett verteilt und Shania saß verzweifelt am Boden, kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Das konnte doch nicht sein, dass sie nichts zum Anziehen hatte. Ihr Blick schweifte durch den Raum und fiel auf die Tür. Hinter der Tür an einem Kleiderhaken hängte eine luftige kurze Stoffhose. Ihre Miene erhellte sich. Die Hose war schwarz und sehr schön geschnitten. Sie würde ihre Figur sehr schön betonen.

Schnell sprang sie auf und eilte zur Tür, um das Kleidungsstück an sich zu nehmen. Sie wusste auch schon, was sie darauf anziehen konnte. Sie kämpfte sich durch den Klamottenberg, der sich auf ihrem Bett angehäuft hatte und 35

zog siegreich ein lockeres lilafarbenes Shirt hervor, das durch seinen weichen Stoff sehr angenehm zu tragen war.

Eilig hastete sie ins Bad und schlüpfte in die Klamotten.

Noch schnell Zähneputzen, Make-up auftragen und Puder ins

Gesicht

und

schon

war

sie

startklar.

Sie holte ihre Unterlagen mit den Testergebnissen aus dem Labor und dann war sie auch schon aus der Tür draußen.

Leider war es anscheinend nicht ihr Glückstag, denn sowohl der Bus als auch die Tube fuhren ihr direkt vor der Nase davon.

Als sie dann endlich in der Tube saß, vibrierte es in ihrer Tasche. Sie hatte das Handy über Nacht leiste gestellt, damit sie nicht plötzlich hochschreckte, wenn ihr Saya eine Nachricht schreiben würde. Sie holte das Telefon aus der Tasche und hob ab, ohne auf das Display zu schauen.

>>Hallo?<< Ihre Haare stellten sich auf und ein elektrisierender Impuls durchfuhr sie, als sie die wohlig raue Männerstimme am anderen Ende erkannte. >>Hallo Shania, Raven hier. Ich wollte mich nur erkundigen, ob Sie schon auf dem Weg zu mir sind?<< Schnell schluckte sie den Kloß, der in ihrem Hals steckte, herunter. >>Ja.<< Eine recht knappe Antwort. Sie musste noch etwas hinzufügen.

>>Ich bin in etwa zehn Minuten da.<< Ein tiefes Hauchen.

>>Gut. Ich erwarte Sie bereits.<< Allein schon die Art, wie er das Gesagte betonte, raubte Shania den Atem. >>Ok. Bis dann!<< Hastig stammelte sie diese Worte und legte auf.

Tiefes Aufatmen. Sie war erleichtert, das Gespräch hinter 36

sich gebracht zu haben. Nur stand ihr jetzt noch etwas Schlimmeres bevor. Sie war auf den Weg in die Höhle des Löwen. Allein mit ihm, gefangen in einem Haus am Stadtrand. Womöglich war es das einzige Haus im Umkreis.

Wer weiß, was er vor hatte. Vielleicht wollte er sie ja verführen und über sie herfallen, wie ein wildes Tier. Also, um genau zu sein, war er ja sogar ein Tier.

Ach, was machte sie sich schon wieder für Gedanken. So schlimm würde es schon nicht werden. Es sagte ja schließlich keiner, dass sie dort allein wären. Vielleicht lebte er ja mit seinem Bruder zusammen. Selbst wenn nicht, bestand immer noch die Möglichkeit, dass Ratsmitglieder des Rabenclans anwesend wären, da es ja um das Oberhaupt des Clans ging. Ja, so würde es sein, dachte Shania und machte sich Mut.

Grinsend legte Raven das Telefon beiseite. Er hatte Shania mit seinem Anruf ganz schön ins Schwitzen gebracht. Wenn sie schon am Telefon so reagierte, wie würde es dann erst sein, wenn sie in wenigen Minuten vor ihm stand? Ja, sie war ihm vollkommen ausgeliefert und er würde diese Gelegenheit sicher nicht auslassen. Er hatte schon immer bekommen, was er wollte und das würde auch diesmal so sein. Außerdem hatte er selbst so ein großes Verlangen, dass er sich kaum beherrschen konnte. Es quälte ihn regelrecht.

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Plötzlich fiel ihm ein, dass er eigentlich mit ihr über den Mord an seinem Vater sprechen wollte. Wie konnte er das bloß vergessen? Er hatte nur noch Augen für diese unverschämt heiße Frau und hatte keinen Gedanken mehr an die Dinge verschwendet, die für ihn, als Sohn des Clanoberhauptes und stellvertretenden Anführer der Raben, Priorität haben sollten. Er müsste sich wirklich schämen. So ein Verhalten gebührte sich einfach nicht als zukünftiges Oberhaupt. Nein. Es gebührte sich ganz und gar nicht. Nun, er hatte es als Vorwand benutzt, um Shania herzulocken, allerdings gab es da vielleicht wirklich Informationen, die ihr weiterhelfen konnten. Er musste sie in die ganze Situation einweihen. Sie wusste ja bereits, dass die Wölfe und ihr Clan seit einigen Jahren zerstritten sind, aber er musste ihr das Ausmaß dieses Streites näherbringen, damit sie die Motive und die Verdächtigungen verstand. Warum die beiden Clans mittlerweile so verfeindet waren, wusste er selbst nicht genau. Er hatte seinen Vater danach gefragt gehabt, hatte allerdings keine Antwort bekommen. Sein Vater war sogar ziemlich wütend und aggressiv daraufhin geworden. Ob es was mit diesem Fall zu tun hatte? Er musste unbedingt Forschungen anstellen und herausfinden was dahinter steckte. Der Grund für den Hass der beiden Clans aufeinander war ganz sicher der Schlüssel. Kein Gestaltwandler würde es einfach so wagen, ein Mitglied eines anderen Clans anzugreifen, gar zu töten und schon erstrecht nicht, wenn es sich dabei um des Oberhaupt handelte. Jeder wusste, dass die Mitglieder jedes einzelnen 38

Gestaltwandlerclans dann keine Gnade kannten. Sie würden den Täter bis aufs Blut jagen, ihn dann foltern und quälen, bis sie ihn endlich töteten. Dieses Risiko würde kein Wesen einfach so eingehen. Es musste mehr dahinter stecken.

Bevor Raven noch weiter darüber nachdenken konnte, ertönte die Türklingel. Er zog sich das schwarze Ed Hardy T-Shirt über, das auf dem Sofa lag, fuhr sich mit der rechten Hand durchs Haar und trottete lässig den Flur entlang zur Tür.

Nun stand sie also vor der Tür des Teufels. Naja, Teufel nur im übertragenen Sinn, aber der Kerl sah wirklich teuflisch gut aus. Wild kramte Shania in der viel zu großen Tasche, die sie um die Schulter trug. Wo hatte sich denn nur wieder ihr Lippenstift versteckt? Rascheln. Endlich fand sie ihn in der hintersten Ecke der Innentasche. Schnell trug sie ein bisschen davon auf ihre Lippen auf und verstaute den Lippenstift wieder in ihrer Tasche, als ihr die Tür geöffnet wurde. Vor ihr stand verschmitzt lächelnd Raven, der lässig am Türrahmen lehnte und in seiner roten Punk Hose und seinem schwarzen Ed Hardy T-Shirt einfach umwerfend aussah. Stopp! Sie musste sich jetzt auf ihren Job konzentrieren und nicht ständig daran denken, wie toll dieser Kerl aussah, ermahnte sie sich –zum wievielten Mal jetzt eigentlich? – und lächelte Raven freundlich an. >>Nun, da 39

bin ich!<< Kurz und knapp, so war es gut. >>Das sehe ich.<< Er stand immer noch mit einem verspielten Lachen und verschränkten Armen in der Tür und musterte Shania von oben bis unten. Er zog sie fast aus mit seinen Blicken.

Sie errötete leicht. Schnell versuchte sie, abzulenken.

>>Willst du – äh, Verzeihung – wollen Sie mich nicht herein bitten?<< Ravens Grinsen wurde breiter und dabei bildeten sich leichte Fältchen um seinen Mund. >>Wir können gerne beim Du bleiben.<< Als er dies sagte, beugte er sich weit vor. So weit, dass Shania seinen Atem auf ihrer Haut spüren konnte. Ihre Nackenhaare stellten sich auf und ein leichter Schauer lief ihr über den Rücken. Als er sich wieder zurücklehnte, trat er gleichzeitig ein paar Schritte zur Seite, damit Shania an ihm vorbei ins Haus gehen konnte. Mit mulmigem Gefühl im Bauch ging sie seiner Aufforderung nach und trat ein. Er folgte ihr ins Haus hinein und dann ging er an ihr vorbei, um sie in das nahgelegene Wohnzimmer zu geleiten. Schwungvoll warf er sich auf die Couch und ließ die Beine über die Lehne baumeln. Shania ließ sich in einen Sessel auf der anderen Seite sinken und schlug ihre Beine übereinander. >>Nun …<< Raven sah sie mit einem durchdringlichen Blick an. >>… was hast du herausgefunden?<< Shania richtete sich in ihrem Sitz etwas auf, um professioneller zu wirken. Aus diesem Grund holte sie neben ihren Notizen auch noch ihre Brille aus der Handtasche – wenn man diesen riesigen Stofffetzen, den sie letzte Weihnachten von ihrer Tante geschenkt bekommen hatte, wirklich als dies bezeichnen konnte – und schob diese 40

auf ihre Nase. >>Ich muss zwar noch genauere Untersuchungen machen, aber ich habe an der Hautprobe fremdes Blut festgestellt und …<< Raven ließ seinen Kopf vom Sofa baumeln, wobei seine schulterlangen Haare herunter hingen, und grinste Shania verschmitzt an. >>Mit Brille schaust du unglaublich sexy aus.<< Sanft hauchte er diese Worte mit seiner rauen geheimnisvollen Stimme, so dass Shania abermals die Röte ins Gesicht schoss. Sie wurde nervös und die Hand, in der sie die Notizen hielt, fing an zu zittern. Dennoch versuchte sie es sich nicht anmerken zu lassen – obwohl es dafür wahrscheinlich schon zu spät war -

und ihre Unsicherheit mit Wut zu überspielen. >>Können wir bitte beim Thema bleiben?<< Eigentlich sollte es genervt klingen, es gelang ihr aber nicht ganz. Stattdessen presste sie diese Worte hysterisch hervor. >>Ravens Grinsen wurde immer breiter. Er richtete sich wieder gerade auf und gab ihr ein Zeichen, mit ihrer Rede fortzufahren. >>Also, wie gesagt, ich habe fremdes Blut festgestellt. Es stammt vermutlich vom Täter. Wie vermutet ist es das Blut eines Werwolfs…<< >>Ha!<< Ein zufriedener Ich-habe-es-doch-gewusst Ausruf. >>Kannst du mal aufhören, mich ständig zu unterbrechen?<< Langsam wurde Shania wirklich ärgerlich.

Nicht nur, dass er sie mit seinen ständigen Anspielungen und Annäherungsversuchen nervös macht, jetzt ließ er sie noch nicht einmal mehr ausreden. Und wenn Shania eins hasste, dann,

wenn

ihr

jemand

dazwischen

quatschte.

>>‘tschuldigung! Fahr fort!<< Genervt rollte sie ihre Augen und wandte ihren Blick dann wieder ihren Notizen zu.

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>>Das Blut ist zwar das eines Werwolfs, allerdings stimmt mit dem Blut etwas nicht.<< Raven zog fragend seine Augenbrauen nach oben, wagte es aber nicht, sie noch einmal zu unterbrechen. >>Ich kann leider noch nicht genau sagen, was damit nicht stimmt, aber ich habe quasi eine Expertin aufgetrieben, die mir das mit Sicherheit sagen kann. Heute Abend werde ich mehr wissen.<< Raven wartete noch kurz ab, ob Shania dem Ganzen etwas hinzufügen möchte, doch als sie die Zettel wieder in ihre Tasche steckte und die Brille von der Nase nahm, war er sich sicher, dass sie fertig war. >>Warum ist es so wichtig, was mit dem Blut nicht in Ordnung ist? Was ändert es denn an der Tatsache, dass es ein Wolf war?<< Dieses Denken war typisch für einen Gestaltwandler. Wenn es um ihren Clan ging, zählte nur, wer ihm schaden wollte und nicht, warum. Seufzend stand Shania vom Sessel auf. >>Auch wenn es für euch Werwesen nicht von Belangen ist, könnte es eine Menge ändern.<< Mit neugierigen Blicken betrachtete Raven die junge Frau, die langsam ein wenig aufbrausend wurde. Offensichtlich gefiel es ihm, dass eine Frau es wagte, ihm die Stirn zu bieten. >>Zum Beispiel?>> Shania stieß einen erneuten Seufzer aus und ließ sich wieder im Sessel sinken. >>Vielleicht wurde ihm irgendetwas verabreicht, weswegen er nicht mehr klar denken konnte.

Vielleicht hatte er eine Krankheit, die ihm Schmerzen verursachten. Derartige Schmerzen, die ihm zu so einer grausamen Tat trieben. Vielleicht hatte er Tollwut.

Vielleicht…<< Raven fing an herzhaft zu lachen.

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>>Tollwut? Ist das dein Ernst? Nur weil es ein Wolf ist? Ich bitte

dich.<<

Shanias

Augen

verengten

sich.

>>Ausschließen kann man es immerhin nicht, oder? Nicht, bevor ich nicht eindeutige Ergebnisse habe. Aber wenn du mich nicht ernst nimmst, habe ich keine Lust, weitere Nachforschungen in dieser Sache anzustellen. Du kannst dir ja eine andere Hexe für diesen Job suchen. Eine, die es nicht stört, ständig unterbrochen zu werden und die du mit deinem Machogehabe rumkriegst.<< Wütend packte sie ihre Sachen zusammen und hastete zu Tür, doch der Rabe war schneller und schnitt ihr den Weg ab. >>Nicht so eilig, Schätzchen!<< süffisant lächelte er, seine dunklen Augen blickten eindringlich auf sie hinab. Shania verschränkte die Arme vor der Brust und zog ihre linke Augenbraue skeptisch nach oben. Stille. Sie sagte nichts. Keinen Ton. >>Hör mal, ich wollte dich nicht verspotten. Ich zweifle deine Fähigkeiten als Hexe auch nicht an. Absolut nicht. Wenn ich dich mit meinem Verhalten verletzt habe, tut es mir Leid!<< War das eine Entschuldigung? Eine Entschuldigung aus dem Mund von Raven, den stellvertretenden und zukünftigen Anführer des Rabenclans, der stets cool und gelassen ist und mit seinem Charme sämtliche Frauen ins Bett kriegte. Ok, letzteres war nur Shanias Vermutung. Sie kannte ihn schließlich noch nicht sehr lange und wusste eigentlich rein gar nichts über ihn. Anstatt ihm glücklich um den Hals zu fallen

und

seine

Entschuldigung

freudestrahlend

anzunehmen – das hatte Raven wahrscheinlich erwartet –

zog sie ihre Augenbraue nur noch ein Stück höher. Raven 43

fiel anscheinend nichts mehr einzufallen. Er verlagerte sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen und machte einen nachdenklichen Eindruck. >>Ich habe, wie ich bereits in meiner SMS erwähnte, ebenfalls Informationen für dich.

Willst du dich nicht wieder setzen und es dir anhören?<< Ravens Stimme hatte einen sanften ruhigen Ton angenommen. Shania entspannte sich sichtlich. Ihre Schultern waren nicht mehr so verkrampft, ihre Arme ließ sie jetzt auch locker herunterhängen und sie begann sogar ein wenig zu lächeln. Es machte sie schon neugierig, was für Informationen Raven für sie hatte. Sie nickte nur zustimmend und ging zurück ins Wohnzimmer, um sich erneut in den Sessel zu hocken und gespannt darauf zu warten, um was für wichtige Informationen es sich hierbei handelte.

Raven setzte sich nun in den anderen Sessel, direkt neben ihr. Entspannt lehnte er sich zurück und faltete seine Hände.

>>Wie du sicher weißt, sind wir Raben schon seit einiger Zeit mit den Werwölfen verfeindet.<< Shania nickte.

>>Nun, ich denke es könnte für deine Untersuchungen durchaus interessant sein, den Grund für diese Feindschaft zu wissen. Vielleicht interessiert es dich ja persönlich nicht, aber es lässt dich vielleicht das Motiv des Täters verstehen und du kannst so herausfinden, wer meinen – unseren Anführer auf den Gewissen hat.<< Wieder ein Nicken.

Shania verstand jedoch nicht, weswegen Raven ihr gegenüber nicht erwähnen wollte, dass der Ermordete sein Vater war. >>Gut.<< Ravens Miene erhellte sich. >>Früher 44

haben wir uns eigentlich relativ gut verstanden. Wir haben teilweise sogar zusammen gejagt und uns gegenseitig unterstützt. Das hat sich allerdings vor 16 Jahren geändert.

Ich weiß nicht genau, was vorgefallen ist. Ich war damals gerade mal zehn und die älteren unseres Clans haben darüber nie ein Wort verloren. Ich weiß nur, dass die Wölfe etwas sehr schlimmes gemacht haben müssen. Sie haben gegen eins der Gesetzte verstoßen und so kam es, dass Ian den gesamten Clan aus unserem Territorium verbannt hatte.

Sie wollten sich das natürlich nicht einfach so gefallen lassen und so kam es regelrecht zu einem Krieg. Ein kalter Krieg um genau zu sein. Wir führten keine Schlachten, sondern gingen uns eher aus dem Weg. Aber wir bereiteten uns immer darauf vor, zuzuschlagen, sobald die Wölfe nur einen kleinen Mucks von sich geben.<< Raven machte eine kurze Pause um Luft zu holen. >>Mit den Mord an Ian haben sie somit logischerweise den Auslöser für einen Krieg, einen wahrhaften Krieg, gedrückt. Wir können sie nicht einfach so davon kommen lassen. Wenn du natürlich meinst, das es wichtig sein könnte, was es mit dem Blut auf sich hat und wir nicht vorschnell handeln sollten, dann werde ich die Information, dass es sich tatsächlich um eine Tat der Werwölfe handelt noch eine Weile meinem Volk verschweigen. Allerdings werde ich es nicht lange verheimlichen können, also wäre es gut, wenn du bald mehr wüsstest.<< Nachdem er ihr alles erzählt hatte, lehnte er sich entspannt zurück und wartete auf eine Reaktion. >>Nun, gut.<< Shania suchte nach passenden Worten. >>Ich wäre 45

dir wirklich sehr dankbar, wenn du dieses Ergebnis noch eine Weile für dich behalten könntest. Wie ich vorhin bereits erwähnt hatte, werde ich heute Abend vermutlich mehr wissen, da ich eine Expertin für Wolfsblut ausfindig gemacht habe.<< Genauer gesagt, hatte ihre Freundin Saya sie ausfindig gemacht, aber das musste sie diesem verführerischen Kerl ja nicht auf die Nase binden. Raven antwortete mit einem erleichterten Kopfnicken. Shanias Gedanken schweiften ab. >>Ich wüsste trotzdem zu gern, was vor sechzehn Jahren vorgefallen ist.<< Mit einem lauten Klirren zersprang die Terrassentür und ein riesiger grauer Wolf betrat den Raum. Zähnefletschend und knurrend sprang er auf die große dunkelhaarige Frau, die unter der Treppe stand, zu und fing an, sie mit seinen Reißzähnen zu zerfleischen. Ein ohrenbetäubender Schrei eines kleinen Mädchens hallte durch den Raum.

Bilder der Vergangenheit tauchten vor Shanias innerem Auge auf und dann wurde plötzlich alles schwarz.

>>Hallo? Shania? Hörst du mich?<< Diese Stimme. Shania wusste, dass sie diese Stimme kannte.

Dieser raue männliche Ton, der so dunkel war, dass man am ganzen Körper Gänsehaut bekam, aber dennoch so sanft und wohltuend. Sie spürte, wie eine Hand immer wieder ihr 46

Gesicht tätschelte. Die Hand war so warm und fühlte sich so vertraut an. Sie genoss diese Berührung richtig.

>>Hey! Mach doch die Augen auf! Was ist denn los?<< Shania wollte ihre Augen öffnen, um zu sehen, wer da zu ihr sprach. Plötzlich spürte sie einen stechenden Schmerz in ihrem Kopf und sie war wieder bei vollem Bewusstsein.

Binnen Sekunden war sie auf den Beinen. >>Autsch! So eine Ohnmacht hinterlässt anscheinend Spuren.<< Sie hielt sich ihren Kopf, der unaufhörlich pochte. Mit besorgten Blicken schaute Raven sie an. >>Tut es sehr weh?<< Noch bevor Shania antworten konnte, nahm er ihr Gesicht in die Hand und schaute ihr ganz tief in die Augen. Shanias Herz schlug schneller und ihre Wangen röteten sich. >>Was ist denn passiert?<< Zart streichelte seine Stimme ihre Ohren.

Sie öffnete den Mund, um was zu sagen, doch als er plötzlich immer näher kam, schloss sie ihn wieder. Raven beugte sich immer weiter vor, zog sie weiter an sich heran.

Das Pochen ihres Herzens wurde immer lauter. Sein Geruch umgarnte ihre Sinne. Er roch nach – eigentlich konnte sie gar nicht definieren, wonach er genau roch. Dieser Geruch war so männlich und erinnerte an Freiheit. Einfach unbeschreiblich. Seine wunderschönen Augen blickten tief in die ihren und seine starken Hände umfassten sie leidenschaftlich. Es lag eine tiefe Spannung in der Luft, als er sie küssen wollte. Der Mann, der so sinnlich war, dass es verboten gehörte. Shanias ganzer Körper zitterte vor Verlangen. Sie wollte ihn. Jetzt. Plötzlich schossen ihr 47

tausend Gedanken durch den Kopf. Was tat sie da eigentlich? Er war ein Gestaltwandler und dazu noch das zukünftige Oberhaupt. Ravens Lippen waren nur noch einen Wimpernschlag von ihren entfernt. Nein. Stopp! Mit einem Satz stieß sie in weg, nahm ihre Tasche und hastete zu Tür.

>>Sobald ich Neuigkeiten habe, melde ich mich!<< Schnell stammelte sie diese Worte, bevor sie aus der Tür eilte und den entsetzt blickenden Raven hinter sich zurück ließ.

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Rabengesang

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