Читать книгу Stille aus Liebe - Jannika Lehmann - Страница 10

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3. Scarlett

Mist. Mist, denke ich mir. So etwas Peinliches ist mir in meinem Leben noch nie passiert! Wieso muss mir auch ausgerechnet diese Vase überlaufen und wieso habe ich eigentlich diese Wohnung? Diese bescheuerte Wohnung mit dem Loch in der Badezimmerfliese!

Martin. Mein lieber Martin. Du hättest mich sicher vor dieser Peinlichkeit bewahrt. Ich vermisse dich. Es fällt mir schwer zu atmen, zu leben und zu arbeiten. Lieben kann ich nie mehr. Lieben kann ich nur dich. Immer. Für immer. Ich möchte, dass du das weißt. Möchte, dass du weißt, dass du der beste Verlobte warst. Nein, bist. Du bist mein liebster Verlobter und das bleibt auch so, auch wenn du nicht bei mir sein kannst. Auch, wenn du jetzt nicht neben mir liegen kannst und mich in deinen starken Armen halten kannst.

Ich versinke wieder in meiner Trauer, die mich wie jeden Abend übermannt. Ich versinke in der weißen Bettwäsche. Ich versinke und trauere. Seit zwei Jahren, die sich anfühlen wie ein Tunnel ohne Ende.

Ich lasse meine rechte Hand wandern und ertaste weiches Fell. Prinz liegt neben mir und schnurrt wie eine Schnurrmaschine. Durch seine Nähe weiß ich, dass ich nicht alleine trauere.

In die Stille und Dunkelheit frage ich leise: »Wie geht es dir, mein lieber Prinz?« Ich weiß, dass er mir nicht antworten kann. Und wie es ihm geht, das weiß ich ebenso. Es geht ihm so wie mir. Diese obligatorische Frage habe ich die letzten zwei Jahre zu häufig gehört. Die Leute hofften auf eine positive Antwort. Ich antwortete jedes Mal: Es muss gehen.

Das Leben geht weiter. Nicht nur meines, sondern auch das von Prinz. Ich würde gerne in Prinz‘ Seele hineinschauen und verstehen, warum er trauert. Früher hat mir mal jemand gesagt, Katzen könnten nicht trauern. Doch heute weiß ich, dass das völliger Blödsinn ist. Katzen können trauern. Natürlich können sie das. Nur eben nicht so, wie ich es tue. Prinz liegt den ganzen Tag da und schnurrt. Vor drei Jahren hat er auch schon geschnurrt, nur eben anders. Seit dem einen besagten Tag schnurrt er trauernd. Das merke ich einfach. Prinz spürt ebenso, wenn ich trauere. Schließlich trauern wir um denselben Menschen, den wir beide verloren haben.

Wieder rollen Tränen über meine Wangen und lassen meine Haut brennen. Meine Haut müsste schon längst daran gewöhnt sein. Denn ich weine mich jeden Abend in den Schlaf. Ich weine, weil ich trauere. Ich kann einfach nicht anders und werde damit auch niemals aufhören. Das habe ich mir geschworen. Wenn ich aufhören würde, würde ich aufhören Martin zu lieben. Und das lasse ich niemals zu. Meine Tränen rinnen meine Wangen seitlich herunter und ich schlafe langsam ein.

***

Am Morgen wache ich so auf, wie ich am Abend eingeschlafen bin. Nur meine Tränen auf den Wangen sind getrocknet und haben eine salzige Kruste auf der Haut hinterlassen. Langsam ziehe ich meine Arme aus der Bettdecke und streiche mir erschöpft über das Gesicht. Ich hatte wieder Alpträume. Zu viele.

Ich setze mich auf und sehe, dass Prinz nicht mehr neben mir liegt. Wahrscheinlich hat ihn der Hunger in die Küche getrieben. Um sicher zu gehen, tapse ich barfuß über den kalten Boden ins Wohnzimmer. Und tatsächlich, schmatzend nimmt Prinz ein Stückchen seines Futters aus der Schale. Mit einem kleinen Lächeln über diesen süßen Anblick verschwinde ich im Badezimmer. Wieder gehe ich an dem schwarzen Loch vorbei. Da, wo gestern eine männliche Stimme herauskam. Das ist der Beweis, dass dort unten wirklich jemand wohnt. Während ich mir mit beiden Händen kaltes Wasser ins Gesicht klatsche, denke ich wieder darüber nach, unten doch mal zu klopfen und mich vorzustellen. Aber je mehr ich darüber nachdenke, desto komischer wird es mir dabei. Also wische ich mir mit einem weißen Handtuch das Wasser von meinem Gesicht und damit auch den Gedanken weg. Als ich mir meine Armbanduhr anziehe und kurz darauf blicke, weiß ich, dass ich mich beeilen muss, um rechtzeitig bei der Arbeit zu erscheinen. Auch, wenn ich Candy schon jetzt wirklich mag, kann ich es mir nicht erlauben, schon am zweiten Tag zu spät zu kommen. Deshalb schlüpfe ich hastig in eine Hose und eine orangefarbene Bluse. Keine zehn Minuten später schließe ich meine Haustür ab und mache mich zu Fuß auf den Weg zu dem kleinen Blumenladen in der Innenstadt.

Als ich ankomme, werde ich schon freudig erwartet. »Hallo, Scarlett. Du siehst aber müde aus. Hast du nicht geschlafen?«

Ich presse meine Lippe zusammen, bevor ich sage: »Doch, nur eben nicht so berauschend.«

Kurz darauf fängt mein Bauch schrecklich an zu knurren. Das kommt davon, wenn man nicht rechtzeitig aufsteht und keine Zeit für ein Frühstück hat, denke ich mir im Stillen. Schnell blicke ich beschämt auf den Boden.

»Scarlett, hattest du etwa keine Zeit zum Frühstücken?« Sie hat mich tatsächlich durchschaut.

Schnell schüttle ich den Kopf und blicke sie verlegen an.

Candy legt ihren Kopf schief und meint: »Dann kauf dir schnell ein Gebäck um die Ecke. Neben der Oper ist eine gute Bäckerei!«

Candy ist einfach zu lieb zu mir. Eigentlich ist sie meine Chefin, obwohl es mir anders vorkommt. Denn irgendwie ist sie mehr als das.

»Das kann ich nicht annehmen, schließlich beginnt jetzt die Arbeitszeit«, sage ich, auch wenn ich insgeheim dankbar wäre wenigstens ein kleines Frühstück zu haben.

Candy legt ihre Blumen aus der Hand und schiebt mich Richtung Ausgang. »Du weißt wo die Oper ist, oder?«

Ich nicke.

»Dann kauf dir schnell was und bringe mir etwas mit!« Sanft schubst sie mich aus der Tür heraus und ich muss grinsen. Candy ist ja mal eine sowas von entspannte Chefin. Das muss ich ihr lassen.

Rasch laufe ich die kleine Straße hinunter und biege rechts ab, wo sich die Oper und das kleine Café befinden.

»Zwei Kürbiskern-Bagel, bitte.« Eine kleine Dame hinter der Theke nimmt meine Bestellung freundlich auf. Aus meinem Geldbeutel nehme ich zwei Münzen und lege sie auf die Theke. »Vielen Dank«, sagt die Frau und ich nehme die Papiertüte mit dem Gebäck. Daraufhin grummelt mein Magen schon wieder. Innerlich raune ich ihm zu: »Gleich bekommst du etwas zu essen.«

Ich laufe wieder zu meiner Arbeit im Laden. Da grummelt mein Bauch erneut. Sollte das ein Dankeschön sein? Da muss er wohl Candy danken. Mit der rechten Hand öffne ich die Glastür zum Blumenladen. »Kürbiskern-Bagel. Ich hoffe das magst du.«

Ich trete ein und die Tür fällt hinter mir zu. Candy grinst frech, als sie hört, was ich mitgebracht habe. »Die Bagel liebe ich.«

Da habe ich perfekt ihren Geschmack getroffen, freue ich mich und schmunzle.

Gemeinsam setzen wir uns hinter die Theke, auf der links und rechts verschiedenste Blütenstängel aus gigantischen Vasen rasen.

Ich beiße in das Gebäck und in diesem Moment kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt ein so schönes Frühstück hatte. Wie in einem Märchenland sitze ich mit einem frischen Kürbiskern-Bagel zwischen duftenden Blumen in den strahlensten Farben. Außerdem bin ich nicht allein. Nein, ich sitze hier mit der scheinbar sympathischsten und lockersten Chefin, die ich mir je hätte erträumen können. Ich kann gerade nicht sagen, wie dankbar ich meiner Therapeutin und meiner Mutter bin, die mich dazu gebracht haben in diese gemütliche kleine Stadt zu ziehen.

»Erzähl mir doch ein wenig von dir!«, fordere ich Candy mit vollem Mund auf.

Kess schmeißt die ihre langen roten Haare über die Schulter, um mich besser anblicken zu können. »Was willst du hören?«

Ich schiebe meine Unterlippe vor uns zucke mit den Schultern. »Irgendetwas über dich oder dein Leben. Ich weiß nur von dir, dass dir der Blumenladen gehört und dass du irgendwo hier in Silverstain lebst.«

Ich sehe, dass sie einen Bissen nach unten schluckt, um zu antworten. »Stimmt, diese beiden Punkte sind eindeutig zu wenig. Über mich gibt es viel zu erzählen. Womit fange ich an?« Sie kratzt sich hörbar am Kopf. »Ach, weißt du was, komm doch einfach nach der Arbeit mit mir nach Hause. Wir essen gemeinsam Abend.«

Ich zögere kurz. Ich weiß nicht, ob ich dazu abends in Stimmung bin.

»Ach, komm, Scarlett, auch du brauchst deinen Spaß im Leben, sonst rostest du mir ein.«

Ich rümpfe meine Nase. Candy hat irgendwie Recht, auch wenn ich es mir nicht so recht zugestehen will, Spaß ohne Martin zu haben. »Na gut«, gebe ich schließlich nach.

***

»Hübsches Haus«, sage ich zu Candy, als sie ihre Haustür aufschließt.

»Danke«, meint sie. »Es gehört meinem Mann.«

Ich wusste nicht, dass sie verheiratet ist, da sie keinen Ring trägt.

Hätte nicht dieser eine Augenblick mein Leben schlagartig verändert, könnte ich nun stolz einen Hochzeitsring tragen. Für einen Moment drohe ich in das Trauerloch zu fallen, doch eine fröhliche Stimme reißt mich aus den Gedanken. Ein kleines Mädchen im rosa Pulli hüpft im Eingangsbereich vor mir auf und ab. »Hallo, Scarlett, Papa und ich haben gekocht. Extra viel sogar.«

Als ich ihre roten Haare erblicke, weiß ich sofort, dass es nicht irgendein Mädchen ist. Ich sehe zu Candy, die gerade ihre Schuhe auszieht. »Du hast eine Tochter?«

Sie nickt stolz. »Nicht nur eine, Scarlett.« In diesem Augenblick, kommt noch ein Mädchen in den Flur, allerdings in einem grünen Pulli. Es sieht so aus, wie das Mädchen im rosa Pulli.

»Zwillinge!«, rufe ich erstaunt.

»Madame Grün, sag du mal deinen Namen«, fordert Candy das eine Mädchen auf, das mit einer piepsigen Stimme meint: »Ich bin Ava. Und das da ist Mia.« Sie tippt auf den rosa Pulli ihrer Schwester.

»Dann zeigt Scarlett doch mal unser Esszimmer.« Brav gehorchen die beiden Mädchen und sie hüpfen vor. Candy und ich folgen ihnen. Im Esszimmer lerne ich Candys Mann kennen. Brian. Er ist nett. Und zu dritt führen wir beim Essen unterhaltsame Gespräche. Wir tauschen uns über unseren Tag aus, erzählen wie es uns geht und lachen über einige kleine Dummheiten, die Ava und Mia anstellen. Als ich erwähne, dass ich einen Kater namens Prinzen habe, bekommen die beiden Mädchen leuchtende Augen. Wohl zwei große Katzenfans, denke ich mir. Geduldig beantworte ich jede Frage der beiden. Sie interessieren sich für die Fellfarbe, die Augenfarbe und ja, sogar für die Farbe von Prinz‘ Nase. Ich finde es unglaublich süß, wie die beiden mich über meinen Kater ausfragen.

Während Candy die vielen Fragen langsam unangenehm findet, zwinkere ich ihr zu, damit sie weiß, dass ich die Fragen gerne beantworte.

Als den beiden plötzlich stumm dasitzen, muss ich natürlich noch das köstliche Essen von Brain loben. Es war mit Abstand die beste Pizza, die ich je gegessen habe. Und durch die Tatsache, dass ich sie mit einer so lieben Familie um mich herum verdrückt habe, hat sie noch ausgezeichneter geschmeckt.

Ich bin wirklich dankbar für den Abend, den ich nicht alleine verbringen musste.

Irgendwie fühle ich mich auch geehrt Candys Familie kennenlernen zu dürfen. Erstens ist sie meine Chefin und zweitens arbeiten wir erst seit kurzen zusammen.

»Danke für den Abend«, sage ich zu Candy, als sie mich an der Tür verabschiedet. Ich winke Ava und Mia, den süßesten Zwillingen denen ich je begegnet bin, noch zu. Dann mache ich mich auf den Weg nach Hause. Ich gehe an der Oper vorbei, weil dort der Weg kürzer ist, als an der großen Straße. In der Oper brennt Licht und ich kann leise Musikfetzen aufschnappen.

Genug um zu erkennen, dass es genau das Lied ist, welches Martin mir so oft auf seinem Cello vorgespielt hat.

Wild Soul in Love. Ich liebe dieses Lied, Martin. Immer wenn ich es höre, muss ich an dich denken. Du hast es so wunderbar auf deinem Cello gespielt, dass ich jedes Mal von Gänsehaut übersät war - so schön war es.

Ich spüre, wie mir eine Träne aus den Augen läuft. Nein, nicht schon wieder, denke ich. Ich kann es nicht steuern. Die Trauer kommt dann, wann sie will, und sie wächst auf ein Maximum, bis sie mir die Kehle zuschnürt.

Zu Hause hoffe ich, dass mich Prinz aus dem Loch der Traurigkeit retten kann, doch der schläft schon friedlich.

Schließlich hat mich die Trauer so dermaßen im Griff, dass ich nicht anders kann und die Flasche Wodka aus dem Kühlschrank hole. Ich nehme einen Schluck und kippe zur Sicherheit noch ein paar hinterher.

Ich weiß nicht mehr, wie lange ich dort auf dem Sofa gesessen habe. Aber lange genug, denn als ich am Morgen am gleichen Platz verkatert aufwache, als sei ich auf der Party meines Lebens gewesen, ist die Flasche Wodka leer. Scheiße, das wollte ich doch nicht. Schnell stelle ich sie in den Schrank in der Küche, in dem sich auch mein Mülleimer befindet.

Ich bin gerade angezogen, da klingelt es an meiner Tür. Der Blick durch den Spion verrät mir, dass es meine Mutter ist. Hastig reiße ich die grüne Tür auf. »Mom, was machst du denn hier?«

Sie umarmt mich liebevoll. »Dich besuchen, das siehst du doch.«

Das hier ist der denkbar schlechteste Zeitpunkt, um mich zu besuchen. Dennoch freue ich mich, schließlich ist sie extra eine Stunde hierhergefahren, um mich zu sehen.

Während meine Mutter auf dem grünen Sessel sitzt, mache ich ihr eine Tasse Kaffee. Ich höre das Geräusch, wie der Kaffee durch den Filter läuft und warte davor. Mit jedem Tropfen, der in die Tasse fällt, klopfe ich mit meinem rechten Zeigefinger auf die Arbeitsplatte der Küche.

Der Alkohol vernebelt mir immer noch die Sinne und ich kann noch nicht mal den sonst so intensiven Geruch des Kaffeepulvers riechen. Die Sache von gestern Abend geht auch an meiner Mutter nicht spurlos vorbei. Als ich ihr eine Tasse Kaffee reiche, fragt sie: »Scarlett, sag mal, bist du hierhergezogen, um heimlich zu trinken?«

Ich lege ihr meine freie Hand auf die Schulter. Mit der anderen halte ich meine Tasse fest. »Nein, ganz und gar nicht. Ich habe nur die Flache in meinem Küchenschrank endlich leer gemacht. Außerdem war das deine Idee hier her zu ziehen.«

Nun blickt mir meine Mutter von unten fest in die Augen. »Ich hoffe nur sehr, dass da nicht mehr allzu viel drin war. Und ja, tatsächlich, das war meine Idee. Ich bin mir nur unsicher, ob das eine gute oder eine schlechte Idee war.«

Ich schüttele schnell den Kopf, um sie zu beruhigen. »Nein, das war nur ein kleiner Rest«, lüge ich. Verdammte Scheiße, die Flache gerademal bis zur Hälfte leer, aber das sage ich meiner Mutter lieber nicht.

Ich setze mich auf den roten Sessel. »Musst du heute nicht arbeiten, Scarlett?«

»Nein, Mom. Heute habe ich frei.« Zum Glück. Verkatert bei der Arbeit zu erscheinen, wäre sicher kein Spaß gewesen.

»Schade. Ich hätte dich gerne zur Arbeit begleitet und mir Silverstain etwas genauer angesehen.« Sie schlürft an ihrer Tasse.

Nach unserer Tasse Kaffee entscheiden wir uns, spazieren zu gehen. Schließlich kennen wir Silverstain beide nicht besonders gut. Wir wollen uns gerade anziehen, da sagt meine Mutter: »Ach, Scarlett.« Ich halte inne und sehe sie an. »Du hättest dich ruhig mal bei dem netten Nachbarn aus dem ersten Stock vorstellen können.«

Ich muss mich verhört haben! »Du hast mit meinem Nachbarn gesprochen?«, frage ich zur Sicherheit nach.

»Ja, mein Liebes, er ist wirklich sympathisch. Er hat mir netterweise die Tür unten geöffnet. Dort unten gibt es nicht mal eine Klingel.«

Meine Mutter ist aber auch wirklich verwöhnt. Man muss schon zwei Treppen gehen können, um bei mir zu klingeln. Ein Aufzug hat das alte Haus sowieso nicht. »Die Tür ist aber unten immer offen«, wundere ich mich.

»Nein, mein Liebes, die Tür klemmte wohl. Du bist aber auch in ein altes Haus gezogen!« Ich rolle mit den Augen.

»Aber sag doch, warum hast du Bennett nicht gesagt, dass du nun über ihm in die Wohnung gezogen bist? Er ist ein wirklich gutaussehender junger Mann.«

Bennett heißt er also. Der Mann mit dem Loch in der Decke. Irgendwie haben wir etwas gemeinsam. Ein Loch in der Wohnung. Ich in der Fliese am Boden, er in der Decke. Gut, dass meine Mutter von diesem Makel keinen blassen Schimmer hat. Aber nein, soweit darf es nicht kommen. Ich kann und will diesen Bennett nicht kennenlernen. Meine Mutter möchte, dass ich nicht mein Leben lang alleine bin, da kommt so ein gutaussehender, junger Nachbar gerade recht. Aber das kann sie vergessen. Eher friert die Hölle zu.

***

Als ich abends im Bett liege und meine Mutter wieder gefahren ist, starre ich an die weiße Decke. Ich spüre ein Trockenheitsgefühl in meinem Mund und will, bevor ich schlafe, noch einmal ein wenig Wasser trinken. Also wälze mich aus den weißen Bettlaken und öffne vorsichtig die Badezimmertür. Als ich zum Wasserhahn gehen will, raschelt etwas an meinem Fuß. Da ich kein Licht brennt, kann ich nicht sehen, woher das Geräusch stammen muss.

Schnell trinke ich einen Schluck aus meinem Zahnputzbecher und schalte die kleine Lampe des Spiegels über dem Waschtisch an. Ich schaue auf den Boden und erstarre für einen Moment. Liegt da wahrhaftig ein Zettel neben dem Loch in der Fliese oder irre ich mich? Ich stütze mich in der Hocke, um sicherzugehen. Und tatsächlich, ich hebe ein kleines, gefaltetes Blatt Papier auf. Ist das etwas von ihm? Also von, von dem, wie heißt er gleich nochmal? Von Bennett, dem Nachbarn, mit dem meine Mutter schon Bekanntschaft gemacht hat? Meine Güte Scarlett, von wem soll er denn sonst sein! Neugierig, aber dennoch mit einem mulmigen Gefühl, falte ich das Papier auf.

Deine Mutter hatte Recht, du hättest dich wirklich mal vorstellen können

Ich muss schmunzeln. Vielleicht hat sie wirklich Recht. Ich überlege kurz ihm einen Antwortzettel nach unten durch das Loch fallen zu lassen, doch die Müdigkeit lässt dies nicht mehr zu. Deshalb vertage ich das Vorhaben kurzerhand auf morgen.

Stille aus Liebe

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