Читать книгу Stille aus Liebe - Jannika Lehmann - Страница 12
Оглавление5. Scarlett
Erst diese dunkle Stimme, dann dieses elektrisierende Lachen. Bennett klingt so männlich.
»Wie kann ich das Verhalten meines Freundes wieder gut machen?«, fragt er von unten.
Ich lehne an dem Rand meiner Badewanne und spüre die Kalten Fliesen an meinem Hintern. »Keine Ahnung«, sage ich zurückhaltend. »Du musst eigentlich gar nichts wieder gut machen, dein Freund sollte dafür zuständig sein.«
»Ich kann dir etwas auf meinem Cello vorspielen.«
Ich muss schlucken. Er spielt Cello. Als Sekunden später aus dem Loch in der Fliese Musik ertönt, erstarre ich. Er spielt ein Lied. Nein, er spielt genau das Lied. Wild Soul in Love. Es dauert nur einen Bruchteil einer Sekunde bis ich mich wieder erinnere. Es ist das Stück, das ich letztens aus der Oper herausgehört habe und was Martin für mich immer auf seinem Cello gespielt hat. Die Musik lässt meinen Boden vibrieren, mit jeder Note erschüttert es mich, als würde mich ein Hurrikan überrollen. Mit jedem Ton, den er spielt, schmerzt mein Inneres, als würde jemand mit Nadeln in meiner Seele stechen.
Ich sitze in einem luftigen Sommerkleid auf unserer Gartengarnitur und sehe Matin zu, wie er sein Cello hält und spielt. Er spielt das Lied, was ich liebe. Wild Soul in Love. Er sitzt da und spielt. Ich sitze da und versinke in der Welt der Klänge. Die wunderschönsten Klänge, die ich kenne. Klänge, die meine Ohren aufnehmen und sich über meinen ganzen Körper hinweg verbreiten. Sie erzeugen ein Vibrieren und ich genieße es. Martin hat seine Augen geschlossen. Er kennt das Lied in und auswendig und braucht keine Noten. Ich kenne die Klänge des Liedes so gut wie kein anderes Lied. Es ist unser Lied. Unser Liebeslied. Wir haben es das erste Mal auf einem kleinen Straßenkonzert gehört. Ein alter Mann hat es auf seinem Cello gespielt. Und wir, wir haben uns dabei das erste Mal geküsst. Wir haben uns mit jedem Ton mehr ineinander verliebt. Und nun ist er nicht mehr da. Du, Martin, bist nicht mehr da und ich vermisse dich.
Ich sitze da, in meinem Badezimmer und höre wie ein anderer Mann dieses Lied für mich spielt. Ich will in der Dunkelheit schlafen. Nichts mehr hören. Das Lied weckt bei mir Erinnerungen, die mir gerade die Kehle zuschnüren und die Luft nehmen. Um nicht den Halt zu verlieren, halte ich mich mit einer Hand am Rand der Badewanne fest.
Trauer.
Ein schwarzes Loch. Eins, das dich immer weiter nach unten zieht.
Jemanden zu vermissen ist schon ein mieses Gefühl, aber um jemanden zu trauern, ist einfach schrecklich. So. verdammt. Schrecklich.
Zu wissen, diesen Menschen nie mehr sehen oder in die Arme schließen zu können, zerbricht mir mein Herz in tausend Teile.
Ich will schreien. Bin dafür aber zu erschöpft.
Ich will laufen. Aber meine Beine schaffen es aber nicht, mich zu tragen.
Ich will hier raus. Raus aus dem schwarzen, tiefen Loch.
Ich will zu dir.
Ich vermisse dich.
Ich brauche dich so sehr.
So sehr wie noch nie.
So sehr.
Und das tut weh. So weh.
Wenn ich könnte, würde ich mein Leben zurückspulen und anschließend anhalten. Anhalten, weil ich nicht will, dass es ohne dich weiter geht.
Aber verdammt. Es geht weiter. Egal, was ich mache. Egal, was ich will…es geht weiter.
Ohne dich.
Ich brauche dich. Aber du bist nicht da und kannst das nie wieder sein. Und das, genau das, lässt mein Herz in tausende Stücke zerspringen.
Gerade spielt er den letzten Ton und ich bemerke, wie dringend ich frische Luft brauche. »Scarlett?«, ruft Bennett, doch ich bleibe stumm, denn ich kann nichts sagen. Nicht jetzt.
»Gute Nacht, Scarlett.« Er vermutet wohl, ich wäre eingeschlafen, obwohl es nicht Abend ist. Gut so, denke ich mir und schleiche mich leise davon. Erschöpft lege ich mich auf mein Bett. Prinz kommt direkt dazu.
Die Zimmerdecke dreht sich vor meinen Augen und mir wird ganz schwindelig. Doch ich unternehme nichts gegen dieses unangenehme Gefühl. Dazu habe ich keine Kraft mehr.
Nach einer Weile stehe ich wieder auf, um das Fenster zu öffnen. Ich hoffe auf kalte Luft, die mein vom Weinen überhitztes Gesicht abkühlt. Und tatsächlich. Ein kühler Wind weht mir ins Gesicht und meine kastanienbraunen Haare fallen mir vor meinen Augen. Mit einem Finger wische ich sie zur Seite.
Ich blicke nach draußen. Der Fluss, der parallel zu meiner Wohnung verläuft, rauscht und ein paar Enten streiten sich im Wasser, um ein Stückchen Brot. Der kleine Schotterweg, der sich am Flussufer erstreckt, ist am Rand mit alten Kastanienbäumen bepflanzt. Diese grenzen den Fußgängerweg von der für Autos zugelassenen Straße ab. Die Kastanienblätter färben sich rot, orange und gelb, und bei jedem Windstoß segeln ein paar von den Ästen und landen gemächlich auf den Steinen. Als ich beobachte, wie eine Ente hinter einem Baumstamm auftaucht und ihr ein vertrocknetes Blatt von oben auf dem Kopf landet, muss ich schmunzeln.
Für diesen Moment habe ich den Hurrikan aus der Vergangenheit hinter mir lassen können. Zutiefst hoffe ich, dass er mich für eine Zeit in Ruhe lässt, aber dafür muss mein Nachbar sich ebenfalls von dem Loch in seiner Decke und somit auch von mir fernhalten. Er erinnert mich mit seiner Stimme und seinem Cello zu sehr an Martin.
Ich gehe in die Küche, um mir etwas zu kochen. Ein Blick in den Kühlschrank verrät mir, dass ich dringend einkaufen gehen muss. Dennoch finde ich nach langer Suche in meinem Gemüsefach eine Süßkartoffel. Kurzer Hand habe ich sie geschält, in kleine Stücke geschnitten und in den Backofen gestellt. Als ich mir gerade noch eine Zitrone für eine selbstgemachte Limonade auspressen möchte, klingelt es an meiner Tür. Hoffentlich ist es nicht schon wieder meine Mutter, denke ich mir auf dem Weg zur Tür.
Zu meiner Überraschung ist es meine Schwester.
»Hey, Scarlett.« Sie wirkt schüchtern und blickt verlegen auf den Fußabstreifer, der direkt vor meiner Türschwelle positioniert ist.
»Hey, Laila. Was machst du denn hier?« Ich sehe sie mit schiefgelegtem Kopf an, um ihr in die Augen sehen zu können.
Endlich sieht sie hoch und an ihren starken Augenringen kann ich erkennen, dass sie schon länger nicht mehr durchgeschlafen haben muss.
Sie seufzt schwer. »Chase hat mit mir Schluss gemacht.«
Ich schließe für einen kurzen Moment die Augen und stelle mir vor, wie ich die Beiden letztens noch überglücklich in einem Café gesehen habe, als ich in Beyform einen Spaziergang gemacht habe. Sie waren ein wirklich süßes Paar und waren aus meiner Sicht, wie für einander gemacht.
»Das tut mir leid. Aber kommt doch erst einmal herein, dann kannst du mir alles erzählen.« Ich wollte ihr in dieser Situation definitiv nicht das Gefühl geben, wenig Zeit für sie zu haben und nur zwischen Tür und Angel reden zu können.
»Danke.« Sie betritt zögerlich die Wohnung, als wüsste sie nicht so recht, ob es eine gute Idee war, zu mir zukommen.
»Wieso bist du überhaupt zu mir und nicht zu unseren Eltern gegangen?« Es war schließlich eine Stunde Autofahrt, um zu mir zu kommen.
»Sie waren nicht zu Hause«, meint sie kurz und schlüpft aus ihren Boots heraus, die sie unordentlich vor der Tür stehen lässt. Auch wenn sie verändert wirkt, ihre unordentliche Ader hat sie wohl nicht abgelegt. Früher hat es mich zwar immer ziemlich aufgeregt, wenn sie wieder in ihrem Chaos versank, doch nun bin ich insgeheim froh über ihre Unordnung, denn sonst hätte ich sie wahrscheinlich nicht wiedererkannt. Sie lässt sich auf dem roten Sessel nieder und stellt ihre Tasche, die mir bislang nicht aufgefallen ist, mit einem dumpfen Geräusch neben sich auf den Boden. Die geblümte Sporttasche ist sehr groß und so wie es von außen aussieht, ziemlich prall gefüllt.
»Wie lange willst du bleiben?«, frage ich skeptisch.
Sie winkt ab. »Nur diese eine Nacht.« Ich nicke langsam und gehe zum Ofen, der ein Piepsen von sich gibt. Die Ofenkartoffeln sind fertig. »Willst du auch Kartoffeln?«, frage ich.
»Nein, danke.«
Dann ist es still. Also nicht. Schade, ich hätte gerne geteilt, weil ich mir eindeutig zu viel gemacht habe. Zumindest habe ich dann morgen auch noch ein Mittagessen, denkt sich mein optimistischer Teil meines Verstands, der seit zwei Jahren nur noch selten an die Oberfläche taucht.
Ich komme mit meiner halben Portion Süßkartoffel und zwei Gläsern selbstgemachter Limonade aus der Küche heraus. Doch zu meiner Verwunderung sitzt Laila nicht mehr auf dem Sessel.
Ich stelle die Gläser und die Schüssel auf dem kleinen Marmortisch ab und sehe nach, wo Laila geblieben ist. Als ich mein Schlafzimmer betrete, steht die Badezimmer-Tür auf und ich höre Lailas Stimme.
»Laila?« Sie sitzt tatsächlich da, wo ich vor rund zwei Stunden noch saß. An die Badewanne gelehnt neben dem Loch. Sie wirkt wie ausgewechselt. »Scarlett, du hast mir gar nicht erzählt, dass du dich mit so einem netten Nachbar über eine wirklich außergewöhnliche Weise unterhalten kannst!«
Ich verdrehe genervt die Augen. Dann zerre ich sie schnell aus dem Badezimmer und schließe schnell die Tür, damit Bennett uns nicht hören kann. »Laila, bist du von allen guten Geistern verlassen? Du kannst dich doch nicht einfach mit meinem Nachbar unterhalten!«, schreie ich wütend. Ich wollte Abstand von Bennett halten, doch Laila macht alles kaputt. Mit ihrem Verhalten drängt sie mich zu Kontakt mit Bennett. Doch das ist genau das Gegenteil von dem, was ich will.
»Wieso? Habt ihr zwei was miteinander?«, fragt die belustigt.
Ich schaue sie verwirrt an. »Nein, natürlich nicht.«
Sie sieht mir angriffslustig in die Augen. »Und wieso darf ich mich dann nicht mal unterhalten?«
Ich presse meine Lippen aufeinander und ignoriere ihre Frage gekonnt. »Über was habt ihr geredet?«, frage ich stattdessen. Ich will nicht, dass Laila irgendeinen schlechten Eindruck bei Bennett hinterlässt. Nicht, weil ich auf irgendeine Beziehung aus bin, sondern lediglich meinen Neuanfang hier in Silverstain nicht vermasseln will.
Sie zieht ihre Augenbrauen nach oben und runzelt gleichzeitig die Stirn, was sehr merkwürdig aussieht.
»Ich habe nur erzählt wer ich bin. Mehr nicht.« Sie macht eine kurze Sprechpause, um zu schlucken. »Sag mal, bist du eifersüchtig? Oder warum reagierst du so energisch. Dir würde eine neue Beziehung nicht schaden, damit du wieder herunterkommst.«
Neue Beziehung, als wäre das ein Ding, was man sich bei einem Totalschaden einfach neu kaufen kann wie bei einem Auto. Martin, dich gibt es nicht neu.
Ich schnappe nach Luft und schiebe meine Schwester unsanft ins Wohnzimmer.
»Wer von uns muss wieder runterkommen? Ich sicher nicht.« Ich bin nun wirklich sauer und mein Blut kocht vor Wut, weil Laila so unsensibel auf meine Lebenssituation reagiert.
Doch Laila ignoriert es gleichgültig. »Deine enorme Stressanfälligkeit kommt sicher von Sexentzug.« Sie setzt sich mit einem eiskalten Blick wieder auf den roten Sessel, während ich mit in die Hüften eingestemmten Arme vor ihr stehen bleibe. Gnadenlos nimmt sie sich einfach die Schüssel mit den Kartoffel-Stückchen, sticht sie mit der Gabel auf und schiebt sie sich wie selbstverständlich in den Mund.
»Das sagt die, die gerade von ihrem Freund verlassen wurde. Euer Sex war dann wohl auch nicht so wahnsinnig grandios.« Meine Nasenflügel bewegen sich leicht nach außen. Das tun sie immer, wenn ich vor Weißglut koche.
Scheppernd stellt sie die Schüssel wieder auf den kleinen Marmortisch und schnappt sich ihre Tasche. Mit einer übertriebenen Arroganz verlässt sie wortlos die Wohnung. Sie war schon immer Sprunghaft und in ihrem anfänglichen Liebeskummer habe ich mich wohl getäuscht.