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Als Auge den HSV besiegte


Marc Hindelang

geb.: 1967

Sportkommentator

Fan des FC Bayern München

Augenthaler. Klaus Augenthaler. Allein schon der Name verkörperte die Urgewalt dieses Mannes. Obwohl mein Lieblingsspieler ja Udo Horsmann war, der aus der Sicht eines 13-Jährigen modernste Linksverteidiger seiner Zeit, was Bundestrainer Jupp Derwall aber dummerweise konsequent ignorierte und auf den soliden aber doch eher langweiligen Bernard Dietz setzte. Wahrscheinlich fand ich deshalb auch diesen Witz so großartig: »Welches Säugetier hat keine Ahnung von Fußball? Jupp, der Wal.« Brüller.

Augenthaler war der Lieblingsspieler meines besten Freundes Th omas – und kam auch in jeder Radio-Reportage von Gerd Rubenbauer vor: »Weiter Schlag von Augenthaler« gehörte zu den von Rubenbauer mit dröhnender Stimme meistbeschriebenen Spielzügen dieser Zeit. Ja, der Auge. Filigran war er nicht. Aber der Hauptdarsteller am 27. September 1980.

Endlich konnte ich ihn und Udo Horsmann live sehen, und natürlich Kalle Rummenigge und Paul Breitner. Hatte auch lange genug gedauert. Sechs Jahre vom Fan-Werden bis zum ersten Stadionbesuch. Aber München war vom Bodensee aus so gut wie unerreichbar. Die Fahrt, die heute in nicht einmal eineinhalb Stunden zu bewältigen ist, dauerte im autobahnlosen 1980 mehr als doppelt so lange. Samstags hatten wir zudem meistens selber unsere Jugendspiele – und wer lässt seine eigene Mannschaft schon gerne im Stich. So war es bis dahin eine Fernbeziehung über die »Sportschau« und »Heute im Stadion«.

Irgendwann gelang es, die Geschichte organisatorisch hinzubekommen. Th omas hatte für dasselbe Spiel Tickets wie ich, sein Vater fuhr uns den langen Weg nach München, während wir in Fachgespräche (Augenthaler, Horsmann …) vertieft waren. Am Stadion trennten sich unsere Wege, da ich mit meinem in der Nähe von München lebenden Großvater verabredet war, der mich ins Stadion begleitete. Das war einerseits schade, denn Thomas konnte an diesem Tag schon in die Südkurve. Und Großväter stehen bekanntlich eher ungern in Fankurven. Man hat als 13-Jähriger auch nicht mehr die kindliche Beziehung zum Opa – aber großen Respekt vor dem Mann, der kein Fußballer war, aber lange ein hohes Tier beim Bayerischen Leichtathletik-Verband, bei den Olympischen Spielen 1972 sogar oberster Wettkampfrichter der Leichtathletik war. Außerdem war er Ende der 1920er Jahre Deutscher Meister in der 4x100-Meter-Staffel – der höchste jemals in der Familie erreichte sportliche Titel. Er war also Sportler durch und durch und hörte meinen Fachvorträgen interessiert zu – und er kannte sich hier bestens aus. Könnte es also einen besseren Begleiter in dieses Ambiente geben? In das gelobte Land? Olympiastadion München. Dieses zauberhafte architektonische Meisterwerk. Zumal an diesem Tag. Ausverkauft, Stimmungsvoll schon im mit bunten Menschen gefüllten Olympiapark, denn es war das Top-Spiel. Der Erste gegen den Zweiten. Bayern gegen den HSV. Die Top-Teams mit den Stars der Bundesliga. Sogar der Schiedsrichter war einer. Hätte ich ohne Walter Eschweiler jemals erfahren, dass eine Stadt namens Euskirchen existiert?

Es war zu verschmerzen, dass wir die Szenerie nicht von oben sehen konnten, weil die Schlange am Olympiaturm endlos lang war. Der Erwerb einer Stadionwurst war zudem auch dringender. Ich kann nicht mit Gewissheit sagen, ob sie damals schon von Uli Hoeneß’ Fabrik produziert und geliefert wurde, aber dass sie ihr ordentliches Geschmacksniveau die kommenden Jahre halten sollte, selbst bei Spielen gegen Darmstadt 98 vor 11.000 Zuschauern. Wobei meine Theorie lautet, dass der Geschmack der Wurst sich dem Erlebnis anpasst. Die Mischung aus Vorfreude und Anspannung, aus der Hoffnung auf ein schönes Erlebnis und der Angst vor einer Niederlage machen den klassischen Geschmack der Stadionwurst aus. Das Event, und das heißt: »Ich sehe meine Mannschaft heute live«, isst sozusagen mit.

Zumal, wenn man das Stadion von innen sieht. Wer nie dort war, dem sei erklärt, dass man das Olympiastadion praktisch vom oberen Rand aus betritt und in diesen weitläufigen Kessel mit seinen grünen Schalensitzen hinunterschauen kann. An einer Seite überspannt mit diesem gigantischen Zeltdach, die – aus heutiger Sicht – Retro-Anzeigetafeln mit den analogen Uhren und überall diese lustigen Piktogramme. Natürlich drängte ich den Großvater, den etwas weiteren Weg an der Südkurve vorbei zu gehen. Bayern-Kutten, Schals, Fahnen, alles Rot-Weiß. Zugegeben: Während des Spiels schlich schon der eine oder andere wehmütige Blick dorthin. Aber Haupttribüne Mitte war für das Bundesliga-Debüt ja auch kein so schlechter Platz und das Spitzenspiel spannend. Horsmann spielte eher unauffällig, was schade war. Denn Jupp Derwall saß wenige Reihen von mir entfernt. Ich hätte ihn gerne gefragt, was das mit Bernard Dietz denn sollte. Aber gegen den Kapitän der Europameister-Mannschaft zu argumentieren wäre nicht einfach geworden. Augenthaler hatte Horst Hrubesch im Griff, dafür setzte sich Rummenigge häufig gegen Ditmar Jakobs durch. Nach einer Stunde konnte er dann auch den überragenden HSV-Torwart Jupp Koitka überwinden. Ein Hammer vom Sechzehner, ein Jubelorkan, ein rot-weißes Fahnenmeer. Glückseligkeit. Fünf Minuten lang. Bis ausgerechnet Augenthaler (!) den Torwart Manni Müller umrannte und dem blonden Werner Dreßel das 1:1 auflegte. Andere hätten den Kopf hängen lassen. Aber nicht Auge. Nicht mal nachdem er freistehend vergeben hatte. Kurz vor Schluss kam sein großer Auftritt: Flanke von Edeljoker Norbert Janzon – Auge steigt hoch und wuchtet den Ball mit dem Mittelscheitel zum Siegtreffer ins Netz. Mein einziger Sieg in dieser Saison – denn die anderen vier Spiele, die ich noch sah, endeten 1:1. Aber da konnte ich endlich mit Thomas in der Südkurve stehen, da sich sein Vater netterweise als zuverlässiger Chauffeur anbot. Und Meister wurden wir trotzdem. Weil Augenthaler den HSV besiegt hatte.

Mein erster Stadionbesuch

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