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Vorwort

Natürlich kennen Sie mein Stadion. Sie müssen es kennen. Für mich war es die Welt. Es war das bekannteste Stadion der Erde, ach was: Es war das berühmteste Stadion im Universum. Mindestens.

Meine Welt lag direkt an der großen Durchgangsstraße, im Industriegebiet, am Park, mitten in unserem Wohnviertel. Es war sicher verstaut zwischen Schwimmbad und diesen roten Ascheplätzen, wo man aufschlug, um Tennis zu spielen. Zwischen den schmucklosen Schnäppchenparadiesen, die Ausgangspunkt manch Einkaufsmarathons waren und der Leichtathletik-Anlage, wo viele große Sprünge in den Sand gesetzt wurden.

Und soll ich Ihnen etwas sagen? Ich war verdammt stolz auf diesen schönsten Platz der Erde. Wann immer ich daran vorbei kam, pochte das Herz. Ich passierte es täglich. Im Zug, per Auto, mit dem Rad, zu Fuß. Je nachdem von wo man kam, war es der Stadt Anfang oder deren Ende. Es war mein Morgen und mein Abend, mein Start und mein Ziel, mein Herz und meine Seele, mein Ein und mein Alles. Mein erster Kuss. Mein Stadion.

Es war ein magischer Ort. Einer, der mich auf dem Rasen stehen ließ, bestaunt von den vielen Menschen drumherum. Ich sah mich Pässe schlagen, Gegner ausspielen, Tore schießen, in Armen liegen, Meisterschaften feiern, Pokale stemmen. Es war ein Traum. Mein Stadion. Manchmal war es auch ein Albtraum.

Dieser Ort hat hatte alles, was er brauchte, kein bisschen mehr. Er hatte Mystik und Geschichte, er hatte Freude und Verzweiflung, er hatte aufgeplatzte Bratwurst für einsfuffzig. Und viel Senf dazu. Er hatte Mett-, Fisch-, Wurstbrötchen, manchmal Pommes und immer schlecht gezapftes Bier in durchsichtigen Plastikbechern. Er hatte keine Loge, keine VIP-Area, keine Ordner in gelben Jacken. Geparkt wurde, wo Platz war. Nichts war kompliziert inmitten lauter einfacher Menschen, deren Herzen ballrund zu sein schienen. Eigentlich hatte er nichts. Gar nichts. Außer diesem Spiel. Diesem alle und alles bezaubernden Spiel.

Der Weg führte an die Holzbude, vor der die Schlange klein und die Chance groß war, dass die Kassiererin ein Auge zudrückte und mir die Eintrittskarte, nur unwesentlich größer als eine Briefmarke aber mit dem gleichen gezackten Rand, kosten- sowie wortlos unter die Hand schob. »Stehplatz« stand drauf und schon war man drin in meiner Kathedrale. Der Heimat meines Fußballgottes, den ich in meinem Nachtgebet so oft anrief. Ich hatte für ihn immer einen Platz freigehalten, gleich neben mir auf der nur noch spärlich mit Gras bewachsenen Beton-Treppe. Hier. In meinem Stadion.

Am Eingang, zwischen Pissoir und Pforte, stieg einem schon dieser Duft in die Nase, diese Mischung, die es nur hier gab: ein kräftiger Ton aus Urinstein, Fett, Zwiebel, Fisch, Bier, Nikotin und dieser zarten Brise frisch gemähten Rasens. Die aus Richtung Blechrinne ans Ohr dringenden Männergespräche waren voller politischer Unkorrektheiten, es gab noch Schlachten zu denen unter Absingen schmutziger Lieder gebummelt wurde und es gab keine Damentoiletten weit und breit.

Man stand ebenso bedächtig wie bedröppelt im Regen. Kein Ersatzhimmel, der sich wie von Geisterhand gesteuert über uns spannte, wenn es tröpfelte. Wenn es schüttete durften wir mit unseren bematschten Schuhen klitschnass auf die Tribüne stiefeln. Manchmal. Kein Zweifel: Es war der schönste Ort auf der Erde. Nicht ums Verplatzen wollte ich woanders sein.

Aber irgendwann ging’s nach Hause. Manchmal schlich ich. Oft sprang ich. Und meine Eltern mussten gar nicht erst danach fragen, wie das Spiel ausging. Ich trug mein Fußballherz auf den Lippen in die Wohnung. Wenn ich pfiff, hatten wir gewonnen. Wenn nicht, war’s der Schiri.

Mein erster Stadionbesuch? Wo er war? In Zwickau, Hannover, Bremen. In München, Köln und Gladbach, in Berlin und Augsburg, in Meppen und Salmrohr. An der Hafenstraße, im Volkspark, am Valznerweiher, auf dem Bökelberg, in der Nibelungenstraße, beim ASV Hollfeld. Mein Stadion war nach regionalen Größen benannt, nach Wald-, Feld- und Wiesen-Lage, nach Stadtteil oder Straße.

Mein erster Stadionbesuch. Ich weiß noch wie er schmeckte, wie er roch, wie er sich anfühlte, wie er mich verführte, mein Leben veränderte. Wann er war? Ich weiß es nicht mehr. Gegen wen? Keine Ahnung. Ist das wichtig?

Meinem ersten Stadionbesuch sollten Hunderte andere folgen. Jeder individueller als der andere und doch nur schlechte Kopien. Jeder raubte mir ein Stück Mystik, viele Illusionen, Herzblut, ein bisschen mehr als einsfuffzig für die Bratwurst und ganz viel Pissoir. Nur den Senf dazu, den gab es weiterhin: herausgepresst aus Mündern und Tuben, an Buffets und Bars, in Logen und Lounges, auf Teppichen, Parkett und Porzellan. Der Zauber verfliegt in Multilevelimmerfunktionier-Arenen, die nach Assekuranzen benannt sind, nach Bieren und Banken, nach Spiel- und Automobilen, nach Energieversorger oder Montanhydraulikern. In warmen, becaterten, verglasten Ballsälen, in denen das Spiel da draußen lieber auf dem chiquen Flat-Screen hier drinnen geglotzt wird.

Mein erster Stadionbesuch. Es war mein bisher einziger!

Christian Frommert


Mein erster Stadionbesuch

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