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PRÉLUDE AN ELISA - 1. KAPITEL -

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„Der Wind, der Wind, das himmlische Kind“, sagte ich, als er mich voran trieb

auf dem Heimweg, während er meine Haare zerzauste und mein Hemd aufblies.

Er war so unfassbar wie Elisa. Manchmal stürmisch, manchmal seicht oder still.

Sie wirkte einfach, gleich einer natürlichen Erscheinung, mehr als einer Person.

Ein empfindsames Wesen, das sich im ständigen Wechselspiel einer Welt zeigte,

die für viele andere kaum zugängig war im Bewusstsein ihres flüchtigen Alltags.

Vielleicht war es eine Konzentration, vielleicht die Aufmerksamkeit des Kindes.

Elisa war gegen Wind, Sonne und Regenwetter anfälliger als die Wasserjungfer.

An nieselnden Abenden öffnete sie die Veranda-Tür, um das stete Geräusch wie

den satten Duft von Pflanzen, Blüten und feucht modriger Erde herein zu lassen.

Auf dem Piano antwortete sie mit dem langatmigen, melancholischen Largo auf

das Niederprasseln schwerer, grauer Wolken am dicht verhangenen Himmel, die

sich auflösten bis ergossen in die dunkle Nacht ohne rötlichen Sonnenuntergang.

Für diese Jahreszeit, mitten im Hochsommer, blieb das Wetter sehr unbeständig.

Als ich nach Hause kam, sah ich zwischen glitzerndem Geäst eine Singdrossel in

glänzendem Federkleid, die ihr Abendlied erhob, und hörte das Prélude Chopins.

Nach heftigem Wind war stetiger, sättigender Regen gefallen auf die Stockrosen,

Lilien, Magnolien, ein Sommergruß für die Eichen, Kastanien und Weizenfelder.

Bei meinem Eintritt verstummte das Prélude von Chopin. Elisa lächelte mich an,

brach ihr Stück ab, nahm ihre Hände von der Tastatur und öffnete ihre Arme mit

einer großzügigen Geste, die Wärme und Willkommen ausstrahlte mit ehrlichen

Zeichen der Freude, ihres Dankes für all das, was sie umgab, als wollte sie mich

zugleich einladen, auffordern, dies Geschenk einer engen Umarmung zurück zu

empfangen. An jenen Abenden verschmolzen unsere Körper ohne Antrieb oder

Steuer. Sie hielten sich umklammert und glitten in einen Fluss der Freude hinab,

hinein in eine milde Strömung des Begehrens und strandeten wieder hervor mit

dem wechselseitigen Schauder unserer Flanken. Dann hörten wir wieder Regen,

als hätte er uns, noch schwach auf den Beinen, wieder zur Erde zurückgebracht.

Der Geruch des nassen Gartens und auf der nahen Wand die bewegten Schatten

unserer Körper sowie der Kastanienblätter direkt vor dem Fenster. Der schwach

glitzernde, gelbe Sonnenuntergang dabei. Wie könnte ich deshalb nicht weinen?

Gestern schlief ich zu Mitternacht ein. Ich träumte, ich würde von einem feinen,

kaum hörbaren, fremden Geräusch wie Klirren aus dem Erdgeschoss erwachen.

Das Klirren bunter Glasfiguren als Mobile, die man im Garten aufhängen kann,

um freche Vögel von frischer Aussaat und den Baumfrüchten zu verscheuchen.

Mir war, als steige ich hinab in den Salon, wo die Porzellanschränke waren mit

ihren Kostbarkeiten, antiquarischen Raritäten, die allein an ihrem Platz standen.

Diese Vitrinen zeigten zart bemalte Porzellanfiguren, die Schiffschaukel, wilde

Tiere, ein rotes Kettenkarussell und die kleine Fee, die auf ihrem Tukan thronte.

Ein schwarzer Tukan mit einem waagerecht riesigen, orange farbigen Schnabel.

Sie saß auf seinem Schnabel sowie auf einer Schaukel. Er schaute sie frech an

aus den blauen Augen im weißen Kopfgefieder über die schwarzen Flügelfedern.

Aber die Figuren weinten, zerfielen in feinste Sandkörner auf dem grünen Samt,

der auf dem Bord lag. Sie waren kaum noch erkennbar, während ich mit weinte.

Winzige Kristalle hatten wie Schneeflocken den dunklen Stoff bedeckt. Ihr Rest

waren in Farben und Formen, in Verzierungen und der Glasur nicht zu erkennen.

Ich fiel auf den Boden, weinte bitterlich, während ich rief: “Kommt doch zurück!“

Mit Schrecken erwachte ich in finsterer Nacht aus dem Traum und eilte hinunter,

um nachzusehen, ob noch alles in Ordnung sei mit einer Antiquitäten-Sammlung,

die über Jahre schon unversehrt geblieben war hinter der gläsernen Vitrinen-Tür.

Natürlich wusste ich in meinem Wissen, dass meine Sammlung nicht zerstört war.

Doch musste ich mir beweisen, dass es noch einen guten Grund gab, warum ich

mitten in der Nacht aufstand, und durch dies Haus stromerte in Gedenken an sie.

Ich nahm einige Figuren heraus und begutachtete sie. “Meine Fee auf dem Tukan“

und die Schiffschaukel, die hoch ausschwenkt, wie von der heftigen Böe ergriffen.

Dann stellte ich sie zurück auf den Platz, schloss ab und knipste das Licht aus. In

früher Morgendämmerung, die jenen Raum erhellte, legte ich mich ruhig schlafen.

MEINE KINDHEIT

Wahrscheinlich kann ich nicht einmal behaupten, dass ich jene Kunst in Keramik

seit je geliebt hätte, aber schon als kleiner Junge faszinierte mich das sehr ernst

ausgesprochene Berührungsverbot: „Sei ein lieber Junge, rühr' mir das nicht an!“

Ihr Unberührbares trug etwas Heiliges und Schönes an sich in den Glas-Vitrinen.

Das glich einem Tabernakel oder Museum, einer fremden, schönen Erscheinung.

Mein Vater hatte Zeit seines Lebens mit dem Porzellan- & Keramik- Geschäft in

London seine Existenz bestritten, eine vierköpfige Familie und zwei Angestellte.

Eine davon hieß Miss Bird, ein altes Fräulein, das auf Stöckelschuhen im Laden,

der mit Marmor gefliest war, laut hörbar im Schritt die Glas-Regale abklapperte.

Dort reihten sich ein sich aufbäumendes Pferd, ein stolzer Hirsch mit erhobenem

Geweih, die ruhende Kuh, ein springendes Reh und dies Weibchen mit dem Kitz

aneinander. Ich nannte das kleine Reh Bambi, das nah des Häschen-Rudels lag.

Ich glaubte, diese konnten nur aus einer wunderbaren Arche Noah aus Porzellan

entsprungen sein und machte mich unversehens auf die Suche nach einer Arche,

die ich nicht fand. Tatsächlich fragte ich dabei sogar Miss Bird, wo die jetzt sei?

Aufbewahrt an einem für andere unzugänglichen Ort, dachte ich, zur Sicherheit.

„Die brauchen gar keine Arche, junger Mann,“ antwortete sie. „Die Flut ist längst

vorüber. Gott hat versprochen, dass es keine zweite mehr geben wird-, niemals!

Sei ein lieber Junge, und rühre sie mir ja nicht an!“ Mit dem obligatorischen Satz

beendete sie meine Unschlüssigkeit und eilte davon, einen dringlichen Kunden zu

bedienen, der Pelz umhüllt wartete, ein blaues Tafelservice gezeigt zu bekommen.

Dieses Berührungsverbot, das ich intuitiv als strikt auffasste, regte mich eher auf,

als dass es mich frustrierte. Es zeigte, wie es sich um wertvolle Dinge zu handeln

schien, da sogar erwachsene Kunden höflichst dazu ersucht wurden, nichts allein

zu berühren. Zuhause sah ich eines Tages meine Mutter den Tränen nahe, als sie

aus Versehen die Röschen auf dem Deckel des Porzellan-Döschens abgebrochen

hatte, das auf ihrem Frisiertisch stand. “Man kann das kleben, Liebling, da bin ich

ganz sicher,“ sagte sie, wobei ich nicht gefragt hatte. Dann machte sie sich daran,

auch die noch so kleinsten Bruchstücke in einem Umschlag zu sammeln, kostbar.

Ich wusste, dass wir von den Kostbarkeiten, diesen zerbrechlichen Dingen lebten.

Der Laden unterschied sich von anderen Läden durch den frischen, reinen Geruch,

Gediegenheit bei klarem Tageslicht und gläserner, weitläufiger Räumlichkeit, dem

leichten Segment der hölzernen Verpackungskästen von Holzspäne zu Sägemehl.

Er lag in der City Londons. Exklusiveres, was man sich als eigene Kultur wünscht.

Vermutlich war ich stolz auf den Laden meines Vaters ohne dabei nachzudenken.

Stolz auf seine Vielfalt, Sauberkeit und Einzigartigkeit, die dieser Zerbrechlichkeit

seiner sanft schimmernden Kostbarkeiten ausmachte. Sacht erinnere ich mich an

ein Mahagoni farbiges, Glas getäfelte Kassenpult, aber es musste verschwunden

sein, als ich drei oder vier Jahre alt war. Dies war ein kleiner Teil von alldem, was

meine Kindheit ausmachte.

Ich war nicht oft dort. Wir lebten in einem Dorf, östlich der Stadt Northhampton,

ein paar Kilometer nördlich von London. Mit seinem urwüchsig, ländlichen Flair

als Kontrast zu der noblen Atmosphäre in der City war es immer mein Zuhause.

Dieses Haus mit seinem Ziegeldach, halber Holzverschalung und seinen Giebeln

trug den Namen Candyland. Nicht, weil das aus Zuckerguss war, sondern lieblich

anzusehen, einfach zum Wohlfühlen. Ich hatte nie ein anderes Zuhause, gar den

Wunsch, woanders heimisch zu sein. Wenn ich in warmen Sommernächten wach

lag bei geöffneten Fenstern, hörte ich das ferne Rangieren der Züge in der Stadt,

ein schwaches Schlagen der Rathausuhr, das dumpfe Läuten der Kirchenglocke.

Drei unterschiedlichen Geräusche gehörten wie zu meiner lauschenden Routine,

auf die ich schon wartete vor dem Einschlafen, wie auf unser Gute-Nacht-Gebet,

was ich jeden Abend mit meiner Mutter sprach: “Ich bin klein, mein Herz ist rein,

soll niemand drin wohnen als Jesus allein.“ Manchmal war eine sirrende Mücke

eine willkommene Ausrede, noch einmal ihre Aufmerksamkeit zu erhaschen, die

bereits im Türschließen verschwand. “Mutti, in meinem Zimmer ist ein Brummer,

der mich pieken will. “Man konnte den Angriffen des Brummers auch trotzen mit

einem Sprung aus dem Bett und sich quer über die Fensterbank legen. Der Blick

fiel dann oft auf einen rötlichen Abendhimmel, in dem sich weite Berge näherten

und manchmal eine Eule seicht im Tiefflug über sommerlichen Heu-Puppen glitt.

Im August ging dann gigantisch der Erntemond auf, der sich über jene Felder hin

streckte, die von Strohgarben gekrönt waren und unter silbernen Licht erstrahlten.

Alte, knorrige Eichen warfen gespenstige Schatten, der bei Vollmond schauderte.

EIN VOGELPARADIES

An grünen Märzabenden schrien Drosseln von den Spitzen der Silberbirken, die

die Ränder des Rasens säumten. Mein Vater sprach mit ihnen manchmal zu laut.

Dann rief er ihnen zu: “Ja, ich höre euer freches Gekreische, mit dem ihr angebt.

Da lobe ich mir eine ganz alltägliche Amsel.“ Der halb verwilderte, große Garten

war voller Vögel, denen er das ganze Jahr über seine ungeteilte Aufmerksamkeit

widmete. Im Sommer lag er in einem Liegestuhl auf dem Rasen, und die Zeitung

auf seinen Knien war nur ein Vorwand, um desto besser beobachten wie lauschen

zu können. “Irgendwo da hinten im Gezweig steckt ein Weidenlaubsänger“, sagte

er und wies rüber, wenn ich kam, um ihn zum Tee zu bitten. “Sehen kann ich den

Burschen nicht, aber hören. “Dann lehrte er mich das Absacken des Liedes hören.

wie unterscheiden von ausklingendem Gesang der Amsel, was charakteristisch ist

für die Weidenlaubsänger. „Man muss in der Lage sein, Vögel in den Gebaren zu

erkennen, mein Junge.“ Nie benutzte er sein Fernglas, aber oft setzte er sich die

Brille auf, erhob sich und ging behutsam zu dem Kleiber oder Baumläufer in den

Kiefern hinter den Rhododendren. „Wenn der Schlingel im Gegenlicht sitzt, wird

es schwierig, ihn gut zu Gesicht zu bekommen, weißt du.“ Es regte ihn auf, wenn

diese Dompfaffen auf den Pflaumenbäumen, grüne Knospen anpickten. Nie nahm

er etwas in die Hand, sie zu verscheuchen. Er sah ihnen zu und schimpfte sie aus.

Meine drei Jahre ältere Schwester und ich hängten den Meisen Ringe auf und den

Staren und Bachstelzen streuten wir harte Brotkrumen und Speckschwarte-Stücke,

die über den Pfützen bedeckten Rasen rannten. Einmal flog ein junger Buntspecht

mit ganzer Wucht an die Fensterscheibe am Ende der Veranda und verstarb einige

Minuten später in der Hand meines Vaters. Seither habe ich keinen mehr gesehen.

MEINE INTERNATSZEIT

Während der fünf Jahre, in denen ich in Northampton zur Schule ging, bekam ich

gewöhnlich Ende März eine Postkarte von meinem Vater, auf der nichts stand als:

„Ich habe den Weidenlaubsänger gehört.“- Das heißt, wenn man in einem Internat

nicht herum gestoßen werden will, muss man sich durchsetzen. Ich kann für mich

nicht sagen, dass es zutraf. In meiner Schulzeit gab es zwei Rektoren, die Strenge

nicht besonders erstrebenswert hielten, was den Ton angab, bei Lehrern wie auch

Schülern. Ohnehin haben Jungen einen natürlichen Respekt und die Fähigkeit zur

Einordnung in einer Gruppe. Rektoren und Lehrer gehörten zu humanen Männern.

Sicher müssen sich aggressive und eingebildete Jungen den besonderen Respekt

verschaffen. Aber einer wie ich, der sich in vielem genügt, wird meistens in Frieden

gelassen, weil er bis auf die eigene Würde keine großen Ansprüche für sich erhebt.

Ich nahm die Menschen fast immer so, wie ich sie vorfand, und dabei beließ ich es.

Damit verbrachte ich dort fünf ruhige und ereignislose Schuljahre, obwohl ich zwei

bis drei Freundschaften schloss, spürte ich kein drängendes Verlangen, die gerne

nach meinem Weggang fortzuführen,- anderen empfanden das eindeutig genauso.

Heute weiß ich, dass mir die Wärme und Bestimmtheit fehlten, um Pfeile in andere

Herzen einnisten zu können, nie kam es mir in den Sinn, dies einmal zu versuchen.

Im Sommersemester gab es an der Public School zwei halbe Ferientage je Woche.

Kricket war kein Pflichtfach mehr nach Beendigung des zweiten Schuljahres. Somit

konnte man in der Umgebung nach Belieben mit oder ohne Fahrrad umherstreifen.

Es machte mir nichts aus, allein zu sein. Ich erhielt gar eine offizielle Anerkennung

für meine Eigenart. Als ich die Wildblumen und Vögel zu fotografieren begann, auf

ihren Nestern, erntete ich großes Lob verschiedener Lehrer und gewann den Preis

auf der jährlichen Wissenschaftsschau: Ein Reiher, der sich in dem Nest niederlässt.

Für Mannschaftsspiele hatte ich weder Fähigkeit noch Neigung. Fechten mochte ich

gern in der Riege. Der Säbel bedeutete mir wenig, aber in der delikaten und präzisen

Disziplin des Floretts und Degens fand ich Befriedigung sowie eine introvertierte Lust.

Der maskierte Opponent, mehr reziprok als gegnerisch, das Rechteck aufmerksamer

Kampfrichter, dieses metallische Blitzen auftreffender Klingen, der plötzliche „Stopp“-

Schrei, das detaillierte Resümee mit dem kontrollierten Beschluss der Schiedsrichter.

All dies würdig, formell, diszipliniert,- was für mich der Inbegriff des Fecht-Sports war.

Auch mein Schwimmen machte mir großen Spaß. Ich war kein Wettschwimmer, aber

eine Neigung für die Einsamkeit, den Rhythmus langer Strecken, einem Spaziergang

vergleichbar. An einem schönen Sommermorgen stand ich oft um 6 Uhr auf, um dann

vergnügt durch die Wiesen hinunter zu marschieren und eine halbe Meile in dem fast

leeren Bad zu schwimmen. Kein Geräusch drang zum Ohr vom planschend bewegten

Wasser, nichts störte das streckende Spiel von Gliedmaßen und Atem. Beim aus dem

Wasser Steigen bildete ich mir manchmal ein, ich hätte das Schwimmen erfunden, so

dass es allein in einem unantastbaren, persönlichen Pantheon stand wie ein Gemälde.

Schach lernte ich ebenfalls und verwandte einige Mühe darauf, wohingegen mich das

gesellige Bridge kaum reizte. Man hätte sagen können, ich lernte in Northampton, ein

Niemand zu sein, wobei ich in einer Art natürlicher Schüchternheit keine Gelegenheit

ausließ, mich auszuzeichnen, Rasse zu zeigen. In Hartnäckigkeit ließ ich wirklich alle

mir gebotenen Chancen aus, zu beweisen, dass ich ungewöhnliche Fähigkeiten hatte.

ASSISTENZLEHRER ROBIN

Es geschah dann Folgendes:

In meinem dritten Sommer, als ich sechzehn war und mich neusprachlich orientierte,

ließ der Assistenzlehrer Robin verlauten, er sei an Hellsehen interessiert und suche

freiwillige Schüler, die ihm bei ausgewählten Experimenten behilflich sind. Die große

Anzahl der Schüler wurde von Robin schnell abgelehnt.

Er wollte keine Spaßvögel, die ihm die Glaubwürdigkeit an seinen Experimenten leicht

verspielten. Klare Kühnheit seiner wissenschaftlichen Arbeit sollte erhalten bleiben mit

Sachverstand und geprägten Wesenszügen.- Reife Jungen, die Ungewöhnliches nicht

zu dem eigenen Abenteuer machen, sich darin als explizite Superhelden widerspiegeln.

Mein Fachbereich war moderne Sprachen. Doch hatte ich in meiner Freizeit schon viel

in Naturwissenschaften erlebt, dass Robin es selber war, der mich im Labor ansprach:

“Ich brauche zuverlässige, nicht zu leicht erregbare sowie äußerst vernünftige Schüler.“

Er verdrehte mir sozusagen den Arm, warb besonnen um mich und redete auf mich ein.

Ich konnte seiner Sache keine Begeisterung schenken, willigte nur ihm zu Gefallen ein,

aber ohne Euphorie und Verständnis. Einfach, um von ihm in Ruhe gelassen zu werden.

Ich entsinne mich schwach an einige Tests mit markierten Karten und ein paar Würfeln.

Robin war schweigsam, ähnlich wie ein Arzt, der dich über gewisse Symptome befragt,

doch sorgsam bedacht ist, keine Reaktionen auf deine Antworten zu zeigen. Ich war nie

aber gläubig. Doch dass es nur Schau war, was seine wirklichen Ergebnisse anging und

dass etwas Besonderes dabei herausgekommen war, glaubte ich nicht. Vielleicht war er

vom Rektor in dieser Sache ermahnt worden, uns nicht gänzlich den Kopf zu verdrehen.

Wie auch immer, diese ganze Angelegenheit langweilte mich schon, als er einen Schüler

aus dem Nachbargebäude namens Tim Hopkins und mich an einem Freitag zu sich nach

Hause einlud für den Samstagnachmittag zu einem Tee mit seiner Frau. Robins Frau galt

als auffällig hübsches Mädchen, das am College regen Anteil nahm, und von den Ältesten

verehrt wurde. Sie machte uns einen hervorragenden Tee und war zu uns sehr angenehm.

Während sie die Tassen abräumte, plauderte Robin weiter. Offenbar wartete er nur, dass

sie wieder herein käme, um mit uns zwei außergewöhnliche Experimente durchzuführen.

„Ich weiß nicht, ob Sie schon davon gehört haben, dass es Leute gibt mit der auffälligen

Fähigkeit, Ereignisse mit tödlichem Hintergrund, die im Zusammenhang von dem Bösen

stehen, auf unerklärliche Weise zu erfassen, das galiläische zweite Gesicht vom Unheil.“

Dann berichtete Robin weiter von einem Mord-Seher im 18. Jahrhundert, der die Polizei

befähigt hätte, ein Verbrechen in Barcelona bis nach Paris zu verfolgen. Geographischer

sowie staatlicher Art über Grenzen hinaus, die keine Beamten hätten erkundigen können.

Vage Erklärungen stammten von Robin. Ich hatte nie Lust, Genaues darüber zu erfahren.

„Keine Angst, Sie brauchen keinen Mord prophezeien“, sagte er beschwichtigend. „Was

viel Harmloseres liegt in meinem Sinn. Ich bitte dazu Schüler David einmal vor die Tür,

während wir mit Schüler Tim arbeiten.“- Dreizehn Minuten später holte mich Tim herein

und runzelte seine Stirn. „Völliger Blödsinn! Der Tee war aber gut und erst Frau Robin!“

Robin ging mit mir durch den Salon zurück in einen Raum, in dem auf einem Tisch fünf

identische Labor-Gläser standen, die bis zur Hälfte mit der farblosen Flüssigkeit gefüllt

waren, die ich erfassen sollte. „David, vier sind mit Wasser, eines ist mit Schwefelsäure.

Meine Frau wird nacheinander aus jedem einzelnen Glas trinken. Sie weiß so wenig wie

Sie, womit sie gefüllt sind. Melden Sie sich, wenn sie meinen, dass es Schwefelsäure ist.

Wenn nicht, werde ich es natürlich tun.“ Robin zog seine übliche Schau ab, man schalte

den Willen aus und mache den Verstand zu einem unbeschriebenen Blatt und ähnliches.

Was folgte, war nicht dramatisch. Ich hatte keine Vorahnung, "Visionen" von Frau Robin,

die sich in Todeskrämpfen wand, sondern sah zu, wie sie aus jedem dieser Gläser trank.

Als sie einen weiteren Schluck aus dem zweitem Glas nahm, hatte ich das vage Gefühl,

dass es besser sei, wenn sie das nicht täte. Sowie man die Bahn-Tür öffnen will und eher

sein lässt, weil man ahnt, dass sich auf dem Gleis zurzeit etwas Ungewöhnliches aufhält.

Wie man einen heißen Pott nicht abstellt, weil einem klar wird, dass man sich verbrennt.

Ich hob den Arm und sagte: „Äh!“ “Richtig, das ist die Schwefelsäure!“, antwortete Robin.

„Können Sie mir genau sagen, was Ihnen durch den Kopf schoss, David“, fragte Robin.

„Nichts, Sir!- Wirklich nichts Genaues. „Ist dies tatsächlich Schwefelsäure?“, fragte Tim.

Robin riss einen Streifen blaues Lackmuspapier ab und stippte ihn in das Glas: knallrot.

Dieser Papierstreifen wurde so schnell rot, wie man es sich nur hätte wünschen können.

„Möchten Sie es noch einmal versuchen, David?“, fragte mich Robin. Ich verspürte mit

dem Erfolg keine besondere Freude, Befriedigung oder Genugtuung. Ich überlegte, wie

ich Tim dazu bewegen konnte, im College den Mund zu halten und es nicht zu erzählen.

Aber ich konnte schlecht nein sagen und ging wieder hinaus, während Robin es erneut

aufbaute. Beim zweiten Mal fühlte ich mich völlig gelangweilt und genoss einen Anblick

von Frau Robin. Ich saß einfach nur da wie unbeteiligt und hatte vergessen, warum wir

uns hier eigentlich versammelt hatten. In der Sache wurde mir klar, dass Frau Robin im

Trinken der Flüssigkeiten schon beim fünften Glas angekommen war, ohne dass etwas

geschehen war. Vermutlich hatte ich Anzeichen von Unruhe gezeigt, weil Robin zu mir

angesprungen kam und mir eine Hand auf die Schulter legte. „Keine Sorge um Wasser,

David! Diesmal war überall nur Wasser drin.“ In seltsamer Weise beobachtete ich Frau

Robin, wie sie sich vorbeugte, um jene Gläser wegzuräumen, als mich Robin ansprach.

„David, können Sie mir diesmal sagen, was in Ihnen ablief, sich nicht von mir täuschen

zu lassen?“ “Nein, Sir, nichts, kann ich nicht.“ Ich antwortete zu brüsk für einen Jungen,

der seinen Lehrer vor sich hatte. „Außerdem will ich auch keine weiteren Experimente.“

FRAU ROBIN

Ich hatte plötzlich ein vages Gefühl, zunächst einer Angst, wenn ich auch nicht wusste,

wovor, dass Robin kein moralisches Recht hätte, die Sache mit mir zu veranstalten, die

mir aus irgendeinem Grund zu viel wurde, zu nah ging. Ich dachte, es sei selbstsüchtig,

wenn es ihm vielleicht auch gar nicht bewusst war, mich in seinem Interesse zu nutzen.

Vielleicht war das für ihn wirklich nur ein Experiment, und er war sich seiner Sache gar

nicht bewusst. Peinliche Stille entstand, Robin geriet in Verlegenheit. Seine Frau nahm

sich dieser Sache an. Sie stand auf, setzte sich neben meinen Stuhl und legte mir sanft

ihre Hand auf die Stirn. „Ist Ihnen nicht gut, David?“ fragte sie. „Es gibt keinen einzigen

Grund zur Besorgnis. Es ist ein allgemein anerkanntes Phänomen, das wir eines Tages

wissenschaftlich erklärt bekommen werden. Sie brauchen in nichts Angst davor haben.“

Auf diese unverhoffte Nähe in körperlicher und verbaler Art reagierte mein Puls heftig.

Eine unbeabsichtigte Berührung mit ihrer Brust, ich konnte Wärme, weiche Festigkeit,

den Duft parfümierter Seife gemischt mit frischem Eigengeruch ganz nahe empfinden.

Fremde Vibration entlud sich in meinem Körper gegen meinen Willen.- Ich war nervös.

Urplötzlich, fernab eigener Selbstkontrolle bekam ich eine Erektion, wie es oft Jungen

passiert, die sich darin noch nicht erfahren durften. Ich sprang auf und musste husten.

Frau Robin sah mir in die Augen und lächelte, als seien wir ganz allein in einem Raum.

Sie trug eine weiße, luftige Bluse in einem enganliegenden, schmalen Rock mit Schlitz.

„Können Sie noch ein einziges Experiment mit mir machen, nur für mich allein, David?

Es muss nicht sein, doch mir zu Gefallen wäre es großartig, wenn Sie es noch können.“

EIN WEITERES EXPERIMENT

In dem Moment war ich mir sicher, dass Mrs. Robin die treibende Kraft war für diese

fragwürdige Veranstaltung, wenn er ihr selbst nicht gleichgültig gegenüber stand. Als

eine Art Vermittler für sie. Das bereitete ihr Vergnügen, ihre Anziehungskraft auf mich

auszurichten und zu erproben. Wenn ich ihr Spiel auch nicht als frivol bezeichnen will

und mir die Erfahrungen fehlten, das gleiche abzuwehren, hatte keiner das Recht dazu.

Ich verlor den Boden unter den Füßen und sah verschwommen zwei schöne Gesichter.

Der Unterschied zwischen uns war, dass ich nervös war und sie nicht, Druck ging aus.

Sie waren unheimlich selbstsüchtig wie aus Gewohnheit, nur wegen eines Kitzel oder

einer heimlichen Eigenfreude,- mich irgendeine gefährliche Tat vollbringen zu lassen.

Wie verzogene Kinder was herausfordern müssen oder eine orientalische Prinzessin

ihren jungen Höfling bezwingt, um ihre eigene Macht an ihm zu erkunden ohne einen

Sinn und um jeden Preis. Zum reinen Amüsement ihrer selbst, Macht auf ihn zu üben.

Trotz Zögern willigte ich ein, wie hätte ich ihr denn einen Gefallen abschlagen können?

Sie begann von einem Professor Gaylord Morris zu berichten, der die Fähigkeit besaß,

Gedanken und Gegenstände zu erraten, die Freunde in ihrer Abwesenheit ausmachten.

Es erinnerte mich an das Kinderspiel: „Ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist -!“

Natürlich willigte ich ein, weil es mir weitaus harmloser schien als Schwefelsäure von

Wasser unterscheiden zu können. Der Professor hatte das eigentlich zum Zeitvertreib

gemacht. In ernsten Situationen verweigerte er seine Eingebung auf bestimmte Dinge.

Doch stellte ich schnell fest, dass ich mich geirrt hatte. Die Übung war ein Fehlschlag.

Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, wie ich mit der Aufgabe, die man mir aufgebürdet

hatte, fertig werden sollte. Ob ich auf der Suche nach einer Art Botschaft auf die Erde

schauen sollte oder in ihre Augen in Hingabe zu einer Eingebung, die wissentlich war.

Ob ich meine Gedanken äußern oder mich leiten lassen sollte,- wie in Trance stehen,

bis der Blitz der Offenbarung mich traf. Nichts passierte. Narzisse, erinnerte ich mich,

war die erste ihrer Vorstellung. Doch an die zweite Idee erinnerte ich mich nicht mehr.

DAS LETZTE EXPERIMENT

Schnell hatte ich Tims Gegenwart durch eindringlichem Blick um Aufruhr und Hilfe

gefunden, als Frau Robin meinte: „Wir können es noch ein letztes Mal versuchen.“

Als ich wieder ins Zimmer zurückkam, fühlte ich mich verlegen und erleichtert, weil

eine Sache, die sie an mir erproben wollten, anscheinend nicht richtig funktionierte.

Bald würden Sie mich in Ruhe lassen. Ich könnte hinunter zum Fluss angeln gehen.

Der College-Tee, an dem jeder Schüler teilnehmen musste, begann in einer Stunde.

Ich stand unschlüssig im Raum vor dem Fenster. Mein Blick fiel auf ein Rosenbeet.

Eine Harke, mit der die Erde frisch aufgeworfen worden war, stand hochkant davor.

Ohne zu wissen warum, blieb mein Augenmerk an der Harke haften wie an seltsam

erscheinende Dinge, die es zu erkunden gab. Früher war es ein Stieglitz im Strauch.

Hatte sich dieser Vogel verirrt? Denn üblicher Weise war dies nicht sein Aufenthalt.

Diese Harke wurde der ausschließliche Gegenstand meiner Aufmerksamkeit sowie

meines Interesses, wobei Dinge um mich herum wegsanken, ausgeblendet wurden.

Danach überrollten mich Ekel und Furcht, Widerwärtigkeit wie die eines Horrorfilms.

Meine Gefühle, soweit ich sie noch im Gedächtnis habe, glichen der Verbliebenen,

der durch das Fenster ein Telegramm gereicht wird, während sie den Inhalt bereits

weiß. Ich schien völlig allein zu stehen in einer verlassenen Stille meines Wissens.

Die aufrechte Harke wurde zu meinem Albtraum, der mich mit seinem würgenden

Brechreiz erfüllte. Der Garten mit dem Rosenbeet war nur Schein und verbarg den

Leichenhaufen unschuldiger, hilfloser Opfer, deren wollüstige Ermordung Garten-

Idylle zunichte machte wie die weichen Brüste von Frau Robin und kühlen Hände.

Dies Himmelszelt brach über mich zusammen mit der Schwere hängender Falten.

Ich sah die Würmer hervor kriechen, die sich gefräßig und schleimig schlängelten.

Die Welt war nur ein öder Ort, eine gemeine, schmutzige Grube, deren Bewohner

aus keinen anderen Grund und Zweck als des einander Quälen verbunden waren.

Verdammt bis in alle Ewigkeit einer Hölle des Grauens, über das Gras gewachsen

war. Denn die Lust in der Grausamkeit war ein böses Eden, das Gegenbild Adams

eine ekelige Travestie als Verhöhnung zu Gottes inkarnierter Reinheit und Reiche.

Jetzt sah ich es genau,- bloße Lügen, brutale Phantasien, um Mädchen sowie Frau

Robin zu täuschen, bis ihre Körper, gewürgt, gekrallt, geschändet, dann vergraben

werden konnten. Dies Zerrbild dessen Name – Ich fiel auf den Boden, erbrach den

Tee auf dem Teppich, trommelte mit meinen Fäusten,- keuchte lauthals: „Winfried!“

Es war vier Jahre her, dass eine Kreatur „Winfried“, ein Massenmörder an Frauen

und Mädchen wegen Schändung und Mord an sieben Frauen und einem Mädchen

neutralisiert worden war, wie sie es nannten. Ein Scharfschütze hatte es geschafft,

ihn zu erschießen, als „Winfried“ gegen die Polizei ein Feuer zündete, um wieder

zu entkommen. Man hatte Jahre nach ihm gesucht in Furcht vor weiteren Morden.

Robin zog sich gut aus der Affäre. Er riss mich augenblicklich vom Boden auf die

Füße und brachte mich sofort an die frische Luft. Mein Gesicht säuberte er eiligst

mit einem Handtuch, das er wie im Vorübergehen von einem Stuhl fassen konnte.

„David, reißen Sie sich zusammen! Er riss Unkraut aus frischem Rasen und hielt

es mir vor die Nase. „Da, riechen sie es? Zählen Sie die Telefondrähte da oben!“

Meinen Kopf zog er in den Nacken und forderte mich auf: „Los, zählen Sie diese.“

Mir klapperten die Zähne, mir war kalt. Doch tat ich, was er sagte und zählte laut.

Als wir wieder drinnen waren, war Tim verschwunden. Frau Robin hatte geweint.

„Das tut mir furchtbar leid, David!“ sagte sie traurig. „ Können Sie mir verzeihen?“

Sie irritierte mich. Für mein Alters von 16 Jahren hätte ich gemeint, dass ich derjenige

sei, der sich doch bei ihr hätte entschuldigen müssen, weil ich die Harmonie zerbrach.

Sie hatte den Schmutz beseitigt in der kurzen Zeit, in der ich mit ihrem Mann draußen

war. Ich säuberte mich, nahm von der Mundspülung, die im Bad stand, gurgelte lange

und spuckte aus, was ich zuvor erlebt hatte. Robin brachte mich zurück zum College.

Nach ein paar Schritten sagte ich: „War es das, was Sie suchten?“ „Klar doch!“, sagte

er knapp in dem Ton, als wollte er keine weitere Silbe darüber verlieren. „David, hören

Sie, eine ungewöhnliche Fähigkeit oder Begabung ist Ihnen zu eigen. Wie auch immer

man es nennt, ich will Ihnen nur raten, davon die Finger zu lassen!- Versuchen Sie nie,

das herauszufordern oder so etwas noch einmal zu tun, verstanden?

ERKENNTNIS UND WARNUNG

Die Nachmittagssonne stand im September schon niedrig und tauchte das Stoppelfeld

golden, durch das unser Feldweg führte. Robin zupfte eine vergessene Weizenähre ab

und drückte ein Korn heraus. „Dies war mal der Anfang des Feldes. Sie können dieses

eine Korn zerbeißen, an einer ganzen Ähre würden Sie ersticken. Dies ganze Feld wär

sogar für Sie unbegreiflich wie unüberwindbar.“ Dann steckte er sich das Weizenkorn in

den Mund und kaute drauf. „Tim hat meiner Frau in die Hand versprochen, niemandem

davon was zu erzählen. Sie und ich werden auch schweigen. Es wäre gut für Sie, wenn

Sie nirgendwo mit keinem über diesen Vorfall sprechen.“ Er überlegte. „Es gilt für heute,

morgen sowie für alle Zeit Ihres Lebens!“

Ich war Robin dankbar für sein Verhalten und versicherte ihm, das als erledigt zu betrachten.

Mir war auch bewusst, wie ihm es ergangen wäre, wenn das an die Ohren des Rektors oder

meiner Eltern gedrungen wäre. Sie hätten es ihm zum Vorwurf gemacht, was ich nicht wollte.

Doch blieb mein außergewöhnliches Erlebnis nicht ganz verborgen. Mir war immer noch übel,

kalt und zittrig. Nach dem College-Tee ging ich zur Hausmutter hoch, die Untertemperatur bei

mir feststellte und mir die Lektion über „nasse Füße beim Fischen“ erteilte, womit sie mich am

nächsten Tag ins Bett steckte. Ich war froh, nicht der Neugierde ausgeliefert zu sein, die in der

Abwesenheit bei meinen Mitschülern entstanden war, ob es gut war bei Robin und seiner Frau?

Ihnen brühwarm ausgesetzt zu werden und all ungewollten, aufdringlichen Fragen ausgeliefert,

fühlte ich mich jetzt nicht gewachsen. Ich blieb ein wenig geschwächt,- was reine Erkältung für

sie war. Eine willkommene Ausrede, die überall selbstverständlich angenommen wurde, basta!

Trotzdem musste etwas durchgesickert sein, als mich Nike ein paar Tage später im Speiseraum

am Arm festhielt und fragte: „Nun sag‘ schon, wie war es, mit Frau Robin nachmittags Tee zu

trinken?“ Schon damals schien es mir als klassisches Beispiel der Projektion eigener Begierde

auf die andere Person. Eine Tatsache war, dass ich Schmerz und Erniedrigung empfand, nicht

für meinen hysterischen, unkontrollierten Anfall in Robins Salon, sondern wegen meiner recht

schändlichen Reaktion auf diese Berührung von Frau Robins Hand. Mir war das lange peinlich.

Wenn ich in der Angelegenheit sensibel, wenn nicht puritanisch war, lag es in meiner Kindheit.

Der Grund war ambivalent schroff und zugleich schützend, der angab, dass ich körperlich kein

wenig anziehend, wenn nicht hässlich war. In meiner Phantasie eine Art Vertrauter, der mir oft

auf den Fersen war. Ich glaubte dies selbst vor dem Spiegel und fühlte das gleiche bei anderen.

„Wie schade, dass kein schöner Junge aus ihm geworden ist,“ hörte ich eine Nachbarin auf der

Sommerterrasse, als ich acht Jahre alt war. „Wobei doch die Mutter so reizend aussieht,“ sagte

die Dame gegenüber, die bei ihr zu Besuch war. Ein Jahr später bot ich einer Klassen-Schönen,

einem verzogenen, blondgelockten Mädchen, zögernd einen Sahnebonbon an, worauf sie kund

tat: „Danke, Schweinsgesicht!“ Sie lutschte diesen Bonbon erst in meiner Abwesenheit,- und wie

sie es gesagt hatte, war ich fest im Glauben, dass auch die anderen mich so hässlich benannten.

Kurz und knapp hatte sie es gesagt, aber nicht unfreundlich. Ich wendete mich wortlos von ihr ab.

Ich betrachtete es als meine Bestimmung und mied jede körperliche Berührung im Sinn der Liebe.

Doch lag auch ein Stolz darin, sowie ein Gelähmter es umgeht, eine Hand oder Stütze gereicht zu

bekommen. Jene Menschen, die ich liebte, auch meine Mutter, hielt ich auf schützendem Abstand.

Wenn sie mir selbst wahre Freude und Übermut zeigten, mich im Gesicht küssten oder umarmten,

erstarrte ich wie ein Hase auf freiem Feld, der den Flügelschlag des Habicht über sich wahrnimmt.

Sofort meldete sich mein innerster Vertrauter, der mich vor weiteren Verletzungen schützen sollte.

In mir war verankert, dass jegliche Tändelei und Zärtlichkeit in verschlossener Requisitenkammer

bleiben werden. Ich würde den Ball spielen, wie er käme, ohne Berührung der Hände oder Lippen.

Lange bevor die Zeitbombe meines ersten unverhofften Orgasmus im Schlafsaal explodierte, war

ich mir sicher, dass kein Mädchen und keine Frau an mir körperlichen Gefallen finden dürfte, wie

ich nicht an ihr. Was bis in meine frühe Kindheit zurückreichte, war die Gewissheit des Schweins-

Gesichts und der nicht Attraktivität, in mir hatte sich kompensierend zum Äußeren mein Innerstes

hoch entwickelt, womit ich wiederum niemanden belästigen wollte.- Ich genügte mir selbst alleine.

Die Schönen merken oft gar nichts von ihrem Reichtum, der süßer ist, als sie es nur ahnen können.

Sie sind es gewöhnt, betrachten das als selbstverständlich, sich überall im Licht zeigen zu können.

Dass man Zweifel an der eigenen physischen Anziehungskraft hat, scheint ihnen sehr befremdlich,

ähnlich wie ein Eingeborener. Doch im Urwald wird man ihm das nicht anmerken, dort ist er echt.

Mit sechzehn Jahren hatte ich mich an den Komplex gewöhnt, mit dem ich lebte sowie Diabetiker

mit ihrem Handicap. Menschen, die nicht schwindelfrei sind, sie können Süße und Höhen meiden.

BIRGIT UND DAS GRIECHISCHE THEATER

Paradoxerweise lernte ich dann doch für zwei Jahre ein sehr lebendiges Mädchen kennen in einer,

wie man sagt, platonischen Beziehung, die dem Namen Ehre machte, weil sie in engem Bezug zu

dem griechischen Theater stand. Wir entwickelten beide unsere Leidenschaft für Aischylos‘ Werk

'Agamemnon'. Birgit, ein dickes, dänisches Mädchen, das nicht besonders ansehnlich war, vertrat

die Meinung, dass Klytämnestra eine kaltblütige, selbstsüchtige Mörderin war, die Agamemnon in

eigenem Interesse umgebracht hatte, um sich in den Schutz ihres Liebhabers Aigisthos zu stellen.

Sie glaubte, dass sie niemals befürchtete, ihr Verbrechen könnte danach ans Tageslicht kommen.

Zwiespalt trat in mir auf, als ich dies pauschale Urteil, ein viel zu leicht gestricktes Muster, von ihr

vernahm. Dazu war das griechische Theater zu hintergründig in der stilistisch sicheren Wort-Welt.

Ich saß neben ihr mit dem Textbuch in der Hand und las den gesamten zweiten Teil einer Trilogie,

'die Totenspende', um heraus zu bekommen, ob Aischylos dies wirklich so schuldig gemeint hatte.

Fühlte sich Klytämnestra in ihrer königlichen Macht unantastbar, dass sie sich zu dieser Tat erhob?

Lange Zeit nach diesem Mord war es Orest, der Sohn von Klytämnestra, der von Mykene geflohen

war, um seinen Vater Agamemnon zu rächen. Orest kehrte als Fremder zurück, um seine Mutter zu

ermorden. Ich fragte den Regisseur Raybird, ob Klytämnestra ihren Sohn vorher erkannt hatte, und

warum sie kein Wort verlauten ließ in seiner Gegenwart. „Natürlich hatte sie Orest erkannt. Für sie

gab es nichts mehr zu sagen. Das war die Allmacht der Götter, der sie sich in dem Moment beugte.“

Ihr blieb nichts anderes mehr übrig, als ihre Würde zu bewahren. Birgit war in dieser Hinsicht ganz

anderer Meinung. Sie widersprach, dass man zum Schluss Sympathie für die blutrünstige Mörderin

empfinden sollte. Wir stritten uns nicht unbedingt über das Thema. Ich mochte ihre Hartnäckigkeit.

Trotzdem fragte ich nochmals Raybird in Regie, woran sie Orest erkannt hatte? „Ihr Gewissen war

es, das sie verriet. Jahre lang trug sie das Geheimnis in sich und hatte auf Orest beinahe gewartet.“

Birgit war die Nichte der Frau des Hausmeisters, die ihre Tante gelegentlich besuchen kam. Ich sah

sie später als eine Art Leidensgenossin, die nicht in den Respekt von Aphrodite kam und fühlte wie

sie, wenn auch ohne einer Berührung, was sich mein Mitschüler lästernd zur Angriffsfläche machte.

Ich stieß ihn ohne ein Zögern den Hang einer Böschung hinab,- was niemand vorher gedacht hätte.

Ein Junge namens Bill stand in seiner Clique, die lang ausgestreckte Zungen über kalte Eiskugeln

zogen, auf dem Hang und rief mir lauthals hinterher: „Dort kommt der dänischer Torten-Bäcker als

Götterbote Paris und schwebt dem griechischen Theater unter Ausschluss von Aphrodite hinüber.“

Ich hätte es ihm nie zugetraut. Doch statt seine Frotzeleien zu ignorieren oder zu kontern, verübte

ich etwas Unerwartetes aus einem spontanen Gefühl heraus, dass es im Gelände bekannt wurde.

Der Hausmeister, dem ich viel Sympathie entgegen brachte, sprach mich wenige Tage danach an.

„Hallo David, auf dem Weg zu ihrer Freundin, um sich dem griechischen Theater ehrend nützlich

zu machen?“ - “Ja, Sir“, antwortete ich kurz im Vorübergehen. Er hielt mich am Ärmel fest, indem

er mich sachte an sich heranzog. „Nur ruhig Blut“, sagte er. „Wissen Sie, solch Frotzeleien, wenn

die auch nicht nett sind, muss man nicht gleich mit derart drastischen Maßnahmen beantworten.“

Wir lächelten uns an. „Tut mir leid, Sir. Das wird nicht wieder vorkommen“, sagte ich schlicht wie

begreifend. Ich erfuhr von ihm, dass sich Bill beim rasanten Absturz seinen Arm gebrochen hatte.

Zum Glück gab es einen Zeugen in der Clique, der klar bestätigte, dass dies Bill angestiftet hatte.

Mich verwunderte die Aussage eines Kameraden,- doch musste ihn mein Gefühl verdutzt haben.

Als würde man in eine andere Welt versetzt werden, wenn ein Fisch gefühlvoll zu Jungen spricht.

Das Image am College nahm die Kehrwende vom schüchternen Einzelgänger zum respektierten

Mitschüler, der im Vergleich zu anderen eine Freundin hatte,- die in der Reife Mädels voraus war.

VORAHNUNGEN

Ich erfuhr viel Interessantes über Dänemark, dass ich ihr versprach, sie in den Semesterferien zu

besuchen, um mir den Dom des 13. Jahrhunderts unter anderen Sehenswürdigkeiten anzusehen.

„Vielleicht gelingt es mir sogar schon vor Jahresende zu Weihnachten, wenn ich meine Eltern in

diesem Jahr nach Weihnachten wiedersehe. „Es wäre wunderbar, doch bin ich Jahresende nicht

dort.“- “Hast du nicht gesagt, dass du Weihnachten in Dänemark feierst?“ “Das habe ich niemals.“

Ich wunderte mich. Ich war davon überzeugt, dass ich dies gestern aus ihrem Mund gehört hätte.

„Das habe ich nicht gesagt!“ bekräftigte sie wiederholt ihre Worte mit einer üblichen Willensstärke.

„Dann hat es dir jemand anderes gesagt.“ Ich überlegte, dass ihr Onkel es mir nicht gesagt haben

konnte. Letzte Zeit hatte ich ihn als Hausmeister, sowie auch sonst nicht weiter mehr gesprochen.

Woher sollte ich das wissen? Wer hatte mir das gesagt, was sich bei ihr als Gerücht herausstellte.

Ich erinnerte mich an eine ähnliche Situation, als ich elf Jahre alt war und meinte, eine Bekannte

meiner Mutter im Restaurant eines Nachbarortes gesehen zu haben, als ich mit meinem Fahrrad

unterwegs war. Frau Whitle, die kurz zu uns zum Tee herein gekommen war, beteuerte, dass sie

nicht in Newstown gewesen sei, und ich mich irrte. Ich war felsenfest überzeugt, dass sie es war.

Meine Mutter schickte mich in den Garten, ein Bund Petersilie zu pflücken und fing mich dann ab.

Auf der Veranda, als ich mit einem Büschel vor ihr stand, sagte sie: „David, ich bin mir sicher, du

hast Recht. Doch aus einem bestimmten Grund will sie es uns nicht sagen.“ “Warum nicht, Mutti?“

„Ich weiß es nicht. Doch sollten wir es dabei besser belassen.“ Sechs Wochen später wurde Frau

Whitle geschieden und war zusammen mit ihrem Liebhaber nicht mehr in dieser Region ansässig.

Sie verließ uns mit ihm. Natürlich war ich in dem Alter nicht in der Lage, diese zwei Ereignisse zu

verbinden. In einer Sache, Birgit in Dänemark zu treffen, lag das aber anders als bei Frau Whitle.

Was sollte mich darin täuschen wollen und wofür? Auch hier war ich mir absolut sicher, dass ich

es gehört hätte, dass Birgit zum Jahresende in der Heimatstadt sein würde, verflixt wie zugenäht.

Sie war es selbst, die zaghaft den Vorschlag gemacht hatte, dass ich Dänemark besuchen sollte.

Doch gab es noch einen anderen Grund, der mich davon abhielt, darin weiter zu forschen. Dabei

spürte ich deutlich diese Angst vor Unheilvollem, wenn auch nicht bewusst. Als sei ich gestolpert

über den Stein, den ich besser liegen ließ. Wie ein Kind, das Böses ahnt, ohne real zu verstehen.

Da war etwas Irritierendes an der Sache, was mir intuitiv im Gefühl kund gab, es nicht zu wissen.

Als Agamemnon gelaufen war, trafen wir uns nur selten, bis ich sechs Wochen vor Semesterende

erfuhr, dass ich meine Eltern in Spanien besuchen musste mit dieser erregenden Aussicht auf ein

Stipendium für Oxford. Die letzte Zeit im Internat verlief flüchtig, verging in Windeseile, mit ganzer

Konzentration auf mein Ziel: in Deutsch und Französisch mein Diplom zu schreiben. Während ich

mich von Birgit zunehmend entfernte, vergaß ich dies, sie in Kopenhagen einmal wiederzusehen.

Unerwartet zu Beginn des Herbstsemesters bekam ich in Oxford Post von dem Hausmeister aus

Blessfill. Er schrieb mir ein paar kurze Zeilen, dass er hoffe, dass es mir gut ginge und lud mich

ein zum „Abendessen der Ehemaligen“ im November. Ob ich nicht Lust hätte, mit dabei zu sein

und mir eine neue Inszenierung von Raybird anzusehen. Pflichtbewusst tauchte ich auf und war

gespannt auf das Schauspiel der neuen Internatsschüler. Wie bei solchen Gelegenheiten es alter

Brauch war, gehörte auch der neue Schulsprecher dazu, ein Neusprachler und früher Bekannter.

Nach dem Abendessen ergab sich ein Gespräch zwischen uns, das für mich aufschlussreich war.

„Ist das nicht jammerschade um dieses arme, dänische Mädchen, David! Sie waren befreundet?“

Ich runzelte die Stirn und wusste nicht, worauf er hinaus wollte. „Birgit, nun gut, was ist mit ihr?“

„Was denn, Sie wissen von nichts?“-“Nein, ich habe nichts mehr von ihr gehört. Was soll sein?“

“Leukämie! Sie hat offenbar Leukämie. Es sah schlimm aus um sie, als man sie sofort mit dem

Ferienbeginn nach Hause schickte. Am ersten Abend des neuen Semesters riefen riefen Eltern

an, baten mich, die Mitbewohner des Internat-Gebäudes ohne Aufwand darüber zu informieren.“

Ich habe nie erfahren, was aus ihr geworden ist. Ich weiß es heute nicht einmal und will es nicht.

Es gab keine stichhaltigen Gründe, zu mindestens nicht für Dritte oder dafür eine Erklärung, ich

hätte eine Vorahnung gehabt. Als ich in jener Nacht wach lag und an Birgit dachte, erinnerte ich

mich an den Spaziergang für Agamemnon und wie ich davon überzeugt war, dass sie im Herbst

nicht mehr hier im Internat sein wird. Das Wissen beruhte nicht auf die Aussagen, die ich gehört

hatte, sondern auf eine innere Furcht in Vorahnung. Ich war fassungslos. Ob es sich wiederholte,

wusste ich nicht. Eine innere Unruhe überkam mich. Sollte das gleiche mal wiederkehren? Dann

legte ich diese Angelegenheit ad acta und dachte über Birgit nach, wie über meine gute Freundin

beim Theater. Ihr kurzes „Tak“, wenn ich ihr einen Terpentin-Lappen zuwarf, zum Reinigen farbig

verschmierten Hände. Das unbewusste, feste Zusammenpressen der Finger, nachdem der 3. Akt

zu Ende war, wir auf diesen schrecklichen Todesschrei 'Agamemnons' warteten, bis er hörbar war.

Aus dem Inneren des Palastes ertönte der dritte Chor, und ein Bühnenbild löste sich langsam auf.

Dann und wann musste ich dran denken, was wir auf dem Weg zum Internat besprochen hatten.

Sie wollte im Herbst noch bis Jahresende hier bleiben und wie ich ihr darin widersprochen hatte.

Es lief mir ein kalter Schauer den Rücken herunter. Doch versuchte ich, es besser zu vergessen.

Ich behielt sie in Erinnerung, wie die Birgit, die ich einmal gerne gemocht hatte und weiter nichts.

MEIN OXFORD-STUDIUM

Fortan widmete ich meine ganze Aufmerksamkeit einem neusprachlichen Studium in Oxford, das

mich völlig vergessen ließ, womit ich meine Freizeit im Internat verbrachte und ob ich die Fische

im Bach gefangen hatte. Ich musste mich anstrengen, für meine Doktorarbeiten Neues zu lernen.

Neben Deutsch und Französisch lernte ich ein brauchbares Italienisch, es war leicht zu sprechen.

Dänisch hingegen ist eine schwierigere Sprache. In Dänemark spricht man oftmals auch Englisch.

Mir ging Dänemark nicht mehr aus einem Sinn, was ich trotzdem persönlich kennen lernen wollte.

Vielleicht hatte mich Birgits Erscheinung ja mehr berührt, als ich es für mich wahrhaben konnte.

Nach zwei Jahren Oxford, die ich glücklich verbrachte, was meine Examina und Freizeit betraf,

machte ich mir Gedanken, womit ich in der Zukunft meinen Lebensunterhalt begleichen konnte.

Mein Vater hatte für meine Schwester Georgia und mich ein halbes Vermögen in unsere Studien

investiert. Georgi, wie wir sie nannten, hatte mit Bestnoten in Geschichte abgeschnitten und war

wie geschaffen für das Lehramt. An einer Oberschule verdiente sie sich bereits unabhängig Geld.

Wenn unser Vater es mit etwas Taschengeld besiegelte, so weil er auch seine Tochter verwöhnte.

Georgi war drei Jahre älter als ich und verheiratet. Sie hatte ihre vierjährige Tochter Beatrice, kurz

Trixi genannt. Wir hatten ein gutes und leider entferntes Verhältnis, dass uns andere als Kick & Ei

benannten. Es ging nicht überall so harmonisch zu in einer Familie wie bei uns, was ich anderswo

erlebte. Ich war froh darum und hielt es in Ehren. Georgia hatte ihr Staatsexamen für Oberschüler.

Sie war mir stets drei Jahre voraus, egal ob sie nicht mehr auf das Töpfchen ging, eingeschult war,

zur Oberschule wechselte, ihren Ehemann kennen gelernt hatte und ihre Tochter bekommen hatte,

wie sie vor zwei Jahren das Lehramt für Geschichte und Latein einnahm, als Beamtin unabhängig

von anderen finanziellen Zuwendungen. Ich war lebenslang an Sie gewöhnt als ihr kleiner Bruder.

Unser Vater war Ende der Fünfziger, gesundheitlich schwächer geworden, jedoch nicht kränkelnd.

Ich machte mir manchmal Gedanken um sein Antiquitäten-Geschäft in London, das er immer gut

alleine führte. Jahrzehnte lang hatte er sich Wissen angeeignet, um die anspruchsvollen Kunden

zufrieden zu stellen und zu bewahren Es wäre schade drum, wenn jener Laden in fremde Hände

kommen würde. Ich freundete mich mit meiner Vorstellung an, ihn an seiner Stelle weiterzuführen.

In Oxford fing ich Feuer für neue Sprachen, kaufte mir von meinem Taschengeld die Grammatiken

Französisch, Italienisch und Deutsch, einige Sprach-Cassetten für die Aussprache. Dänisch einzig

als Reiseführer mit üblichen Redewendungen, die einem den Reise-Aufenthalt im Land erleichtern.

Doch mit Sprachen konnte man im geschäftlichen Sinn nicht besonders viel anfangen, wie ich fest-

stellte. Sie waren hilfreich bei Auslandsreisen, in der Korrespondenz im Export- und Importhandel,

stellten allein keine Grundlage dar für die gewinnbringende Wirtschaftlichkeit, die einen versorgte.

Ich befand mich in dem Stadium, in dem junge Mädchen in Pferde vernarrt sind, jede freie Minute

dafür nutzen, sie zu striegeln, zu füttern, den Stall zu säubern, in einer Runde führen und ausreiten,

ohne sich bewusst zu sein, ob sie ihre Liebe in Richtung Trabrennbahn, Sechstagerennen, Galopp,

Sport, Dressurreiten oder für die Pferdezucht verwenden. Ob sie Pferdepfleger werden oder Traber.

MEINE NACHFOLGE IM KERAMIKHANDEL

Ich hatte bis jetzt nichts anderes erlebt als das Antiquitäten-Geschäft meines Vaters für die Familie

und neue Sprachen in eigener Vorliebe mit Begeisterung. Ich versuchte, darin eine Schleife binden.

Natürlich fehlte es mir bislang an grundlegendem Fachwissen für den Antiquitäten-Handel. Jedoch

war ich mir sicher, dass ich es nirgends schneller lernen könnte als in dem Geschäft meines Vaters.

An einem Sonntagnachmittag, als unsere Familie zum Kaffee auf der Veranda saß mit dem typisch selbstgebackenen, englischem Kuchen, der eine Tradition war, ein altes Rezept meiner Großmutter,

eröffnete ich feierlich zum ersten Mal die Überlegungen, in die Fußstapfen meines Vaters zu treten.

Ich saß neben Georgi, meiner hübschen, warmherzigen Schwester, die mich bereitwillig anlächelte.

Unsere Mutter blickte auf die gemähten Ernte-Hügel des Hochsommers und wurde nachdenklicher

als sonst. Sie besaß die vollkommene Art der ‚First Lady‘. Sie wusste, wann schweigen besser war

als reden. Ich hätte gern gewusst, was in dem Moment in ihr vorging, der tiefe Verbundenheit war.

Keiner von ihnen hatte irgendeinen Einwand. Die Frage meines Vater erprobte nur eine Sicherheit,

ob ich den Wunsch wirklich aus freien Stücken hege und nicht aus dem Pflichtgefühl seines Sohns.

„Vielleicht ist es eine dumme Frage, David, aber du bist dir sicher, dass du das später nicht bereust

als Oxford-Absolvent? Dass sich nicht ein Gefühl von Standesbewusstsein, oder wie man es nennt,

dem alltäglichen, einfachen Kaufmanns-Dasein entgegen gesetzt wird? Dass du was untergräbst?“

„Um Himmelswillen, Vater, nein!- Das glaube ich nicht! Ich fühle eher Stolz bei diesem Gedanken.

Schließlich war es schon die englische Handelsflotte, die ihre Kapitäne Tradition werden ließ, und

dabei stetig wieder neue Ufer anstrebte im kämpferischen Wettbewerb des Handels, Ihre Majestät!“

Mein Vater lachte laut und herzlich. Jetzt zeigte er Genugtuung, worin sich seine Familie einreihte.

Ob mir der Wind stärker um die Ohren blies als zuvor, konnte ich feststellen, wenn ich darin stand.

Ich hatte ihn mir lange Zeit um die Nase wehen lassen, bis Georgi mir erneut vorangegangen war.

Wir plauderten bis in den Abend hinein, small talk, wie man in England sagt, über unsere Ahnen.

Scharlatanerie und Hexerei, Französische Revolution, ein Urenkel meines Urgroßvaters, in 1749.

Ein Bauer, der das Wetter vorhersagen konnte, den Ausfall einer Ernte und die Babys bestimmte,

wurde mit seinen eigenen Waffen geschlagen, als er eine Frau verriet, die ihr Baby getötet haben

sollte oder beseitigt hätte. Er brachte es der französischen Polizei näher. Im Gericht gab sie kund,

dass er zurzeit der Geburt ihres Babys ihr Liebhaber gewesen sei, wenn nicht vielleicht der Vater.

Mich interessierten dabei der Seher und die vorher Ahnungen mehr als jenes unerwünschte Baby.

Unser Ladengeschäft mit Keramikkunst sei bei meinem Großvater entstanden, unser Urgroßvater

hätte schon Anteile gehabt, der unterstützte das Geschäft seines Sohnes, wie Vater es bei mir tat.

Ein Jahr später war es offiziell. Mir gehörten eigene Anteile vom Keramikgeschäft meines Vaters.

Mit meinem zweiten Staatsexamen, das sich so gut sehen lassen konnte wie dieses von Georgi,

war ich täglich in London und beriet die langjährige Kundschaft für Antiquitäten selber im Laden.

Frühere Kunden kannten mich von klein auf. Sie zeigten offensichtliche Freude am Wiedersehen.

Es waren erst zwei Monate vergangen, und ich wusste, dass die Töpferkunst meine Berufung ist,

weil ich mich allen Kunstwerken des alltäglichen Gebrauchs gewidmet hätte, ohne damit Geld zu

verdienen. Dies ging am Geschäftssinn vorbei, doch beflügelte es meine Arbeit.

Meine ganze Seele lag darin, wenn ich mir diese verschiedenen Motive von Tieren, Ornamenten,

Pflanzen, Blumen oder Skulpturen ansah, die oft schöner aussahen als in der realen Wirklichkeit.

Letztendlich hatte der Mensch dem Tier voraus, dass er gern dekorierte und edle Ambiente schuf.

Wenn die Vögel mit ihrem Gesang der Musik nahestehen, gar Lust, Werbung und Befriedigung in

langgezogenen Vokallauten, Höhen und Tiefen im rhythmischen Wechsel als Takt in der Melodie

wiedergeben, so bleibt Dekorieren, Zeichnen und Malen den Menschen überlassen in ihrer Kunst.

Diese Welt, in der Ton herausgegraben, in Schmelzöfen gebrannt, emailliert sowie glasiert wurde,

war die gleiche, in der die Phönizier das Geld erfunden hatten, in Folge des Tauschhandels zuvor.

Ich musste zwei Perspektiven auseinander halten und erfuhr, dass sie sich hervorragend ergänzten.

„Der Vertrieb lebt mit einer Seele, die Buchhaltung ist das Herz des Geschäfts!“, betonte mein Vater.

Er wies mich darauf hin, dass diese bewundernswerte Haltung jenseits des schnöden Profits, auch

beinhaltet, dass in der Töpferei meist in den einfachen Gegenständen wie dem Feuer festen Teller

oder der braun glasierten Teekanne mit Stövchen eine bessere Handelsspanne liegt als bei selten

teuren Utensilien für die Vitrine. Unsere Vorgänger wussten das schon in der gelungenen Auswahl.

Indem sie Nutzen und Zweckmäßigkeit vor dies Ausstellungsstück in Rarität gestellt hatten, hätten

sie das beachtliche Lager geschaffen, das einem Geschäft die Möglichkeit zu Besonderem verlieh.

Mein Vater klärte mich in den kleinen, wichtigen Details genauso auf, sowie er mir die Grundlagen

des soliden, seriösen Kaufmanns beibrachte. Die Raffinesse des Verkaufens und die Buchhaltung.

Meine eigene erste Sammlung war nicht kostspielig. Sie enthielt die schönen Dinge aus Keramik,

die sich ein Auszubildender leisten kann. Dies Gedeck mit Blumen für das Frühstück, eine Schale,

aus der man Obst anbieten und Porridge essen konnte, oder den großen Landschafts-Wandteller,

der unsere „grüne Insel“ darstellte. Ein Schmuckdöschen mit einem Rosen verzierten Deckelchen

als Geburtstagsgeschenk für meine liebe Mutter. Sie bewahrte darin den wertvollen Schmuck auf,

womit sie außerdem den besonderen Wert meines ersten, selbst verdienten Geschenkes achtete.

Traditionelle, englische Keramik hatte es in sich, wenn man im Verkauf kompetent beraten wollte.

Ich lernte Original und Fälschung unterscheiden wie die Kopie von dem Kunstwerk richtig deuten.

War dies Original glaubhaft, musste ich es katalogisieren zur neuen Bestellung für Interessenten.

Ich arbeitete hart. Bald hatten mein Vater und ich zwei Roover, da er gerne den Abend vor dem

Sonnenuntergang im Garten zwischen seinen Vögeln genießen wollte oder bei einem Earl Grey

einen seiner mächtigen Wälzer. Er besaß eine eigene Bibliothek, die bis zur Decke hoch reichte.

Währenddessen studierte ich verschiedene Epochen, in denen Keramik bemalt worden war, um

den Kunden gerecht zu werden und anspruchsvolles Publikum in der Kunst Wissen darzubieten.

Das war ähnlich wie in der Musik, dass man zwischen Klassik, Musicals, Folklore, Schlager und

Symphonien unterscheiden lernen musste, dass „Die kleine Nachtmusik“ von Mozart war, sowie

'Die Zauberflöte' eine Oper und nichts gemeinsam hatte mit 'Den lustigen Weibern von Windsor'.

Oder wie ein Motiv zum Symbol wurde für die Formen in der Keramik, weil dies Feuer gefangen

hatte bei seinem Publikum, wie ein Ohrwurm populär wurde, weil ihn Sänger mit summten beim

ersten Ton der Melodie, dass diese von den Dächern gepfiffen wurde, egal ob von Spatzen oder

von Jungen. Das könnte man ein Lieblingsmotiv nennen. Man sah es bald auf jeder Tasse, Vase

oder Untertasse. Ein Motiv wurde zum Symbol für viele und erschien auf einem Deckel als Rose.

Dazu gehörten ein Rotkehlchen, ein Fasan mit goldenem Schwanz, der Kuss von Gustav Klimt.

Ein blaugrünes Pfauen-Auge stellte einen Schutz dar und war beliebt für den ritterlichen Kelch.

Die Quelle des Charmes war dabei ihre verspielte Unvollkommenheit, die man hier überall sah.

Letztendlich blieb das oft Handarbeit, die Töpferkunst, geformt, modelliert, bemalt und verziert.

Mir machte meine Arbeit Spaß. Kein äußerer Druck zwang mich, mehr dafür zu tun als nötigst.

Erst recht nicht mein Vater, der mit Gelassenheit beobachtete, wie ich in seinem Keramikladen

aufging und schon nach einem Jahr die Führung übernahm. Bald zeigten sich fremde Sprachen

nützlich, die ich sonst kaum brauchte. Meine Reisen führten nach Paris, Rom und Kopenhagen.

MEIN ERSTER BESUCH VON KOPENHAGEN

Sieben Jahre später, nachdem ich von Birgit Abschied genommen hatte, traf ich in Kopenhagen

ein. Es wurde mir wieder bewusst, als ich mit eigenen Augen sah, wovon sie mir lebhaft erzählt

hatte. „Das musst du unbedingt einmal in Wirklichkeit erlebt haben!“, gab mir mein Gedächtnis

sofort kund. „Von höchster Präzision sind die Kunstwerke, die Statuen, die großen Kathedralen

und natürlich auch „Die kleine Meerjungfrau,“ das Wahrzeichen von Kopenhagen“, schwärmte

sie mit leuchtenden Augen. „Erlebt, sage ich, mit einer Seele, die in unser griechischen Theater

passt, nicht mit dem Blick der eiligen Touristen wie erfasst sondern von Grund auf verstanden.“

Es waren mal Birgits Worte. Nun stand ich am Kai mit dem weiten Meer in ihrem Kopenhagen.

Neben „Der kleinen Meerjungfrau“ dachte ich an sie zurück wie an meine ehemalige Prophetin.

Sie hatte Recht gehabt. Ich verliebte mich beinahe in den ungezwungenen, natürlichen Charme

einer Stadt mit barocken Denkmälern und Baustilen und mit dem feinsten Porzellan, das ich sah,

ohne dass von ihrem zarten Flair so etwas wie Prunk ausging gleich dem Schloss von Versailles.

Paris, Barcelona, Rom, Florenz und Venedig waren sich der Schönheit wie Berühmtheit einfach

zu bewusst, die ihnen Scharen von Touristen täglich widerspiegelten. Kopenhagen blieb Jungfer.

dahingegen, trug im Vergleich zu diesen protzigen Städten etwas Unberührtes und Edles an sich.

Keine andere Stadt schien mir so freundlich und herzerwärmend zum unbeschwerten Flankieren.

Das war für mich ein Vergnügen, die Gesellschaft der Dänen zu erleben. In einem Porzellanladen

schloss ich überraschend neue Bekanntschaft mit interessierten Kunden, die ich einladen musste.

Sie wollten sich in England nach klassischem Porzellan, Vasen, ursprünglicher Keramik umsehen.

Es erinnerte mich an Mekka-Pilger, die das letzte Geld hergeben, um einmal da gewesen zu sein.

Ich glaube, es gibt dabei nichts Besonderes zu sehen. Doch nicht auf das, was sie sehen, kommt

es an, sondern darauf, was sie im Herzen fühlen, das ganz Besondere lag in den eigenen Herzen.

Meine ungeahnten Errungenschaften waren reisende Händler, die für Antiquitäten-Händler weiter

fuhren als ich, um ihnen Kostbarkeiten in ihre Geschäfte zu bringen, die nirgendwo zu bekommen

waren. Dies war weitaus mehr als eine Kopenhagener Porzellan-Manufaktur mit ihrer Ausstellung.

Meine Gefühle waren zwar weltlicher Art im Vergleich zu jenen gläubigen Mekka-Reisenden,

doch im Sinn der unbedingten Leidenschaft zu dem, was man tut, waren sie sich recht ähnlich.

Die Menschen in London wussten zu wenig über klassisches Porzellan und moderne Keramik.

Das sollte sich ändern. Ob ich damit Geld machte oder nicht, spielte hierbei keine große Rolle.

Einzig und allein die Lebendigkeit und Notwendigkeit meiner Arbeit war wichtig, alles andere

blieb zweitrangig. Das Kapital und Geschäft gehörten nicht mir, und ich stand erst am Anfang.

Mit gutem Gewissen konnte ich es nicht verantworten, dass sich mein Vater jetzt nach dreißig

Jahren seiner Geschäftsführung neu orientieren sollte. Ich hatte mich mit ihm jederzeit bestens

verstanden. Er war von meiner Begeisterung und mit meiner harten Arbeit zufrieden, dass ihm

keine Einwände einfielen, als ich ihm klarmachte, dass ich mir ein Kapital mit einem Zinssatz

von 15 Prozent ausleihen müsste, um meine Ziele zu verwirklichen, was ich bis in drei Jahren

zurückzahlen wollte. Ich hoffte, dass sich dann diese Reise-Unternehmungen investiert hätten.

Mein Vorhaben, außerhalb Londons und Englands Antiquitätenhändler aufzusuchen, war klar.

Ich begann ziemlich bald, von Kopf bis Fuß sachgemäß ausgestattet, die Auktionen außerhalb

Londons zu besuchen und die Kontakte zu reisenden Händlern anderer Länder zu pflegen, die

an Antiquitätenhändler weiter verkauften. Außerdem reservierte ich im Laden in der Eingang-

Nähe, wo es die Kunden sehen mussten, den Extra-Platz für klassisches Porzellan & Keramik.

EIN SELTSAMER VOGEL

In jenen Jahren bezog sich mein Interesse an Mädchen allein auf das Gesellschaftliche, was

in seiner Art und Weise befremdenden Charakter hatte. „Ein ganz seltsamer Vogel“, hörte ich

eine Dame verlauten, was kein Lästern sondern ihre Verwunderung war. Mein Verhalten war

für sie recht unnatürlich. Ich fühlte mich darin vollauf zufrieden, in Ruhe gelassen zu werden.

Zweifellos musste etwas von der kindlichen Überzeugung, ich sei körperlich nicht anziehend,

tief in mir vergraben liegen, wenn ich mir darin auch wenig bewusst war, sondern es gut fand.

Ich wurde selten von einem Begehren geplagt und empfand dieses nicht als Unzulänglichkeit.

Vielmehr war ich stolz auf meine genügsame Lebensweise, ohne darüber groß nachzudenken.

Ich ging absolut auf in meiner Arbeit, die ich in Leidenschaft ausübte, liebte meine Familie und

wenige beste Freunde, mit denen ich meine einzelgängerischen Freizeit-Aktivitäten ausführte.

Soweit ich mal darüber nachgedacht hatte, einem Mädchen besondere Zuwendung zu zeigen

sowie ihr meine Aufmerksamkeit zu widmen, schien mir das als nicht lohnenswert im Ergebnis.

Sollte mir jenes geschehen, müsste sie eine erhebliche Mauer an Schüchternheit durchstoßen.

Mir erschien dieses wie eine Ablenkung zu meiner Arbeit und die Erschwernis im weiteren Tun.

Meine Eltern versuchten nicht, mich zu beeinflussen. Vielleicht hatten sie es auch nicht so eilig,

meine Gefühle umherschweifen zu sehen. Jetzt weiß ich, dass ich in jener Hinsicht altmodisch,

sowie altbacken gewirkt haben musste, ein orthodoxer Christ. Viel eigensinniger, abgehobener

als Freidenker, vielleicht hochgeschraubt, der sich mit den unsicheren Gefühlen nicht befasste.

Obwohl ich mit allen Menschen immer gut zurecht kam und an Freunden keinen Mangel hatte,

waren schöne Dinge einfacher und verlässlicher, berechenbarer und deswegen befriedigender.

Porzellan war meine Verfeinerung der fehlbaren, oft enttäuschenden Wirklichkeit eines Dasein.

Damit keine Missverständnisse aufkommen, jener Stil oder die Raffinesse von Frauenkleidern

entzückten mich durchaus, dass ich hinstarrte, all die unwichtigen Detail in mich aufzunehmen.

Doch auf frivole Art kamen mir ihre Besitzerinnen launisch, trivial und äußerst anstrengend vor

in Hinblick auf diese kühle Freude, die aus dem Töpfergut oder einem Kontrapunkt entströmte,

sie zu vergiften oder zu verschütten. Als die sechziger Jahre revolutionierten und keine realen

Werte mehr galten, die lange Zeit von Bestand waren, merkte ich, dass ich außerhalb der Zeit

stand mit einem anderen Geist, der sich lieber im Einklang seiner Handwerkskunst befand als

in den Turbulenzen des Marktgeschehens der rebellischen Welt, besser zuhause untermauert.

MEIN PRIESTER-FREUND ANTON

Anton Wild und seine Frau Bonny waren meine besten Freunde. Anton war zwei Jahre älter als ich.

Als er Mitte der sechziger Jahre in unserer Gemeinde eintraf, war er in seiner Art kein Prediger von

Schuld und Sühne, gar der freundliche Angepasste, der es jedem in allem recht machen will. Er war geradeheraus, unkonventionell, intellektueller als erlaubt, was ältere Gläubige erschrecken ließ und

brachte frischen Wind in den Puritanismus. Mit einer warmherzigen und sehr vernünftigen Haltung,

die überraschend das Gegenteil vertrat, von dem, was man erwartet oder gewohnt war vom Priester,

gewann er schnell vielerorts Vertrauen bei Menschen und in Gegenden, die nicht christlicher waren

als Jesus bei Maria Magdalena oder der Ehebrecherin, die zur Steinigung angeschleppt worden war.

Lebhaft habe ich in Erinnerung, wie wir an einem Sommerabend von unserem sportlichen Wettlauf

kamen, als in dem Vorraum der Kirche drei junge Hippies standen, die aus London getrampt kamen

und schon zwei Stunden auf uns gewartet hatten, um für einen Freund Hilfe zu suchen, der mit dem

Gesetz und der Polizei aneinander geraten war. Anton lud die drei unverzüglich zum Abendbrot ein.

Ehe sie mit ihren Schilderungen beginnen konnten, wendete er ein: „Ihr müsst doch Hunger haben.“

Am Montag fuhr er sie in seinem Wagen selbst zurück nach London und sprach bei der Polizei vor.

Ich musste mir eingestehen, dass ich dem gegenwärtigen Protest und halbgarem Mystizismus einer

unruhigen Zeit, weniger gewachsen war, als ein Geistiger mit steifem Kragen und langem Gewand.

Seine herausfordernden Gedanken und Reaktionen entgegen der Erwartung überraschten mich sehr.

Es war meine pessimistische Sicht eines Jahrzehnts mit Fröhlichkeit und ernst zu nehmendem Eifer.

Ich selbst war ein Feigling in einer Festung, dem man nichts anhaben durfte in seiner Sicherheit des

Wohlstands. Es gab Momente, in denen ich meine paar Bemerkungen machte über eine neue Mode,

ihre Macken, die immer verrückter werden, dass mir Anton mit liebevollem Lächeln an das Herz legte:

„David, dein Moralismus wird dich selbst nochmals einholen zum Trotz dieser Niedrigkeit einer Welt

und dem Stolz derjenigen, die aufbegehren.“ Wir lächelten beide. Ich merkte, dass er das so meinte.

Als in den Jahren das Vertrauen meines Vaters wuchs und gleichermaßen meine Erfahrungen, auch

mein Standvermögen, beteiligte er sich immer weniger in der aktiven Geschäftsführung. Er sagte in

vielen Fällen: „Tu, was du für richtig hältst, mein Sohn.“ Ich wollte ihn nicht verdrängen, sonst anders

wettstreitig machen. Wir verstanden uns gut und hatten keine geschäftliche Auseinandersetzung im

Sinne der Konkurrenz oder anderes. Ich brachte ihm viel Respekt und ehrliche Zuneigung entgegen.

So sprach er öfter den Wunsch aus, am Nachmittag lieber im Garten zu bleiben, um Jimy zu helfen.

Jimy war unser „Mädchen für alles“. Er mähte und sprengte sehr große Rasenflächen, brachte auch

Proviant mit nach Hause, wenn meine Eltern nicht einkaufen fuhren, empfing täglich den Postboten,

kümmerte sich liebevoll um unseren Jagdhund Winny und die Geschwister-Katzen Betsy und Sally.

Beide rühmten sich schon eines hohen Alters wie unsere zwei langjährigen Angestellten in Pension.

Elisa

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