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IM RESTAURANT KOPJE - 5. KAPITEL -

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Unser Kopje am Kai war voll, was mich nicht überraschte. Mittags hatte ich telefonisch einen Tisch

bestellt und mich mit dem Oberkellner abgesprochen in der Auswahl eines Weines zum Kaltstellen.

In Dänemark gibt man das Trinkgeld nicht im Voraus und kann Speis und Trank am Telefon ordern

nach Lust und Laune. Dies bedeutet, dass man nicht lange auf Essen und Getränke warten muss.

Mein reservierter Tisch befand sich im hinteren Teil des Restaurants vor der Spiegelwand mit Sims.

Zehn Minuten vor acht nahm ich Platz und bestellte mir einen Tee. Ich saß gegenüber vom Eingang

und hatte so freie Sicht. Zehn Minuten nach acht wurde ich nervös, dass ich mich beruhigen musste.

Abwarten und Tee trinken. Ich blätterte in der Tageszeitung, konnte mich nicht in irgendeine Sache

wirklich rein lesen. Es war nur Schau wie das frühere Versteck meines Vater‘ s im Garten, wenn er

seine Vögel beobachtet hatte. Wie lange Zeit solche veralteten Gepflogenheiten überdauern können.

Kurz danach sah ich sie – im Spiegel – draußen, während zwei Männer ohne Begleitung die Glastür

durchquerten. Sie hatte ihre Hand schon am Türgriff, als sie die wieder zurücknahm und die Herren

ihr mit unverhohlener Bewunderung die Tür weit aufhielten und nachblickten. Der eine nahm seine

Zigarre aus dem Mund, weil sie sonst herausgefallen wäre. Sie ging durch sie hindurch, blickte erst

zum einen und schenkte ihm ein Lächeln, dann zum anderen mit einem zweiten anmutigen Lächeln.

Beide verharrten kurz in Faszination, als sie direkt zum Oberkellner hinüberging und ihn ansprach.

Elisa erschien in einem cremeweißen Cape, das bis über ihre Knie ein dunkelblaues Kleid bedeckte.

Ihr schwarzes Haar fiel locker darüber und wurde von einer kleinen, Perlen besetzten Spange direkt

an ihrem linken Ohr gehalten. Ein Täschchen stellte sie auf den Tisch und fragte den Oberkellner in

amüsanter Art, dass er zu lächeln begann und seine steife Haltung verlor, wo hier die Garderobe sei.

Er verbeugte sich kurz und führte sie hin. Er nahm ihr das Cape ab, wartete ein paar Minuten, bis es

vor dem Spiegel stimmte und geleitete sie zu meinem Tisch. Quer durch das Restaurant, wobei sich

einige Gäste nach ihr umdrehten, folgte sie dem Oberkellner in einem azurblauen Kleid, das Taillen

nahe geschnitten war mit weit fallender Glocke. Das Chiffontuch harmonisierte farblich nicht genau.

Sie trug es wie den letzten Mode-Hit. Ein Band am linken Handgelenk ergänzte es mit dem goldenen

Armband, das sie von mir bekommen hatte. Das Kleid hätte man überall wie von der Stange kaufen

können. Wenn daraus eine Kreation geworden war, so weil sie es anders trug mit schickem Zubehör.

Es sah aus, als würde sie über den Laufsteg flankieren, während die meisten zum Publikum wurden.

Im Gegensatz zu ihr wirkten andere solide gekleidet, einfach und bieder bis hin zur festlichen Robe.

Als sie mit dem Oberkellner meinen Tisch erreicht hatte, erhob ich mich rasch und begrüßte sie auf

deutsch: „Guten Abend, Frau Fröhlich.“ Sie reichte mir ihre Hand und erwiderte auf englisch: “Das

tut mir leid, dass ich mich verspätet habe.“ „Ach wirklich?“ „Nein, nicht richtig.“ Ihre Zungenspitze

tauchte kurz zwischen den Lippen auf, wie bei einem leicht spöttischen Witz, der ihr gelungen war.

Die Ellenbogen auf dem Tisch, das Kinn auf die Finger abgelegt, saß sie mir gegenüber. „Madame

möchten einen Drink?“ fragte der Kellner. Ich zog die Augenbrauen hoch. „Was soll ich nehmen?“

„Gin Tonic? Martini? Sherry?“ „Aber das sollen Sie doch sagen.“ Ich bestellte einen roten Martini,

holte ein Päckchen Zigaretten hervor und hielt ihr eine hin. „Ich rauche nicht. Sie doch auch nicht.“

„Nein, woher wissen Sie das?“ „Ich weiß es einfach.“ „Dann kann ich dieses Päckchen weggeben.“

„Ein wunderschönes Cape, das Sie soeben getragen haben.“ „Och, das gehört mir nicht. Ich habe

es nur ausgeliehen, David.“ Weite Augen, leichtes Kopfschütteln, als hätte ich das wissen müssen.

„Sie kennen meinen Namen?“ „Und Sie meinen nicht?“ „Nicht ganz, ich möchte ihn gerne wissen.“

„Elisa Fröhlich“, sie spickte mit ihrem Finger zweimal in die Luft: „FRÖHLICH mit zwei Pünktchen!“

Der Oberkellner, der uns gewiss übernommen hatte, brachte zwei überdimensional große Karten.

Sie streckte gleich die Hand nach einer aus, damit sie uns nicht die Sicht versperrte. Ich war nun

gespannt, ob sie sich auch das Essen von mir aussuchen lassen würde. Sie ging die Speisekarte

ausführlich durch und entschied sich für das Cordon bleu mit Kartoffelkroketten und den Chefsalat

mit hartgekochten Eiern, nachdem sie sich ausführlich nach den einzelnen Zutaten erkundigt hatte.

Als sie endlich fertig war, den Kellner nach unzähligen, überbackenen Gemüsesorten zu befragen,

bestellte ich mir einen großen Teller Weinbergschnecken in Knoblauch und jenen Mixed Grillteller.

„Ihr Englisch ist ausgezeichnet, Elisa. Wo haben Sie es gelernt?“ „In Kopenhagen spricht doch fast

jeder bestes Englisch, finden Sie nicht?“ „Also leben Sie schon eine ganze Weile hier in der Stadt?“

„Kopenhagen ist doch wirklich eine wunderschöne Stadt. Es muss hier schöner sein als in London.

Sind Sie darum lieber hier? Zum Glück wohne ich nicht mitten in London sondern nördlich davon.“

„Woher aus Deutschland kommen Sie?“ „Och, ich vergesse oftmals, dass ich aus Deutschland bin.

Kleine Dinge vermisse ich manchmal - wie Weihnachten oder das Winzerfest. Ja, wenn alles geht.“

„Sagten Sie,- wenn alles geht?“ „Ja, oft glaube ich es sogar.“ „Dann sollten Sie auf ein Winzerfest.“

Sie aß auf deutsche Art mit ernstem Vergnügen und unbefangener Gier, bis auf den letzten Bissen,

sehr gründlich gekaut, den Teller leer. Meine Weinbergschnecken interessierte sie wie Exotisches,

was, das sie so nirgendwo gesehen hatte und folgte meiner Gabel vom Gehäuse bis in den Mund.

„Escargots?“ Sie war erstaunt über den Namen. Falten legten sich auf die Stirn. „Schnecken, Elisa.“

„Richtige Schnecken, die man essen kann?“ „Ja,- probieren Sie mal!“ Ich reichte ihr meine Gabel.

Sie nahm sie mir nicht aus der Hand, sondern aß direkt von der Gabelspitze mit höchstem Genuss.

„Hm, die hätte ich mir auch bestellen sollen.“ Ich rief den Kellner. „Es lässt sich sofort nachholen.“

„Doch wollte sie lieber nicht mehr essen und war froh, dass wir beide Knoblauch gegessen hatten.“

Sie machte sich wieder über den Chefsalat her und inspizierte konzentriert diverse Gemüsesorten.

Trotzdem ließ sie mit einem Lächeln und Kopfnicken den Kellner erneut an jenen Tisch kommen.

Einmal bestellte sie eine Scheibe Schwarzbrot mit Butter für die Salat-Eier, das weitere Mal einen

größeren Teller, weil ihr Gemüse übereinander lag, ohne dass sie die Sorten unterscheiden konnte.

„Es tut mir leid, Madame. Ich glaube, der hier ist der größte Teller, den wir haben.“ „Besten Dank!“

„Dann bringen Sie mir bitte einen heißen Teller für das Cordon bleu. Und die Gemüseplatte bleibt

hier auf dem Tisch.“ Ich weiß, wie es mir ergangen wäre, hätte ich solch ein Anliegen empfangen.

Der Oberkellner ließ die anderen Gäste nicht aus seinen Augen und ging den Extravaganzen nach.

Als er Elisa fragte, ob es jetzt zu ihrer Zufriedenheit geregelt sei, antwortete sie mit vollem Mund:

„Jetzt ist alles ganz wunderbar.“ Er freute sich über die Aufmerksamkeit, die sie entgegen brachte.

Mir selbst fiel es schwer, etwas zu essen. Denn ich musste jede Geste und Mimik von ihr mitessen.

Anders kann ich das kaum beschreiben. Ich registrierte alles von ihr, jeden Wink, jedes Wimpern-

Zucken und Fingerschnippen, jedes Stirnrunzeln und Lächeln, ihren Lachanfall und Kopfschütteln.

Jeder wäre überfordert gewesen, sich außerdem auf ein Essen zu konzentrieren, dass der Mixed-

Grill-Teller noch halbvoll war mit Steaks, Würstchen, Schinken, Lamm-Hackfleisch in Bällchen wie

in Finger-Form, die milden mit Kräuter und die scharfen mit Chili. Diese brauchte ich nur schlucken.

Trotzdem war noch genug darauf zu sehen, dass Elisa mich ermunterte: „Ja David, ein Mann muss

essen!“ Stattdessen beobachtete ich sie wie die Farben des Regenbogens mit der Angst, dass die

augenblicklich erlöschen konnten. Elisa hatte ihr Champagner-Glas mit dem letzten, kräftigen Zug

geleert, dass der Kellner ihr sofort nachschenkte. Sie lachte: „Es wird mich betrunken machen wie

schwankend, sagt man bei Ihnen so? Schwankend?“ Er stimmte ihr lächelnd zu: „Ja, schwankend.“

Nachdem er die Champagner-Flasche in einen silbernen Sekt-Kühler gestellt hatte, verschwand er.

Mit dem Dessert-Wagen kam er zurück an unseren Tisch und schnitt eine große Scheibe von dem

Apfelstrudel ab, die er auf einen Glasteller legte. Elisa krönte ihr Dessert mit einem riesigen Löffel

Schlagsahne. Dann fragte sie den Kellner nach Weintrauben. „Madame, sicher haben wir Trauben

in der Küche.“ Während er die holen ging, zeigte ich ihr meine Verwunderung, was sie mit diesen

Weintrauben vorhatte. „Elisa, Apfelstrudel mit Rosinen benötigt doch keine zusätzlichen Trauben.

Du hast einen eigenartigen Geschmack.“ „David, die Weintrauben sind auch für den Champagner.

Du wirst es gleich selber sehen.“ Der Kellner kam mit der Rebe Weintrauben an, von der er so ein

dutzend Trauben abschnitt und sie auf den Teller legte. Sie zerkaute diese gründlich, bis die Kerne

blitzblank waren. Dann warf sie zwei bis fünf in ihr Champagner-Glas und amüsierte sich, wie sie

im Glas zusammen mit den Sektperlen auf - und abstiegen. „Das ist wie Fahrstuhl fahren für diese

Kerne.“ Kaum traten die einen an die Oberfläche, sanken die anderen wieder ab auf den Abgrund.

Ich dachte in dem Moment, ein kleines, spielendes Mädchen vor mir zu haben, das sich entzückte.

Sie irritierte mich ständig, mir wurde unwohl in der Haut, wenn mir zugleich bewusst war, dass es

nur noch kurze Zeit war. Dann sei das Ganze für uns beide zu Ende, weil ich bald abreisen musste.

„Wo haben Sie denn das gelernt?“ „Och, im Schlaraffenland, kannten Sie dieses Spiel noch nicht?“

Sie lehnte sich zurück ans Sims wie die Kaiserin, die bis obenhin gesättigt und voll zufrieden war.

Oder wie eine ausgestopfte Puppe, die äußerst weich und knuddlig wirkt, so ein Kinderspielzeug.

Ihr Abbild wechselte sekundenschnell, ich nahm eine Diva wahr und das Mädchen mit Lieb-Reiz.

Zwei Drittel meines Steak-Tellers hatte ich geschafft. Ich beugte mich vor zu der Worcester-Soße,

als ich ihren Duft einatmete, der gemischt war mit dem Chartreuse, den sie gerade schlürfte. „Hm,

herb.“ „Soll er doch auch sein.“ „ Schwankend bin ich auch,- sehr schön.“ „Kann ich dich morgen

wiedersehen, Elisa?“ Jetzt war es raus. „Vielleicht.“ Sie lachte und warf ihren Kopf in den Nacken.

„Sollen wir morgen nach Helsingor fahren zum Lunch? Nein, ernsthaft, nicht vielleicht, bestimmt.

Elisa, nicht vielleicht, bitte - !“ Sie schnitt mir schnell das Wort ab. „Ich ruf‘ Sie an, geht das gut?“

Bei Jani und Lotte? Meine nicht existierenden Keramik-Bekannten. Ich musste selbst dazu lachen.

„Ja, das geht. Wann ungefähr?“ „Och, etwas eine halbe Stunde nach dem Aufwachen. - Schreiben

Sie mir bitte Ihre Nummer auf.“ Als wir draußen auf der Straße waren, begegneten wir fröhlichen

Dänen in einer Gruppe. Ein Mann kam zu uns mit einer roten Rose in der Hand. Er fragte höflich:

„Mister, Ihre Lady trägt keine Blume. Darf ich sie ihr geben?“ Er überreichte die Rose mit Würde

in angemessenem Abstand, ohne aufdringlich zu sein. Sie dankte ihm mit einem warmen Lächeln.

„Wow, what wunderful, magical, warm smile you have.“ Er machte galant eine tiefe Verbeugung.

Sie suchte nach etwas in ihrer Tasche, bis sie fort waren. Ich wollte sie ihr anstecken, doch wehrte

sie ab. „Nein, brechen Sie ihren Stiel nicht ab. David, ich trage sie in der Hand. Sie ist sehr schön.

Das ist hier außerdem Stil. Darum ist der junge Däne gekommen. Sie wussten es nicht, aber jetzt.“

„Soll ich ein Taxi rufen?“ „Ich brauche keines, danke. Es ist nicht weit.“ „Gehen wir nun zu Fuß?“

„Nein, ich sage Ihnen jetzt gute Nacht. Es gibt da einen Bus, die Immer-Linie, weil ich ihn immer

nehmen muss, da steige ich gleich ein.“ „Aber Elisa.“ Sie nahm meine Hand. „Danke schön, alles

war ganz wunderbar. Es hat mir viel Spaß gemacht. Und wir riechen heute beide nach Knoblauch.

Gute Nacht.“ Ich sah ihr nach, wie sie diese Straße hinunter ging in ihrem cremeweißen Cape, die

behandschuhten Fingern an der roten Rose. Sie roch ab und zu in der geschlossenen Duftknospe.

EIN AUSFLUG AM MEER

Der Kanonenturm von Helsingor oder die Plattform auf den Zinnen am sonnigen, warmen Maitag.

Elisa in einem weißgelben Kleid mit marineblauer Strickjacke, keine anderen Lebewesen in Sicht.

„Guck‘ mal, da ist Helsingborg in Sicht, David. Da drüben in fünf Kilometern auf der Küstenseite.

Wir könnten in zwei Stunden hinüber schwimmen. Wir kämen in jene Strömung, die viel kälter ist

als hier, wir würden in Kullen landen auf dem Grund und könnten den Weg nach England zu Fuß

zurück gehen. „Trotzdem wäre es schön. Schwimmen Sie gerne, Elisa?“ „Ich liebe es. Ich bin viel geschwommen, einmal gar acht Kilometer.“ „Wo?“ „Och, weit weg im Süden, da, wo es warm ist.“

Sie schwieg, blickte auf den blauen Sund, hoch zu dem Trompeter-Turm, sie schwärmte weiter so.

„Ich würde um die Welt schwimmen, wenn ich könnte. In die Tropen, in denen es immer warm ist.“

„Ja, da würde ich mitkommen.“ Ich erzählte ihr von dem Fluss in Oxfort und von der Schleuse bei

Iffley, wie ich dort von dem aufschäumenden Wasser herum geworfen wurde in ihrem starken Sog.

„Ja, natürlich, so was ist schön.“ Sie stützte beide Hände auf die Brüstung und lehnte sich hinaus,

wieder nach Helsingborg hinüber schauend. „Kamen Sie mit Ihrem Antiquitäten-Handel auch mal

dorthin?“ “In Stockholm bin ich schon gewesen. In Helsingborg aber noch nie. Und Sie?“ „Einmal

mit der Fähre hinüber, nur so zum Spaß.“ „Und hat es Spaß gemacht? Die Stadt sieht schön aus“,

hat man mir gesagt. „Die Stadt ist langweilig und öde. Aber die Gärten waren hübsch, da war ich.“

„Ganz alleine?“ „Ja, fast.“ Sie schwieg. „Ja, fast. Ja, allein. Sofiero war herrlich.“ Ich lachte sie aus.

„Elisa, wie kann man fast allein sein?“ Sie wendete sich um und sah mich lächelnd an. „David, Sie

sind eifersüchtig?“ „Nun, ich könnte es fast werden.“ „Bitte, wenn Sie fast eifersüchtig sein könnten,

dann kann ich auch fast allein sein. Tragen Sie draußen immer diesen Feldstecher mit sich herum?“

„Fast immer. Wissen Sie, ich – oh hoppla.“ Sie wickeln mich in meiner eigenen Sprache ein, muss

ich sagen.“ „Sie haben noch kein einziges Mal hindurch gesehen.“ „Vielleicht war ich doch zu sehr

beschäftigt, Sie anzusehen. Schiffe und Vögel kann ich mir immer noch ansehen.“ „Sie haben mir

gesagt, Sie wollen die Schnitzereien in der Kapelle sehen.“ „Ich weiß, aber hier oben ist es sonnig

und warm. Die Kapelle ist innen, außerdem bin ich faul und träge.“ „Das passt gar nicht zu Ihnen.“

„Woher wollen Sie das wissen? Sie kennen mich doch gar nicht.“ „Ich weiß es eben, darum basta.“

Sie hatte recht. Wenn ich sonst einen Ausflug mit jemandem und mir plante, musste ich mir etwas

ansehen, anhören und festhalten. Einfach nur so an der Brüstung herumzutrödeln, war mir fremd.

„Heute haben Sie den Kopf abgenommen und vergessen, ihn wieder aufzusetzen. Es ist genauso.“

Dies ging dicht an der Wahrheit vorbei. Wenn ich sonst mit einer Bekannten einen Ausflug machte,

peilte ich ein Ziel an, die Besichtigung einer Kathedrale, der Besuch eines Restaurants sowie des

Konzerts. Es betraf nicht nur Deborah, sondern auch andere Bekannte, einfach herumzutrödeln an

der Stadtmauer wie in Kronborg, war mir bislang fremd, etwas Selbstvergessenes ohne Programm.

Wir hatten uns weder die Holzschnitzereien in der Kapelle noch die noblen Wandteppiche aus dem

sechzehnten Jahrhundert angesehen, ich hatte keine Lust mehr dazu. Die Schlossbesichtigung fiel

buchstäblich ins Wasser, als wir dem Meer nachsannen, über unsere gemeinsame Leidenschaft des

Schwimmens redeten und den Möwen nachschauten. Elisa brauchte keinen anderen Zweck, als gut

daran zu tun, dass ich ihre Anwesenheit leichtfertiger genoss, als hohe Deckengemälde anzusehen.

Der Königssaal wurde uninteressant für mich. Nur wir zwei zählten im Hier und Jetzt, dabei Sonne

tanken und Zeit verschwenden im Anblick dieses wunderschönen Mädchens war eine helle Freude.

Elisa genügte sich selbst, die Inkonsequenz wurde zu meiner Tugend, wenn sie mir beibrachte, den

Augenblick bewusst zu genießen, viele Erlebnisse wie Konzentration einer anderen Wahrnehmung.

Was mich bisher langweilte oder irritierte, gewann an natürliche Bedeutung. Stolzer Pragmatismus

verlor an Wert im Vergleich zur Schwerelosigkeit in ihrer Nähe,- bei ihr konnte alles von Wert sein,

was sie hier in diesem Moment erlebte. Es war wohl schon an diesem Ausflugstag, also recht früh,

dass in mir jenes Bild von Elisa wuchs, dass sie allein mit ihrer Gegenwart überall den Augenblick

verzaubern konnte. Ohne Ziel und Zweck stand sie ganz natürlich im Mittelpunkt mit einem Selbst

sowie das Wirken der Bäume samt dem Rascheln ihres Blattlaubs, wie eine angeborene Autorität.

„Oh, sehen Sie doch, David, ein Käfer, wie schön!“ Ein leuchtend grasgrüner Käfer, dessen Augen

dunkel aus beiden Seiten seines Kopfes hervortraten, sonnte sich auf der Brüstung auf dem Stein.

So nah bei ihr, dass sie ihn behutsam zwischen Daumen und Zeigefinger nahm, und auf die Hand

setzte. Ihre Finger waren wunderschön geformt, die ovalen Nägel wölbten sich, glichen Perlmutter

Muscheln in der glatten und glänzenden Farbe. „Es macht Ihnen nichts aus, wenn so ein Käfer auf

Ihrer Hand sitzt?“ „Nein, warum?“ fragte sie überrascht. „Die meisten Mädchen haben etwas gegen

Insekten.“ „Ach,- pff“, mit einem Fingerschnippen. „Ich habe hier noch nie einen so schönen Käfer

gesehen.“ „Der grüne Sandläufer, cincindela campestris, in England ist er weit verbreitet, der sonnt

sich. Sie fliegen schnell weg, wenn man sie stört. Wie er hierher gekommen ist?“ Der Käfer öffnete

seine Deckflügel und brummte davon. „So ist er hergekommen.“ Er drehte seine Schleife, landete

wieder auf ihrem Ärmel. „Sehen Sie doch, von wegen Sonne genießen, mich mag er.“ Dann flog er

weit weg, zu dem Graben, der Gras bewachsen war und ihm ein gutes Versteck bot.

Ich lehnte mich über die Brüstung und schaute ihm lange nach, bis mir jenes alte Gedicht einfiel.

„Wie ein Käfer in die See nickt über seinem Fuß.“ „Was bedeutet das? Erklären Sie es mir, bitte.“

Jetzt hatte ich den Käfer aus den Augen verloren. Ich konzentrierte mich auf die weiteren Verse:

„Wie wenn es hin zur Flut euch lockt, mein Prinz,

vielleicht zum grausen Gipfel jenes Felsens,

der wie ein Käfer nickt über seinem Fuß?

Und dort in andere Schreckgestalt sich kleidet,

die der Vernunft die Herrschaft rauben könnte,

Und euch zum Wahnsinn treiben?“

Ich dachte schon, sie würde mich deshalb aufziehen, weil ihr das zu anmaßend klang, aber ich

lernte noch, dass Elisa sich niemals über was lustig machte, was dem anderen von Bedeutung

war. „Das klingt schön. Diese Schreckgestalt, wer war es?“ “Ein Geist, der kam , um Rache zu

üben.“ „Erzählen Sie mir mehr davon und lassen Sie uns nach unten gehen. Als wir über diese

Brücke gingen, die ein Ende des Tunnels war, stolperte sie und fiel beinahe über. „Wie dumm,

dass ich mir den Fuß verletzt habe.“ Sie lehnte sich kurz an mich, wobei ihr Haar mein Gesicht

streifte. „Ich ziehe auch den zweiten Schuh aus und schnappe mir einfach ihren Arm zum Halt.“

Ich hatte eine Gelegenheit, sie zu stützen, nachdem sie sich den zweiten Schuh ausgezogen

hatte und auf Perlonstrümpfen weiterlief. „Oh, die Pfuscher!“ schimpfte sie, als sie den Absatz

in der Hand hielt, der von ihrem Schuh abgebrochen war, der Schuh sah billig und brüchig aus.

„Ich werde mich beschweren gehen.“ Dann hakte sie bei mir ein und ging leichtfüßig den Weg

an meiner Seite, ohne zu klagen, wehleidig zu wimmern. Dort war am Schlossgraben ein See

mit Schwänen. Kurzweilig stoppte sie mich, um ihnen nachzusehen und atmete tief. Ich meine,

dass Passanten auf der anderen Seite nicht merkten, dass sie auf Strümpfen war. Eine Straße

führte in hundert Metern zu meinem Auto auf einem Kiesweg. Ich hielt ihr die Tür auf, während

sie sich auf den Beifahrersitz fallen ließ. „Jetzt haben Sie die schöne Aufgabe, mir diese Steine

von den Füßen abzulesen, David“, sagte sie und hielt mir ihr bestrumpftes Bein hoch entgegen.

Als ich es tat und ihren Fuß unter dem zerrissenen Strumpf untersuchte, zuckte sie zum ersten

Mal zusammen, dass sie quiekte: „Hu, das kitzelt.“ Dabei zog sie schnell ihr Bein an sich, dass

ich es fast ins Gesicht bekommen hätte. „Oh, dies tut mir leid, David! Kommen Sie, ich mache

es wieder gut.“ Sie strich mit ihrem Fuß über meine Wange, wobei ihr Perlonstrumpf knisterte.

Es war zwar kein Drei-Tage-Bart, doch hätte ich mich trotzdem vorher rasieren sollen. Bei der

Untersuchung des zweiten Fußes stellte ich eine tiefe, blutige Wunde fest. „Tut das nicht weh?“

„Nein.“ Sie schenkte dem keine Bedeutung, machte sich nicht einmal die Mühe, sie überhaupt

anzusehen. „Die Wunde muss gesäubert werden.“ Kein Wasser weit und breit, der Kanister in

dem Kofferraum war leer, den ich vergessen hatte zu füllen, weil ich hier in einer Fremde war.

„Finger anlecken!“ Ich zögerte. „Na los!“ So reinigte ich die blutende Wunde mit Spucke, wie

sie es sich im Sinne des umsorgt Werdens gern gefallen ließ, als hätte sie dies zuvor nie erlebt.

Ich fuhr danach in die Apotheke, um Verbandszeug zu kaufen. Sie amüsierte sich fast darüber.

„Das ist wirklich sehr freundlich von Ihnen, David!-Aber das wäre nicht wirklich nötig gewesen.

Trotzdem ist es ein wunderbares Gefühl, wenn sich einer sehr um einen kümmert und bemüht.“

Ich wollte sie erst einmal nach Hause fahren, bevor wir neue Unternehmungen starteten, doch

lehnte sie es strikt ab. „Wir können nach Kopenhagen fahren zu einem Schuhgeschäft, in dem

ich mir neue Schuhe kaufe. Dann kann ich von da aus nach Hause gehen. „Elisa, ich fahre Sie

dann nach Hause.“ „Nein, es ist nicht nötig, ich komme allein nach Hause.“ Sie schüttelte den

Kopf. Ich war verwundert. „Ja, soll ich Sie dann später abholen?“ „Heute Abend geht das nicht.“

„Sie meinen, Sie können heute Abend nicht mit mir essen gehen?“ „Ich denke, nein, es geht

nicht, so schön das hier wäre.“ Ich lenkte den Wagen rechts ein. „Und morgen vielleicht zum

Abendessen?“ „Morgen? Nein, morgen habe ich außerhalb von Kopenhagen zu tun, es geht

morgen nicht, so leid mir dies tut, wie schade!“ Sie lächelte, und ich schwieg. „Ich meine, ich

muss am Montag wieder abreisen!“ „Ich weiß, es geht jedoch wirklich nicht, heute Abend und

morgen, wenn das bestimmt wunderschön gewesen wäre.“ Ich war sehr verwundert,- dachte,

so ein Mädchen muss viele Verehrer haben. Ich wusste schon gar nicht mehr, warum ich das

machte. Ich war in dem Thema kein Profi. Wie es aussieht, will sie mich nicht wiedersehen.

Verdammt,- wenn ich das überhaupt beurteilen kann, hörte sich ihre Absage nicht glücklich

an. Heute morgen war sie noch übermütig und aufgekratzt, nun klang sie niedergeschlagen.

Es blieb nicht mehr viel Zeit. Das war das Dumme. Ich wusste nicht, was ich nun tun sollte.

Vielleicht musste sie die kranke Mutter pflegen oder den invaliden Vater versorgen, wovon

ich nichts wusste. Ach,- viel wahrscheinlicher war es, dass sie sich mit ihrem festen Freund

traf. Sie hatte Spaß gehabt an dem Ausflug und gerne mit mir geflirtet,- doch war vergeben!

Es könnte mir egal sein, schließlich wollte ich mit ihr nicht ins Bett. Ich war sehr enttäuscht,

was mich selbst am meisten wunderte, nur zu gern hätte ich sie noch einmal wiedergesehen.

Als wir Kopenhagen erreicht hatten, schlug ich ihr zwei Schuhgeschäfte vor und bat sie, ihr

ein Paar neue Schuhe kaufen zu dürfen. „Nein,- dies ist sehr freundlich von Ihnen. Ich weiß

genau, wohin ich will. Dort setzen Sie mich bitte ab, und ich sage Ihnen „Auf Wiedersehen!“

Würden Sie bitte an der nächsten Ampel links abbiegen, weiter geradeaus.“ Sie hatte wenig

Spielraum, dachte ich mir. Ohne Schuhe konnte sie nicht nach Hause laufen und auch nicht

den Immer-Bus nehmen. Sie musste sich von mir chauffieren lassen und dirigierte mich ins

aufregend öde Einkaufs-Center, das unheimlich überladen war mit billigen Ramsch-Sachen.

Auf einer Schaufensterscheibe stand in Leuchtziffern: „Heute 30% Rabatt auf alles Weiße!“

Ich stieg aus, als sie meinte: „Lachen Sie nicht, David, ich habe hier schon schön Tragbares

ergattert, wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht.“ Sie lächelte mich verlegen an, wie

es mir schien. „Ich lache gar nicht. Solch Center ist bestimmt eine gute Quelle und hat auch

Schuhgeschäfte, insbesondere für jene, die Ihnen abgebrochen sind.“ Dies war ganz ätzend.

Ich schämte mich ein wenig. „Das war die Enttäuschung und Wut, weil Sie so gefallen sind.

Ich fand die Schuhe hübsch. Ich war war nur denen böse, die Sie hereingelegt haben, das

ist alles.“ „Ich werde mich beschweren gehen.“ „Dafür fehlt jetzt Zeit. Außerdem hat dieser

Laden dicht.“ „Ich habe da schon viele schöne Sachen gekauft“, sagte sie entschuldigend.

Erst einmal war Elisa mit ihrem Latein am Ende. Als wir wieder in mein Auto stiegen, kam

es zu einer kurzen, unbeabsichtigten Berührung. „Ich bin auf eine Idee gekommen, Hippie!

Ich gehe barfuß nach Hause, ganz modern!“ sagte sie fröhlich. Ich war nah am Verzweifeln.

Zuerst dachte ich, ich höre nicht richtig.- „Elisa, mit der offenen Schnittwunde auf dreckigen

Bürgersteigen, nur ein Pflaster! Machen Sie bitte keine weiteren Einwände, wenn ich Ihnen

neue Schuhe kaufen möchte.“ Sie zögerte einen kleinen Moment, dann gab sie nach. „Es ist

reizend von Ihnen, David. Das ist wirklich äußerst nett von Ihnen.“ Dann fuhr ich sie zu Illum,

einem bekannten Schuhgeschäft in Kopenhagen, in dem Sie gewiss zwei Dutzende Schuhe

ausprobierte zum sichtbaren Verdruss einer schwer beladenen Verkäuferin. Sie lief stets im

Wandspiegel auf und ab, mit Entzücken über die Eleganz ihrer Füße, die sie zur Schau trug.

Nach einer Stunde entschied sie sich endlich für die hochhackigen, marineblauen Sandalen,

die ich mit Kredit-Karte bezahlte. Darin durfte ich sie bis zur Immer-Bushaltestelle begleiten.

Inzwischen wusste ich, dass es sinnlos war, sie umzustimmen. Sie wirkte traurig in Bedacht

auf Körperhaltung und Selbstkontrolle. Ihre Stimme bebte, als sie in Trivialitäten schwatzte,

mit der Selbstsicherheit, die ihr anscheinend nie abhanden kam, wie ich feststellen konnte.

Sie war betrübt. Ich hatte keine Lust zu Smalltalk. Ich sagte ihr traurig, wie sehr ich erhoffe,

dass wir uns wiedersehen, wenn ich nächstes Mal in Kopenhagen bin, ich wünschte es mir.

Ich dankte ihr für ihre Briefe und drehte mich kurz um zum Winken.- Dann fuhr der Bus los.

Ich sah ihm nicht nach, sondern verschwand wie rasch aus der Affäre in einer Seitenstraße.

Jani und Lotte hatte ich gesagt, dass ich am heutigen Abend nicht da sei. Obwohl es nichts

ausgemacht hätte, widerstrebte es mir, das nicht einzuhalten. Ich entschloss mich für einen

Kinofilm. Worum es dabei ging, kann ich beim bestem Willen nicht mehr sagen. Das Gute

daran war, dass mir eine Kinogesellschaft Beistand gewährte in dieser trostlosen Situation.

MEINE ENTSCHEIDUNG

Als ich Sonntagmorgen in der Badewanne lag, beschloss ich, dass ich Montag noch bleibe.

Kopenhagen würde ich zwei Tage später verlassen. Jani und Lotta flogen ins Ausland zum

Baden und Entspannen am Meer, sie machten in Spanien Urlaub. Ich müsste mir ein Hotel

suchen für die nächste Zeit. In Wahrheit wusste ich selbst nicht genau, wie dies weiterging.

Der Umtauschkurs der dänischen Kronen zu den englischen Pfund war teuer, die Hotels in

Kopenhagen auch. Ich verschwieg es Lotta und Jani, obwohl sie es verstanden hätten, aber

Glaube hinderte mich daran. Ich hatte Vertrauen zu ihnen und Bedenken ihres zu verlieren,

wenn sie meinen verlängerten Aufenthalt in Kopenhagen erfuhren und es nicht verstanden,

warum ich ihn geheim gehalten hatte. Kopenhagen wäre die letzte Stadt gewesen, in der es

verwunderlich wäre, wenn man einfach sagte, dass man sich in ein Mädchen verliebt hätte.

Dass man sich zu ihm hingezogen fühlt und nicht, weil man ihm Schuhe neu gekauft hätte.

Unser Ausflug war vorgestern. Meine Entscheidung entsprang aus reiner Phantasie heraus.

Nachdem ich Lotta und Jani zum Flughafen gefahren, ihnen gewinkt hatte, suchte ich nach

einem soliden Hotel. Ich stornierte meinen Flug, der eine Stunde später wäre, aß zu Mittag

und fuhr zurück nach Kopenhagen zum Krone-Hotel, in dem ich ein kleines Zimmer buchte.

„Spreche ich mit Elisa?“ „Oh, David, Sie sind nicht schon im Flugzeug nach London?“ Ich

wunderte mich über ihre aufgeschlossene Haltung, die keinerlei Teilnahmslosigkeit zeigte.

„Nein,- äh, ich habe hier noch Geschäftliches zu erledigen, ich bleibe noch kurze Zeit hier.

Wie geht es Ihrem Fuß?“ „Meinem Fuß? Oh, meinen Fuß hatte ich schon ganz vergessen,-

dem geht es gut.“ „Schön, Elisa, können Sie heute Abend mit mir essen gehen?“ „Nein, es

geht leider nicht heute Abend. Es tut mir leid, David. Doch bitte bedrängen Sie mich nicht.“

„Und morgen Abend, geht es morgen?“ Pause - „Moment, lassen Sie mich nachdenken. Ja,

morgen müsste es sich einrichten lassen. Ich denke schon, am besten, ich rufe nochmals an

im Krone-Hotel. Heute Abend melde ich mich zwischen sieben und acht Uhr abends. Aber

jetzt muss ich unser Telefonat beenden. Hier ist jede Menge los. Ich muss an meine Arbeit.“

„Gut, dann warte ich. Ich nehme den Hörer ab, bevor Sie zum zweiten Mal klingeln, Elisa.“

„David?“ „Ja? Machen Sie sich keine Bedenken. Ich glaube schon, dass das klappen wird.

Also dann, auf Wiedersehen, für heute Abend auf Wiederhören, ich freue mich schon sehr.“

Dreißig Stunden, die ich ohne sie durchhalten musste. Dreißig Stunden, in denen ich lieber

als Siebenschläfer überwintert hätte, als Motte im Schrank und als Raupe bis zu der letzten

Entpuppung, meiner endgültigen Entfaltung, die mich als Schmetterling davon fliegen ließ.

Dreißig Stunden, die ich gern als geschnürtes Paket in den See geworfen hätte. Ohne Elisa,

meinen Neuwagen und ohne positive Gesellschaft hatte ich keine Lust, irgendetwas zu tun.

Auch nicht auf Zerstreuung, ich konnte nicht den ganzen Tag durch viele Geschäfte laufen

oder mir Filme ansehen, die mich nicht interessierten. Gewiss hätte ich die dreißig Stunden

sinnvoll nutzen und mir Fachbücher ansehen können, die ich vor meiner Reise ins Gepäck

gesteckt hatte: Über königliche Porzellan-Manufaktur der Dänen und Engländer, Meißener

Porzellan-Malerei, die KPM in Berlin. Nein, das Fatale war, dass ich mich nicht einmal an

meinem beruflichen Interesse erfreuen konnte. Ein Dauerzustand durfte es nicht werden in

Anbetracht meiner Selbständigkeit. Im frühen Zustand bereitete mir das noch keine Sorgen.

Konnte ich überhaupt etwas tun, dann fiel mir genau das ein, was ich mit ihr gemacht hatte.

Ich fuhr nochmals zum See, ließ mir frischen Wind um die Nase wehen und ging spazieren.

Wie ein Eremit saß ich an einer ruhigen Stelle des Seeufers und versuchte meine Gedanken

zu sammeln. Auf einem langen Grashalm neben mir ließ sich ein gelber Zitronenfalter nieder,

der mich auf die richtige Idee brachte. „Oh, schau‘ nur, was für ein bildschöner Schmetterling!

Wie nennt man ihn auf englisch? Sie sind ein Mann, der immer etwas ganz Bestimmtes vorhat

und alles plant.“ Genauso war es. Bald würde ich im asiatischen Imbiss zu Mittag essen gehen.

Dieser schüchterne Einzelgänger, der keine Liebeserfahrung hat, war dem brillant schillernden

Schmetterling ins Netz gegangen? Nein, hinterher gesprungen auf einer Frühlingswiese bunter

Blumen, wie er sich von einer Blüte zur anderen schwang. Wenn dies Herr Larson auch nicht so

erkannt hatte, war das Mädchen eine phantastische Schönheit, was andere Männer auch sahen.

Meine Vermutung, dass sie haben konnte, wen sie wollte, war einfach klar. Dass ausgerechnet

ich, jener unerfahrene Liebhaber und geschäftstüchtige Junggeselle von ihr auserwählt werden

würde, war unwahrscheinlich. War ich wirklich verliebt? Wie konnte ich in ein mir völlig fremdes

Mädchen, von dem ich nichts wusste, das ich vor einer Woche zum ersten Male gesehen hatte,

verliebt sein? Ich war hier Ausländer und kannte mich in vielen Dingen nicht aus. Dies konnte

ein Reiz für sie sein. Vielleicht spielte sie einfach nur mit meiner Unwissenheit in jenem Land,

das sie kannte in all seinen Gebräuchen, aber ich nicht. Vielleicht machte das ihre Vorliebe für

mich aus? Die anderen könnte sie jederzeit haben. Doch nur einmal angenommen, ich war nun

wirklich verliebt, machte ich eine Narrenkappe aus mir, könnte man diesen Fortgang als reinste

Selbstquälerei bezeichnen. Was hatte ich bei Herrn Larson gesagt? Selbst, wenn ich mich zum

größten Narren Dänemarks machen würde, müsste ich unbedingt dieses Mädchen wiedersehen.

Doch wozu? Ich war kein Schmetterling-Experte .Warum hier bleiben und sich selbst weh tun?

Wäre es nicht besser, nach dem morgigen Treffen Kopenhagen zu verlassen und nach England

abzureisen? Noch bevor sie sagen konnte: „Lieber David, das war alles wunderschön! Sie sind

ein wahrhaftiger Gentleman. So schrecklich leid es mir auch tut, muss ich Ihnen sagen, dass es

kein weiteres Treffen mehr geben darf. Ich danke Ihnen ganz herzlich und wünsche Ihnen alles

Gute!“ Sie konnte bestimmt sein, das hatte sie bereits gezeigt. Dann wäre es zu spät für mich in

der Entscheidung, die ich nun treffen sollte. Ich warf Stöckchen ins Wasser, die kein Hündchen

zurück holte. Ich trat gegen gefällte Baumstämme, was ich bei lebenden Bäumen nicht gemacht

hätte. Da wurde es mir bewusst. Wir hatten auch manches gemeinsam, unsere Liebe zur Natur.

Als ich so nach 16 Uhr zurückfuhr, kam ich unerwartet in dichten Berufsverkehr mit zusätzlicher

Schwierigkeit,- auf der Gegenfahrbahn links zu lenken. Rechtsverkehr war für mich ungewohnt.

Das ließ mich eine Nebenstraße verpassen, in die ich einbiegen musste. Ich lenkte nach rechts

und machte die Dreipunkt-Wendung. An der nächsten Kreuzung nahm ich die erste Ausfahrt in

die Parkstraße. Es war der Park in der Nähe des Hotels, als ich plötzlich zwei junge Frauen auf

einer Bank nebeneinander sitzen sah, nur kurz, schon war ich dran vorbei. Eine der Frauen war

nach meinem vagen Gefühl Elisa, für einen flüchtigen Augenblick, der durch Sträucher auf eine

Grünfläche fiel, auf dem zwei kleine Mädchen spielten. Ein so schöner, milder Abend, die Kinder

streunten, Spaziergänger zwischen den Blumenbeeten, dann wieder eine Bank, auf der sich die

Parkbesucher erholten und plauderten. An jener Bank hatte eine Linde gestanden, was für mich

ein unumstößliches Erkennungsmerkmal war. Ich rannte durch den Park, dass es beinah auffiel.

Doch als ich endlich an der Linde angekommen war, war keiner mehr dort. In weiter Entfernung,

fast aus der Sichtweite, sah ich verschwommen die Silhouette der beiden Frauen. Ich legte jetzt

nochmal zu einem Endspurt an, was vor einem Abendessen nicht zum Nachteil war. Als ich bei

der Hecke angekommen war, hinter der ich zwei Mädchen verschwinden sah, konnte ich außer

einem Parkwächter niemanden mehr entdecken. Ich fragte ihn, ob er junge Damen, die hier vor

kurzem vorbeigelaufen seien, gesehen hätte. Er lächelte mich durch die gespreizten Finger der

Hand an und sagte: „Sehr viele junge Damen sind hier heute im Park vorbeigelaufen.“ Ich gab

endlich auf und ging zu meinem Wagen zurück. Wenigstens fand ich keinen Strafzettel auf der

Frontscheibe wegen dreißig Minuten unerlaubten Parkens im uneingeschränkten Halte-Verbot.

Elisa

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