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FRAU RITURN UND DEBORAH - 2. KAPITEL -

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Unser altes Fräulein Bird und ihre Kollegin waren gegangen und wurden abgelöst von einer jungen,

frechen Schulabgängerin Maggi mit dem ortsfremden Dialekt, an dem „My fair lady“ Freude gehabt

hätte. Ein alter Zobel als Sprachprofessor, der eine Göre zur Lady kürt mit der Kunst der Sprechens.

„Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühen.“ - “Ich glaub‘, jetzt hat sie‘ s!“ - “Es grünt so grün.“

Maggi oder Margitta hätte ihm Spaß bereitet und war eine Attraktion in diesem alten, feinen Laden.

Sie wirkte herzlich, erfrischend und nahm ihre Ausbildung wichtig, einzig ihr fremder Dialekt fiel auf.

Dazu kam Frau Riturn, die man lieben oder hassen musste, wenn man sie erlebte als Besonderheit.

Auf seltsame Weise gab sie sich und übriges kund. Eine Rarität, die man so nirgendwo erlebt hatte.

Hätte ich sie über Bord geworfen, hätte ich ein schlechtes Gewissen gehabt. Ließ ich es gewähren,

was sie ausmachte, wurde ich mit vielen Irritationen konfrontiert, die ihrem Eigensinn entsprachen.

Frau Riturn war die Empfehlung einer Arbeitsvermittlung, die nicht hier am Ort tätig war, sowie sie.

Ich vergesse nicht den Aprilmorgen, an dem Deborah Lennard durch Frau Riturn im Laden eintraf.

Allerdings weniger aus dem Grund, dass sie es war, als mehr im Zutun unserer neuen Sekretärin,

Frau Riturn, weshalb sie plötzlich erschien. Eine heilige Närrin nannte sie mein fürsorglicher Vater.

Frau Riturn konnte gute Briefe schreiben, hatte eine vornehme Wortwahl gegenüber den Kunden

und feine Manieren beim Bedienen. Sie konnte nicht mit Geld umgehen, dass auf ihrer Bank war

und von mir überwacht wurde mit einem Taschengeld, das ich ihr gab, mit dem sie nicht auskam.

Hätte ich ihr freie Hand über ihr Konto gelassen, wäre sie obdachlos geworden, davor verhungert

und verdurstet und hätte bei einigen Firmen im Inkasso gestanden. Ihre Tochter lebte beim Vater,

wohin das Schulmädchen geflüchtet war, was kein richterliches Urteil war sondern Sandys Wille.

Das Gericht hatte im Nachhinein erkannt, dass es sein Fehler war und gewährte die Entscheidung.

Verständlicherweise kam die junge Maggi nicht besonders gut mit Frau Riturn aus. Doch hatte in

manchen Dingen das Geschäft Vorrang. Ich versuchte ihr zu erklären, dass dies im Verkauf dazu

gehörte, mit den Kolleginnen genauso auszukommen wie mit den Kunden. Wenn ich öfter meine

Worte an Frau Riturn richtete zu einem Gespräch, das jeder mit anhören konnte, so weil ich mich

nicht unglaubwürdig machen wollte vor meiner Auszubildenden, weil ich nicht von ihr verlangen

konnte, was ich nicht selbst bewerkstelligte. Währenddessen goss Frau Riturn zum Beispiel diese

Farnpflanzen, die bei ihr bestens gediehen. Sie ordnete die Krüge im Bord neu an und staubte die

Regale zuvor ab. Selten sah sie mich an, wenn ich mit ihr über Geschäftliches sprach. Sie begriff

meine Taktik nicht, sondern nahm mein Beisein als besondere Aufmerksamkeit für sich selbst an.

Sie war sehr von sich überzeugt auf der unantastbaren Art und Weise, die undurchdringlich blieb.

Manchmal traf mich doch ein Blick von ihr, der mich an Mutter Theresa oder Madonna erinnerte.

Eines Morgens hatte ich beim Betreten des Geschäfts an zahlreichen Regalen und auch in meiner

Antiquitäten-Ecke am Eingang gedruckte Karten vorgefunden, auf denen groß geschrieben stand:

Aus Ton gestanzt,

im Ofen gebrannt,

fällt ‘s aus der Hand,

so wird es verbannt.

Ich fragte Maggi verwundert, woher diese Karten kämen. „De kamen heut‘ morjen mit de Post un

Frau Riturn hat se uff jemacht un ran jepappt. Ick nehm‘ an, SIE hat se ham wolln für de Kunden.“

Auf der Rückseite dieser Karten in Größe üblicher Ansichtskarten stand ein Lieferanten-Vermerk:

„Mit freundlicher Empfehlung“. Ich erklärte Frau Riturn, dass ich es im Prinzip für eine gute Idee

hielte, der Text jedoch besser, spezifischer auf das Geschäft und die Waren bezogen sein sollte.

EINE FREUNDIN

In dem Moment bemerkte ich Deborah Lennard an meiner Seite, wie sie mich amüsiert anlächelte.

„Stör ich, David?“ fragte sie. „Falls du zu tun hast, schau ich mich gerne mal um, bis du Zeit hast.“

„Wenn du ein lautes Scheppern und Klirren hörst, brauchst du nur herüberrufen: „Es ist verbannt!“

„Nett, dich hier wiederzusehen, Deborah“, begrüßte ich sie erfreut. Frau Riturn lief beherrscht den

Glas-Weg hinunter und sammelte im Vorübergehen ihre Karten ein, ohne die leise Schadenfreude,

die Maggi zeigte, anzunehmen.“ Darf ich dir ein 42-teiliges Tafelservice anbieten oder einen Napf

für deine Katze, Deborah?“ “Meine Mutter hat am Sonnabend Geburtstag, David. Ich dachte, dass

sie sich vielleicht über ein schönes Stück Porzellan freuen würde. Ich habe gehört, dass du so was

jetzt neben deiner Keramik führst. Ehe ich los dampfe und in Auktionsfallen tapse, nehme ich das

lieber von dir zum reellen Gegenwert.“ Was sie kaufte, war eine Tasse mit Untertasse aus dem 18.

Jahrhundert, die mit einer besonderen Farbkombination auffiel. Sie war facettenreich bunt bemalt.

Ich kannte Deborah Lennard, so wie man in einer Geschäftsstraße voneinander weiß. Ihr Vater an

der Ecke, wenige Läden weiter, handelte mit Sportmode. Ich hatte von ihm meine neue Badehose.

Die Lennard-Familie hatte ihr Gelände nördlich von London nah bei uns. Sie galt als wohlhabend

und fuhr einen Mercedes, oft von Deborah gelenkt. Sie war schlank und hübsch mit zartem Teint,

der gar unecht wirkte und wunderbar mit dem Rotblond harmonierte als schulterlange Haarpracht.

Ich wusste von ihr nicht viel mehr, als dass sie ein nettes Mädchen war, das ich im Konzert erlebt

hatte, wo sie unentgeltlich gesungen hatte für eine lokale Gesellschaft in einer Opern-Aufführung.

Sie gefiel mit ihrer Lebendigkeit und praktischen Art und zeigte besonderes Gefallen an Keramik.

In der nächsten Woche kam sie wieder und kaufte einen blauen Krug, den sie wegen einer Form

mochte, auch wenn er keinen antiquarischen Wert hatte. Sie wollte ihn mit Maiglöckchen füllen.

Das zeigte gutes Urteilsvermögen und ich lieh ihr ein Handbuch über die englische Töpferkunst.

Am folgenden Wochenende lud ich sie in das Restaurant Bill ein. Wir redeten über erste Töpfer,

Künstler in London, und wie Manufakturen im Zeitalter der industriellen Revolution entstanden.

„Wie können wir überhaupt etwas wissen über sie?“ “Es gibt da Hinweise im Gemeinderegister.“

„Wenn manche Namen nicht richtig waren, kann es sein, dass der Gemeindesekretär diese nicht

richtig schreiben konnte oder zum ersten Male im Leben gelesen hatte von wegen Auswärtigen?“

„Also die Arbeiter, auch Handwerker und Angestellten kamen von überall in die Manufakturen.“

„Der Sekretär war zu stolz, Einwanderer nach der richtigen Schreibweise zu fragen“, glaube ich.

Als der Sommer mit dem Weidenlaubsänger kam, die Forsythien schon verblüht waren, sah ich

Deborah wöchentlich und verbrachte mit ihr mehr Zeit, als ich derzeit mit Birgit verbracht hatte.

Mein Vater mochte sie besonders gern, dass er ihr sogar mal ein weißes Alpenveilchen schenkte

für ihr Gewächshaus, was sonst nicht seine Art war. Er verstand das sonst als buhlen und wollte

in Anbetracht des Gentleman, der englischen Höflichkeit der jungen Dame nicht zu nahe treten.

Ein Nachbar von uns der einstigen Grafschaft wurde von seiner Gattin nur wegen seines Geldes

geheiratet. Seitdem versuchte er, auf ähnliche Weise an die Liebe junger Mädchen zu gelangen.

Deborah bekam sein weißes Alpenveilchen mit, weil es ihr so ausgesprochen gut gefallen hatte.

Eine Galanterie zu dem Mädchen, das seine Tochter hätte sein können, wäre würdelos gewesen.

Von der englischen Land-Töpferkunst ging Deborah auf das feine Porzellan über und begleitete

mich auf Auktionen. Einmal triumphierte sie bei ihrer Ersteigerung eines Tellers zum günstigen

Preis als angepriesen. Sie sprang fröhlich hoch und gab mir rechts und links einen Wangenkuss.

Das war für mich nichts anderes als das Applaudieren in sichtbarer und hörbarer Versteigerung.

Sonst zeigte sie in ihrem Benehmen nicht irgendetwas Zärtliches oder sogar Besitzergreifendes,

was in meine Gedankenwelt zu ihrer Person eindrang. Sie schien ungebunden und ihr Verhalten

war gleichbleibend freundlich und nichts, was sie sagte oder tat, wies darauf hin, dass sie unsere

Beziehung enger hielt als andere, die sie kannte, zu Opernfreunden, Freunden ihrer Internatszeit.

AM SEE

Eines schönen, warmes Sommerabend holte ich sie von einer Gesangprobe ab und fuhr uns zum

leichten „after-eight-dinner“ in ein kleines Lokal. Anschließend badeten wir in einem nahen See,

was sonst wie verboten war, nur zur Erfrischung. Die Schwüle der Jahreszeit überwanden wir, so

dass es uns danach gleich besser ging nach dem anstrengenden Tag mit einem letzten Auftakt im

stickigen Pub-Lokal, das sonst recht angenehm war. Doch heute blieben diese Casablanca stehen.

Es war eine ihrer spontanen Ideen, ein gemeinsames Bad im wenig besuchten Teich mit Forellen.

Eine halbe Stunde später saß Deborah fröhlich neben mir und frottierte sich energisch ihre Haare.

Plötzlich warf sie das Handtuch über die Schultern, schlang beide Arme um meinen Hals, wobei

sie mich auf den Mund küsste und mit Spontanität rief: „David, ich liebe dich! Wie sehr ich dich

liebe!“ Die Aufrichtigkeit und Emotionalität waren schön und offenbar sowie ein blühender Baum.

„Ich würde alles für dich tun, ja alles! Du bist einfach wunderbar! Ich will dir meine Liebe zeigen!“

Es war richtig zu erkennen, dass es sich um keinen geplanten Feldzug handelte, der schon lange

Zeit im Voraus feststand. Ich vermutete, dass es sie selbst überraschte, sich mir so zu offenbaren.

Was hielt mich zurück? Warum erschreckte es? Was nur? Aber nein, das gibt es nicht. Es wirkte.

Die Situationen, wenn eine Birne durchknallt oder ein Hund zubeißt, wie die Ahnung, wenn man

das auch nicht bewusst gesehen hat, dass man wusste, warum das passierte ist wie Vorwissen.

Keine moralischen Gründe hielten mich ab und keine Vorurteile zu einer liebenswerten Freundin.

Liebe ist etwas, für das du dich nicht mit der Waage entscheidest, sagte mir meine innere Stimme.

Es ist das, was dich ergreift und in Besitz nimmt, auf Gedeih und Verderben wie alles oder nichts.

Es war eine spontane Eingebung aus meinem eigenen Selbst und überraschte mich mehr als sie.

Ich kann mich an die nächsten Worte nicht erinnern. Ich glaube, ich sprach von dem Abenteuer,

dass meine Gefühle Tiefgang bräuchten, wenigstens unberechenbarer sind als so ein Erlebnis.

Es gab keine Kränkungen, kein Aufruhr, keine Tränen ihrerseits, dazu war Deborah viel zu nett.

Jenem aufrichtigen Mädchen, das körperlich anziehend war, hatte ich ihr Liebesangebot entsagt.

Wie schon erwähnt, sie war aufrichtig, reizend, unabsichtlich in ihrer Inbrunst und Hilflosigkeit.

Sie hatte Besseres verdient. Aber wie höflich und rücksichtsvoll sie war, dass sie meine Abkehr

tapfer ertrug und nichts Verletzendes erwiderte, sollte sie sich wirklich derart beherrscht haben?

Der Künstler versteht selten ganz das Material, aus dem er schöpft. Das war in ihrem Fall nicht

vorhanden oder zu erkennen. Ein hilfloses Blatt im Wind, das plötzlich aufgewirbelt worden ist.

Ich spürte im Körper und Kopf viel von dem, was auch Deborah fühlte, aber das ging nicht tief.

Es lag oberflächlicher. Ob als Glück oder Unglück betrachtet, wollte ich mehr, als sie aufzeigte.

Die zwingende Erregung des Unbekannten, die zitternde Faszination ganz nah der Befremdung,

im Juni ein junger Mann und sein Mädchen, das ihn zum Prinzen erkor, baden heimlich im See.

Das war es nicht, weder für mich noch ganz für sie. Darum hatte ich keine Verlegenheit für uns.

Mein Widerwille erschien mir selbst wie ein Schock oder Mysterium. Ich hatte sie so abgelehnt.

Was für ein Snob. Ich war kein Snob. Der Snob ist oberflächlich. Ich blieb genau das Gegenteil.

Es war enttäuschend, wahr, schmerzlich. Wir sollten es so schnell wie möglich vergessen haben.

Unsere Beziehung war natürlich nicht mehr wie vorher. In welche Richtung hätte sie nun gehen

sollen? Es stellte sich immens heraus, dass meine Grübeleien von diesem ernsthafteren Ereignis,

überschattet wurden, was anderes zur Seite schob. Im Hochsommer wurde mein Vater todkrank.

DER TOD MEINES VATERS

Ich kann es kaum ertragen, mir diesen Jammer nur kurz in mein Gedächtnis zurückzurufen oder

meine letzten Erinnerungen an die Krankenhauszeit in der Gegenwart meines Vaters zu wecken.

Ich schnitt ihm Zeitungsartikel aus, um die er mich bat, sie ihm vorzulesen, bis er dann abbrach:

„Für heute ist es genug, mein Sohn. Ich bin jetzt zu müde, um andere Neuigkeiten aufzunehmen.

Ich danke dir für dein Kommen und freue mich, dich morgen zu sehen.“ Dies gab es nicht mehr.

Die behutsamen Worte des Oberarztes, dass es für Vater auch eine Erleichterung gewesen wäre.

Dieses oft sowie unverhoffte „nur mal auf den Sprung Vorbeikommen“ von Anton, der sich sorgte.

Der berührende, Tränen lose Mut meiner Mutter, der von Georgia mitgetragen wurde. Sie reiste kurzentschlossen zu uns mit einem Stapel von Prüfungsarbeiten, die von ihr zensiert und zurück

gesendet werden mussten. Es war vor Ende des Schuljahres, während sich andere auf die Ferien

freuten. Der Krankenhausgeruch, an den ich mich gewöhnt hatte, den ich mit nach Hause nahm.

Stetig und ständig das Gefühl, dass wir in den Strom geraten sind, der uns immer weiter abtreibt

und alles von uns wegträgt. Soweit, bis es kein Entrinnen mehr gibt, bis er über jenes Wehr zieht

und wir gleich Borken im Strom vergehen, ohne zu wissen, wann für uns ein neues Ufer kommt.

Woche für Woche verging, und mein Vater wurde weniger und weniger. Es war nicht der Mann,

den wir einmal gekannt hatten. Es war wie das Grinsen einer Katze,- und das, verdammt, behielt

er bei, bis er war wie der letzte Sonnenrand am Meereshorizont. Ehe sein endgültiges Ende kam,

hatten wir genügend Zeit, uns an die Situation zu gewöhnen. Der Standesbeamte, Anton so gütig

und verständig, der Bestattungsunternehmer, die Briefe entfernter Verwandter. – Ich war mit der

Zeit auf sie alle gefasst. Am Morgen des Begräbnisses trat ich hinaus und schnitt die Dahlien ab,

jede einzeln stehende Rose. Es geschah nicht in voller Absicht. Eher gehorchte ich einer inneren

Eingebung. So etwa wie ein unbewusstes Echo auf die alten Griechen, die sich ihr Haar schoren.

Elisa

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