Читать книгу VIRDULA Endlosgeschichten Band 1 - Jay H. Twelve - Страница 8
5. ALIDAS GEHEIME VERFOLGER
ОглавлениеSamuel versank regelrecht in dem gigantischen Sessel der unweit des Hoteleinganges stand. Mit beiden Händen drückte er die abgenutzte Ledertasche fest an seinen Bauch. Er musste schon ziemlich lange gewartet haben, denn etliche Zigarettenstummel füllten den Aschenbecher neben ihm. Als er Don José in der piekfeinen Gruppe erblickte, machte er eine Bewegung als wolle er aufstehen. Don José gab ihm ein Zeichen und Samuel sackte zurück in den Sessel. Die vier Freunde gingen ausgelassen zum Aufzug. Als sich die Tür öffnete, stieg Don José als letzter ein, gab Samuel ein Zeichen noch zu warten dann schloss sich die Tür.
„Ich steige in der ersten Etage aus und ihr eine Etage tiefer als eure Zimmer liegen. Wartet im Treppenhaus auf mich, bis ich ein Zeichen gebe“, sagte Don José zu seinen Freunden.
Die Aufzugtür ging auf, Don José stieg aus und eilte zum Treppenhaus. Er nahm gleich mehrere Stufen auf einmal die Treppe hinunter. Vor der Ausgangstür hielt er kurz inne, strich mit den Händen durch den Haarschopf und zog noch schnell seine Kleidung zu recht. Als er den erweiterten Lobbybereich betrat, schloss er leise die Tür hinter sich. Unmittelbar in der Nähe der Rezeption entdeckte er einen Zeitungskiosk. Er kaufte eine Tageszeitung, blätterte sie vorsichtig auf und schritt langsam voran, wobei seine Augen fieberhaft nach Samuel Ausschau hielten. Als er ihn hinter der dicken Säule erblickte, sah er einen Mann der über Samuel gebeugt mit ihm um die Aktentasche kämpfte. Don José überlegte nicht lang. Mit eiligen Schritten ging er auf Samuel zu, faltete schnell die Zeitung zusammen und schlug blitzschnell mit der linken Handkante dem Angreifer in den Nacken. Der Mann ließ die Tasche los, sackte in die Knie und versuchte instinktiv den Fall mit seinen Händen an der Armlehne des Sessels abzubremsen. Don José fing ihn auf und flüsterte:
„Samuel mach bitte Platz unserem Freund geht es nicht gut.“ Als Samuel seitlich über die Armlehne wegrutschte, drehte Don José den taumelnden Gast und ließ ihn in den Sessel zusammensacken. Unauffällig tastete er die Brusttaschen des Mannes ab, zog ein recht dickes Portmonee heraus und ließ es schnell in seiner Sakkotasche verschwinden. Er hob die Zeitung vom Boden auf und legte sie ausgebreitet über die Brust des Ohnmächtigen. Mit dem verschreckten Samuel am Arm erreichte er unbemerkt das Treppenhaus. Die ganze Aktion erregte keinerlei Aufsehen, weil zahlreiche Gäste an der Rezeption standen um einzuchecken. In der ersten Etage warteten sie eine Weile auf den Aufzug und Don José warf solange einen Blick in die Geldbörse des ohnmächtigen Gastes. Er fand einen spanischen Pass und ein dickes Bündel Peseten.
„Der Mann ist Spanier und erst kurz im Lande. Samuel, kennst du den Mann?“
„Ich kenne ihn nicht, er kam von hinten und wollte mir die Tasche wegreißen, aber sie ist ja angekettet.“
Die Aufzugstür ging auf, ein Zimmermädchen stand mit ihrem Servicewagen voller Handtücher, Seife und Fläschchen vor ihnen. Don José bat sie mit in den Aufzug einzusteigen.
„Pst, keine Bange, junge Frau. Ich brauche frische Handtücher in meiner Suite.“ Er zog eine Fünfdollarnote aus der Hosentasche und drückte sie der verstörten Frau in die Hand. Als er den Etagenknopf drückte, schaute sie ihn fragend an.
„Meine Freunde warten da oben und werden mit Ihnen in die Suite fahren.“ Sie sagte kein Wort, nickte jedoch verständnisvoll.
Als sich die Aufzugtür endlich öffnete, stieg Don José mit einem Schritt heraus, hielt seine Hand an die Lichtschranke und pfiff einen langen ansteigenden Ton. Die Treppenhaustür flog auf und die drei Freunde eilten zum Lift. Er sprach schnell und leise auf Deutsch.
„Samuel ist in der Lobby überfallen worden. Ein Spanier, vorübergehend ohnmächtig. Vermute zwei weitere Personen in meiner Suite.“
Kaum war die Aufzugtür geschlossen, öffnete sie sich wieder. Ein kräftiger Mann mit lockigem Haarschopf wollte gerade einsteigen. Überrascht riss er seine Augen auf, als er Don José erblickte. Dieser packte ihn blitzschnell an dem Haarschopf, schlug ihm mit einem kräftigen Faustschlag auf die Nase, demzufolge fiel er auf den Griff des Servicewagens. Ein zweiter Schlag in den Nacken zwang den Mann in die Knie und er flog zurück in den Flur.
„Alida, kümmere dich um das Zimmermädchen. Keine Schreie, bitte. Edy, untersuch den Mann nach Waffen. Fußgelenke nicht vergessen. Kommt wir fesseln ihn.“
„Donnerwetter, ging das schnell“, kommentierte Edy, während er den Mann nach Waffen absuchte.
„Der Mann muss ein Zirkusclown sein. Drei Wurfmesser und eine Pistole.“
„Sieh da, noch ein Spanier. Heute Morgen frisch vom Flughafen angereist“, berichtete Erol.
„Planänderung, Jungs, schafft ihn ins Treppenhaus. Alida, du bewachst ihn mit der Waffe. Sollte er wach werden, dann schlag ihn mit der Pistole genau hier hin.“ Don José drückte ihr die Pistole in die Hand und schob sie hinter Edy und Erol her, die den Mann aus dem Aufzug trugen.
„Sie, gute Frau, fahren den Wagen genau vor meine Suite, klopfen an der Zimmertür und rufen: „Zimmerservice“. Ich hocke mich hinter den Wagen. Sie bleiben so lange vor der Tür stehen bis sie aufgeht, dann verdrücken Sie sich blitzschnell zur Seite. Ist das klar?“
„Mein Gott, das ist furchtbar...“
„Mund halten. Tun Sie genau was ich sage.“
Er zog noch einen fünfundzwanzig Dollarschein aus der Tasche und steckte ihn in ihre Bluse. Langsam schob sie den Wagen in Richtung Suite, Don José folgte ihr. Auch Edy und Erol kamen kurze Zeit später nach. Vor der Suite angekommen gingen Edy und Erol in die Knie und postierten sich zu jeder Seite der Suitetür. Don José kniete hinter dem Wagen.
„Jetzt klopfen“, flüsterte er dem Zimmermädchen zu.
Mit zitternder Hand klopfte sie vorsichtig dann noch einmal kräftiger gegen die Tür und rief laut: „Zimmerservice!“
Eine ganze Weile tat sich nichts. Das Zimmermädchen starrte verängstigt ins Guckloch. Dann bemerkte sie die Drehung des Türknopfes, hörte das leise Klicken des Schlosses und sprang zur Seite. Dabei wäre sie beinahe über Edy gefallen. Als sich die Tür eine Handbreit öffnete, stieß Don José den Servicewagen gegen die Tür. Der Wagen schoss wie eine Rakete vorwärts und stieß die Tür mit großer Wucht weit auf. Er blieb kurz nach dem Aufprall stehen und so flog Don José in die Suite hinein. Dem Mann hinter der Tür verpasste er einen kräftigen Kinnhaken. Als ein zweiter Mann von dem Lärm aufgeschreckt hinzukam, trafen die Fäuste von Edy und Erol sein Gesicht, dass auch er zu Boden fiel.
„Gardinenschnur!“ rief Don José machte einen Hechtsprung hinter den Servicewagen in Richtung Balkontür. Edy, der noch ein Wurfmesser in der linken Hand hielt, ließ es über den glatten Flur zur Balkontür gleiten. Es landete fast genau in dem Moment, als Don José den Aufprall des Servicewagens abfangen konnte. In der nächsten Sekunde griff er das Messer, sprang wie eine Feder hoch, schnitt ein Stück Gardinenschnur ab, machte eine Drehung und warf sie Edy zu.
Nur ein professioneller Rodeocowboy kann sich mit einem gestandenen Seemann in Sachen Knoten und Verzurren messen, wobei der Seemannsknoten auch halten muss, was er verspricht. Die zwei benommenen Spanier lagen im Nu fest verzurrt nebeneinander auf dem Boden. Don José ging zum Servicewagen, entnahm zwei Badetücher und warf sie Edy und Erol zu.
„Bedeckt ihre Köpfe. Die sollen unsere Gesichter nicht sehen, wenn sie aufwachen.“ Dann drehte er sich zu Samuel, der noch immer das Zimmermädchen mit beiden Händen fest hielt und mit ihr im Rhythmus am ganzen Körper zitterte.
„Gute Frau“, lobte Don José das Zimmermädchen.“ Wir alle haben großes Glück gehabt. Ohne Ihre Hilfe wären wir womöglich schon tot und ausgeraubt. Samuel, bring ihr bitte etwas Kaltes zu trinken.“
Samuel eilte geschickt um die gefesselten Männer herum. Don José fasste die junge Frau am Arm und führte sie zum Sofa.
„Setzten Sie sich und holen Sie erst einmal tief Luft. Gleich gibt es etwas Erfrischendes zur Beruhigung.“
Verstört starrte sie auf die geknebelten Männer, die noch immer regungslos am Boden lagen. Don José ging noch einmal zur Gardine, schnitt ein weiteres Stück Schnur ab, teilte sie in zwei Hälften und reichte sie Edy und Erol. Dann durchtrennte er die Schnur, welche die zwei Gefangenen miteinander fesselten und sagte:
„Verzurrt jeden Mann ordentlich und schafft sie zu dem anderen ins Treppenhaus. Anschließend kümmert ihr euch um Alida, kommt mit ihr hierher zurück und wartet auf mich. Die Männer dürfen nicht unbeaufsichtigt im Treppenhaus liegen bleiben.“
Der Servicewagen diente als Transportmittel und so landete der erste Spanier mit einem Hauruck auf dem Wagen. Begleitet von Erol schob ihn Edy ins Treppenhaus. Als Samuel mit erfrischtem Gesicht und einer Flasche Limonade zurück kam, war der erste Mann schon weg transportiert. Don José nahm ein Glas von der Anrichte, goss die Limonade ein und reichte sie dem Zimmermädchen.
„Langsam, Schluck für Schluck, das entspannt. Das Schlimmste ist hinter uns.“
Das Mädchen nahm das Glas mit beiden Händen, die noch immer vor Schreck und Aufregung zitterten.
„Samuel, befreie dich von deiner Aktentasche, dein Handgelenk blutet ja schon“, bemerkte Don.
Erst jetzt bemerkte auch er, dass er noch immer mit der angeketteten Tasche durch die Zimmer lief. Er suchte in der Westentasche nach dem kleinen Schlüssel und befreite sich endlich von den qualvollen Handschellen. Die Tasche fiel zu Boden als zur gleichen Zeit der Servicewagen mit seinen Partnern einrollte. Don José hob sie auf und legte sie auf den Tisch.
„Jungs, wie geht es Alida, ist alles in Ordnung?“
„Die Kerle schlafen noch ruhig, doch bald werden alle drei aufwachen. Sollen wir sie noch einmal besänftigen? Die werden zappeln wie die Barracudas.“
„Nur sanft bitte, wir brauchen sie lebendig.“
„Klar doch Don“, und schon landete der zweite Mann auf dem Wagen.
Don José blickte auf die Utensilien, die sie den Männern abgenommen hatten. Er sah Waffen, Messer, ein Würgeseil, Flugtickets, Taschentücher, ein Bündel mit Dollarnoten und zwei Portmonees, die heillos verstreut auf dem Boden lagen. Er ging in die Knie, schob die Banknoten, Tickets und die Portmonees zur Seite, nahm ein Taschentuch und hob damit die Waffen auf.
„Samuel, reich mir bitte zwei Handtücher.“ Das tat der alte Mann. Als alle Utensilien der Männer sortiert auf dem großen Esszimmertisch lagen, trat Alida kreidebleich ins Zimmer. Sie hatte die Männer sofort erkannt.
„Don, das sind die Kerle die mich aufgespürt haben, das leuchtet mir ein. Aber woher wussten sie, dass Samuel auf uns wartet. Wie haben sie Samuel mit der Aktentasche und mich in Verbindung gebracht?“
„Kluges Mädchen! Das bereitet auch mir und unserem Freund Samuel Kopfzerbrechen. Stimmt es, Samuel?“
„Als der Kerl mich ansprach und versuchte mir die Tasche zu entreißen, ahnte er, was darin sein könnte. Er wusste, weshalb ich da war. Ich befürchte, dass unsere Ermittler einen Maulwurf unter sich haben. Das ist eine sehr beunruhigende Vorstellung.“
„Lieber Samuel, das ist das Dilemma aller Agenten, dass sie gerne Maulwürfe in anderen Gärten einsetzen, aber den eigenen Garten außer acht lassen.“
In diesem Moment kam Edy herein und fragte:
„Erol ist hinunter gefahren und kümmert sich um den ersten Mann, wenn er noch im Sessel liegt. Wohin sollen wir die Kerle bringen? Sie können nicht ewig im Treppenhaus bleiben.“
„Lastenaufzug“, antworte Don José kurz und ging zu dem Zimmermädchen, das sich gerade ein zweites Glas einschenkte.
„Den Schlüssel, gute Frau, wir brauchen den Lastenaufzug, schnell bitte.“
Die Frau stellte die Flasche auf den Tisch und suchte in der Kitteltasche. Dann warf sie Edy den Schlüssel zu. Als er zur Tür eilte, stieß er beinahe mit Erol zusammen, der schwer atmend die Tür öffnete.
„Moment mal, Edy! Den Spanier habe ich noch halbwegs benommen im Sessel vorgefunden. Ich sprach ihn auf Spanisch an, half ihm bis zum Aufzug und wir fuhren hinunter in die Tiefgarage. Welche Überraschung, Jungs, er zog einen Autoschlüssel aus der Hosentasche und wir gingen zu einem geräumigen Kastenwagen. Die Kerle planten eine Entführung. Er wartet unten auf uns, verschnürt wie ein Rollbraten.“
„Gut gemacht, Partner, lass uns auch die anderen drei Knaben in den Wagen bringen.“
Samuel, dem dieser Vorfall unerklärlich und unangenehm war, eilte zum Telefon. Don José hielt ihn davon ab, er wolle alles selbst regeln und beruhigte ihn.
„Du hast Recht, edler Freund. Schlimme Zeiten sehe ich auf uns zu kommen.“
„Beruhige dich, mein Freund, für jedes Problem gibt es mindestens eine vernünftige Lösung“, sagte Don José und warf einen Blick auf Alida.
„Alida pack einige Sachen zusammen und komm wieder hierher. Wir warten auf Edy und Erol. Alles weitere wird kein Problem mehr sein.“
Dann verschwand er ins Esszimmer, kam aber schnell wieder zurück.
„Wie ist ihr Name?“ fragte Don José das Zimmermädchen, die noch immer geschockt da saß. Es dauerte einige Sekunden, ehe sie antwortete:
„Ich heiße Christine, mein Herr.“
„Gut so Christine. Haben Sie eine Familie in Brisbane?“
„Nein, mein Herr, nur eine Schwester in Woolongong.“
„Sehr gut, liebe Christine, jetzt gut zuhören. Ich gebe Ihnen reichlich Geld für einige Monate. Sie kaufen sich ein Ticket und fahren mit dem Reisebus nach Sydney. Sie gehen jetzt ganz ruhig in Ihren Umkleideraum, packen Ihre Sachen, erklären ihrer Kollegin, dass es ihnen schwindelig sei und melden sich vom Dienst ab. Dann nehmen Sie ein Taxi und fahren nach Hause. Das Taxi soll nicht auf Sie warten. Wenn Sie gepackt haben, rufen Sie ein anderes Taxi und fahren zum Busbahnhof. Haben Sie alles gut verstanden, Christine?“
„Ich habe alles gut verstanden, mein Herr.“
„Sehr gut, liebe Christine.“
Don José griff in seine Hosentasche und zog ein dickes Dollarbündel heraus. Er zählte etwa zwanzig Hundertdollarscheine ab, griff in die Jackentasche, holte das Bündel das er dem Spanier abgenommen hatte heraus und sortierte alles zusammen. Dann beugte er sich zu Christine, küsste sie auf die Stirn und flüsterte ihr ins Ohr:
„Wir kümmern uns um dich, Christine, bis ans Ende deines Lebens. Schreibe mir an diese Adresse, wenn du in Woolongong angekommen bist.“ Er legte das Geld und eine Visitenkarte in ihre zarten Hände. In diesem Augenblick fühlte sich die junge Frau wie verwandelt.
„Gute Reise, liebe Christine“, rief er ihr hinterher als sie zur Tür eilte.
„Danke, mein Herr, vielen Dank“, sagte sie leise und verschwand im Flur.
Don José fasste Samuel unter den Arm und führte ihn ins Esszimmer.
„Setz dich, mein Freund, wir haben so einiges zu bereden.“ Dann ging er zum Kühlschrank und öffnete zwei Flaschen Bier.
„Prost, Samuel!“
„Prost, edler Herr!“
„So mein, Freund, jetzt haben wir unsere Kehle angefeuchtet und die Seele erfrischt. Mal sehen, was wir aus den Papierchen der ungebetenen Gäste alles erfahren.“
Don José nahm alle Papiere aus den Portmonees, Zettel, Rechnungen, Visitenkarten etc. und fischte aus einem Versteck ein kleines, zusammengefaltetes Stück Papier. Das Zettelchen das am Rande verschmiert war deutete auf mehrfachen Gebrauch hin. Als er es entfaltete, pfiff er leise durch die Zähne:
„Siehe da, was wir hier haben. Fünf Telefonnummern mit A wie Adelheid, M wie Melbourne, S wie Sydney, B wie Brisbane und das letzte Ma.. Was könnte das sein. Vielleicht Madrid, weil die Zahlen länger sind.“
„Wie lautet die Nummer in Brisbane, Don?“
„Meinst du, du kannst die Nummer jemandem zuordnen?“ fragte er und reichte Samuel den Zettel. Don José hörte Geräusche im Wohnzimmer. Er stand auf und sah Edy und Erol ins Zimmer kommen.
„Wir haben gebunkert, Don. Wo sollen wir das Schiff hinsegeln?“ fragte Erol, betrachtete flüchtig die Brieftasche auf dem Tisch und holte ebenfalls zwei Bierflaschen aus dem Kühlschrank.
„Das tut richtig gut nach der elenden Plagerei. Die Kerle sind schwer, kann ich dir sagen. Prost allerseits.“
„Prost, Freunde!“ ergänzte Edy und trank gierig ohne abzusetzen.
„Samuel, du siehst blass aus. Was soll das bedeuten, mein Freund?“
„Und ob, und ob, das ist unfassbar, ausgerechnet Mizra.“
„Wer, bitte ist Mizra? Jemand, den wir kennen?“ fragte Don José mit ruhiger Stimme.
„Den kennst du nicht, aber ich. Er kam vor einigen Wochen aus New York. So ein feiner Pinkel, der im Konsulat sitzt und Däumchen dreht.“
„Was genau macht er dort, Samuel?“ Nun wurden alle hellhörig.
„Er soll den Konsul ablösen, der demnächst in Pension gehen wird.“
„Dann hast du eine schöne Bescherung. Du wolltest jemanden anrufen, wer sollte es sein, Samuel?“
„Mizra natürlich. Er hat mir auch die Mappe ausgehändigt und dreimal seine Telefonnummer wiederholt. Ich sollte ihn unbedingt anrufen, sobald Alida angekommen ist.“
„So, so“, dachte Don José.
„Wie weit ist dieser piekfeine Mizra in unsere Geschäfte eingeweiht?“
„Soweit ich weiß überhaupt nicht. Nur der oberste Rabbiner und die Leute, die hier waren. Sie haben sich nie in der Nähe des Konsulats blicken lassen. Das ist eine ganz andere Behörde, die nur auf höchster Ebene arbeitet.“
„Und wie ist der gute Mizra dazu gekommen?“
„Er bekam Anweisung direkt aus Tel Aviv, nur auf Fräulein Alida bezogen.“
„Und wieso sind die zwei Spanier dann in meine Suite eingedrungen?“
„Da gebe ich dir Recht, das muss mir unser oberster Rabbiner erklären.“
„Das meine ich auch, Samuel. Rufe ihn an und bestehe darauf, dass Englisch gesprochen wird. Nur Englisch, kein Wörtchen Hebräisch. Berichte ihm kurz was vorgefallen ist. Vergewissere dich auch, ob der Rabbi alleine ist. Das ist sehr wichtig. Alleine muss er sein, wenn ihr miteinander redet.“
Samuel ging zum Telefon, alle anderen suchten sich irgendwo einen Sitzplatz und warteten gespannt, dass der Rabbi den Hörer abheben würde. Kaum war der Anruf durch, meldete sich eine tiefe Stimme:
„Schalom, hier Rabbi Benjamin. Was kann ich für Sie tun?“
„Samuel hier, sprich bitte Englisch, es ist sehr wichtig!“
„Guten Abend, Samuel, mein Bruder. Was ist so wichtig?“
Samuel sprach sachlich, sehr gefasst und gab dem Rabbi eine kurze Übersicht über die Ereignisse. Dann kam die Warnung:
„Bei einem der Spanier haben wir einen Zettel gefunden, mit den Telefonnummern von Mizra, der mir die Mappe mit den Unterlagen gegeben hatte. Er bestand darauf, dass ich ihn sofort anrufe, wenn die Dame eingetroffen ist.“
„Und, hast du ihn angerufen, Samuel?“
„Gott sei Dank nicht. Er sitzt womöglich am Telefon und wartet auf meinen Rückruf.“
„Dann bleib, wo du bist. Ich gehe erst einmal alleine dorthin.“
Die Verbindung endete mit einem Klick. Die Freunde versammelten sich im Wohnzimmer, als Alida hinzu kam. Don informierte sie in kurzen Sätzen über das, was sie gerade erfahren hatten. Sie wollten darüber beraten, als das Telefon klingelte.
„Don, mein treuer Gourmet, habt ihr Appetit auf einen Hummer in Käsesauce?“
„Alois, der Meister will wissen, ob wir Hummer essen wollen?“, fragte Don, obwohl alle einen Hörer am Ohr hielten.
„Nein!“ riefen alle im Chor. „Vielleicht später!“
„Hast du es gehört, Alois. Wir kommen später zu dir in die Küche.“
„Dann bis später, Don“, erwiderte Alois eher enttäuscht.
„Herr Samuel“, meldete sich Alida. „Wie sieht dieser Miza aus? Wie alt ist er?“
„Sie meinen Mizra. Er ist etwa Mitte vierzig und sehr sportlich. Aber irgendwie sieht er aus wie ein Muttersöhnchen, fast feminin. Deswegen meine Bemerkung, piekfein.“
„Hatte er eine Narbe an der Stirn, als hätte er sich bei einem Autounfall verletzt?“, fragte Alida mit gespitztem Mund.
„Für mein Empfinden sieht es mehr nach einem Burschenschmiss aus, aber wenn Sie Autounfall erwähnen, könnte sie auch so entstanden sein.“
„Alida“, sprang Erol ein. „Sag bloß, du kennst den Mann?“
„Ja und nein“, antwortete sie ruhig. „Der wohnte ein oder zwei Wochen in diesem Hotel. Wie ich gelegentlich mitbekommen habe, war er von Anfang an mit Alois eng befreundet. Beide scheinen schwul zu sein.“
„Das erklärt schon Einiges, meine Freunde.“
„Was machen wir jetzt? Hier herum sitzen und Däumchen drehen? Wir sollten den Rabbi sofort in Sicherheit hierher bringen. Komm Edy, wir haben zu tun.“ Ehe Don reagieren konnte, waren seine zwei Freunde schon weg.
„Alida, schnell lauf ihnen hinterher. Du kennst den Mann.“ Sie folgte Edy und Erol, ehe Don seinen Satz zu Ende gesprochen hatte. Don ging ans Telefon, rief den Zimmerservice an und verlangte Alois zu sprechen.
„Alois, großer Meister. Hat sich jemand bei dir nach meinem Wohlergehen erkundigt, oder war dein Anruf von vorhin reine Nächstenliebe?“
Alois schwieg und schluckte womöglich einen Kloß herunter, der ihm in diesem Moment im Hals steckte.
„Oder hat dir meine Frage die Sprache verschlagen, mein Freund?“
„Na ja, was soll’s? Ich habe da eine neue Liebschaft der sich nach meiner Ansicht zu sehr für Alida interessiert hat. Ich bin richtig eifersüchtig geworden. Du verstehst was ich meine?“
„Das kann ich nicht ganz nachvollziehen, aber du wirst es mir eines Tages erklären.“
„Nicht, dass er sich richtig wie ein Mann für sie interessierte, aber er stellte ungewöhnliche Fragen, weist du? Und das hat unsere Beziehung kolossal gestört.“
„Lange Rede, kurzer Sinn, Alois. Hat er dich heute Abend angerufen?“
„Ja, kurz bevor ich dich angerufen habe. Er wollte wissen, wo Alida steckt.“
„Deshalb die Tausend-Dollar-Hummer-Frage, nicht wahr, großer Meister?“
„Zum Teil, Don. Ich habe heute tatsächlich frische Ware bekommen und gleich an dich gedacht. Als er mich bat bei dir nachzufragen, nahm ich das als Vorwand. Ich bin untröstlich.“
„Und du hast ihm dann von mir erzählt, nicht wahr?“
„Konnte ich nicht, weil er nicht am Telefon war, sondern irgendein anderer. Der stellte zu viele Fragen und ich legte auf. Was ist das für eine Fragerei? Ich bin ganz durcheinander, Mann.“
„Reg dich nicht auf! Jemand war ziemlich unhöflich zu Alida, sicherlich eine Verwechslung. Alois, wie in den guten alten Kinofilmen. Mach uns zwei Hummer fertig und bring sie in einer Stunde in meine Suite.“
„Das wird ein bisschen länger dauern, aber die Kundschaft wird warten müssen.“
„So ist es richtig Alois, bis später.“ Don legte den Hörer auf.
Samuel verstand von alledem kein Wort. Er sprach zwar Deutsch, konnte aber den Sachverhalt nicht einordnen. Das genau erkannte Don an seinem Gesichtsausdruck und sagte:
„Samuel, du hast Fragen und ich habe die Antworten. Gedulde dich bis der Rabbi da ist, damit ich mich nicht wiederholen muss. Jetzt räumen wir die Bierflaschen weg und servieren uns einen frischen Kaffee. Ich denke der Rabbi wird ihn nötig haben.“
„Mehr als nur einen Kaffee, mein Freund. Hoffentlich hat er seine Herztabletten mitgenommen.“
Beide saßen am Tisch und warteten, dass die Kaffeemaschine ihr Werk vollendete, als sie Stimmen im Wohnzimmer hörten.
„Don, du wirst es nicht glauben, der Piekfeine war dabei den Kastenwagen aufzubrechen, der wusste genau, wo der Wagen parkte. Erol und Alida gingen zur Lobby und ich fuhr in die Tiefgarage. Ich schlich mich von der Seite heran und sah den Kerl wie er mit seinen Schuhen gegen die Scheiben des Wagens trampelte. Er war so in Rage, dass er mich nicht bemerkte und ich dem Gewaltausbruch ein Ende setzte. Jetzt liegt er mit den anderen zusammen und atmet Chloroform.“
Vor lauter Aufregung blieb der fremde Gast in der Tür stehen. Samuel ging auf ihn zu, begrüßte ihn freundlich und bat ihn ins Zimmer zu kommen.
„Don, darf ich dir meinen besten Freund, Rabbi Benjamin, vorstellen?“
„Sehr erfreut, Herr Benjamin, möchten Sie einen Kaffee?“
Samuel fiel es auf, dass Don die Anrede „Rabbi“ absichtlich mied, er wollte einschreiten, aber der Rabbi kam ihm zuvor:
„Muchas gracias, Senor Don José, un Café sin leche, por favor“, was auf gut Deutsch heißt: Danke, Herr Don José, ein Kaffee ohne Milch, bitte. Samuel schaute den Rabbi verwundert an.
„Ich weiß, Samuel mein Guter, mein Spanisch ist ziemlich eingerostet. Es sind schließlich vierzig Jahre her, als ich diese Sprache zum letzten Mal gesprochen habe. Die Geschichte erzähle ich dir später!“
„Sie waren im spanischen Bürgerkrieg als Roter Rabbi bekannt, nicht wahr?“, fragte Alida, denn sie kannte sich in dieser Geschichte gut aus.
„Es ist an der Zeit die Ereignisse heute ins Reine zu bringen. Setzt euch und beantwortet dem Roten Rabbi Benjamin die Fragen. Er muss Handeln und zwar schnell“, meinte Don.
Alida brachte den Kaffee schenkte jedem noch einmal ein und setzte sich schweigend mit an den Tisch.
„Ich habe die Ereignisse im Groben erfasst, trotzdem bleibt noch einiges was ich vorab wissen möchte“, eröffnete der Rabbi das Gespräch.
„Samuel, hast du in die Mappe geschaut?“
Alle Augen suchten nach der Tasche, doch niemand sah sie. Don stand auf ging ins Wohnzimmer, kam schnell wieder zurück und überreichte Samuel die Tasche.
„Schau nach, was du mitgebracht hast!“ befahl der Rabbi schroff.
Samuel kramte in der kleinen Westentasche nach dem Schlüssel für die Tasche. Seine Hände zitterten, deshalb dauerte es etwas länger das Schloss zu öffnen. Schließlich machte es Klick und das Schloss ging auf. Eine uralte braune Mappe aus hartem Karton mit einer verplombten Kordel verschnürt kam zum Vorschein. Samuel übergab sie dem Rabbi. Es fiel ihm schwer, den Knoten mit den von Gicht befallenen Fingern zu öffnen. Edy sprang ihm zur Hilfe. Der Rabbi schlug den Deckel auf und schaute erstaunt in die Mappe. Er schüttelte grinsend mit dem Kopf. Dann zog er das Papierbündel heraus und alle lachten auf, nur Samuel nicht.
„Was haben wir hier, Samuel? Herr Don José ist doch nicht an der Financial Times oder der Washington Post interessiert. Alle Achtung, der Mizra hat Phantasie. Es fehlen nur noch aktuelle Männermagazine.
„Jetzt wissen auch Sie, dass der Mann homophil ist?“, wollte Don von ihm eine Bestätigung.
„Nicht gleich von Anfang an. Erst eine Woche nach seinem Einzug rief der Koch aus diesem Hotel immer häufiger an. Es stellte sich bald heraus, dass die beiden eine Affäre haben. Mit dieser Neigung hatte ich Mizra gar nicht eingeschätzt. Unsere Leute in New York wussten nichts über seine homophile Leidenschaft. Er ist nicht verheiratet, aber angeblich sehr fromm. Als wir ihn zur Rede stellten, spielte er die beleidigte Leberwurst. Der fette Koch habe sich ohne sein Zutun in ihn verliebt, er mache sich nur lustig über die Affäre. Der Koch soll jeden anhimmeln, der ihm über den Weg läuft.“
„Dieser Sachverhalt ist soweit geklärt, verehrter Herr Benjamin. Was uns hier unter den Nägeln brennt ist die Tatsache, dass sich der Mann in unsere geschäftliche Angelegenheit bewusst oder unbewusst, das müssen Sie innerhalb von zwei Tagen klären, eingeschlichen hat. Zwei Spanier haben hier auf mich gewartet. Sie hatten reichlich Zeit Aufzeichnungen zu...“
„Nein, Don, die nicht“, wollte Alida nicht länger schweigen. „Ich trage die wichtigen Dokumente die ganze Zeit bei mir. Entschuldigen Sie, Herr Benjamin.“
„Liebes Fräulein, der Himmel und mein Volk wird Ihnen ewig dafür danken.“
„Bravo, Alida, wir wussten, dass auf dich Verlass ist“, lobte sie Erol. Als er merkte, wie Alida ihn anlächelte, wurde er verlegen.
„Wenn das nicht auf dem Standesamt endet“, dachte Don.
„Damit ist meine Frage an Sie nicht beantwortet, verehrter Herr Benjamin. Wir halten, wie Sie soeben erfahren haben, unsere Schotten dicht.“
Don machte eine kurze Pause, um dem alten Rabbi die Tragweite des heutigen Komplotts bewusst zu werden.
„Ich habe schon Samuel gefragt, wer genau über unsere geschäftliche Angelegenheit informiert ist. Gibt es irgendeine Querverbindung zu Ihrem Herrn Mizra und seinen dienstlichen oder privaten Verbindungen in Tel Aviv?“
„Die Antwort auf ihre erste Frage ist einfach zu beantworten: Ich persönlich, abgesehen von Samuel und den bereits bekannten Personen, die dem Wirtschaftsminister direkt unterstellt sind. Außer dem Premierminister weiß meines Erachtens niemand davon. Das Projekt ist erst im Werden und wird bei uns als große Hoffnung eingestuft. Niemand kann es sich leisten mit einem Hirngespinst in Verbindung gebracht zu werden. Alle kommunikativen Aktivitäten sind von der Synagoge aus geführt worden, in alter hebräischer Sprache, die nur Altgediente verstehen. Herr Mizra war neu im Konsulat, er sollte erst einmal angelernt werden. Seine Verbindungen nach Tel Aviv sind uns bekannt, aber die in die USA entziehen sich unserer Kenntnis.“
„Ich gehe davon aus, dass Herr Mizra durch Anwesenheit von Alida auf uns gestoßen ist, ohne zu wissen, welche anderen Dinge im Entstehen sind. Die Spanier sind heute Mittag in kurzen Abständen aus Melbourne und Adelaide angekommen. Sie hielten sich nicht länger als drei Stunden in Brisbane auf. Das haben wir herausgefunden. In dieser Zeit gab es sicherlich ein Treffen mit Ihrem Herrn Mizra. Es liegt jetzt in Ihrer Hand den Kastenwagen abtransportieren zu lassen. Ihre Agenten werden, dessen bin ich ziemlich sicher, ihre Freude daran haben, die Herrschaften gründlich zu befragen. Einen vorläufigen Bericht erwarte ich von Samuel und seinen Söhnen zur vereinbarten Zeit.“
Don stand auf und signalisierte, dass das Gespräch damit beendet war.
„Darf ich kurz telefonieren, damit der Kastenwagen und wir zwei abgeholt werden?“ fragte der Rabbi und ging zum Telefon. Er telefonierte kurz in einer Sprache, die niemand verstand. Dann legte er auf und fragte:
„Kann uns einer Ihrer jungen Freunde bis in die Tiefgarage begleiten?“
„Das machen wir gerne“, bot sich Edy an. Danach schüttelten sie die Hände und weg war der Besuch.
„Don, ich habe das ungute Gefühl, dass mich meine Vergangenheit im ungünstigsten Moment eingeholt hat. Durch mich sind meine einzig wahren Freunde und wie sich heute gezeigt hat, eine Menge anderer Leute in Mitleidenschaft gezogen worden.“
„Liebe Alida, erinnere dich immer in solchen Situationen an die alte Dame und ihren Kuss auf deine Stirn. Du brauchst dich dein Leben lang vor nichts mehr zu fürchten. Jedes Schicksal ist mit unsichtbaren Fädchen verbunden. Daher gehören Krisensituationen wie heute, zur Bereinigung manch alter Rechnungen.“
„Gestern dachte ich, von dir viel gelernt zu haben. Heute sehe ich ein, dass es noch so viel zu lernen gibt. Unvergleichbar intensiver als es im Leben eines Studenten der Fall wäre. Ich habe mich heute selbst überholt, sozusagen vorausgelernt. Die meisten Menschen lernen aus negativen Erfahrungen und bilden Schablonen, wonach sie sich in Sicherheit wiegen, für einen ähnlichen Fall gerüstet zu sein. Dann aber erfahren sie leider im Nachhinein, dass die Schablone nie richtig passt. Stur wie ein Ochse versuchen sie die Schablone mit kleinen Lügen zu strecken und stellen verblüffend fest, dass genau diese Streckung einen Schneeballeffekt nach sich zieht.“
„Alida, mein Schwesterchen, du bist ja heute richtig auf schwere Philosophie aus. Machen wir den Tisch klar. Die Hummer kommen gleich und die Knacker auch.“
Beide lachten wie zwei Kinder, als Erol und Edy hereinspazierten. Die zwei wollten wissen worüber gelacht wurde, und so machte Alida ihren Vortrag zum Thema des Abends.
„Bevor Alois aufkreuzt, packt eure sieben Sachen und bringt alles hier ins Schlafzimmer. Wir werden die Nacht in einem anderen Hotel verbringen, das zwar etwas schaukelt, aber nur über Wasser zu erreichen ist.“
„Aye, Aye, Kapitän, das hören wir gern“, jubelten die Freunde und waren gleich wieder weg.
Don rief den Concierge an und bat ihn, vier Flugtickets für die nächste Maschine nach Sydney zu buchen. Alida schaute ihn verschmitzt an und er wusste, dass sie ihn durchschaut hatte.
„So spät fliegt doch keine Maschine nach Sydney, Don.“
„Aber um sechs Uhr morgens fliegt die erste, die schon um fünf von Sydney gekommen ist. Wir begleichen unsere Rechnungen vor Mitternacht und nehmen ein Taxi zum Flughafen. Alles andere werdet ihr schon sehen.“
„Na klar doch. Ich kann es kaum erwarten, wieder etwas Neues zu lernen.“
Als Alois mit dem Servierwagen anrollte, war der Tisch schon von Hungrigen umringt. Die Abschiedsparty durfte spannend werden. Alois schwieg zunächst und zerlegte die Hummer fachmännisch. Alle ließen sich das gute Essen munden und warteten geduldig, dass Alois seinen Kummer erst einmal verdauen würde. Dann war es soweit.
„Zum ersten Mal muss ich mich vor Menschen schämen, die ich so schätze“, begann Alois mit gesenktem Kopf. „Mit dem Typen hatte ich von Anfang an kein gutes Gefühl. Ein New Yorker Anwalt soll er gewesen sein. Sein seniler „Onkel“, wenn ihr wisst was ich meine, der so reich wie Königin Elisabeth sein soll, redete ihm ein, nach Australien zu fliegen und diverse Geschäfte in Gang zu bringen. Allmählich fiel mir auf, dass der Kerl zu viel redete, aber wenig Substanz dahinter war. Wie ein Hummer nach der Hochzeit, nur eine leere Schale. Der Concierge erzählte mir, er sei immer gegen sieben Uhr morgens in einen dunklen Wagen gestiegen und abends wieder gebracht worden.“
Dabei schaute er Don verlegen an und seufzte.
„Weil ich neugierig wurde und frische Ware auf dem Großmarkt besorgen musste, bestellte ich ein Taxi und wartete auf den dunklen Wagen. Der kam pünktlich und mein „Freund“ stieg ein, ohne dem Fahrer guten Morgen zu sagen, als er ihm die Wagentür offen hielt. Ganz forsch und arrogant ging er auch an mir vorbei. Es erinnerte mich an die SS-Offiziere, die hatten so einen Schneid zur Schau gestellt. Das passt gar nicht zu diesem Typen, den ich kenne, dachte ich mir, und gab dem Taxifahrer Anweisung dem Wagen zu folgen. Die Verfolgung endete vor dem israelischen Konsulat. Das war ein Schock für mich, kann ich euch sagen. Ich fuhr zur Markthalle, stieg aus und suchte sofort eine Telefonzelle. Die Nummer die er mir gab stimmte bis auf die letzten zwei Zahlen überein. Das war vor zwei oder drei Tagen. So lange hatte er mich an der Nase herumgeführt.“
„Heute auch, Alois. Du hast ihm einen nicht unbedingt ehrenhaften Gefallen erwiesen. Wie wäre es, wenn du uns die volle Wahrheit sagst“, zischte Alida zornig durch die Zähne.
„Das wollte ich gerade erwähnen. Ich schulde ihm eine Stange Geld, wegen dem Pferderennen. Von meiner Wettsucht wusste er von Anfang an und drängte mich regelrecht auf bestimmte Pferde hohe Summen zu setzen. Oh Mann, oh Mann, bin ich ein richtiger Hornochse gewesen.“
„Wieso gewesen?“, fragte Erol belustigt. „Seid ihr kein Pärchen mehr?“
„Der Kerl ist verschwunden und im Konsulat kennt niemand einen Barnaby Jones. Unter diesem Namen hat er sich in dem Hotel eingetragen.“
„Alois, mein Freund, du wirst es überleben. Wir nehmen das nicht so schlimm wie du. Der Kerl ist nicht unser Problem. Komm wir stoßen auf unsere gute Freundschaft an und werden dir gleich auf Wiedersehen sagen. Wir fliegen morgen früh nach Sydney zurück und lassen dich alleine damit fertig werden.“
Don stand auf, hielt sein Glas Alois entgegen und die Anderen taten es versöhnlich nach.
„Das Abendessen geht auf meine Rechnung, damit ich wenigstens etwas Respekt vor mir selbst empfinde“, verkündete Alois erlöst, aber würdevoll.
„Klar doch“, dachten die Gäste, wohl wissend, dass die Schuldscheine auf der Müllhalde der Geheimdienste verbrannt werden würden.
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