Читать книгу Evolution ohne uns - Jay Tuck - Страница 12

Undiplomatische Depeschen

Оглавление

Andere Dokumente belegten geheime Vorgänge im Krieg, die offiziell abgestritten wurden. Noch andere zitierten aus vertraulichen Depeschen, wo Politiker und Diplomaten im vermeintlich vertraulichen Austausch ihre – oft wenig schmeichelhaften – Einschätzungen und Kommentare über die Führungsspitze anderer Länder austauschten. In vielen Fällen hatte die Veröffentlichung peinliche Folgen für die US-Außenpolitik.

Die Massendaten von Manning bildeten den Kern für die Enthüllungen von Julian Assange – und für das Renommee seiner Enthüllungsplattform WikiLeaks.

Dass ein einfacher Soldat unbemerkt an derartig viele Geheimdokumente herankommen konnte, lag nicht nur an der Arglosigkeit der Sicherheitsbehörden. Die Zeiten hatten sich geändert. Die Digitalisierung von diplomatischen Depeschen war in vollem Gang. Big Data hatte hohe Priorität. Für die Führung des Pentagons hatte sie viele Vorteile. Große Mengen an Informationen könnte man schnell speichern, sortieren und in kürzester Zeit auswerten. Katalogisierung war automatisch, Zugriff blitzschnell.

Aber Big Data war auch Neuland. Es änderte die Spielregeln der Spionage. In früheren Zeiten brauchte ein Spion für eine solche Aufgabe eine Sonderausrüstung – Minikamera, Fotolabor für die Filmentwicklung und ein gutes Versteck für die Mikrofiche-Aufnahmen, vielleicht unter einer Briefmarke. Längst vorbei waren die Zeiten, als man einzelne Dokumente ablichten musste. Mit einem kleinen USB-Stick konnte ein Spion jetzt im Handumdrehen Hunderttausende von Geheimdaten stehlen. Für Bradley Manning war das ein leichtes Spiel.

Er war Pionier. Und er führte den Mächtigen die neue Verwundbarkeit ihrer Geheimnisse vor. Sie würden lernen müssen, dass sich die Welt der Hochleistungscomputer verändert hatte.

Bradley Edward Manning hatte eine schwierige Kindheit. Er wurde am 17. Dezember 1987 in Crescent im US-Bundesstaat Oklahoma geboren. Sein Vater, damals Analytiker beim Militärischen Abschirmdienst, war ein sehr dominanter Mann, ein Trinker. Seine Mutter trank auch. In den Akten steht ein Selbstmordversuch. Für Freunde und Nachbarn war unübersehbar, dass die Familie gestört war.

Alkoholprobleme hatte Manning schon vor der Geburt. Wie spätere Untersuchungen zeigten, hat er bereits als Embryo Schäden aus der Sucht seiner Mutter mitbekommen.

In seiner frühen Kindheit ließen sich seine Eltern scheiden. Danach wurde er zwischen Elternteilen und Stiefeltern, Nachbarn und Verwandten hin und her geschoben. Als durch die Zweitheirat seines Vaters eine neue Halbschwester in sein Leben kam, klagte er: „Jetzt bin ich ein Niemand!“

Danach bedrohte er im Streit seine neue Stiefmutter mit einem Messer. Die Polizei kam.

Mit 13 Jahren erzählte er erstmals Freunden von seiner Homosexualität.

Nach einem kurzen Job als Software-Entwickler meldete sich Manning freiwillig zur Armee. Es war September 2007. Er hoffte, dort sein Studium zu finanzieren. Er hoffte auch, dass ein männliches Umfeld ihm womöglich mit seiner Geschlechtsidentität helfen könnte.

Doch es kam anders.

Er wurde Prügelknabe. „Er war kleinwüchsig. Er war schwul. Er hat’s von allen Seiten bekommen“, erinnert sich ein Kumpel aus seiner Armee-Zeit. „Nirgendwo hatte er Freunde.“

Manning war ein schwieriger Kandidat. Wenn er – wie bei der Militärausbildung üblich – aus nächster Nähe von seinem Sergeant angeschrien wurde, brüllte er zurück. Er wurde mehrfach dafür diszipliniert. Vorgesetzte nannten ihn spöttisch „General Manning“.

Nach sechs Wochen war bereits absehbar, dass er sich schlecht an die Militärdisziplin gewöhnen konnte. Es kam die Empfehlung, ihn aus der Armee zu entlassen. Es war aber die Zeit der Digitalisierung. Seine Einheit war überlastet. Manning war Software-Fachmann und Geheimnisträger (Top Secret/Sensitive Compartmented Information). Der Militärische Abschirmdienst brauchte ihn.

Manning durfte bleiben.

Er war aber immer noch ein schwieriger Soldat.

Bei einem Beratungsgespräch im Dezember 2009 flippte er aus. Er schrie seine Vorgesetzten an und schmiss ihre Schreibtische samt Computer auf den Boden. Ein Militärpolizist musste eingreifen. Manning wurde entwaffnet und im Würgegriff aus dem Raum geschleppt.

Wenige Monate später wurde er von einem Offizier auf dem Fußboden einer Vorratskammer entdeckt, gekrümmt in Embryoposition liegend. Neben ihm lag ein Messer. In einen Stuhl hatte er die Worte „Ich will“ (I want) eingeritzt. Einige Stunden danach schlug er grundlos auf eine Soldatin ein. Der diensthabende Psychiater empfahl die Entlassung aus der Armee. Manning wurde degradiert.

Aber nicht entlassen.

Drei Tage später wurde er von der Military Police verhaftet.

Wegen Spionage.

Evolution ohne uns

Подняться наверх