Читать книгу Evolution ohne uns - Jay Tuck - Страница 8
ОглавлениеWir sind zu doof dafür.
Und deswegen werden wir die Bedrohung durch Künstliche Intelligenz wahrscheinlich erst erkennen, wenn es zu spät ist. Künstliche Intelligenz wächst nämlich mit exponentieller Geschwindigkeit. Ein menschliches Hirn kann exponentielles Wachstum nicht begreifen. Nicht wirklich. Lineares Wachstum, also x Prozent im Jahr, können wir nachvollziehen. Aber Größen, die sich ständig vervielfachen, sind schnell jenseits unserer kognitiven Vorstellungskraft.
Exponentielles Wachstum kennt man in der Mathematik. So wollte Sissa ibn Dahir, Erfinder des Schachspiels, wissen, wie viel Reis auf ein Schachbrett passt, wenn man die Zahl der Körner mit jedem Feld verdoppelt. Auf das erste Feld sollte ein Korn gelegt werden, auf das zweite Feld zwei Körner, dann vier, dann acht und bis zum 64. Feld immer wieder das Doppelte.
Auf dem letzten Feld, so sein Rechenexempel, würden 9,22 x 1018 Körner liegen – mehr als 9 Trillionen Körner (9.220.000.000.000.000.000) mit einem Gesamtgewicht von 270 Millionen Tonnen. Diese Reismenge würde ganz Deutschland in einer Höhe von 2 cm abdecken.
Es erzeugt Größenordnungen, die für den Intellekt eines normalen Menschen kaum begreiflich sind. Deswegen verstanden wir es nicht, als sich die IT-Industrie mit exponentieller Geschwindigkeit entwickelte. Die Tragweite solchen Wachstums sprengt unsere Vorstellungskraft. Unbemerkt ist der weltweit verfügbare Speicherplatz der Menschheit faktisch ins Unermessliche gewachsen.
Mit jedem Schritt hat sich die Speicherkapazität von Heimcomputern vertausendfacht – von Kilobyte-Floppy auf Megabyte-Diskette, von Gigabyte-Speicherkarte auf Terabyte-Festplatte. Heute wird sie in den Serverparks von Nachrichtendiensten und Wirtschaftsunternehmen schon in Petabytes gemessen. Die mathematischen Fachbegriffe, die auf uns noch zukommen, stellen weitere Quantensprünge um das Tausendfache dar: Exobytes, Zettabytes, Yottabytes, Brontobytes und Geopbytes – Größenordnungen, die unser Gehirn nicht erfassen kann.
Big Data kann man sich vorstellen als die Möglichkeit, unbegrenzt menschliche Informationen aller Art zu speichern. Wir haben sie nicht kommen sehen und die Folgen für unsere Demokratie nicht erkannt. Erst Medienberichte über Julian Assange und Edward Snowden machten uns klar, dass staatliche Überwachung allgegenwärtig ist, dass unsere Telefonate, E-Mails und SMS-Texte flächendeckend mitgeschnitten und für ewige Zeiten festgehalten werden. Unser demokratischer Staat wurde von den Folgen von Big Data überrumpelt. Datenschutz wird ignoriert, Grundrechte außer Kraft gesetzt, Völkerrecht umgangen.
Überwachung ist aber keineswegs auf Geheimdienste beschränkt; das Ausmaß ist erst in der Privatwirtschaft erkennbar. Facebook sammelt unsere Gesichter, Apple unsere Fingerabdrücke, Amazon unsere Vorlieben. Und Google eigentlich alles. Überwachung ist Alltag. Und wächst auch exponentiell.
Zwischen der Entstehung des Homo sapiens vor zwei Millionen Jahren und dem Jahr 2020 hat die gesamte Menschheit geschätzte 295 Exobytes an Information produziert. Heute wird diese Datenmenge alle zwei Jahre erzeugt.
Das sind Massen, die nur durch Maschinen beherrschbar sind. Eine Erfassung, Verwaltung oder Auswertung durch die kognitiven Fähigkeiten von Menschen ist undenkbar. Auch die Software, die Menschen schreiben, kann dies nicht bewältigen. Supercomputer mit autarker Supersoftware sind die einzige Lösung. Sie müssen lernfähig sein, ihre Updates und Erweiterungen selbst schreiben. Um die Künstliche Intelligenz sinnvoll zu nutzen, müssen wir umdenken.
Die Definition von Bildung zum Beispiel hat sich durch zwei Worte verändert: „Googel es!“ Das Wissen ist da. Wir müssen es uns nicht im Rahmen eines langwierigen Bildungsweges mühsam aneignen. Wir müssen nur den Zugang schaffen. Das gesamte Wissen der Menschheit steht – mit wenigen Ausnahmen – jedermann zur Verfügung. Wir müssen es nur finden und analysieren können. Ein modernes Bildungssystem muss sich als Wegweiser durch die Datenmassen verstehen.
In ihrer Geschichte haben es die Menschen immer verstanden, Maschinen für die schweren Aufgaben einzusetzen – um die komfortable Reisekutsche durch die Gegend zu ziehen oder den schweren Dachbalken beim Bau zu heben. Mit den raffinierteren Erfindungen von heute können wir Milliarden Lichtjahre ins Weltall oder tief in die Bruchteile einer atomaren Mikrowelt schauen.
Big Data rollt heute wie ein Tsunami auf uns zu. Die Datenmenge wächst exponentiell. Künstliche Intelligenz wird helfen, sie zu bewältigen. Täglich wird sie unabhängiger und unübersichtlicher. Sie ist autark. Sie entwickelt sich ohne uns immer weiter. Mit rasender Geschwindigkeit.
Wir sind nicht nur zu doof, um sie zu begreifen.
Wir sind zu langsam.
Beim Lesen der folgenden Kapitel bedenken Sie bitte, dass wir erst am Anfang dieser umwälzenden Entwicklung stehen. In den folgenden Kapiteln werden nur die ersten Babyschritte von Künstlicher Intelligenz beschrieben. Technologie entwickelt sich schnell.
Und wird immer schneller.
Als Johannes Gutenberg die Druckerpresse im Jahr 1440 erfand, hatte die Gesellschaft Hunderte von Jahren Zeit, um die Folgen der Massenmedien zu begreifen. Als James Watt die Dampfmaschine im Jahr 1769 erfand, dauerte es gut 80 Jahre, bis Textilarbeiter begriffen, dass ihre Arbeitsplätze dadurch gefährdet waren.
Bis 50 Millionen Anwender erreicht wurden, dauerte es beim Automobil 62 Jahre, beim Handy 12 Jahre, bei Pokémon Go ganze 19 Tage. Die Gesellschaft hat immer weniger Zeit, Neuentwicklungen zu verdauen, Konsequenzen zu erkennen und Regelungen – soweit erforderlich – zu beschließen.
Stein um Stein kreieren wir die Bauteile eines neuen Wesens. Auf den Servern von Big Data ist ein Gedächtnis entstanden, so groß wie das menschliche Wissen. Mit der internationalen Vernetzung von Überwachungskameras haben wir Augen kreiert, die alles sehen. Armbanduhren und Automobile, Barbiepuppen und Baumaschinen, Smartphones und Sensoren lassen wir mit Künstlicher Intelligenz genauso ausstatten wie die Smartwaffen der Supermächte.
Die Künstliche Intelligenz, die diese Systeme steuert, ist stark, autark und noch aufgeteilt in viele kleine Systeme. Heute sind sie einzelne Inseln. Sie wachsen aber täglich enger zusammen. Die Keime von Künstlicher Intelligenz werden wie Quecksilbertropfen zueinanderfinden. Die KI wird eine Superintelligenz bilden, die unserer um ein Tausendfaches überlegen ist. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir heute erst am Anfang dieses Zeitalters stehen.
Wir haben wenig Spielraum, diese Entwicklung in den Griff zu bekommen. Die größten Denker von Silicon Valley sind überzeugt: Die Menschheit befindet sich in einem Endspiel.
„Künstliche Intelligenz ist die größte existenzielle Bedrohung für die Menschheit. Wir beschwören den Teufel.“
Elon Musk, Tesla
Heute erleichtert die Künstliche Intelligenz unser Leben. Lernfähige Software, die eigene Updates schreibt, existiert im Ansatz schon in Autos und Armbanduhren, in der Pharmaforschung und im Versicherungswesen, in Smart Homes und Smart Cities. Sie fliegt den Airbus und sortiert Amazon-Bestellungen, analysiert Vorlieben und Vorhaben bei Facebook und sortiert Menschen für Google und Geheimdienste. Auf den Finanzmärkten der Welt wickelt sie Milliardengeschäfte ab. In Operationssälen führt sie schon Skalpelle.
In den Wochen, in denen diese Aktualisierung geschrieben wird, wird die Menschheit daran erinnert, wie verwundbar sie ist. Im letzten Kapitel des Buches wird die Rolle der Künstlichen Intelligenz im globalen Kampf gegen COVID-19 detailliert beschrieben. Es ist ein Beispiel, wie KI heute in der Lage ist, viele hochkomplexe Aufgaben, die früher Spitzenpersonal anvertraut waren, zu übernehmen. Mit jedem Tag übernimmt sie immer mehr Verantwortung in unserer Gesellschaft.
„Sie wird anders als ein Mensch sein. Sie wird sich mit einer Geschwindigkeit entwickeln, die für einen Menschen nicht begreiflich ist.“
Robert Finkelstein, CEO Robotic Technology
Wir kreieren etwas, was wir nicht verstehen, ein Wesen, das uns in vielfacher Hinsicht überlegen ist. Es vollzieht schon heute Dinge, die wir nicht nachvollziehen können.
Ist es ein Frankenstein-Monster, das hier entsteht – von der Wissenschaft ins Leben gerufen, aber demnächst jenseits unserer Kontrolle? Wird Künstliche Intelligenz bald eigene unerklärliche Ziele verfolgen? Und könnte Künstliche Intelligenz – im Gegensatz zum Filmmonster – leicht die Oberhand gewinnen, wie der britische Astrophysiker Stephen Hawking warnt?
„Künstliche Intelligenz könnte die großartigste Errungenschaft der Menschheit werden. Bedauerlicherweise könnte sie auch die letzte sein.“
Stephen Hawking, Astrophysiker
Dabei sind die Programme, die von Künstlicher Intelligenz in Mikrosekunden hergestellt werden, häufig für die eigentlichen Erfinder nicht ganz nachvollziehbar, womöglich auch nicht ganz kontrollierbar. Eines nicht so fernen Tages werden wir es mit einem Wesen zu tun haben, dass das Wissen der gesamten Menschheit speichern kann und über die Intelligenz verfügt, es blitzschnell auszuwerten.
Die klügsten Köpfe von Silicon Valley schlagen Alarm. Visionäre wie Elon Musk und Bill Gates, Steve Wozniak und Stephen Hawking, sowie Tausende andere IT-Forscher weltweit sind überzeugt, Künstliche Intelligenz wird uns bald überholen und beherrschen.
Viele glauben, sie könnte uns töten.
Einige sind überzeugt, sie wird uns töten.
JAY TUCK
ARMIN FUHRER
„Ich verstehe nicht, warum nicht mehr Menschen beunruhigt sind.“
Bill Gates, Microsoft-Gründer