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Kapitel 4

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Narthas sprang aus dem Sattel und landete sanft auf dem trockenen Boden der Steppe. Der Untergrund war fest, tief vereist, und Raureif hatte sich auf die verbleibenden Gräser gelegt, dennoch lag kein Schnee. Zu lange war es her, seit es hier Niederschlag gegeben hatte. Ein eisiger Wind wehte über die Ebenen und schlug dem Khan ins Gesicht. Dennoch fühlte er sich wohler als in den warmen Hallen Taarls. Denn dies war seine Heimat.

„Wir lagern hier!“, gab er den Befehl auf urbisch und sofort machten sich die Reiter daran, ein Lager aufzubauen. Narthas verharrte. Er blickte gen Horizont, an dem doch nichts zu sehen war. Nur die leere der Steppe. Die unendliche Weite. Freiheit. Es war das Gefühl von Freiheit, dass die Heimat der Urben so besonders machte. Und das er, zumindest unbewusst, in Valorien all die Jahre vermisst hatte. Doch nun war er zurück.

Als zwei seiner Söhne zu ihm traten, winkte er sie herbei. Auch Zirgas, sein alter Weggefährte und Freund, trat zum Khan, nachdem er einigen Männern Befehle gegeben hatte. Narthas ging in die Hocke. Trotz des Frostes im Boden konnte der Khan eine Hand voll Steppensand aufheben. Langsam ließ er den Sand durch seine Hand rieseln, der Wind trug ihn seitwärts.

„In jedem Sandkorn der Steppe wohnen die Geister.“, sagte Narthas leise. „Sie sprechen durch den Wind mit uns und tragen die Weisheit der Unendlichkeit und all unserer Ahnen.“ Der Khan erhob sich und blickte über die weite der Ebenen. „Wir sind ein Teil dieser Steppe. Jeder Urbe spürt es in sich. Die Geister schicken uns in dieses Leben, um uns zu beweisen. Und wenn wir sterben, werden wir wieder eins mit der Steppe. Nur die erlesensten unserer Krieger dürfen mit den Geistern in der Unendlichkeit reiten.“

Er blickte zu Lokran und Kirgesh, seinen beiden ältesten Söhnen. „Mein Vater sprach einst diese Worte zu mir, vor einer großen Schlacht. Und sein Vater vorher zu ihm. Ihr kehrt nun das erste Mal heim. Aber egal wohin ihr reitet, ihr tragt die Steppe in eurem Herzen, und die Geister werden euch immer begleiten.“ Die beiden Angesprochenen schauten Narthas ehrfürchtig an, wussten aber nichts zu erwidern. Also schlug Zirgas den beiden Männern auf die Schulter, um die Stimmung zu lockern.

„Leider, meine jungen Freunde, wird es noch dauern, bis wir unsere Speere in den Leib des Feindes stoßen werden. Außer ein paar rauflustige Stämme reiten in unseren Weg. Oder der Erzherzog der Peltamark ist dumm.“, sagte er grinsend und blickte dann zu Narthas. „Ich habe gerade Nachricht der letzten Krieger erhalten. Das Heer ist vollständig gesammelt. Wir warten auf deine Befehle, Khan.“

Narthas nickte ihm zu und ließ dann seinen Blick zu dem einen Reiter wandern, der hier nicht ins Bild passte. Anders als die Urben trug er eine Plattenrüstung, obwohl diese etwas mitgenommen wirkte. Von anderer Qualität war das feine Langschwert, das er am Gürtel trug. In einer silbernen Scheide, die von Flammenrunen und Feueropalen verziert war, trug Wanfried von Tulheim das Schwert Flammendorn. Mit seinen hellblonden Haaren und fast bleichem Teint hob er sich auch deutlich von den dunkleren Urben ab.

Narthas erinnerte sich nur zu gut, als er die Klinge das erste Mal gesehen hatte. In Taarl, am Gürtel des Reichsverwesers Heinrich von Goldheim, der seinen damals neuen Herrn in Geiselhaft genommen hatte. Doch dies war lange her, und der alte Ritter war nun Teil der Geschichte geworden. Wanfried war die Gegenwart.

Als der Ritter Narthas erkannte ritt er auf diesen zu und schwang sich einige Schritte entfernt ebenfalls aus dem Sattel, um auf den Khan zuzugehen.

„Du hast ein beeindruckendes Heer gesammelt.“

„Reiter des Herzogs ebenso wie freie Reiter auf der Suche nach ehrenvollem Kampf und reicher Beute.“, antwortete Narthas. In der Tat hatte er schon vor Monaten Boten in die Steppe geschickt, um weitere Kämpfer anzuwerben. Trotz der Niederlage wog der Namen seines Vaters noch schwer, und so hatten sie einige Stämme gewinnen können, sich ihrer Sache anzuschließen.

„Werden wir nun gesammelt in die Peltamark reiten?“, fragte Wanfried. Die Peltamark lag zwischen den Steppen und dem Königreich Kargat. Wenn man die Alrinnen umging kam man unausweichlich in dieses Reich. Narthas wusste darüber nicht viel. Er hatte einige Berichte von Urben erhalten, die das Land bereits geplündert hatten. Die Burgen waren anscheinend mächtig und die Adeligen starke Krieger. Dennoch war das Land eher ärmlich. Also insgesamt kein lohnendes Ziel. Doch nun mussten sie eben durch die Peltamark, um dann Kargat von Osten anzugreifen. Im Idealfall zur gleichen Zeit, wenn die valorischen Truppen nach Süden stießen. Narthas hoffte, dass sie ohne Kampf durch die Peltamark ziehen konnten. Entweder weil man sich mit den Adeligen einigen konnte oder weil das Heer so groß war, dass diese sich vor Angst in ihre Burgen verkrochen.

„Nein, wir reiten getrennt.“, sagte Narthas. Er zeigte auf die Weiten, die sich vor ihnen ausbreiteten. „Hier, mein valorischer Freund, hier in der Steppe ist der Tisch nicht so reich gedeckt, wie in deiner Heimat. Wir müssen mit Wasser und Vorräten haushalten. Ein großes Heer würde hier über die Zeit kläglich zu Grunde gehen. Hast du dich mal gefragt, wieso kein Kriegsherr die Schlachten in unsere Länder getragen hat? Dies ist der Grund.“

Wanfried nickte verständnisvoll. „Ja, das ergibt Sinn.“

„Die Stämme werden separat reiten, aber wir werden uns am Grenzfluss zur Peltamark wieder vereinen. Am oberen Lauf des Calas. Einige meiner Brüder berichteten mir, dass es dort eine Furt geben soll. Diese müssen wir finden.“

„Ich werde an deiner Seite bleiben.“, stellte Wanfried fest. Narthas wusste, dass der Ritter offiziell mit ihm ritt, um die Krone Valoriens in jedweden Verhandlungen zu repräsentieren. Insgeheim hatte man ihm den Rethaner aber wohl auch als Wachhund zur Seite gestellt. Eine recht undankbare Aufgabe. Selbst wenn Narthas vorhätte, den Herzog von Tandor oder die Königin zu hintergehen, würde dieser eine Mann ihn davon nicht abhalten.

„Ich werde dich nicht aufhalten.“, sagte der Khan und ging dann mit seinen Söhnen weiter ins Lager hinein, dass die Urben gerade aufbauten. Wanfried blieb allein zurück.

Narthas erkannte den Staub am Horizont. Er wusste die Zeichen eines Urbenstammes zu deuten. So viel hatte ihm sein Vater in der Zeit in der Steppe noch gelehrt. Dennoch war es eine Genugtuung zu erkennen, dass er richtig lag, als sie sich den anderen Reitern näherten.

Es waren mittlerweile fast zwei Wochen vergangen, seit sie Taarl verlassen hatten. Der Trupp kam nur langsam voran. Der Winter hatte die Steppe noch fest im Griff, so brauchten sie jeden Tag viel Zeit, um Nahrung und Wasser zu besorgen, um ihre Vorräte nicht unnötig zu strapazieren. Doch Narthas war es recht, eher vorsichtig vorzurücken. Sie hatten ausreichend Zeit eingeplant, selbst wenn sie länger in der Peltamark aufgehalten werden sollten. Oder eben hier in der Steppe.

Als sich die beiden Reiterhorden bereits gut erkennen konnten, hielten beide inne. Narthas gab das Signal, den Ritt zu unterbrechen, und drehte sich zu seinen Söhnen und Anführern. „Lokran, Zirgas, ihr kommt mit mir. Kirgesh, bleib mit Wanfried zurück. Wenn uns etwas passiert, tötet diese Bastarde. Und lasst sie den Tod spüren, wenn möglich.“

Der ältere Sohn ritt wie geheißen nach vorne, während Kirgesh, der jüngere, ruhige Sohn nur schweigend nickte und dann zu Wanfried ritt, der erst mit den letzten Reitern aufschloss. Bevor der Ritter Narthas erreichte, hatte der Khan schon sein Pferd nach vorne getrieben. Er erkannte, wie sich auch aus der gegenüberliegenden Truppe drei Reiter lösten.

Etwa zehn Schritte vor den anderen Urben stoppte Narthas sein Pferd. Er musterte seine Gegenüber. Es waren drei junge Männer, vielleicht in Lokrans Alter. Sie alle trugen die übliche Stammeskleidung der Urben, doch der Mittlere, wohl Älteste, zeichnete sich durch aufwändigeren Schmuck und Waffen aus. Der Khan des anderen Stammes.

„Ihr steht im Weg.“, stellte Narthas kalt fest.

„Ihr reitet durch das Land der Tarkach Urboi. Als deren Khan befehle ich euch: Kehrt um, wenn euch etwas an eurem Leben liegt. Du und deine Männer finden hier nur den Tod.“

Narthas lächelte den Mann an. Dann erhob er seine Stimme, dass auch die Reiter hinter ihrem Anführer ihn hören und verstehen konnten: „Ich bin Narthas Khan, Sohn von Ikran, und Anführer der westlichen Urbenstämme. Wir ziehen in den Krieg, gegen das große Kaiserreich der Sonne im Süden. Für Ehre und Beute. Jeder Urbe, der eines Tages mit den Geistern der Steppe reiten will, soll sich uns anschließen, um Ruhm, Ehre, und Reichtum zu erlangen.“ Dann blickte er zu dem jungen Anführer des Stammes. „Und du, Junge, hütest deine Zunge, wenn du mit mir sprichst. Ein paar Reiter, die dir folgen, machen dich noch nicht zu einem Khan.“, antwortete er kalt. Narthas kannte den Stamm der Tarkach. Einst waren sie von Roxesh, einem Waffenbruder seines Vaters geführt worden, und auch in die großen Kriege mitgeritten. Doch anscheinend hatten einige Männer fliehen können, um den Stamm in Freiheit neu zu beleben. Vielleicht sogar Söhne des damaligen Khans.

Der Angesprochene grinste Narthas an. Er trieb sein Pferd leicht mit den Hacken an und ritt auf Narthas zu. Sein Blick blieb auf dem Khan gehaftet, er fixierte ihn mit seinen dunklen Augen. Langsam umrundete er Narthas, der vollkommen ruhig blieb, und dem jungen Mann nur mit den Augen folgte.

„Du bist also der Feigling und Verräter, alter Mann. Wir haben einen Boten von dir erhalten. An seinem Fleisch laben sich nun die Wölfe.“, antwortete der junge Mann, als er Narthas umrundet hatte.

„Wie heißt der Mann, der mich beleidigt?“, antwortete Narthas ruhig.

„Altan Khan, Sohn des Roxesh.“, antworte er, und hielt sein Pferd so nah an Narthas an, dass sich die Tiere fast berührten. Er blickte dem älteren Mann in die Augen. „Du bist Abschaum. An dem Tag, an dem du dich unterworfen und unser Volk in die Sklaverei geführt hast, hast du jegliche Chance vertan, mit den Geistern in die Unendlichkeit zu reiten. Also spare dir deine Reden, und verziehe dich zurück hinter die Steinmauern deines valorischen Herrn und Meisters.“ Mit den letzten Worten spuckte er auf Narthas und traf diesen an der Rüstung.

Narthas blieb ruhig. Er blickte an sich hinunter, dann wieder hoch, und dem jungen Mann in die Augen. Doch dann ging es schnell. In einer schnellen Bewegung zog er seinen Säbel und führte einen seitlichen Hieb aus.

Der Mann hatte den Angriff offensichtlich erwartet. Blitzschnell duckte er sich unter der Klinge hinweg und zog sein Pferd am Zügel, um eine bessere Position gegenüber Narthas zu gewinnen. Nun zog auch er seine Waffe aus der Scheide und führte einen kräftigen Hieb gegen Narthas aus. Als er den Hieb parierte, spürte Narthas die Kraft seines Gegners. Und sein eigenes Alter, das langsam begann, Tribut zu fordern. Doch für diesen Heißsporn würde es noch reichen. Denn seine Arroganz und Übermut waren die Schwächen des Feindes.

Altan setzte seinem Gegner sofort nach. Aus den Augenwinkeln erkannte er, dass weder seine Brüder noch die beiden Männer des Khans eingreifen würden. Dies verlangte die Ehre. Ein Kampf Mann gegen Mann durfte nicht gestört werden. So intensivierte er seine Angriffe und führte sein Pferd gleichzeitig immer wieder um den Gegner. Er war stärker, schneller, und konnte sein Pferd besser führen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis dieser Kampf entschieden war.

Narthas Erfahrung war sein eigentlicher Vorteil. Ein Hieb streifte ihm über die Wange, als er nicht weit genug nach hinten ausweichen konnte. Während sein Gegner eine Schwäche erwartete und sofort nachsetze, erkannte Narthas seine Chance, als dieser sich zum Angriff näherte. In einer schnellen Bewegung zog er mit der Linken seinen Dolch aus dem Gürtel und rammte dem Feind das Messer in die rechte Schulter.

Altan schrie auf, ließ seine Waffe fallen. Den wütenden Schrei von Narthas nahm er kaum noch wahr, bevor dieser mit einem sauberen Hieb seines Säbels den Kopf des jungen Khans abtrennte. Die beiden Brüder von Altan wichen zurück, aber mit einem kurzen, ernsten Blick verhinderte Narthas, dass sie ihn angriffen. Dann wandte sich der Khan an Zirgas.

„Zirgas.“, sagte er nur und nickte auf den Kopf des Unterlegenen. Der alte Gefährte grinste, sprang vom Pferd, hob den Kopf auf und warf ihn Narthas zu, nachdem dieser seine Klingen weggesteckt hatte.

Narthas ritt langsam an den beiden Brüdern von Altan vorbei auf das Heer der Tarkach Urboi zu. Als er wenige Schritte vor den letzten Reitern hielt, ließ er seinen Blick schweifen, und versuchte möglichst vielen Männern in die Augen zu schauen. Dann warf er den Kopf des einstigen Khans auf den gefrorenen Boden der Steppe. Er zog den blutigen Säbel aus dem Gürtel und reckte ihn in die Luft.

„Wer folgt mir?“, rief er laut.

Speere, Säbel, Bögen wurden in den Himmel gereckt. Laute Rufe der Tarkach Urboi waren die Antwort. Während er nach außen sichtbar streng schaute, musste Narthas innerlich lächeln. Der junge Heißsporn war doch ein Glücksfall gewesen. Denn ihr Heer wuchs. Und in den Steppen gab es noch einige kleinere Stämme wie die Tarkach.

Das Eis am Ufer brach krachend, als Narthas sein Pferd in die Furt führte. Sie hatten einige Zeit gebraucht, bis sie erst den Calas erreicht, und dann die Furt gefunden hatten. Aber nun schienen sie an einer Stelle angekommen zu sein, die ein sicheres Übertreten erlaubte. Selbst jetzt, im kalten Winter. Es würde noch einige Tage, vielleicht Wochen dauern, bis sie das Heer vollständig gesammelt hatten. Aber dann würden sie den großen Fluss überqueren. Auf der anderen Seite sah Narthas am Horizont bereits zwei Burgen. Die Peltamark. Land der Seen und Burgen. Es würde sich zeigen, ob deren Bewohner sie passieren ließen. Oder ob sie unklug handelten…

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