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Kapitel 5
Оглавление„Für den Frieden des Kaisers. Möget ihr eins mit Laëa werden.“ Die Worte des Dritten, der die Militärherrschaft über Fendheim ausführte, hallten über den Platz. Im nächsten Moment trat der Henker die Bank unter den Verurteilten weg. Die Stricke zogen sich stramm, während die Gehängten noch zappelnd versuchten, sich zu befreien. Doch es war vergebens. Einer nach dem anderen sackte schließlich leblos in sich zusammen und starb. Fünf Männer. Zwei Frauen. Ein Junge, vielleicht dreizehn, vierzehn Jahre alt.
Berlan schaute nicht weg. Er betrachtete das Grauen, dass der Kaiser im Namen seines Friedens nach Kargat gebracht hatte, Berlans zweiter Heimat. Er hatte es schon damals erkennen müssen. Doch da waren es noch eher offene Schlachten gewesen. Nun verlagerte sich die Unterdrückung in die Städte und auf all jene, die sich gegen die kaiserlichen Besatzer aussprachen. Oder nur dessen beschuldigt wurden. Wie hier in Fendheim.
Fendheim war eine größere Stadt im Norden Kargats, die in den letzten Jahren aufgrund des vermehrten Bergbaus im Drillingsmassiv gewachsen war. Die Stadtmauern reichten schon lange nicht mehr, um all die Hütten und Häuser zu umschließen. In Fendheim lebten viele Menschen, denen es schon unter dem König Kargats schlecht gegangen war. Unter dem Kaiserreich wurde es nicht besser. Dafür sorgten die kaiserlichen Soldaten für unnachgiebige Verfolgung jeglicher Straftaten. Aufwieglung zählte da dazu. Durch seine Bevölkerungsstruktur war aber Fendheim schon in den letzten Jahren ein guter Nährboden für das Nachtrudel gewesen, trotz der Entfernung zu Dornat. Deswegen war Berlans Wahl auf diese Stadt gefallen. Hier sollte der Widerstand im besetzten Kargat neu belebt werden. Und was bot da einen besseren Grund als die Hinrichtung von scheinbar unschuldigen Menschen.
„Sollten wir gehen?“, fragte Sivert seinen Vater. Der Blick des Jungen war noch stur nach vorne auf die Hingerichteten gerichtet, doch er spürte, wie sich die Menge langsam zerstreute. Sie sollten nicht als letztes hier verbleiben. Denn es bestand zu befürchten, dass in Kargat noch der ein oder andere Steckbrief, zumindest von Berlan, zu finden war.
„Noch nicht.“, sagte Berlan. Er hatte sich einen dicken Mantel übergeworfen und die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Dennoch suchten seine Augen den Platz ab. Nach Menschen, die er kannte. Oder anderen Anzeichen von jenen, die dem Kaiser nicht unbedingt loyal gesinnt waren. Über die Jahre hatte er die Anzeichen gelernt. Der verbitterte Blick zum Galgen. Die genaue Beobachtung der Besatzer. Versteckte Klingen. All jene Dinge, die ihn wohl auch ausgemacht hatten, als er noch nicht gelernt hatte, sich im Zweifel zu beherrschen. Unauffällig zu wirken, aber eben nicht so unauffällig, dass er wieder verdächtig wurde. Es war ein schmaler Grat.
Recht unvermittelt wurde Berlan von einem Mann angerempelt, der gerade den Platz verließ. Sofort griff Sivert an die Klinge seines Dolches, den er unter dem Mantel. „Pass doch auf.“, fuhr er den Mann an.
„Es tut mir leid, mein Herr.“, sagte dieser nur kleinlaut mit gesenktem Blick. „Ich bitte um Entschuldigung.“, sagte er weiter, ging aber gleichzeitig rückwärts weiter und drehte sich dann weg, um in der Menge zu verschwinden.
„Hat der Mann keine Augen?“, fragte Sivert seinen Vater, der auf den Rempler kaum reagiert hatte. Einen Berg bewegte man eben nicht allzu leicht. Doch dann erkannte der Sohn ein Lächeln im Gesicht des Vaters.
„Oh doch, mein Sohn. Er hatte sehr gute Augen.“, sagte Berlan. Er öffnete leicht die rechte Hand, ließ sie dann aber wieder unter dem Mantel verschwinden. Doch es hatte gereicht, damit Sivert den Zettel erkannte, den der Mann Berlan offensichtlich zugesteckt hatte.
Mühle. Mitternacht. Die zwei Worte hatten auf dem Zettel gestanden. Berlan wusste, dass es ein Risiko war. Es könnte eine Falle sein. Andererseits war das gesamte Vorhaben ein großes Risiko, und sie hatten nicht viel zu verlieren. Also fanden sie sich in tiefster Nacht etwas außerhalb der Stadt wieder. An der großen Mühle, die normalerweise von dem nahen Fluss angetrieben wurde. Doch nun war dieser vollkommen vereist, und die Mühle wirkte geisterhaft ruhig.
„Denkst du, dass jemand kommt?“, fragte Sivert, als sie schon einige Zeit warteten. Der Junge zitterte ob der Kälte. Berlan hatte ihn noch in Valorien offen gefragt, ob er mit ihm gehen wollte. Ansonsten hätte er bei seinem Onkel am herzoglichen Palast in Tjemin verweilen können. Aber das fühlte sich nicht nach dem Leben an, das Sivert gewohnt war. Er fühlte sich nicht Adelig. Er war es eigentlich nie gewesen, und würde es wohl auch nie sein. Also hatte der Entschluss, seinen Vater zu begleiten, schnell festgestanden.
„Ja. Irgendjemand wird kommen. Ansonsten müssen wir schnell weiterziehen.“, antwortete Berlan, den die Kälte anscheinend deutlich weniger störte.
„Verstanden.“, sagte Sievert und schaute sich ungläubig in der Nacht um. Es wirkte nicht so, als wäre noch irgendjemand wach, außer der Wachen, die auf den Mauern der Stadt patrouillierten. „Ich bin gleich wieder da.“, sagte er und ging dann um die Scheune herum, um sich zu erleichtern.
Als er um die Ecke gebogen war, stockte er kurz. Hinter der Scheune fiel der Boden abwärts hin zu dem kleinen Fluss. Dort war auch das große Mühlrad. Aber hatte er dort nicht gerade weißen Dampf gesehen, wie vom Atem eines Mannes? „Hallo, ist da jemand?“, fragte Sivert leise. Gleichzeitig legte er seine Hand um den Dolch, den er unter der Kleidung trug. Doch nichts regte sich. Vorsichtig stieg Sivert durch den Schnee nach unten. „Hallo?“, fragte er erneut.
Plötzlich sprang in der Tat eine Gestalt aus dem Schatten. Statt allerdings mit Sivert zu reden, hob der Mann eine Axt und ging auf den Jungen zu. Innerlich hatte er zwar mit einem Angriff gerechnet, doch als er seinen Dolch ziehen wollte und seinen Stand verstärkte, spürte er, wie er wegrutschte. Obwohl er noch versuchte, die Balance zu halten, rutschte er vollkommen weg und fiel so auf den Hosenboden, während der Angreifer auf ihn zustürmte.
Er hörte ein Klacken. Dann ein kurzes Sirren. Und dann sah Sivert, wie ein Bolzen in die Brust des Mannes schlug und ihn nach hinten warf. Getroffen rutschte der Angreifer nach unten und auf den gefrorenen Fluss. Sivert drehte sich um, und erkannte zwei Gestalten, die angelaufen kamen. Ein dritter Mann kniete in einiger Entfernung und senkte gerade die Armbrust.
Bevor Sivert sich vollständig aufgerappelt hatte, kam schon sein Vater um die Ecke gerannt. Blitzschnell musterte Berlan die Situation. Er hatte die Axt bereits in der Hand, die er stets mit sich trug.
„Kein Grund zur Sorge. Wir sind nicht euer Feind.“, sagte der vordere Mann, als er Berlans Waffe erkannte. Er blieb in einiger Entfernung stehen, schaute sich dann noch einmal um, und steckte dann die Klinge weg, die er gerade noch getragen hatte. „Aber ihr solltet darauf achten, wer euch folgt.“, mahnte er.
„Wer seid ihr? Und wer war das?“, fragte Berlan und deutete auf den Toten, dessen Blut gerade Schnee und Eis rot färbte.
„Wahrscheinlich eine Ratte. Die Kaiserlichen belohnen all jene gut, die Aufständische oder Verdächtige denunziert. Anscheinend habt ihr als Fremde etwas viel Aufmerksamkeit auf euch gezogen.“, sagte der Mann und ging dann langsam auf Berlan zu. „Und Berlan, ich hoffe, dass du mich noch kennst.“, sagte er dann grinsend.
Berlan legte die Stirn kurz in Falten, aber dann erkannte er den Mann unter dessen wildem, dunkelbraunen Bart, den er früher nicht getragen hatte. Damals, als er fast militärisch aussah, und das Nachtrudel im Norden Kargats geordnet hatte. Berlan hatte den Kamerad tot vermutet, was sich aber offensichtlich als falsch herausstellte.
„Ansgar.“, sagte er erleichtert. „Ich gehe davon aus, dass wir schnell verschwinden sollten?“
Der Anführer nickte. „Ja, wenn wir nicht die nächsten am Galgen sein wollen, sollten wir das. Wer ist der Junge?“, fragte Ansgar den einstigen Hauptmann.
„Mein Sohn, Sivert.“
Ansgar lächelte und zeigte dabei einige Zahnlücken. „Der Kleine? Ich erinnere mich. Ist aber groß geworden.“
„Du kennst mich?“, fragte Sivert und trat nun auch näher.
„Ich kannte deine Mutter. Und dich, naja, in kleiner Version. Aber genug der Plauderei. Wir sollten los.“
Ihr Weg hatte sie weg von der Stadt in die Berge hineingeführt. Zuerst hatte Sivert gedacht, dass Ansgar sie in ein abgelegenes Bergdorf führen würde. Statt aber einen der kleinen Pfade hoch in die Hügel zu nehmen, waren sie zu einem Stollen gegangen. Nach ihrem langen Weg durch den Kal Dor hatte der Junge immer noch einen gewissen Respekt davor, unter Tage zu gehen. Aber es gab keine Alternative, als seinem Vater und dessen Kamerad zu folgen.
Am Eingang wartete bereits ein weiterer Mann mit einer Fackel. Sie entzündeten zwei weitere Fackeln und liefen dann in den engen Stollen hinab. Der Weg schlängelte sich tiefer in den Berg. Als Sivert schon dachte, dass der Weg immer enger wurde, erreichten sie hinter einer Ecke auf einmal eine größere Halle. Es schien eine natürliche Höhle zu sein, auf die einst Bergleute gestoßen waren. Das Innere war von mehrere Fackeln und Feuern erleuchtet. An der Decke erkannte Sivert einige Löcher und Spalten, die den Blick auf den Sternenhimmel freigaben und dem Rauch erlaubten, abzuziehen. Im Inneren der Höhle schliefen viele Männer, andere saßen noch an Tischen und tranken oder spielten mit Karten und Würfeln. Am Rand erkannte der Junge auch einen Bach, der durch die Höhle lief, und dann wieder im Fels verschwand. Die anwesenden Männer und Frauen waren bewaffnet. Und sie waren offensichtlich keine Kaiserlichen.
„Willkommen im letzten freien Teil von Fendheim. Naja, ein bisschen ausgelagert zumindest.“, sagte Ansgar und deutete ihnen weiter in die Höhle hineinzutreten. „Lasst uns erstmal einen Schluck trinken und uns am Feuer wärmen. Dann kannst du mir erzählen, was du hier im Norden machst, Berlan.“
„Im Norden? Du meinst doch im Süden?“, korrigierte Sivert verwirrt. Doch Ansgar schaute die beiden überrascht an.
„Ich dachte, ihr hättet euch nahe Dornat versteckt.“
Berlan schüttelte den Kopf. „Nein. Wie du sagtest: Lass uns zum Feuer gehen. Dann erzähle ich dir die Geschichte in Ruhe.“, antwortete er.
„So sind wir schließlich aufgebrochen. Nach Kargat zurück. Um hier all jene Kräfte zu aktivieren, die sich nicht dem ‚Frieden‘ des Kaisers unterordnen wollen.“, schloss Berlan seine Erzählung. Das Wort ‚Frieden‘ nutzte er dabei mit einem bitteren Ton. Denn Frieden war es wirklich nicht, was die Truppen der Sonne brachten. Denunziantentum und drakonische Strafen waren die Auswirkungen der 11. Armee. Kein Frieden.
„Also habe ich es richtig verstanden? Du dienst nicht nur der alten Königin von Kargat, sondern auch der neuen von Valorien? Und willst, dass wir die Herrschaft des Kaisers für die Herrschaft eines Mädchens eintauschen?“
„Luna ist mehr als ein Mädchen. Sie ist die Erbin St. Gilberts und schaffte es, Valorien vom Kaiser zu befreien. Wenn jemand Kargat befreien kann, dann sie.“, sagte Sivert vehement, wurde aber von seinem Vater mit einer Geste zu Ruhe gemahnt.
„Ansgar. Du und ich sind Realisten. Als Nachtrudel vermochten wir, ein bisschen Gerechtigkeit herzustellen, als Magnus in Härengar weilte und seine Adeligen so zerstritten wie korrupt und schwach waren. Doch das Kaiserreich ist anders. Seine Herrschaft ist anders. Wir haben es während der Besatzung versucht. Doch du hast gehört, was geschehen ist. In Dornat. Es gibt keine Freiheit für das kargatianische Volk, ohne die Hilfe Valoriens. Valorien hat mächtige Verbündete. Und wenn das Land erst geeint ist wie in Gilberts Tagen, kann es sogar dem mächtigen Kaiserreich widerstehen. Nur so kann das Volk wieder atmen.“
Ansgar kratzte sich am Kinn, während er nachdachte. Er blickte durch die Höhle, über die schlafenden Männer, und jene, die gerade noch wach waren. „Wenn das Kaiserreich uns hier findet, werden wir alle am Galgen enden. Wer sagt mir, dass nicht das Gleiche passiert, wenn die Valoren hier einmarschieren?“
Berlan nickte verständnisvoll. Er hatte wie Ansgar auf der anderen Seiten der Obrigkeit gestanden, und bat nun den alten Freund, sich genau dieser wieder unterzuordnen. Nur eben einer anderen Königin.
„Sie werden euch nichts tun, weil ihr Seite an Seite mit ihnen kämpft. Königin Luna versprach Kargat zu befreien. Nicht für seine Adeligen. Nicht für Königin Hega. Sondern nur für das kargatianische Volk. Sie wird ihr Versprechen halten. Wenn dieser Krieg zu Ende ist, wird sie ihre schützende Hand über das Land halten.“
„Pfft, über schützende Hände von Adeligen habe ich schon genug gehört.“, sagte Ansgar abfällig, blickte dann aber Berlan ernst an. „Was sollen wir tun?“
„Im Moment nichts. Lasst euch nicht erwischen. Aber wenn möglich, dann sammle im Frühjahr deine Männer. Bewaffne sie. Bereite sie vor. Und wenn die Banner Valoriens am Horizont erscheinen, dann öffnet ihnen die Tore zur Stadt. Schneidet jedem kaiserlichen Soldaten die Kehle durch. Ich werde der Königin von unseren Verbündeten in Fendheim und ganz Kargat berichten.“
„Es hört sich so einfach an, wenn du es so sagst…“, sagte Ansgar. „Aber ich war damals in Härengar. Nichts kann die Macht des Kaiserreichs bezwingen, schon gar nicht die Macht dieser Mönche.“
„Und doch gelang es den Valoren.“, sagte Sivert. „Sie sind mit Elfen verbündet.“
„Elfen?“, fragte Ansgar verwundert. „Reiten sie auch auf Drachen in die Schlacht? Und zerschmettern ihre Feinde mit Magie? Und die Königin, reitet die auf einem Einhorn?“, witzelte er dann aber sarkastisch und lachte tief.
„Es ist wahr.“, sagte Berlan ernst und blickte ins Feuer. Ansgar verstummte. Er blickte Berlan fragend an.
„Du meinst das ernst?“
„Ja.“
„Aber wie?“
„Das wissen wir nicht.“, sagte Sivert. „Aber Königin Luna kehrte an der Seite von Elfen nach Valorien zurück. Sie wurde in ihrem Krieg von zwei Elfenfürsten begleitet, gegen die die Mönche nicht bestehen konnten. Die Elfen… sie befehligen Sturm und das Meer. Es muss unglaublich gewesen sein.“
Ansgar runzelte die Stirn. Noch immer wollte er diesen Erzählungen nicht ganz glaube. Andererseits war Berlan kein Mann, der mit Lügen prahlte. Zumindest soweit er ihn kannte. Also nickte er.
„Na gut. Ich werde sehen, was ich tun kann. Ich muss mit den Männern reden, aber am Ende wird für sie jeder Feind des Kaiserreiches ihr Freund sein. Was habt ihr vor? Bleibt ihr in Fendheim?“, fragte er dann Berlan. Doch dieser schüttelte den Kopf.
„Nein. Fendheim ist nur eine Stadt. Wenn der Sturm auf Kargat beginnt, muss sich jede Stadt erheben. Kargat wird von innen und außen befreit. Die kaiserlichen Soldaten sollen kein Auge mehr zudrücken dürfen. Sie müssen ständig unter der Bedrohung leben. Nur so können wir ihre zahlenmäßige Überlegenheit neutralisieren. Wir ziehen weiter. Nach Wulfricshafen erst. Dann in die Zwillingsstädte. Hoffentlich bis nach Härengar.“, erzählte er ihren weiteren Plan.
„Gut. Ich kenne einige gute Männer in Lyth Norus und Tengemünde. Lass mich dir ein paar Zeilen mitgeben. Das sollte helfen.“, antwortete Ansgar. „Außerdem: ein paar Tage werdet ihr hier bestimmt verbringen können. Immerhin gibt es noch viele Geschichten zu erzählen, und es ist mehr als unklar, ob wir uns in dieser Welt noch einmal wiedersehen werden.“
„Das Angebot nehmen wir gerne an.“, sagte Berlan lächelnd. Dann stießen sie mit ihren Krügen an.